Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

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Ricer
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Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Ricer »

Hallo liebe Menschen, hallo Jochen,

ein tolles Interview, das die Jungs von Pixeldiskurs mit Jochen geführt haben. Es war ungewohnt, ihn so ruhig und seriös zu hören.
http://pixeldiskurs.de/2016/11/27/pixel ... n-gebauer/
Nachtrag: Ab der 45. Minute geht's los!

Produktest und Rezension
Die Emanzipierung vom Produkttest hin zur Rezension ist der richtige Weg und ich habe großen Respekt für Jochen, dass er zu den Autoren (der Gamestar) gehört/e, die hier ein Umdenken eingeleitet haben.

Spaß und Sinnhaftigkeit
Die Frage, ob Spiele immer Spaß machen müssen beantwortet ihr im Grunde selber, da ihr die Sinnproduktion eines Werkes in den Mittelpunkt stellt. Spiele ordnen sich dem Spaß unter und wie ihr erwähnt habt, erscheinen immer mehr Titel, die diese Konvention brechen. In der Literatur sind auch die Werke am spannendsten, die dem Leser Überraschungen bieten, weil sie sich nicht an Konventionen halten. Zur Begrifflichkeit hätte ich erwartet, dass Jochen auf die Einteilungen der Literatur verweist. Epos, Drama, Lyrik... Vielleicht brauchen wir Ludo an einer Stelle.

Jetzt kommt der Poststrukturalismus ins Spiel. Der Autor und seine Intension sind egal; Wichtig ist, was das Werk bewirkt, was es im Kontext seines kulturellen Entwicklungsprozesses bedeuten kann und unter welchen Umständen es entstanden ist. Und ein Werk ist niemals vollständig, selbst der Spieler ist niemals vollständig und kann immer wieder neue Wege der Rezeption finden. Sehr schlüssig. Ich bin etwas auf der Strecke geblieben, warum das für Spiele nicht gelten darf, bloß weil sie in erster Linie Spaß machen. Die Sinnhaftigkeit kann ja im Spaß liegen, im Lernen oder einer Erkenntnis. Lernen durch Spaß ist zudem die sinnvollste Art des Lernens.

Der Running Gag
Und jetzt der Knaller des Interviews, fast schon ein Auf-ein-Bier-Running-Gag -> Eine Überleitung zu Spec Ops – The Line und Jochens Meinung, dass das Spiel die Aussage hat: „Krieg ist schlecht ist, aber die Spielmechanik suggeriert, dass Krieg Spaß macht“. Ergo – Kritik am Krieg funktioniert nicht. Wow – da war ich platt. Einen neuen Stressball bitte :) Kritisiert Spec Ops den Krieg? Die Belege, auf welche Art und Weise Spec Ops den Krieg kritisiert, interessieren mich sehr!

Heart of Darkness, Apocalypse Now und Spec Ops setzen sich nicht mit dem Krieg auseinander. Es geht um Wahnsinn, die Abgründe menschlichen Handelns um die Untiefen eines Subjekts. Im Falle von Heart of Darkness ist der Hintergrund der Kolonialismus. Im Fall von Apocalypse Now ist der Hintergrund der Vietnamkrieg. Im Falle von Spec Ops ist der Hintergrund eine Naturkatastrophe, die zum bewaffneten Konflikt führt.
[Edit 01.12.16] Nach anschließender Diskussion: Mein Interpretationsansatz für die Werke ist, dass wir uns nicht dem Krieg, sondern uns selbst stellen müssen. [/Edit]

Spec Ops – The Line kritisiert Ego-Shooter. Die Punkte, die Stefan aufzählt, belegen die Kritik am Ego-Shooter, nicht am Krieg. Leider blieb das Gespräch am Krieg haften und glitt in eine Rechtfertigungsdiskussion ab, nachdem Jochen seinen Punkt behauptet, aber nicht belegt hat. Vielleicht relativiert sich das durch die baldige Veröffentlichung des Vortrages. Im Interview folgen wieder Aussagen wie „Ich glaube 90% der Spieler machen das so“ und Suggestivfragen wie „Hat dir das wirklich Spaß gemacht“. Das nervt. Wieso nicht fragen „Was hat dir genau Spaß gemacht“. Eine Diskussion muss nicht gewonnen werden. Eine Diskussion ist eine beiderseitige Weiterentwicklung. Aber Schopenhauers Blut fließt dick durch Jochens Adern.

