Sie oder Du?

[Nachtfischer]

Nein. Gut sind die an sich nicht, sondern nur unter Annahme eines fundamental fragwürdigen Weltbildes (das momentan eben leider - noch - vorherrscht).

[Stuttgarter]

Wenn eine Frau sagt, dass das "Sie" ihr hilft, vor Belästigung geschützt zu werden, halte ich das für einen verdammt guten Grund.

[Nachtfischer]

Wenn eine Frau sagt, dass das "Sie" ihr hilft, vor Belästigung geschützt zu werden, halte ich das für einen verdammt guten Grund.

Und ich habe nie etwas anderes behauptet. Ich finde eben Zustände, in denen Frauen regelmäßig belästigt werden, äußerst kritikwürdig.

[Stuttgarter]

Und ich habe nie etwas anderes behauptet. Ich finde eben Zustände, in denen Frauen regelmäßig belästigt werden, äußerst kritikwürdig.

Da sind wir völlig einer Meinung. Dann sollten wir aber als erstes diese Zustände ändern, bevor wir das "Sie" abschaffen.

[Terranigma]

Nein. Gut sind die an sich nicht, sondern nur unter Annahme eines fundamental fragwürdigen Weltbildes (das momentan eben leider - noch - vorherrscht).

Der Grund für die Verwendung der Du/Sie-Unterscheidung liegt pragmatisch darin, dass es für die Kommunikation erwartet wird. Du kannst natürlich darauf verzichten, eben mit dem Resultat, dass Personen - weil sie nicht so sozialisiert sind - es ggf. als "eigenartig" empfinden werden. Eben derselbe Grund, warum im Englischen "You" verwendet wird. Nicht weil es eine gute Idee ist, sondern weil's so ist wie's ist. Sprachen werden ja nicht geplant oder anhand von "Vernunft" entwickelt.

Bzgl. des Threads fällt mir eher ein, dass auch im Podcast da keine klare Regel herrscht. Mal wird das Du, mal das Sie genutzt. Nicht, dass es mich juckt.

[Stuttgarter]

Sprachen werden ja nicht geplant oder anhand von "Vernunft" entwickelt.

Darauf wollte ich raus, ja. Man kann natürlich auch den Begriff "Brot" für unvernünftig halten und ersetzen wollen - man wird aber vermutlich an jahrhunderte altem Brauchtum scheitern.

Ich wüsste übrigens keinen vernünftigen Grund, warum man das "Sie" grundsätzlich abschaffen sollte. Um den Spieß mal umzudrehen.

[DerSpieler]

Ja ich würde das Anrede-System der deutschen Sprache auch nicht per se als falsch empfinden, ist eben einfach anders als in anderen Ländern/Kulturen. Man könnte das ja theoretisch noch beliebig weiter differenzieren und drei, vier oder hundert verschiedene Anreden haben. Dann gibt es eben "Du", "Sie" und "Hurz". "Hurz" redet man z.B. Leute an die man noch gar nicht kennt. Oder dann noch "Bims" was man nur bei Familienmitgliedern benutzt. Oder oder oder

Das das "Sie" sich in geschäftlichen Situationen besser anfühlt weil man dann z.B. weniger Skrupel hat unangenehmes anzusprechen kann ich nachvollziehen, das geht mir auch so. Aber das ist natürlich auch kulturell antrainiert, würden wir alle mit einer Anrede erzogen wäre das wahrscheinlich auch anders.

Man hat ja das gleiche Problem auch mit der Anrede via Vorname oder Herr/Frau Sowieso. Grundsätzlich gilt Du = Vorname, Sie = Herr/Frau Nachname, aber 100% in Stein gemeißelt ist das ja auch nicht bzw. könnte man darüber ja auch noch mehr als die zwei Abstufungen herstellen (z.B. von förmlich nach unförmlich: Sie + Herr/Frau Nachname, Sie + Vorname, Du + Vorname).

Weiteres Ding das da reinspielt aufgrund der Demografie im Internet: Die soziale Norm ab wann man fremde Gleichaltrige siezt, insbesondere außerhalb von geschäftlichem Kontakt. Kinder und Jugendliche duzen sich. Mit Anfang 20 duzt man sich meist auch noch. Aber was ist mit Ende 20, Anfang 30? Ich meine mal im Knigge gelesen zu haben, dass man so ab Anfang 30 fremde Gleichaltrige siezt und nicht mehr duzt (kann auch falsch sein, fände die Regelung für Knigge-Verhältnisse recht locker). In der Uni habe ich gelernt, dass Studenten sich immer duzen untereinander, unabhängig von etwaigen Altersunterschieden und ob man sich kennt oder nicht (die Regelung ist aber sicher älter als das Gängigwerden des Senioren-Studenten).

