Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

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Peninsula
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Peninsula »

Sehr interessanter Podcast und tolle Diskussion! Es würde mich freuen, wenn die Episode mit dem Vortragsmitschnitt zustande kommt.
Ich persönlich kann nicht nachvollziehen, wie ein Spiel es schaffen sollte, dass ich mich „schuldig“ für irgendetwas fühle, was eine von mir gesteuerte Spielfigur „verbrochen“ hat, ganz egal, wie viele Auswahlmöglichkeiten bestehen. Hier wird offenbar ein Grad an Identifikation mit der Spielfigur (und damit einhergehend ein „Ernstnehmen“ von Konsequenzen innerhalb einer fiktiven Spielwelt) vorausgesetzt, den ich mir schlicht nicht vorstellen kann.

Was Medien (inkl. Spiele) mMn in dieser Richtung bestenfalls erreichen können und wo bei Spielen noch viel ungenutztes Potenzial besteht, ist ein Unbehagen, das ich aber nicht als Schuldgefühl beschreiben würde. Ein Film der mir hier als Beispiel einfällt ist The Act of Killing (2012). Es handelt sich dabei um einen Dokumentarfilm, der sich mit Massakern in den 1965/66 in Indonesien beschäftigt, denen viele Hunderttausend angebliche Kommunisten (die Schätzungen gehen auseinander, Wikipedia spricht von 500 000 bis 3 Millionen Opfern) ermordet wurden. In der Dokumentation werden nun Mitglieder der damaligen Todesschwadronen dazu aufgefordert, an einem Film mitzuwirken, der die Ereignisse aus ihrer Sicht behandelt. Diese Täter wurden nicht nur nicht bestraft, sondern teilweise sogar als Helden gefeiert. Sie schämen sich demzufolge nicht, sondern brüsten sich damit, zahllose „Kommunisten“ getötet zu haben. Die perspektivische Nähe zu den Tätern, die der Film über weite Strecken wagt, war für mich als Zuschauer äußerst verstörend und unangenehm.
@Jochen deine Meinung zu The Act of Killing würde mich sehr interessieren, falls du ihn kennst.

Im Spielebereich ist das von Andre mal erwähnte Super Columbine Massacre RPG in mancherlei Hinsicht vergleichbar – auch hier wird man ja in die Täterperspektive gesteckt. Während mich die menschenverachtende Geisteshaltung der beiden Mörder natürlich abschreckte, fühlte ich mich insbesondere als Angehöriger der gleichen Generation andererseits sehr „zu Hause“ in dieser Welt voller popkultureller Referenzen aufs Teenagerleben der 90er Jahre. Dieser Kontrast in Verbindung mit dem realen Hintergrund löste bei mir ebenfalls ein gewisses Unbehagen aus, obwohl SCMRPG als Spiel nur rudimentär funktioniert und auch sonst ein ziemlich krudes Werk ist. In dieser Richtung sehe ich bei Spielen noch jede Menge künstlerisches Potenzial – u.a. denke ich, dass „Jochens Weltkriegs-Shooter“ in eine ähnliche Kerbe schlagen soll, auch wenn ich in dem konkreten Fall vom Konzept noch nicht überzeugt bin. SpecOps habe ich selbst nicht gespielt, wenn ich euch so zuhöre, klingt das aber auch so, dass es damit arbeitet, dass man als Spieler Nähe zu einem Täter empfindet und auf Handlungsebene eher so etwas aussagen will, wie „guck mal, ein Kriegsverbrecher begreift sich selbst vielleicht während der Tat als Held“. Außerdem ist mMn die Interpretation sehr überzeugend, dass im Spiel thematisiert wird, wie das Shootergenre sich ästhetisch und spielmechanisch dazu eignet, Kriegsgräuel zu verharmlosen.