Schuld oder Konsequenz
Eine kurze allgemeine Anmerkung zur Schuldfrage. Du musst dich nicht schuldig fühlen, wenn du es nicht besser gewusst hast. Aber du kannst dich mit der Konsequenz des Handeln in Unwissenheit auseinandersetzen. Handeln in Unwissenheit bzw. auf unklarer Faktenlage ist etwas sehr alltägliches. Und die damit verbundenen Konsequenzen auch.

Das Vokabular
Im Hinblick auf das Beispiel mit Heavy Rain wird klar, dass hier wirklich versäumt wird mit bereits etablierten Begriffen zu arbeiten. Es geht nur um den Charakter im Spiel und den Menschen vor dem PC. Diese sind aber zweitrangig für Entscheidungen. Wichtig ist, ob der Spieler und der Charakter sich im Player Subject treffen. Passiert das nicht, muss analysiert werden warum! Und ich habe das Gefühl, dass Jochen oft nicht in dieses Player Subject findet. Warum? Vielleicht eine zu starke Betrachtung der spielmechanischen Bestandteile? Ein Reflexionsüberschuss während des Spielens, der verhindert, dass sich ein Player Subject bildet? Hier wünsche ich mir bei weiteren Rezensionen eine genauere Betrachtung.

So drehte sich die Diskussion um den fragwürdigen Vergleich mit einer echten Situation, in der man die Wahl hat jemanden umzubringen. Was sollte das in dem Gespräch bewirken? Wieso sprecht ihr nicht über die Ebene der Handlung im Spiel und die Ebene des Bewusstseins beim Spieler. Ein passendes Zitat aus Game of Thrones: „A reader lives a thousend lives before he dies. The man who never reads lives only one.“

Fazit
Ich kann zustimmen, dass es Unterschiede in der Qualität der Erzählung gibt. In Heavy Rain könnte die Beziehung zwischen Vater und Sohn noch besser ausgearbeitet sein. Spec Ops hätte noch gewagter sein können. Es geht immer Besser! Der Weg ist das Ziel.

Und dann der Schlusssatz:
„Ein guter Autor am Steuer ist mir lieber, als ein mittelmäßiger, dem ich ständig ins Lenkrad greife.“

Ernsthaft? Du musst selber fahren! Der Autor ist tot ;)

Viele Grüße und auf weitere kontroverse Gespräche hoffend,
Ricer

PS: Edits - Rechtschreibfehler, korrekter Begriff Poststrukturalismus, Nachtrag zur Interpretation, Durchgestrichener Text
Zuletzt geändert von Ricer am 2. Dez 2016, 10:17, insgesamt 9-mal geändert.
Rince81
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Rince81 »

Ricer hat geschrieben:Hallo liebe Menschen, hallo Jochen,

ein tolles Interview, dass die Jungs von Pixeldiskurs mit Jochen geführt haben. Es war ungewohnt, ihn so ruhig und seriös zu hören.
http://pixeldiskurs.de/2016/11/27/pixel ... n-gebauer/
Gibt es einen Timecode wo es losgeht?

