Themenvorschlag: Videospiele für Senioren und Demenzkranke

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Ines
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Themenvorschlag: Videospiele für Senioren und Demenzkranke

Beitrag von Ines »

Ich bin heute über Piqd auf diesen SPON-Artikel gestoßen: Gaming für Senioren
Interessant fände ich wirklich, mal nachzufragen, welche Fähigkeiten da genau trainiert werden und für wen (mit welchen Erkrankungen, welchen Verhaltensauffälligkeiten etc.) diese Spiele geeignet - oder auch ungeeignet - sind. Auch die Angst vor der Technisierung von Pflege und dem Ersatz menschlicher Zuwendung durch "Maschinen" könnte man nochmal diskutieren.
Wäre das nicht unter Umständen was für dein Wissenschaftsformat, lieber André?
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Ricer
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Re: Themenvorschlag: Videospiele für Senioren und Demenzkranke

Beitrag von Ricer »

Im Thread zum Potenzial von Videospielen bin ich kurz auf VR und Alzheimer eingegangen: https://www.wired.de/collection/science ... -alzheimer" onclick="window.open(this.href);return false;
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Ines
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Re: Themenvorschlag: Videospiele für Senioren und Demenzkranke

Beitrag von Ines »

Auch spannend! Und auch hier habe ich die Frage, für wen das überhaupt fuktioniert. Gibt es etwas, was so niedrigschwellig ist, dass auch schwer beeinträchtige PatientInnen davon profitieren können? Gerade den Teil, der als eine Art Beschäftigung fungieren kann, könnte vielleicht fie Betreuung bestimmter PatientInnen erleichtern, sie beweglicher halten und Stürze, Fixierungen und den Verbrauch von Psychopharmaka reduzieren. Wenn es denn funktioniert.
Bedenken muss man ja auch, dass auch wir alle älter werden und die Demenz immer näher rückt. Ich bin sicher, wenn wir alt und dement sind, haben Spiele Einzug gehalten in die Seniorenheime (hoffentlich!).
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Blaight
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Re: Themenvorschlag: Videospiele für Senioren und Demenzkranke

Beitrag von Blaight »

Wie bei allen neurodegenerativen Krankheiten lassen sich solche Fragen selten mit einfachen Lösungsansätzen beantworten. Bekannt ist, dass man den Verlauf einer Demenz in vielen Fällen durch sportliche Aktivität, soziale Aktivität und kognitive Aktivität beeinflussen kann. Nicht umsonst findet man die Nintendo Wii noch in vielen Altersheimen und Pflegeeinrichtungen.
Neuronen können im Gegensatz zu anderen Körperzellen nur in sehr wenige Fällen regeneriert werden. Was weg ist ist weg. Zusätzlich konnte man in den letzten Jahren zeigen, dass das hirneigene Immunsystem (vorallem Microglia) im Laufe einer Demenzerkrankung immer weniger flexibel wird und irgendwann viel zu unreguliert inflammatorische Prozesse beschleunigt.

Ob und wie Computerspiele helfen können wird sich zeigen.
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bluttrinker13
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Re: Themenvorschlag: Videospiele für Senioren und Demenzkranke

Beitrag von bluttrinker13 »

Blaight hat geschrieben:Wie bei allen neurodegenerativen Krankheiten lassen sich solche Fragen selten mit einfachen Lösungsansätzen beantworten. Bekannt ist, dass man den Verlauf einer Demenz in vielen Fällen durch sportliche Aktivität, soziale Aktivität und kognitive Aktivität beeinflussen kann. Nicht umsonst findet man die Nintendo Wii noch in vielen Altersheimen und Pflegeeinrichtungen.
Neuronen können im Gegensatz zu anderen Körperzellen nur in sehr wenige Fällen regeneriert werden. Was weg ist ist weg. Zusätzlich konnte man in den letzten Jahren zeigen, dass das hirneigene Immunsystem (vorallem Microglia) im Laufe einer Demenzerkrankung immer weniger flexibel wird und irgendwann viel zu unreguliert inflammatorische Prozesse beschleunigt.

Ob und wie Computerspiele helfen können wird sich zeigen.
Interessant.
Wären dann nicht gerade etwa diese Aktivitäten (sportlich, kognitiv-fordernd) wiederum Faktoren welche diese limitierte Generierung beeinflussen bzw. anregen könnten?
Ich erinnere mich vor ein paar Jahren in Vorbereitung auf ein Seminar ein Paper gelesen zu haben, dass recht neu war und behauptete es gäbe im Gehirn doch eine (wenn eben wohl auch limitierte) Neuproduktion von Neuronen. War das der Hippocampus..? Müsste ich noch mal nachschauen.