Übrigens „gestehe“ ich: Mit „schwierigen“ Filmen/Spielen/Büchern (auch den o.g.) habe ich sehr wohl Spaß! Ich höre ja auch zum Spaß einen Spiele(!)-Podcast in dem mit einiger Regelmäßigkeit über Naziverbrechen, Pädophilie und allerlei andere Grausamkeiten diskutiert wird. Nicht weil ich Naziverbrechen oder Pädophilie per se spaßig finden würde, sondern (wie Nachtfischer weiter oben anmerkt) mich die Auseinandersetzung gerade auch mit solchen „schwierigen“ Themen reizt. Umgekehrt meide ich manche (natürlich nicht alle) „massentauglichen“ Werke nicht, weil es mir etwa an Lust auf Spaß mangeln würde, sondern weil ich persönlich mir schlicht keinen Spaß davon verspreche.

Die Gefahr an einer Orientierung am Massenmarkt lauert mMn somit eher darin, dass dabei durchoptimierte Kompromissprodukte ohne Ecken und Kanten rauskommen, weil man niemandem auf die Füße treten will. Entwickler/Publisher, die tatsächlich den Spaß an einem Spiel in den Mittelpunkt stellen, finde ich daher weniger schlimm als solche, die vor allem vermeiden wollen, dass ihr Spiel irgendjemanden stören könnte.
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Ricer
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Ricer »

Ich habe The Act of Killing gesehen. Im Gedächtnis blieb mir vor allem eine Szene, die auf einem Balkon stattgefunden hat. Einer der Täter hat vorgeführt, wie effizient er seine Opfer gefoltert hat und war dabei so stolz auf sich und wollte Anerkennnung dafür. Es ist kein klassischer Dokumentarfilm, der die Geschehnisse objektiv betrachtet. Der Film fordert die Täter auf, ihre Erinnerungen nachzuerzählen und vor allem nachzuspielen. Sie sind die Regisseure. Was folgt sind Täter, die sich als Cowboys und ehrbare Gangster produzieren.

Hast du The Look of Silence gesehen, der sich mit der Perspektive der Opfer beschäftigt?
Peninsula
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Peninsula »

Ja, The Look of Silence habe ich ebenfalls gesehen, würde auch sehr empfehlen beide Filme zu schauen, wenn man die Gelegenheit hat. The Act of Killing habe ich hier genannt, weil ich beim Hören des Podcasts öfters daran denken musste, da es ja immer mal wieder darum ging, inwieweit man in Spielen eine Täterperspektive einnehmen könnte/sollte. Nun ist ein Film kein Spiel und diesem konkreten Film würde ich auch keinesfalls unterstellen wollen, dass er sich in seiner Intention der Sache der Täter verschrieben habe. Aber die Nähe zu den Tätern fand ich bemerkenswert und eben im Zusammenhang mit der Spielediskussion hier interessant.
Zur Form des Films: Gerade schreit ein kleiner Werner Herzog auf meiner Schulter, dass das Verständnis des Dokumentarfilmers als "accountant of truth" ohnehin auf einer Illusion beruht und eine objektive Betrachtung von Geschehnissen bzw. deren Wiedergabe in einem Dokumentarfilm von vornherein unmöglich ist. Aber da machen wir ein ganz anderes Fass auf, dass definitiv nicht in diesen Thread gehört ;)
Und ich wäre unehrlich, wenn ich so tun würde, als könnte ich nicht verstehen, was du mit deiner Aussage, dass das kein klassischer Dokumentarfilm sei, meinst. Auch wenn ich theoretische Bedenken anmelde...
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Ricer
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Ricer »

Wäre nicht das erste Mal, dass ich mich in diesem Thread unglücklich ausgedrückt habe ;)

Ich kann nachvollziehen, warum du Act of Killing genannt hast und möchte diese Empfehlung unterstützen. Zusätzlich wollte ich den Aspekt betonen, dass der Film eine völlig andere Erfahrung bietet als übliche (passt besser als klassisch) Dokumentarfilme, weil er die Inszenierung den Tätern überlässt. Das schafft eine Nähe, in der sich der Zuschauer sehr schnell unwohl fühlt.
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Wudan
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Wudan »