Edit:
Hab es jetzt. ;)
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Ines
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Ines »

Den Punkt mit der Schuld und dem damit verbundenen Gefühl fand ich auch hinterfragenswert. Letzlich ist das ja ein Gefühl (bzw. ganz genau gesagt eine Kognition), bei der man untersuchen müsste, was das zunächst individuell auslöst.
Die Sache mit dem Player Subject finde ich sowieso untersuchenswert, weil ich das als auf den ersten Blick nachvollziehbares und logisches Konstrukt verstehe, aber bei genauerer Betrachtung nicht wirklich verstehe, in welcher Beziehung das mit dem realen Spieler steht. Der reale Spieler hat ja richtige reale Emotionen, die wahrscheinlich an einigen Stellen zwischen "Empathie" mit dem Bildschirmgeschehen und Distanzierung davon wechselt. Ich frage mich auch, in welchen Situationen die Trennung zwischen Spieler und "Player Subject" vielleicht sogar zerfallen könnte und welche Konsequenzen das hat (dabei denke ich zum Beispiel an bestimmte psychische Störungen). Vielleicht gibt es ja auch schon psychoanalytische Literatur zu dem Thema. Die haben sich ja schon viel mit dem Als-Ob-Spiel beschäftigt.
"Se faire objet, se faire passive, c'est tout autre chose q'être un objet passif" (S. de Beauvoir)
Tyrosh22
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Tyrosh22 »

Ich bin mir sicher, dass du den Poststrukturalismus meinst. Die von dir paraphrasierte Begründung des "Tod des Autors" greift aber glaube ich noch zu kurz und trifft nicht den Kern dessen, was den Poststrukturalismus charakterisiert. Danke für den Link und die Zeitangabe! Ich werde mir die Aufnahme auf jeden Fall anhören und mich dann erneut zu Wort melden. :)
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Ricer
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Ricer »

Tyrosh22 hat geschrieben:Ich bin mir sicher, dass du den Poststrukturalismus meinst. Die von dir paraphrasierte Begründung des "Tod des Autors" greift aber glaube ich noch zu kurz und trifft nicht den Kern dessen, was den Poststrukturalismus charakterisiert. Danke für den Link und die Zeitangabe! Ich werde mir die Aufnahme auf jeden Fall anhören und mich dann erneut zu Wort melden. :)
Danke für den Hinweis - hab's angepasst.

Der Tod des Autors ist überspitzt. Natürlich spielt der Autor für die historische Einordnung des Werkes eine Rolle. Ausgesagt werden soll ja, dass der Autor keine Deutungshoheit über sein Werk besitzt. Ich habe mich erst durch den Podcast mit dem Poststrukturalismus beschäftigt.
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tidus89
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von tidus89 »

Es lebe der Autor!

https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%BCckkehr_des_Autors" onclick="window.open(this.href);return false;
(Fotis Jannidis: Die Rückkehr des Autors)

Wenn ich Lust hab, schreib ich morgen noch auf, was mir beim Hören durch den Kopf ging.
Jochen

Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Jochen »

Ricer hat geschrieben:Heart of Darkness, Apocalypse Now und Spec Ops setzen sich nicht mit dem Krieg auseinander. Es geht um Wahnsinn, die Abgründe menschlichen Handelns um die Untiefen eines Subjekts
Im Falle von Heart of Darkness ist das Sujet in der Tat der Kolonialismus, aber die Behauptung, dass es nicht um Kolonialismuskritik ginge - oder es Apokalypse Now nicht um die Kritik am Krieg anhand des konkreten Beispiel des Vietnamkonflikts ginge - ist wissenschaftlich schlechterdings unhaltbar. Da genügt ein Blick in die einschlägige Fachliteratur, um zu sehen, dass es sehr wohl darum "ging", weil beide Werke diese Lesweise mehr als hergeben und ad nauseum entsprechend stichhaltig analysiert wurden. Oder anders formuliert: Du erklärst hier gerade eine ganze Menge von sehr klugen Leuten für ziemlich bescheuert ;)
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Ricer
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Ricer »