Würde ich heute eine Sprache erfinden würde ich es wahrscheinlich eher mit nur einer Anredeform machen aber ändern kann man es in einer gewachsenen Sprache und Kultur meines Erachtens nicht bzw. wenn überhaupt nur langsam über Jahrzehnte. Wäre mal interessant zu wissen was jemand der Muttersprachler in einer Sprache mit nur einer Anrede ist darüber denkt, ob der die Unterscheidung als unnötig oder wohltuend empfindet.

[Decius]

Im Internet finde ich "Sie" immer unpassend, das ist für mich schon seit ich den ersten Browser vor 20 Jahren benutzt habe das Medium für "du". Wenn ich jemanden "Sie" benutzen sehe, dann ist das für mich generell ein "von oben herab"-reden, selbst wenn es nicht so gemeint wäre. Bin auch im echten Leben kein großer Freund von "Sie". Finde immer den ganzen bescheuerten Etikettetanz um wer wem wann wo das "Du" anbieten kann extrem unsinnig.

[Nachtfischer]

Man kann natürlich auch den Begriff "Brot" für unvernünftig halten und ersetzen wollen

Wie kommst du auf den Vergleich? Wir brauchen ein Wort für "ein traditionelles Nahrungsmittel, das aus einem Teig aus gemahlenem Getreide (Mehl), Wasser, einem Triebmittel und meist weiteren Zutaten gebacken wird". Deshalb haben wir "Brot". Effizient. Vernünftig.

Ich wüsste übrigens keinen vernünftigen Grund, warum man das "Sie" grundsätzlich abschaffen sollte. Um den Spieß mal umzudrehen.

Es ist eine Ineffizienz. Wir haben bereits ein Wort, das genau den selben Zweck erfüllt und sich nur in eingebildeten Unterschieden (die sich wie gesagt in frag- und kritikwürdigen Rahmenbedingungen real auswirken können) vom anderen abhebt. Von mir aus können wir auch das "Du" abschaffen.

[Blaight]

Ich hatte da eine ganz perfide Erfahrung. Ich habe mich bei einer Firma beworben und der Prozess war relativ lang. Die ganze Zeit über wurde das Sie verwendet. Dann habe ich den Job bekommen und während des Gesprächs wurde mir offenbart, dass innerhalb der Belegschaft der Firma nur geduzt würde. Habe ich dann auch direkt gemacht, nur ist mir aufgefallen, dass mein ganzer Habitus dabei etwas salopp und distanzlos geworden ist - ich musste echt aufpassen.
Ich mag beides.

[echtschlecht165]

Ich bin eine große Freundin des Sie. Insbesondere bei der Arbeit. Die meisten Argumente dazu fielen ja schon.

Von daher möchte ich nur einen Punkt ergänzen. Gerade für Frauen kann das Sie hilfreich sein. Denn es schafft nochmal deutlich Distanz, insbesondere auch nach außen. Gerade in einer Belästigungssituation hat man eher eine Chance auf Hilfe, wenn man deutlich signalisiert, dass man nicht mit der anderen Person per Du ist.

Aber auch davon abgesehen: bei der Arbeit sieze ich alle, obwohl sich intern auch einige duzen und mir das Du auch bereits angeboten wurde. Dafür habe ich einfach zu oft gesehen, wie Leute nach dem Fall des Dus mit der Zeit entweder den Respekt haben fallen lassen oder von einem besondere Solidaritäts- und Verbrüderungsaktionen erwartet haben.

Im Privatleben bin ich hingegen schnell beim Du. Aber da sucht man sich ja auch selbst die Leute aus, die man ins Leben reinlässt und bekommt sie nicht wie bei der Arbeit vorgesetzt.

sehe ich genauso, obwohl ich ein Mann bin.
Obwohl ich eigentlich sonst ein sehr nonchalanter Typ bin, dem es im Laufe des Älterwerdens schwer gefallen ist, zu akzeptieren, immer mehr gesiezt zu werden
Aber sobald ich mal dran gewöhnt habe, habe ich aber die Vorteile erkannt, die eh hier schon mehrfach genannt wurden.