Gesetzt das ist der Fall, könnten ja evt gerade kognitiv anregende und fordernde (nicht über-fordernde natürlich) Umgebungen oder Kontexte in Form von Videospielen dazu dienen, den hippokampalen Bereich oder diese Produktion zu stimulieren.
Müsste natürlich gezeigt werden, wie gesagt, aber evt ist das ja ein möglicher Mechanismus, der sich bildgebend (oder physiologisch) auch tracken ließe, und mit dem du verschiedene Stimuli (Spiele) katalogisch abprüfen könntest. Oder was meinst du? ;)
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Blaight
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Re: Themenvorschlag: Videospiele für Senioren und Demenzkranke

Beitrag von Blaight »

bluttrinker13 hat geschrieben: Interessant.
Wären dann nicht gerade etwa diese Aktivitäten (sportlich, kognitiv-fordernd) wiederum Faktoren welche diese limitierte Generierung beeinflussen bzw. anregen könnten?
Ich erinnere mich vor ein paar Jahren in Vorbereitung auf ein Seminar ein Paper gelesen zu haben, dass recht neu war und behauptete es gäbe im Gehirn doch eine (wenn eben wohl auch limitierte) Neuproduktion von Neuronen. War das der Hippocampus..? Müsste ich noch mal nachschauen.

Gesetzt das ist der Fall, könnten ja evt gerade kognitiv anregende und fordernde (nicht über-fordernde natürlich) Umgebungen oder Kontexte in Form von Videospielen dazu dienen, den hippokampalen Bereich oder diese Produktion zu stimulieren.
Müsste natürlich gezeigt werden, wie gesagt, aber evt ist das ja ein möglicher Mechanismus, der sich bildgebend (oder physiologisch) auch tracken ließe, und mit dem du verschiedene Stimuli (Spiele) katalogisch abprüfen könntest. Oder was meinst du? ;)
Was man beispielsweise weiß, ist dass der brain derived neurotrophic factor (BDNF) ein Signalmolekül ist, dass deutlich zum Überleben und der Homeostase von Neuronen beiträgt und dass dieser Stoff vermehrt produziert wird, wenn man Sport treibt. Außerdem weiß man dass Fettpolster (vorallem unten am Bauch) durchgehend entzündungsabhängige Signalwege aktivieren, die sich dann auch auf die von mir angesprochene Immunaktivität im Hirn auswirkt. Es gibt Studien, die zeigen, dass unter bestimmten Bedingungen Neurone gebildet werden. Das Problem ist, dass das Gehirn nicht funktioniert wie ein PC. Wenn man einem PC einen weiteren Speicherriegel einsteckt, dann hat man seine Kapazität um diesen Riegel erweitert. Im Hirn dagegen ist vieles von den Verknüpfungen der Neurone untereinander abhängig und diese Verknüpfungen im Nachhinein anzulegen ist ebenfalls unter Demenzbedingungen erschwert. Auch hier könnte man auf die Microglia verweisen, die bei dem Etablieren neuronaler Verbindungen durch aktives Eingreifen in den Verknüpfungsprozess eine große Rolle spielen (synaptic pruning; überflüssige Synapsen werden von Microglia phagozytiert; aufgegessen). Das bedeutet am Ende, dass selbst wenn es zu einer begrenzten Neupopulation mit Neuronen unter bestimmten Bedingungen kommt, die Reifeprozesse ebenfalls funktionieren müssen. Gerade der Hippocampus ist durch seine sehr dichtgepackte Struktur durch Fehlregulation gewissermaßen Störungsanfällig. Viele Hirnstudien haben darum ein Verhaltensexperiment, dass das Morris' Watermaze genannt wird, bei dem man überprüfen kann, ob hippocampusabhängig Lernen beeinflusst ist.

Was immer klarer wird ist, dass die Ursachen für Demenzerkrankungen meistens Jahrzehnte vor den ersten Symptomen liegen (macht Sport Leute!).

Selbst wenn eine Neuproduktion und Integration von Neuronen unter bestimmten Bedingungen möglich ist, dann würde dass im Zweifel das Potential wiederherstellen neu zu lernen - die Erinnerungen ließen sich damit nicht wiederherstellen.