Jochen hat geschrieben:
Ricer hat geschrieben:Heart of Darkness, Apocalypse Now und Spec Ops setzen sich nicht mit dem Krieg auseinander. Es geht um Wahnsinn, die Abgründe menschlichen Handelns um die Untiefen eines Subjekts
Im Falle von Heart of Darkness ist das Sujet in der Tat der Kolonialismus, aber die Behauptung, dass es nicht um Kolonialismuskritik ginge - oder es Apokalypse Now nicht um die Kritik am Krieg anhand des konkreten Beispiel des Vietnamkonflikts ginge - ist wissenschaftlich schlechterdings unhaltbar. Da genügt ein Blick in die einschlägige Fachliteratur, um zu sehen, dass es sehr wohl darum "ging", weil beide Werke diese Lesweise mehr als hergeben und ad nauseum entsprechend stichhaltig analysiert wurden. Oder anders formuliert: Du erklärst hier gerade eine ganze Menge von sehr klugen Leuten für ziemlich bescheuert ;)
Ich bin immer bereit meinen Standpunkt zu reflektieren. Ich ergänze gerne, dass sich die Werke nicht primär mit dem Krieg als solchem auseinandersetzen. Alle Geschichten (Heart of Darkness, Apocalypse Now, Spec Ops) haben gemein, dass sie einen Schwerpunkt auf die psychischen Aspekte der Charaktere legen. Natürlich wird bei Heart of Darkness auch der Kolonialismus kritisiert, aber nicht aus einer politischen oder gesellschaftlichen Sicht. Das wahnsinnig werdende Subjekt steht im Mittelpunkt. Natürlich wird in Apocalypse Now der Vietnamkrieg thematisiert, aber nicht aus einer miltitärischen oder politischen Sicht, sondern aus einer psychischen Sicht. Und Spec Ops kritisiert nicht den Krieg, sondern den Umgang mit Krieg in der Unterhaltung, speziell Ego-Shootern. Es versucht (und scheitert bei vielen) die Konsequenzen des Handelns erfahrbar zu machen.

Ich hätte in Kassel vorbeikommen sollen :) - Wir hätten uns bestimmt sehr gut unterhalten!
Jochen

Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Jochen »

Ricer hat geschrieben:Natürlich wird bei Heart of Darkness auch der Kolonialismus kritisiert, aber nicht aus einer politischen oder gesellschaftlichen Sicht. Das wahnsinnig werdende Subjekt steht im Mittelpunkt
Den ersten Teil dieser Behauptung halte ich für wissenschaftlich ebenfalls unhaltbar. Selbstverständlich wird dort - unter anderem - der Kolonialismus politisch und gesellschaftlich reflektiert und kritisiert. Das ist Gegenstand etlicher publizierter Analysen zu Heart of Darkness, und das lässt sich bei geeigneter kritischer Auseinandersetzung mit dem Roman auch kaum wegdiskutieren. Darf ich fragen, in welchem Kontext du ihn gelesen hast?

Den zweiten Teil der These kann man freilich argumentieren, auch wenn das Eis vergleichsweise dünn wird. Aber so lange du das textlich stichhaltig belegen kannst - fair game. Das Problem ist ja nicht, dass deine Interpretation per se falsch wäre, sondern dass du andere Interpretationen per se für falsch erklärst. Und so funktioniert Literaturwissenschaft nicht; es gibt nicht diese eine Wahrheit über ein Werk, sondern sehr viele Wahrheiten. Nämlich alle, die man stichhaltig und anhand konkreter Textstellen und -passagen belegen kann. Deshalb ist "es geht nicht um X, sondern um Y" immer eine recht unglückliche These, wenn andere Menschen X schon überzeugend dargelegt haben. Dann belegst du bestenfalls, dass deine Kenntnis der Sekundärliteratur noch ausbaufähig ist ;)
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Ricer
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Ricer »

Ich liebe dieses Forum!

Ich kann dir folgen und wollte keine stichhaltigen Interpretationen für falsch erklären. In Zukunft werde ich darauf achten. Mein Interpretationsansatz für die Werke ist, dass wir uns nicht dem Krieg, sondern uns selbst stellen müssen.

Ich habe Heart of Darkness im Anschluss an meine Spec-Ops-Erfahrung gelesen.