@Jochen Danke für deine Ausführungen

Peninsula hat geschrieben: Ich persönlich kann nicht nachvollziehen, wie ein Spiel es schaffen sollte, dass ich mich „schuldig“ für irgendetwas fühle, was eine von mir gesteuerte Spielfigur „verbrochen“ hat, ganz egal, wie viele Auswahlmöglichkeiten bestehen. Hier wird offenbar ein Grad an Identifikation mit der Spielfigur (und damit einhergehend ein „Ernstnehmen“ von Konsequenzen innerhalb einer fiktiven Spielwelt) vorausgesetzt, den ich mir schlicht nicht vorstellen kann.
Naja, natürlich ist es ein anderes "schuldig fühlen" als wenn ich z.B. einer Person im echten Leben etwas zu leide tun würde, das sind natürlich immernoch 2 komplett unterschiedliche paar Schuhe. Das auf dem Bildschirm sind immernoch Pixel, was aber nicht heiss das man das Geschehen bzw die Konsequenzen nicht ernstnehmen kann/darf/sollte?

Letztendlich hat es was damit zu tun wie sehr man sich auf ein Spiel einlassen kann/will. Das hat was mit Immersion zu tun. Das klappt bei manchen Leuten besser und bei manchen schlechter. Bei mir ist das aber teilweise ein ganz bewusster Vorgang. Ich will mich auf ein Spiel einlassen und mit dem Protagonisten verschmelzen und Dinge so empfinden wie der Protagonist es tut. Also versetze ich mich geistig ganz bewusst in die Rolle auf dem Bildschirm. Das führt dazu das man ein Spiel intensiver erlebt, im guten und im schlechten, ich kann mit den Protagonisten lachen und weinen oder eben auch mal Schuld empfinden, nicht so intensiv wie echte Erlebnisse aber ich lasse das schon bewusst recht nah an mich ran.

Vielleicht hat man die Fähigkeit nicht mehr so sehr wenn man jahrelang Spieletester war und tausende Titel getestet hat, man sieht alles vielleicht mit viel mehr Abstand, analytischer - und muss man als Tester wahrscheinlich auch um ein halbwegs objektives Urteil abzugeben.

Das wär vielleicht sogar auch mal ein schönes Thema für einen Podcast: Immersion, die Fähigkeit sich auf ein Spiel einzulassen und sich hineinzuversetzen. Ich hab auch mal gelesen diese Fähigkeit hätte was mit den Spiegelneuronen im Gehirn zu tun, vielleicht kann Klagsam mehr dazu sagen.

Kurzum, die Empfindungen bei Spec Ops waren für mich teilweise schon recht intensiv. Und das kann man übrigens nicht mit beispielsweise einem Genozit bei Civilization vergleichen! Bei Civ ist das völlig abstrahiert, aufs simpelste runtergebrochen, auf Zahlen und Symbole auf einer Spielkarte. So funktioniert das nicht. Wenn man jetzt natürlich die Bilder von Leichenbergen nach einem Atombombenabwurf genauso brutal gezeigt bekommen würde wie z.B. bei Spec Ops - wer weiß? Vielleicht würde man sich dann so einen Angriff auch zweimal überlegen. Aber darum gehts bei Civ nicht und soll es auch nicht, das ist schon ok so.
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Wudan
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Wudan »

Axel hat geschrieben: Und hier sind wir beim großen Irrtum. Es kommt nämlich drauf an, was das Spiel transportieren möchte. Kennst Du dir Global Conflicts Reihe von Serious Games Interactive? Da geht es darum als Journalist in Krisengebieten unterwegs zu sein, dort Interviews zu machen usw. Grafisch eher meh, Gameplay so gut wie nicht vorhanden. Gibt noch nicht mal Sprachausgabe. Wenn man sich aber darauf einlässt, lernt man über die jeweiligen Thematiken der Spiele (bspw. Afghanistan, Grenze zwischen USA und Mexiko, Palästina, usw.) eine ganze Menge. Haben solche Spiele wenig Wert, weil das Gameplay selbst keinen Spaß macht und nicht zur Unterhaltung dient?
Doch, natürlich haben sie einen Wert. Ich würde diese Serious Games allerdings nicht ins Regal "Unterhaltung" stellen sondern bei "Bildung" einsortieren.
Kann man vergleichen mit Roman und Sachbuch. Das Sachbuch macht vll. auch weniger Spaß zu lesen, ist aber sicherlich nicht weniger Wert. Es unterliegt ganz einfach anderen Kriterien.
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Peninsula »

