Warum sind Gamer so empfindlich, wenn Videospiele kritisiert werden?

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thewormking1190
Beiträge: 46
Registriert: 24. Nov 2016, 22:46

Re: Warum sind Gamer so empfindlich, wenn Videospiele kritisiert werden?

Beitrag von thewormking1190 »

Mericat hat geschrieben: ich unterstütze auch weiterhin das spieler wieder offener für kritik sein müssen, verstehe sie aber zu großen teilen bei der vergangenheit und dem immernoch sehr präsenten "online"-bashing welches man doch relativ häufig sieht, zum glück sind wir von zeiten weg wo aus allen ecken "killerspiele" gerufen wurde, wenn ein kind aufm fahrrad ausversehen über den schwanz einer katze gefahren ist, für viele ist aber dieses gefühl noch da, ich würde also sagen: es ist zum großteil auch die angst WIEDER in die schublade gedrückt zu werden, aus der "wir" spieler uns über die jahre zumindest mit einem bein befreit haben
Genauso sehe ich das auch. Die Angst vor einer möglichen erneuten Schublade sollte man nicht unterschätzen. Das mag vielleicht gar nicht mal so realistisch sein, aber Spieler, die sich zu Zeiten der KDS als "Gamer" gesehen haben, sind nun mal gebrannte Kinder. Und da das jetzt auch noch nicht gar zu lange her ist, haben viele wahrscheinlich noch nicht den Umgang mit solchen Situationen "gelernt". Ich würde in meinem Fall sogar sagen, dass ich momentan erst begonnen habe, das genauer zu beleuchten und zu versuchen das zu verstehen und infolge dessen die Beißreflexe abzulegen. Die waren mir bisher gar nicht mal bewusst.
Axel hat geschrieben: Was da abgelaufen ist, war aber noch ziemlich harmlos im Vergleich was sich beispielsweise de Gothic-Szene in den 90ern und frühen 00er Jahren anhören durfte. War damals nicht selten, dass ich als mordender Satanist galt und jeden zweiten Tag Prügel angedroht bekam. Denn was da die Medien über viele Jahre lang abgezogen haben, das grenzte häufig schon an mittelalterliche Hexenverfolgung. Das hörte im öffentlichen Raum auch lange nicht auf. In den Familien gab es aufgrund dessen heftigste Auseinandersetzungen, es gab nicht wenige Eltern welche den psychatrischen Dienst gerufen haben, nur weil die Tochter oder der Sohn im Teenie-Alter mit einem Undercut nach Hause kam.

Trotzdem ist die Gothic-Szene nun nicht für ihre übermäßige Aggression bekannt, im Gegenteil. Allein längere mediale Berichterstattung kann da also nicht der Hauptgrund sein.