Herzliche Grüße
Kravion
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Kravion »

Bei der Schuldfrage halte ich Jochens Argument für sehr gefährlich. Wenn der Mangel an Info oder Falschinformationen als Grund gilt sich nicht schuldig zu fühlen, können auch die schlimmsten Verbrechen doch einfach begründet werden. Nehmen wir als Beispiel den Irakkrieg. Der wurde doch damit Begründet, dass Saddam Hussein illegale Nuklearwaffen besitzt. Später musste die USA sogar zugeben, das dies nicht stimmte. Darf sich ein G.W. Bush sich nun schuldlos fühlen, dass er einen unbegründeten Angriffskrieg führte? Sind also jetzt die Geheimdienstchefs, die ihn falsch beraten haben sollen, die einzigen Schuldigen? Das gleiche gilt doch auch für die Aktionen in Spielen. Darf ich mich dann bei jeder Situation rausreden, dass ich falsch informiert wurde. Ich weiß jeder Mensch geht anders mit Gefühlen um, aber ich denke ich bin selber für meine Taten verantwortlich. Wenn ich eine Scheune sprenge, die eigentlich leer sein sollte, es aber nicht ist weil ein Pärchen ihr Schäferstündchen darin gehalten hat, trifft mich doch zumindest eine Teilschuld. Sonst könnte ich mich doch aus jeder Situation rausreden.
Was ich damit sagen will, jeder hat eine andere Definition von Schuld, niemand kann einem vorschreiben, was man in welcher Situation zu fühlen hat. Sicherlich kann man die Schuld bei anderen suchen. Ich halte dies aber nicht für sinnvoll.

Bei den Entscheidungen stimme ich Jochen teilweise zu. Auch ich bin der Meinung, dass der Spieler weniger Einfluss auf das geschehen haben sollte. Das habe ich an einer anderen Stelle hier im Forum genauer beschrieben, deswegen werde ich es hier nicht genauer ausführen. Das es in DAI und W3 keine richtige und falsche Entscheidung gibt stimme ich zu. Spiele mit schablonenhafte Richtig-Falsch Entscheidungen finde ich langweilig und anspruchslos. Genau wie es keine "falschen" Entscheidungen gibt, gibt es auch keine zwei (oder mehrere) richtige Entscheidungen. Und das es keine spielerischen Konsequenzen gäbe halte ich, bei den zwei besagten Spielen, für falsch.
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Ines
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Ines »

Kravion hat geschrieben:Bei der Schuldfrage halte ich Jochens Argument für sehr gefährlich. Wenn der Mangel an Info oder Falschinformationen als Grund gilt sich nicht schuldig zu fühlen, können auch die schlimmsten Verbrechen doch einfach begründet werden. Nehmen wir als Beispiel den Irakkrieg. Der wurde doch damit Begründet, dass Saddam Hussein illegale Nuklearwaffen besitzt. Später musste die USA sogar zugeben, das dies nicht stimmte. Darf sich ein G.W. Bush sich nun schuldlos fühlen, dass er einen unbegründeten Angriffskrieg führte? Sind also jetzt die Geheimdienstchefs, die ihn falsch beraten haben sollen, die einzigen Schuldigen? Das gleiche gilt doch auch für die Aktionen in Spielen. Darf ich mich dann bei jeder Situation rausreden, dass ich falsch informiert wurde. Ich weiß jeder Mensch geht anders mit Gefühlen um, aber ich denke ich bin selber für meine Taten verantwortlich. Wenn ich eine Scheune sprenge, die eigentlich leer sein sollte, es aber nicht ist weil ein Pärchen ihr Schäferstündchen darin gehalten hat, trifft mich doch zumindest eine Teilschuld. Sonst könnte ich mich doch aus jeder Situation rausreden.
Was ich damit sagen will, jeder hat eine andere Definition von Schuld, niemand kann einem vorschreiben, was man in welcher Situation zu fühlen hat. Sicherlich kann man die Schuld bei anderen suchen. Ich halte dies aber nicht für sinnvoll.
Aus deiner Sicht sollte man sich für Taten schuldig fühlen, deren Kosequenzen unerwartet und überhaupt nicht absehbar sind? Nun bin ich sehr dagegen, Dinge schön zu malen und sich selbst zu belügen, aber wenn man wirklich der Überzeugung ist, moralisch völlig integer zu handeln, besteht aus meiner Sicht kein Grund, sich schuldig zu fühlen. Viele Menschen fühlen dann trotzdem Schuld, was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass das noch immer besser ist, als sich völlig hilflos zu fühlen. Nun ist immer die Frage, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung irgendwo ein Zweifel war, den man ignoriert hat (auf solche SItuationen möchtest du wahrscheinlich hinaus, oder?)
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Wudan
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Wudan »