Wudan hat geschrieben:Kurzum, die Empfindungen bei Spec Ops waren für mich teilweise schon recht intensiv.
Spec Ops ist ja nun just das Beispiel, das Jochen nennt, bei dem er keine Schuld empfindet. Das begründet er damit, dass das Spiel ihm nicht vorher verrate, dass er Zivilisten umbringt. Den Gedanken kann ich nachvollziehen - auch ich würde niemandem eine Schuld zusprechen, der gar nicht wissen konnte, was er tat.
Wie du, kann ich mir vorstellen emotional mitgerissen zu werden von so etwas wie Spec Ops. Das was Jochen beschreibt, klingt jedoch nach einer höheren Abstraktionsstufe und hier kann ich mir schwer vorstellen, dass es einem Spiel gelänge mich auf dieser reflektierteren Ebene Schuld empfinden zu lassen (lasse mich im Übrigen gern von einem Spiel eines besseren belehren - interessant wäre das allemal!)
Kurzum: Bevor ich zu einer so rationalen Begründung, wie "hieran bin ich nicht Schuld, weil ich nichts wusste" gelange, habe ich mir bereits so viele Gedanken gemacht, dass längst ein "hier bin ich nicht Schuld, weil das ein Spiel ist" eingesetzt hat. Es geht mir, wie gesagt, um ein Schuldempfinden, nicht darum, dass ich natürlich über Schuld, Moral etc. innerhalb der Spielwelt nachdenken kann.
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Wudan
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Wudan »

Peninsula hat geschrieben:Spec Ops ist ja nun just das Beispiel, das Jochen nennt, bei dem er keine Schuld empfindet. Das begründet er damit, dass das Spiel ihm nicht vorher verrate, dass er Zivilisten umbringt. Den Gedanken kann ich nachvollziehen - auch ich würde niemandem eine Schuld zusprechen, der gar nicht wissen konnte, was er tat.
Und in just diesem Punkt kann ich Jochens Argumentation auch überhaupt nicht folgen. Aber wenn das sein Empfinden war dann kann ich daran argumentativ natürlich nichts ändern ;)
Man könnte natürlich anbringen das man generell damit rechnen müsste wenn man einen Mörser auslöst, das man damit auch evtl. jemand umbringen könnte^^ Ich denke das muss vom Spiel nicht explizit so kommuniziert werden (jetzt muss ich mir gerade einen Aufkleber am Mörser vorstellen mit der Aufschrift "Achtung, Mörser kann Menschleben gefährden" lol).
Aber wie gesagt, müßig zu argumentieren, Menschen empfinden eben anders und ich habs anders empfunden, muss ja nicht für jeden gelten. Aber es bleibt natürlich dabei das die Szene weitaus effektiver gewesen wäre wenn man eine Wahl gehabt hätte.
Kurzum: Bevor ich zu einer so rationalen Begründung, wie "hieran bin ich nicht Schuld, weil ich nichts wusste" gelange, habe ich mir bereits so viele Gedanken gemacht, dass längst ein "hier bin ich nicht Schuld, weil das ein Spiel ist" eingesetzt hat. Es geht mir, wie gesagt, um ein Schuldempfinden, nicht darum, dass ich natürlich über Schuld, Moral etc. innerhalb der Spielwelt nachdenken kann.
Darauf können wir uns im Prinzip so einigen,ja. Natürlich rede ich hier weniger von einem "echten" Schuldempfinden in dem Sinne das ich nachts wach liegen würde und mir Gedanken um die armen NPC´s mache die ich in einem Spiel auf dem Gewissen habe. Das wäre natürlich Humbug.
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derFuchsi
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von derFuchsi »