Vielleicht liegt es daran, das viele Gamer unbedingt mit ihrem Hobby akzeptiert werden wollen. Den meisten Grufties dagegen war das immer sehr egal, ob man nun akzeptiert wurde oder nicht. Außer es kam zu Handgreiflichkeiten, aber sonst ging einem das immer sonstwo vorbei, wenn Sprüche kamen. Mittlerweile ist es ja sogar so, dass sich vor allem Altgrufties wieder wünschen, dass man wieder gesellschaftlich ausgegrenzt wird. Und sei es nur, damit man auf dem WGT Ruhe hat.
Dazu zwei Punkte:
1. Es gibt m.M.n. einen enormen Unterschied zwischen den Grufties und den Gamern. Erstere setzen sich selbst von dem Rest der Gesellschaft ab, grenzen sich selbst ein Stück weit aus. Das bedeutet a) wenn sie sich also dem "Bild" dieser Szene anpassen, müssen sie damit rechnen, dass sie auffallen und dass andere sie nicht verstehen; b)sie sind der aktive Part, sie haben das selbst so entschieden. Viele Grufties sehen ja sogar in dieser deutlichen Abgrenzung den einzigen Sinn dieser Szene und Ästhetik. Aber inzwischen ist auch das im Mainstream soweit akzeptiert, dass kein Undercut einen riesigen Aufschrei verursacht. Der durchschnittliche Gamer heutzutage sieht das Spielen eben als ganz normales Hobby und nimmt ansonsten ganz normal am gesellschaftlichen Leben teil, findet sich auch gar nicht mal so besonders. Da kommen Vorurteile schon etwas unerwarteter.
2. Mehr Seelen-Striptease ;) Ich bin auf dem Lande aufgewachsen. Da gab es auf dem Dorf grob drei Gruppen: Die Fußballer, sympathische Menschen und die anderen, die man nirgendwo gesehen hat. Wer also kein Fußball spielen, aber trotzdem Leute treffen wollte, der ging in das örtliche Jugendzentrum. Wir hatten ja nichts... Und immer nur Computer spielen ist auch nicht erfüllend :P Da konnte man wirklich viele Interessen kennenlernen. Zu meiner Zeit bin ich dort vor allem auf Metaller, Punks und Grufties gestoßen. Wobei man das nicht so genau unterscheiden kann. Jeder hatte seine Vorlieben, aber irgendwie hat man alles mitgemacht. Und zusammen Dinge unternommen. Unter anderem Pen&Paper Rollenspiel und LAN Parties. Aber auch noch vieles anderes mehr. Aber Wurscht. Unsere Obergruftine war soweit der gefassteste Mensch, den man sich vorstellen konnte. Immer sachlich, immer interessiert an Diskussionen, und immer höflich. An einem Abend auf einer größeren Feier habe ich allerdings mitbekommen, wie sie von einem Betrunkenen mehrfach als "Nazi-Braut" bezeichnet wurde. Und da brannte auf einmal der Boden 8-) Also metaphorisch. Jedenfalls hat sie es da nicht geschafft, ihre Fassung zu behalten. Gut, möglicherweise war da auch das ein oder andere Bierchen im Spiel. Aber mich verleitet es zu der Annahme, dass man einer Person aufgrund ihrer Selbstidentifikation mit einer Personengruppe nur das richtige Vorurteil unter die Nase reiben muss, um sie zu erzürnen. So zum Beispiel unserer eindeutig links-liberalen und extrem weltoffenen Gruftine eine Nazi-Gesinnung zu unterstellen. Eben das, was am weitesten von der Realität entfernt war.

Von daher würde ich schätzen, Spieler, die Spaß am "unschuldigen Spielen" mit anderen haben, eine Unfähigkeit bei sozialem Umgang sowie Medien zu attestieren, Stichwort KDS, funktioniert da ähnlich. Und dann aktueller im Umfeld der Sexismus-Debatte, die Angst, als Sexist angesehen zu werden, weil man Spiele mit ggf. sexistischen Motiven gespielt hat. Obwohl man klassischerweise eben gesellschaftliche Konventionen und Vorurteile hinterfragt hat und sehr progressiv eingestellt ist. Und das lässt sich sicherlich auch auf andere Gruppen anwenden. Da gibt es aber wahrscheinlich eine Unmenge an Forschungen, die da bessere Antworten geben können. Die Gruppe der Gamer ist halt im Gesamtkontext der Gesellschaft eine relativ junge Erscheinung und wird als solche natürlich stark kritisch betrachtet und angefeindet. So wie das bei allen neuen Entwicklungen in der Geschichte war. Es braucht eben einige Zeit, bis die Mehrheit dieser Gesellschaft sich an die Neuerung gewöhnt hat und feststellt, dass das alles doch nicht so schlimm ist, wie man befürchtet hat. Dessen muss man sich als ein solcher "Gamer" aber erst einmal bewusst werden, was vielleicht nicht so einfach ist, wenn man mit Spielen schon aufgewachsen ist und viel mit Leuten zu tun hatte, die mit dem Thema vertraut waren.
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cassikov
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Registriert: 24. Nov 2016, 14:57

Re: Warum sind Gamer so empfindlich, wenn Videospiele kritisiert werden?

Beitrag von cassikov »

Die Dünnhäutigkeit von Spielern liegt aus meiner Sicht auch häufig an der Undifferenziertheit der Kritiker selbst, die sich nur oberflächlich mit dem Medium auseinandersetzen.

Nur ein Beispiel. Aktuell lese ich das Buch „Digitale Demenz“ von Manfred Spitzer (Erschienen 2012). Im Rahmen dessen lässt sich sehr gut erkennen, wie oberflächlich teilweise die Kritik am Medium Spiel auch durch gestandene Wissenschaftler ist.