Ich fand die Argumentation von Jochens Interviewpartner (dessen Name ich leider vergessen habe) für mich auch definitiv nachvollziehbarer (ich will nicht von richtig oder falsch reden). Die Diskussion hat aber gut gezeigt von welchen unterschiedlichen Positionen man sich der Materie nähern kann.

Jochens Auslegung der Schuldfrage finde ich z.B. auch ein wenig fragwürdig. Klar verschweigt einem das Spiel das in der fraglichen Szene auch Zivilisten auf der anderen Seite sind. Aber ist das nicht ziemlich realistisch? Im echten Krieg weiß man ja auch nie so genau ob vll. nicht noch Zivilisten da sein könnten wo man hinbombt. Man muss also immer damit rechnen, und der Befehlsgeber bzw. Ausführer kann sich dann auch schwer mit Unwissenheit rausreden. Vor Gericht vielleicht schon aber bei den eigenen persönlichen Gefühlen wirds da schon schwieriger.

Aber darum gings auch eigentlich nicht. Es ging ja mehr darum ob das Spiel es geschafft hat diese Schuldgefühle zum Spieler zu transportieren. Und die Antwort ist bei vielen (bei mir auch) "Nein". Naja doch vielleicht ein bisschen, kann nicht sagen das ich mich nach dem Phosphor Angriff gut gefühlt hab. Aber dadurch das mir das Spiel absolut keine Wahl lies irgendwas anders zu entscheiden, hab ich mich tatsächlich nicht sehr schuldig gefühlt.

Allerdings verstehe ich Jochens Argumentation an der Stelle nicht. Weil das Gameplay Spaß macht, betrügt es den Spieler an dieser Stelle, und deswegen wirkt das Schuldgefühl nicht? Ich frage mich was ein Spiel denn machen müsste um das für Jochen richtig rüberzubringen. Muss das Gameplay dann so wenig Spaß machen das man freiwillig aufhört zu spielen? Muss die einzige Alternative sein das Spiel zu beenden wenn man sich "richtig" entscheiden will? Also bei aller Liebe, wir reden ja immernoch von einem Spiel. Und mal salopp gesagt: Wenn ich gerade 50€ für ein Game gelatzt hab, und mich das Game nach den ersten 10min vor die Wahl stellt entweder eine Gräueltat zu begehen oder aufzuhören, würde ich das jetzt auch nicht so geil finden. Dann würd ich natürlich weiterspielen egal was kommt, will ja das Geld nicht in den Sand gesetzt haben. Und was ist das Spiel dann überhaupt Wert wenn das Gameplay gar kein Spaß macht? Also das kann ja die Lösung auch nicht sein..

Aber es stimmt natürlich das man als Spieler erstmal für sich selbst sorgt. Sprich man "hilft" der armen Frau nicht (nur) aus Gutherzigkeit, sondern natürlich weils Erfahrungspunkte, Loot, Geld gibt als Belohnung. Und da wäre glaub ich auch anzusetzen wenn man echte Schuldgefühle auslösen will. Das man an einem Punkt kommt wo man sich denkt "Mensch, für das bisschen Loot hab ich jetzt das Leben dieses Protagonisten auf dem Gewissen, wars das wirklich wert?". Witcher 1 hat das mal ganz gut gemacht in meiner grauen Erinnerung. Wo man sich entscheiden muss ob man einen Waffenhandel vereitelt oder durchgehen lässt, und das Ergebnis davon dann später recht bedrückend vor Augen geführt bekommt.