Peninsula hat geschrieben: Spec Ops ist ja nun just das Beispiel, das Jochen nennt, bei dem er keine Schuld empfindet. Das begründet er damit, dass das Spiel ihm nicht vorher verrate, dass er Zivilisten umbringt. Den Gedanken kann ich nachvollziehen - auch ich würde niemandem eine Schuld zusprechen, der gar nicht wissen konnte, was er tat.
Wie du, kann ich mir vorstellen emotional mitgerissen zu werden von so etwas wie Spec Ops. Das was Jochen beschreibt, klingt jedoch nach einer höheren Abstraktionsstufe und hier kann ich mir schwer vorstellen, dass es einem Spiel gelänge mich auf dieser reflektierteren Ebene Schuld empfinden zu lassen (lasse mich im Übrigen gern von einem Spiel eines besseren belehren - interessant wäre das allemal!)
Kurzum: Bevor ich zu einer so rationalen Begründung, wie "hieran bin ich nicht Schuld, weil ich nichts wusste" gelange, habe ich mir bereits so viele Gedanken gemacht, dass längst ein "hier bin ich nicht Schuld, weil das ein Spiel ist" eingesetzt hat. Es geht mir, wie gesagt, um ein Schuldempfinden, nicht darum, dass ich natürlich über Schuld, Moral etc. innerhalb der Spielwelt nachdenken kann.
Dass man bei besagter Szene keine Schuld empfindet kann ich nicht so recht nachvollziehen.
Auf rein intellektueller Ebene, ok. Man kann sich natürlich sagen "Wie hätte ich das denn wissen sollen?" und sich so rechtfertigen dass man hieran ja keine Schuld gehabt hat.
Aber während man durch die noch qualmenden verkohlten Leichen von Frauen und Kindern wandert hat das keine Bedeutung mehr. Du fragst dich trotzdem "Scheiße was habe ich hier gerade angerichtet?" und fühlst dich schuldig. Das man das ja nicht wissen konnte hilft einem vielleicht dabei daran nicht zu zerbrechen (Wenn es echt wäre).
Ich habe mich hier zumindest nicht vom Spiel "betrogen" gefühlt, das passiert doch in Wirklichkeit auch. Nur dass die Täter die auf den Knopf drücken normalerweise nicht die sind die sich vor Ort das Resultat hinterher ansehen müssen.
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Dr. Zoidberg [np]
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Dr. Zoidberg [np] »

Jochen hat geschrieben:Nicht ganz. Ein Schuldgefühl kann an dieser Stelle nicht einsetzen, weil ich a) keine Wahl hatte und b) nicht über die Konsequenzen der Tat informiert bin - das ist der "Betrug". Ich muss den Angriff auslösen, und ich weiß nicht, dass ich damit Zivilisten ermorde.
Beim ersten Punkt gebe ich dir Recht, beim zweiten nicht. In der Tat lässt mir das Spiel keine Wahl und schafft es auch nicht zu vermitteln warum ich den Mörser verwenden soll. Auf der Tonspur sagen sie, man hätte es mit einer ganzen Armee zu tun, das Bild vermittelt was anderes. Erst Recht wenn man bedenkt, was man bis zu dem Zeitpunkt in dem Spiel bereits alles in die Luft gejagt hat.