Ich will nicht zutief auf die aktuelle Forschung eingehen, da ich das Gefühl habe mich da ein wenig weit aus dem Fenster zu lehnen. Klar ist, dass an Demenzerkankungen viel geforscht wird. Ein großes Problem ist dabei, dass die Bildgebenen Verfahren beim Menschen sehr limitiert sind. Vorallem würde man hier wohl fMRI nennen. Bei diesem Verfahren versucht man indirekt Hirnaktivität darüber zu messen, dass relativ zu anderen Bereichen im Gehirn, aktive Bereiche im Gehirn mehr Sauerstoff verbrauchen, und dass kann man über die Sauerstoffsättigung des Blutes ableiten (BOLD), das ist allerdings häufig vage. Außerdem ist die Statistik dazu so fehleranfällig, dass es zu diesem spannenden Paper kommen konnte (https://www.wired.com/2009/09/fmrisalmon/" onclick="window.open(this.href);return false;).
Außerdem ist fMRI nicht in der Lage auf zellulärer Ebene aufzulösen, doch genau da finden viele der Prozesse statt, deren Mechanismen wir nachvollziehen müssen, um Demenzerkrankungen auf den Grund zu gehen. Deswegen nimmt man Mäuse, mit denen kann man deutlich merh machen als fMRI, die entwickeln aber unter normalen Bedingungen keine Demenz. Man muss also künstlich genetisch veränderte Mausmodelle (zB APP-Mäuse) züchten, die einen vergleichbaren Phenotyp haben, wie Menschen.
Es gibt heutzutage die Möglichkeit mit sogenannter optogenetic einzelne Neurone zu aktivieren und bestimmte Folgeprozesse zu mikroskopieren. Diese Studien sind sehr aufwendig und teuer.

Um den Bogen zurück zu Senioren und Demenzkranken zu spannen: Es gibt wenig Anlass anzunehmen, dass Videospiele dem Hirn schaden und viele Indizien, dass das Hirn von Ihnen profitiert, selbst wenn man die Mechanismen nicht kennt.

Klar ist, dass für Senioren ein neues Spieledesign notwendig ist, dass sich an den Fähigkeiten und Interessen von Senioren orientiert. Bringt ja nicht viel, wenn ein Senior nur dann spielen kann, wenn ihm ein Zivi/FSJler zur Seite steht. Außerdem hat man in der Hirnforschung festgestellt, dass man nur dann lernt, wenn man überrascht wird (Andre spricht häufig davon, dass er Erfahrungen wünscht, die er so noch nicht gemacht hat). Das ist schon eine große Herausforderung und die Frage ist, wieviel wirtschaftliches Potential dahintersteckt, dass die Industrie sich darum kümmert.
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Ines
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Re: Themenvorschlag: Videospiele für Senioren und Demenzkranke

Beitrag von Ines »

Soweit ich weiß, ist ein gewisses Maß an Regeneration von Neuronen tatsächlich möglich, aber ob das bei Demenzkranken noch wirklich nutzbar ist, bezweifle ich. Es kommt sicherlich auch auf die Form der demenziellen Entwicklung an.
Mein Blick aus der Arbeit mit diesen Patienten und Patientinnen geht eher in die Richtung, dass die Behandlung optimiert werden könnte. Ob das einen direkten positiven Effekt auf das Gehirn hat, ist für mich in der Arbeit mit schwer demenzkranken Patienten ud Patientinnen eher nebensächlich. Man weiß, dass durch angemessene Bewegung die Mobilität aufrecht erhalten und stürze verhindert werden können. Sturzgefahr ist nach wie vor ein "Grund" für freiheitsentziehende Maßnahmen wie Fixierungen (Bauchgurte...), Bettgitter oder fest an Stühlen angebrachte Tische. Diese Dinge erhöhen wiederum die Sturzgefahr, die Menschen werden schneller immobil und sterben dann an einer Pneumonie, wenn sie sich nicht im Gurt strangulieren. Außerdem werden bei diesen Patientinnen und Patientinnen mehr Psychopharmaka (Neuroleptika, Sedativa) benötigt, wenn sie sich langweilen, was erneut die Sturzgefahr erhöht. Ganz abgesehen davon sinkt ja hierdurch auch die Lebensqualität.
Deshalb wäre es aus meiner Sicht auch interessant, ob Spiele einen positiven Effekt auf die Mobilität von Patientinnen und Patienten haben und ob es Designs gibt, die so niedrigschwellig sind, dass auch Demenzkranke (möglicherweise sogar schwer Demenzkranke) davon profitieren können.
So langsam rückt ja auch die Generation an die Demenzschwelle heran, die mit Computern durchaus vertraut ist, ich sehe die ersten Demenzkranken mit Tablets herumlaufen, und spätestens wenn wir alle alt und dement in unseren Hausgemeinschaften sind, haben die Videospiele hoffentlich dort EInzug gehalten.
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