PS: Ich hab mal in paar Folgen reingehört und finde den Pixeldiskurs Podcast eigentlich auch ziemlich cool. Interessante Thematiken und sympathische Podcaster die sich auch auskennen. Nur immer wenn jemand plötzlich anfängt zu singen finde ich das.. sehr verstörend^^ Aber jedem das seine.
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Kravion »

Claudine_Salome hat geschrieben: Nun ist immer die Frage, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung irgendwo ein Zweifel war, den man ignoriert hat (auf solche SItuationen möchtest du wahrscheinlich hinaus, oder?)
Ja in diesem Fall will ich darauf hinaus. Im Krieg muss man damit rechnen, dass man Unschuldige tötet. Wenn mir gesagt wird, dass ich ein Munitionsdepot angreifen soll, es sich aber als Scheune herausgestellt hat, weil die Infos falsch waren, bin ich nach meiner Ansicht zumindest Teilschuldig an dem möglichen Tod von Zivilisten. Die ganze Kriegssituation verlangt nämlich erhöhte Wachsamkeit.
Nun kann man die Schuld sowohl rechtlich als auch moralisch von sich weisen. Was rechtlich vielleicht verständlich ist. Man hat ja Befehle befolgt und gehorsam wird ja schließlich verlangt.

Wenn ich ich diese tat jedoch moralisch von mir weise, laufe ich Gefahr diese Tat bei einem zukünftigen Fall zu wiederholen. Denn schließlich habe ich ja ein Munitionsdepot angegriffen. Das es sich als zivile Scheune herausgestellt hat wusste ich ja nicht. Soll ich mich also auch nicht schuldig fühlen? Ich würde mir in diesem Fall eine Teilschuld geben.
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Kravion »

Wudan hat geschrieben: Jochens Auslegung der Schuldfrage finde ich z.B. auch ein wenig fragwürdig. Klar verschweigt einem das Spiel das in der fraglichen Szene auch Zivilisten auf der anderen Seite sind. Aber ist das nicht ziemlich realistisch? Im echten Krieg weiß man ja auch nie so genau ob vll. nicht noch Zivilisten da sein könnten wo man hinbombt. Man muss also immer damit rechnen, und der Befehlsgeber bzw. Ausführer kann sich dann auch schwer mit Unwissenheit rausreden. Vor Gericht vielleicht schon aber bei den eigenen persönlichen Gefühlen wirds da schon schwieriger.
Genau so sehe ich es auch.
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Nachtfischer »

Eure Argumente mögen in der Realität ziehen, aber ich bin kein General, ich bin Spieler. Und das Spiel muss mir seine Regeln klar machen. Es muss mir aufzeigen, welche möglichen Konsequenzen meine Aktionen haben. Ansonsten kommt am Ende lediglich ein ziemlich willkürlicher Moment à la "Haha, gotcha!" raus. Das Beispiel erinnert in dieser Hinsicht an das Trinken unidentifizierter Zaubertränke in klassischen Roguelikes. Da erfährt man dann gerne mal im Nachhinein: "Ach, es gibt eine Insta-Death-Potion?! Gut zu wissen...". In einem guten Spiel ist mir bewusst, welche Optionen ich habe und was deren mögliche Ausgänge sind.
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Nachtfischer »

Axel hat geschrieben:Haben solche Spiele wenig Wert, weil das Gameplay selbst keinen Spaß macht und nicht zur Unterhaltung dient?
Nicht per se "wenig", aber weniger als wenn sie auch Spaß machen würden. Dann würden die Spieler nämlich noch viel besser lernen.
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Nachtfischer »

Axel hat geschrieben:Ist Spaß etwas, was Du mit den Ereignissen in Krisengebieten verbinden möchtest?
Nö, aber mit dem Lernen darüber schon.
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Ricer »

Niemand muss ein Spiel spielen, dass ihm keinen Spaß macht. Aber Spiele können mehr, als nur Spaß machen. Im Interview wird das sehr gut herausgearbeitet und steht im Zusammenhang mit der Sinnproduktion/Sinnhaftigkeit eines Werkes. Und da gibt es mehr als nur Spaß.