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Peninsula hat geschrieben:Spec Ops ist ja nun just das Beispiel, das Jochen nennt, bei dem er keine Schuld empfindet. Das begründet er damit, dass das Spiel ihm nicht vorher verrate, dass er Zivilisten umbringt. Den Gedanken kann ich nachvollziehen - auch ich würde niemandem eine Schuld zusprechen, der gar nicht wissen konnte, was er tat.
derFuchsi hat geschrieben:Dass man bei besagter Szene keine Schuld empfindet kann ich nicht so recht nachvollziehen.
Auf rein intellektueller Ebene, ok. Man kann sich natürlich sagen "Wie hätte ich das denn wissen sollen?" und sich so rechtfertigen dass man hieran ja keine Schuld gehabt hat.
Aber während man durch die noch qualmenden verkohlten Leichen von Frauen und Kindern wandert hat das keine Bedeutung mehr. Du fragst dich trotzdem "Scheiße was habe ich hier gerade angerichtet?" und fühlst dich schuldig. Das man das ja nicht wissen konnte hilft einem vielleicht dabei daran nicht zu zerbrechen (Wenn es echt wäre).
Ich habe mich hier zumindest nicht vom Spiel "betrogen" gefühlt, das passiert doch in Wirklichkeit auch. Nur dass die Täter die auf den Knopf drücken normalerweise nicht die sind die sich vor Ort das Resultat hinterher ansehen müssen.
Das wäre schön, wenn Spec Ops all das tun würde, tut es aber alles nicht. Zunächst einmal ist da die Tatsache, dass man direkt sieht, was Sache ist:
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Ich weiß nicht, wie ich es euch ging, aber mir war direkt klar, was passieren wird. Zumal die Soldaten erkennbar anders aussehen:
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Auch stimmt die Aussage, dass man "durch die noch qualmenden verkohlten Leichen von Frauen und Kindern wandert" ist falsch. Man selber als Spiel wandert aktiv nur durch die Leichen der Soldaten:
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Sobald man aber zu den Zivilisten gelangt, schaltet das Spiel in eine Cutscene:
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Das Spiel wäre an dieser Stelle so viel besser gewesen, wenn es:
  1. eine vernünftige Dringlichkeit, vor allem aber eine Wahl vermittelt hätte, ob ich den Mörser jetzt einsetze oder nicht. Man kann das ja durchaus so gestalten, dass der Spieler rein intuitiv zum Mörser greift. Etwas vergleichbares hat Spec Ops ja auch mit der Szene geschafft, wo man von Zivilisten umgeben ist.
  2. mir nicht so offensichtlich gezeigt hätte, dass ich hier gleich Zivilisten umbringen werde (hier widerspreche ich Jochen)
  3. mich selber tatsächlich aktiv auch durch die verstorbenen Zivilisten hätte gehen lassen
Um nochmal Jochen zu zitieren:
Jochen hat geschrieben:und ich weiß nicht, dass ich damit Zivilisten ermorde
Das ist mir eine zu einseitige Definition von Schuld. Schuld entsteht ja nicht nur, wenn ich im Voraus weiß, dass etwas falsch sein wird. Sie entsteht doch sehr häufig auch dadurch, dass ich im Voraus eben nicht weiß, welche negativen Auswirkungen etwas nach sich ziehen wird. Dabei kommt es aber auch auf den Kontext an. Im Fall von Spec Ops sehe ich da 2 Möglichkeiten:
  1. Wenn die Szene so ist wie jetzt (ich habe keine Wahl), dann funktioniert die Schuld besser, wenn ich das mit den Zivilisten nicht weiß
  2. Wenn ich die Wahl habe, dann funktioniert die Schuld besser, wenn ich das mit den Zivilisten weiß
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Ines
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Ines »

Oh, das ist schwierig. Ich versuche es mal wortklauberisch-psychologisierend.
Zunächst ist "Schuld" für mich gar kein Gefühl, sondern eher der Gedanke, dass man gegen die eigenen Werte verstoßen hat. Dieser Gedanke löst dann als Gefühl Scham aus. Nun ist die Frage, welche Werte, gegen die hier verstoßen werden kann, ein Individuum hat. Die sind ja unterschiedlich. Als nächstes würde ich fragen, ob ein Spiel überhaupt eine rational sinnvolle und angemessene Scham auslösen kann. Meine Antwort ist: Nein.
Dennoch wird dieses Gefühl ja bei vielen doch ausgelöst. Ich würde jetzt mal ganz provokant sagen, dass es fast ziemlich müßig ist, über Schuld und Scham im Kontext von Spielen zu diskutieren, weil es nur von der individuellen emotionalen Reaktionsbereitschaft abhängig ist, was an welcher Stelle ausgelöst wird.
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derFuchsi
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von derFuchsi »

Wenn wir von Schuldgefühlen (nicht von Schuld) oder auch Scham reden dann müsste man konkretisieren um wen es geht.
Empfinde ich die Schuld des Charakters den ich spiele weil ich mich in ihn hineinversetze (Immersion) oder empfinde ich persönlich Schuld weil ich mich ertappt fühle?