Spitzer ist ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und beschäftigt sich wissenschaftlich und populärwissenschaftlich mit den Auswirkungen von Lernprozessen auf das Gehirn von Kindern und Jugendlichen. Er scheint schon ein anerkannter Experte auf dem Gebiet von Lernprozessen und deren Auswirkungen auf das Gehirn zu sein (allerdings bin ich hier fachfremd).
Seine Hauptforderung ist die reduzierte Nutzung von digitalen Medien in der Kindheit und Jugend. Dies begründet er damit, dass Lernprozesse mittels digitaler Medien (Tablet, Computer, etc.) nur oberflächliche Lernprozesse sind und diese dem traditionellen Lernen unterlegen sind. Seine Kernaussage (Eins kann das Gehirn nicht: nicht lernen) lässt sich durchaus in der Entwicklung von unterschiedlichen Bereichen im Gehirn nachweisen. Ganz wissenschaftlich zitiert er eine Reihe renomierter Studien zum Thema.
Jeder Lernprozess hinterlässt natürlich seine Spuren in der internen Vernetzung unseres Gehirns. D.h. es macht einen Unterschied, wie und was ich lerne. Ob ein Instrument lernen anstatt Rockband spielen, per Hand schreiben oder per swipe auf dem Smartphone whatsappen, eine Tätigkeit in Ruhe ausführen oder Multitasking, mit Freunden treffen oder Kommunikation per Facebookchat, im Wald spielen oder alleine vor der Playstation sitzen.
Soweit alles nachvollziehbar und wissenschaftlich belegt. Das Gehirn wirkt ähnlich einem Muskel und daher gilt, wer kein Sport treibt und übermäßig Fast Food isst nimmt halt an Gewicht zu und verliert seine Agilität.

Bis zu diesem Punkt bin ich ganz auf Spitzers Seite. Niemand kann heute wirklich noch leugnen, dass übermäßiger einseitiger Konsum eines bestimmten Mediums schlecht für die Entwicklung insbesondere von Kindern ist. Die Jugend hat mit Smombie ja auch schon eine passende Bezeichnung für die Auswirkungen gefunden.

Leider verfällt Spitzer an diesem Punkt in eine undifferenzierte Fundamentalkritik von Computer- und Konsolenspielen. Als jemand, der seit dem C64 das Spielen als Hobby betreibt, merke ich sofort, dass Spitzer sich mit dem Medium nicht einmal ansatzweise auseinandergesetzt geschweige denn dieses verstanden hat. Seine Argumentation gleicht hier gerne mal einem Stammtischproleten. Unwissenschaftlich spricht er von Daddeln, Nachmittagsballern, Killerspielen, etc. Spiele werden als homogenes Gebilde dargestellt, so als würde es keinen Unterschied zwischen Candy Crush, Call of Duty, Dear Esther und Planescape Torment geben. Gerade an diesen Punkten widerspricht er sich selbst. Wenn das Gehirn immer lernt, dann ist es nicht unerheblich wie das Spielen selbst aussieht. Spiele mit Bewegungssteuerung werden im Gehirn anders verarbeitet als beispielsweise Städtebausimulationen. Storylastige Rollenspiele in einer anderen Sprache (z.B. englisch) wirken anders als Candycrush Klone. Und Pokemon Go wiederum nicht so wie Echtzeitstrategiespiele auf esport Niveau.

Und leider stehen Spitzers unwissenschaftliche Parolen direkt neben zitierten Studien aus Science und Nature, die teilweise gar nichts mit den Auswirkungen von Spielen zu tun haben, sondern sich auf die allgemeine Wirkung von Neurotransmittern konzentrieren.
Mich frustriert sowas sehr, da Spitzer hier ein ganzes Medium abwertet und bei diesen Aussagen den Pfad guter wissenschaftlicher Arbeit verlässt. Seine Schlussfolgerungen zu diesem Thema sind in etwa so als würde ich sagen: alle Filme sind schlecht für die Gehirnentwicklung, da man ja nicht liest. Ganz gleich ob ich Transformers im Kino oder eine Vorlesung von Spitzer bei Youtube schaue.

Langer Text, kurzer Sinn. Reagieren Spieler also insgesamt relativ dünnhäutig auf Kritik? Ja und Nein. Meine Erfahrungen auch bei anderen Themen sind, dass insgesamt auf verkürzte bzw. oberflächliche Kritik dünnhäutig reagiert wird. Insbesondere denn, wenn keine strukturierte Form des Austausches existiert. In einem unmoderiertem Kommentarfeld mit Zeichenbegrenzung unter einer Newsmeldung lässt es sich halt schlecht diskutieren.
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