Bei der Schuldfrage würde ich nicht so streng sein. Ich kann voll nachvollziehen, dass man im Moment des Spiels keine Schuld empfindet. Ich bin der Meinung, dass die Reflexion der Handlung mit vielen Unbekannten und den folgenden Konsequenz möglich ist.

Zum Thema klare Regeln in Spielen. Erinnert sich jemand an Super Mario - Lost Levels? Seid ehrlich. Wer hat den ersten Pilz eingesammelt und ist gestorben? Das war sehr clever, was Miyamoto da gemacht hat.
Jochen

Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Jochen »

Kravion hat geschrieben:Nehmen wir als Beispiel den Irakkrieg. Der wurde doch damit Begründet, dass Saddam Hussein illegale Nuklearwaffen besitzt. Später musste die USA sogar zugeben, das dies nicht stimmte. Darf sich ein G.W. Bush sich nun schuldlos fühlen, dass er einen unbegründeten Angriffskrieg führte? Sind also jetzt die Geheimdienstchefs, die ihn falsch beraten haben sollen, die einzigen Schuldigen? Das gleiche gilt doch auch für die Aktionen in Spielen
Nein, tut es nicht. Spiel und Realität sind - wie Nachtfischer schon angemerkt hat - zwei völlig unterschiedliche Ebenen. Als Mensch würde ich mich in der beschriebenen Situation garantiert (mit)schuldig fühlen. Als Spieler habe ich in der letzten Civilization-Partie erheblich mehr Angriffskriege aus erheblich fragwürdigeren Motiven geführt als George W. Bush und dabei erheblich mehr Zivilisten umgebracht - aber schuldig fühle ich mich deshalb trotzdem nicht. Schuld existiert notwendigerweise im Kontext; würde für Schuld in Spielen und Schuld in der Realität in der Tat das gleiche gelten, dann wären nahezu sämtliche Spiele moralisch verwerflich.
Wudan hat geschrieben:Allerdings verstehe ich Jochens Argumentation an der Stelle nicht. Weil das Gameplay Spaß macht, betrügt es den Spieler an dieser Stelle, und deswegen wirkt das Schuldgefühl nicht?
Nicht ganz. Ein Schuldgefühl kann an dieser Stelle nicht einsetzen, weil ich a) keine Wahl hatte und b) nicht über die Konsequenzen der Tat informiert bin - das ist der "Betrug". Ich muss den Angriff auslösen, und ich weiß nicht, dass ich damit Zivilisten ermorde. Im Kontext eines Spiels werde ich so aus der Verantwortung entlassen, weil Verantwortung ohne kontextuales Wissen (was löst meine Handlung aus?) und ohne Entscheidungsfreiheit (ich könnte mich auch anders entscheiden) nicht existieren kann. Damit überhaupt die Möglichkeit besteht, dass ich mich in einem Spiel an einer solchen Stelle schuldig fühle, muss entweder a) oder b) nicht gegeben sein - denn sonst bin ich lediglich passiver Spielball von Mechanik und Storytelling ohne die Möglichkeit der relevanten Einflussnahme. Und deshalb notwendigerweise ohne Schuld.

In der Realität ist das anders: Viele Menschen, die einen Fußgänger im Straßenverkehr überfahren, benötigen anschließend psychotherapeutische Hilfe, weil sie sich für den Tod oder die (schweren) Verletzungen mitverantwortlich fühlen - auch wenn nach objektiven bzw. rechtlichen Maßstäben den Fußgänger die alleinige Schuld trifft. Eine identische Situation in einem Spiel - man denke zum Beispiel an GTA - führt bestenfalls zum Achselzucken oder gar zur allgemeinen Erheiterung.
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