Was an der Flughafenszene so genial war ist die Meta-Geschichte mit der Entlarvung des Spielers der durch das Genre so konditioniert ist dass er blind Befehle befolgt und auf alles schießt was man ihm im Spiel sagt.
Sobald der Spieler erfährt dass es eine andere Option gegeben hätte auf die er nicht gekommen ist entsteht das Schuldgefühl beim Spieler.
Hier versagt die Phosphor-Szene weil man eben keine Wahl hat, das stimmt.
Als Spielcharakter kann ich her aber sehr wohl Schuld empfinden.
Dr. Zoidberg [np] hat geschrieben: Ich weiß nicht, wie ich es euch ging, aber mir war direkt klar, was passieren wird. Zumal die Soldaten erkennbar anders aussehen:
Ich bin mir nicht sicher ob man hier was erkennen muss. Ich glaube ich habe da nichts "erkannt".
Mir war hier trotzdem relativ klar was vermutlich passieren wird weil ich wusste worauf das Spiel hinausläuft weil ich bereits wusste dass es sich hier um eine Art Antikriegsspiel handelt.
Blöderweise habe ich das Spiel lange nach Release gespielt und bin daher zwangsläufig über den einen oder anderen Spoiler gestolpert, speziell die viel diskutierte Flughafenszene.
Was ich verdammt schade finde weil ich gerne selber gewusst hätte wie ich da reagiert hätte.
Aber auch wenn ich als Spieler ahne was kommt kann ich doch versuchen mich in den Protagonisten hineinzuversetzen.
Geht einem doch in Filmen genauso, oft kennt man das Schema schon und weiß in etwa was nun kommen wird.
Der Charakter im Film/Spiel in den man sich hineinzuversetzen versucht weiß das aber nicht und wandert dann voller Schuldgefühle durch die verbrannten Leichen.
Also als Geschichte fand ich das Spiel nicht übel.

Als Spieler vor dem Monitor kann ich hier keine Schuld empfinden weil ich ja keine Wahl hatte.
Die würde ich empfinden wenn ich erfahre dass man die Szene auch anders hätte lösen können indem man halt nicht schießt wie im Flughafen z.B.

Idealerweise würde einem das das Spiel am Ende sagen, vielleicht wie bei den Telltale-Spielen. Wenn man am Ende erfährt dass all die Unschuldigen im Spiel nicht hätten sterben müssen wenn man nicht so beschränkt gedacht hätte das wäre ein genialer Moment gewesen.
Dr. Zoidberg [np] hat geschrieben: Sobald man aber zu den Zivilisten gelangt, schaltet das Spiel in eine Cutscene
Verstehe nicht wofür das wichtig wäre ob es eine Cutszene ist oder nicht? So wird wenigstens sicher gestellt dass man die wichtigen Szenen zu Gesicht bekommt und nicht nur blind durchrennt wie es einige sicher getan hätten.
Ich kann mich an die Szene mit der Mutter die noch ihr Kind in den Armen hält erinnern aber nicht ob es eine Cutszene war. Jedenfalls hat es storytechnisch für mich funktioniert wie es sollte.

Die Sache mit den eigenen Schuldgefühlen hatte ich ja beschrieben.
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Dr. Zoidberg [np]
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Dr. Zoidberg [np] »

derFuchsi hat geschrieben:
Dr. Zoidberg [np] hat geschrieben: Sobald man aber zu den Zivilisten gelangt, schaltet das Spiel in eine Cutscene
Verstehe nicht wofür das wichtig wäre ob es eine Cutszene ist oder nicht? So wird wenigstens sicher gestellt dass man die wichtigen Szenen zu Gesicht bekommt und nicht nur blind durchrennt wie es einige sicher getan hätten.
Ich kann mich an die Szene mit der Mutter die noch ihr Kind in den Armen hält erinnern aber nicht ob es eine Cutszene war. Jedenfalls hat es storytechnisch für mich funktioniert wie es sollte.
Ich kann ja vorher schon nicht durchrennen, weil das Spiel mich an der Stelle nur gehen und nicht laufen lässt. Das hätte man bei den Zivilisten genauso tun sollen. Die Frau mit Kind kann man ja auch so platzieren, dass man auf jeden Fall daran vorbeikommt.

Cutscenes sind für mich per se anti-immersiv, weil sie mich der Kontrolle entziehen und in eine Passivität zwingen. In dem Fall kommt noch dazu, dass ich bei den Zivilisten ein vorbestimmtes Ergebnis präsentiert bekomme und nicht das Ergebnis meiner Handlung. Das hat für mich einen sehr deutlichen Unterschied auf die Wirkung.

Generell finde ich, dass Spec Ops viel zu häufig, seine eigene Wirkung konterkariert, weil es immer wieder Szenen hat, die den Effekt schmälern oder das Ganze teilweise ins Lächerliche ziehen. Besonders das folgende Zitat ist mir richtig negativ hängengeblieben:
Jeez, man, where's all this violence coming from? Is it the video games? I bet it's the video games.
(Siehe https://en.wikiquote.org/wiki/Spec_Ops: ... adioman.22" onclick="window.open(this.href);return false;)

Damit machen die imo ihre eigenen Absichten kaputt, auch wenn ich das Spiel von der Handlung immer noch nachvollziehbarer und besser umgesetzt finde als Heart of Darkness oder Apocalypse Now (ich habe das minimal ausführlicher mal hier beschrieben).
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Filusi
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von Filusi »

Gibt es den eigentlichen Vortrag (Kassel) schon als Podcast zum Runterladen?

Der Podcast hier und das Interview haben mir gut gefallen, auch da ich die Anischten des Interviewers bezüglich seiner Ausführungen hinsichtlich Entscheidungen in Spielen größtenteils teile (wobei Jochen schon recht hat, dass man ohne Entschediungen die optimaleren Möglichkeiten hat, um eine bessere Geschichte zu erzählen) und er sie auch gut argumentatieren konnte und Jochen damit einigermaßen Parollie bieten konnte bzw. seine Sichtweise immer wieder untermauern konnte, wenn auch sicherlich irgendwie beide irgendwie Recht haben (zudem da das emotionale Empfinden ja eh unterschiedlich von Person zu Person ist bzw. wie wichtig etwas einem gemacht werden kann bzw. man selbst etwas nimmt), da es derzeit noch keine optimale Lösung in Spielen gibt.
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tidus89
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von tidus89 »

Wo bleibt die Aufzeichnung? Hm, hmm? 8-)
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derFuchsi
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von derFuchsi »

tidus89 hat geschrieben:Wo bleibt die Aufzeichnung? Hm, hmm? 8-)
:!:


Ich hatte hier mitdiskutiert aber die Folge noch nicht gehört, das hole ich gerade nach. Interessante Diskussion. Angenehm zu hören wie Jochen intellektuell auf Augenhöhe mit seinem Gegenüber diskutiert. Das Gefühl hatte ich beim Teufels Advokaten eher nicht (Was aber vermutlich am Format gelegen haben wird).

Auch sonst scheint es in diesem Podcast intellektuell angenehm anspruchsvoll her zu gehen.
Mir gefällt der Pixeldiskurs-Podcast als solcher aber trotzdem nicht so recht. Wirkt auf mich irgendwie zu versnobt von der Aufmachung.
Und wer zur Hölle ist dieser Rainer Schauder mit dem die es da ständig haben?
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derFuchsi
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Re: Pixeldiskurs #23 mit Jochen Gebauer oder warum Jochen einen Führerschein braucht

Beitrag von derFuchsi »

Am Ende des Podcastes heißt es übrigens er würde nur noch auf das OK von Jochen warten ob er die Aufzeichnung so hochladen dürfe.
Ist da kommunikativ was schief gelaufen oder hat Jochen sein OK verweigert?
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