Gerne "Doktor" bei mir

ich wäre auch verwundert, wenn du als gelernter Österreicher nicht auf die Anrede per Titel bestehen würdest.

Ich habs ja leider nur zum Ing. geschafft, und der hat vorallem seit Ing. Breitfuß nicht mehr den besten Ruf (keine Ahnung, ob der Ing. jemals einen guten Ruf hatte).
Ausser Polizisten bei der Verkehrskontrolle sagt keiner Herr Inschenör zu mir

[Blaight]

Ich finde einen Ing. deutlich respektabler als einen "Dr." Med.

Ich würde mir einen Dr. auch nicht ans Klingelschild hängen, jedoch zeigt sich dass es schon Vorteile gibt. Ne Freundin von mir hat deutlich mehr Optionen in ihrer Wohnungssuche bekommen, seit sie ihren Titel mitnennt.

[philoponus]

Ich finde einen Ing. deutlich respektabler als einen "Dr." Med.

Ich antworte auf die Frage "Sind Sie Arzt?" immer mit "Nein, ich bin ein echter Doktor!".

[echtschlecht165]

Ich finde einen Ing. deutlich respektabler als einen "Dr." Med.

Ich würde mir einen Dr. auch nicht ans Klingelschild hängen, jedoch zeigt sich dass es schon Vorteile gibt. Ne Freundin von mir hat deutlich mehr Optionen in ihrer Wohnungssuche bekommen, seit sie ihren Titel mitnennt.

Ein deutscher Ing. ist auch etwas anderes als ein österreichischer Ing.
Ich bin KEIN Akademiker

[echtschlecht165]

Ich finde einen Ing. deutlich respektabler als einen "Dr." Med.

Ich antworte auf die Frage "Sind Sie Arzt?" immer mit "Nein, ich bin ein echter Doktor!".

Vermutlich ist ja ein Doktor der Philosophie oder ähnlichem in Ihrer Branche ähnlich exotisch wie in meiner
Die Blicke in manchen Meetings von Ihren Kollegen würd ich gern sehen, wenn die Sie fragen, welcher Doktor Sie sind.
Die erwarten wohl eher entweder etwas von der WU oder TU

Ich liebe aber so Ambivalenzen.

[philoponus]

Ich finde einen Ing. deutlich respektabler als einen "Dr." Med.

Ich antworte auf die Frage "Sind Sie Arzt?" immer mit "Nein, ich bin ein echter Doktor!".

Vermutlich ist ja ein Doktor der Philosophie oder ähnlichem in Ihrer Branche ähnlich exotisch wie in meiner
Die Blicke in manchen Meetings von Ihren Kollegen würd ich gern sehen, wenn die Sie fragen, welcher Doktor Sie sind.
Die erwarten wohl eher entweder etwas von der WU oder TU

Ich liebe aber so Ambivalenzen.

Dr. phil korrekt.

Manche Kollegen waren nach vielen Jahren Zusammenarbeit noch überrascht als sie das erfahren haben. Die Menschen erwarten psychologisch ja immer Dinge, die zum Setting passen. Weißer Mantel im Krankenhaus = Arzt. Manche haben mich Jahre lang für einen Ökonomie- oder Informatik-Doktor gehalten.

[Stuttgarter]

Man kann natürlich auch den Begriff "Brot" für unvernünftig halten und ersetzen wollen

Wie kommst du auf den Vergleich? Wir brauchen ein Wort für "ein traditionelles Nahrungsmittel, das aus einem Teig aus gemahlenem Getreide (Mehl), Wasser, einem Triebmittel und meist weiteren Zutaten gebacken wird". Deshalb haben wir "Brot". Effizient. Vernünftig.

Vielleicht kommen wir deshalb nicht zusammen. Ich liebe zwar eine präzise Sprache - genauso liebe ich aber das sprachlich verspielte. Grade "Effizienz" ist für mich deifnitiv kein Kriterium.

Ich wüsste übrigens keinen vernünftigen Grund, warum man das "Sie" grundsätzlich abschaffen sollte. Um den Spieß mal umzudrehen.

Es ist eine Ineffizienz. Wir haben bereits ein Wort, das genau den selben Zweck erfüllt und sich nur in eingebildeten Unterschieden (die sich wie gesagt in frag- und kritikwürdigen Rahmenbedingungen real auswirken können) vom anderen abhebt. Von mir aus können wir auch das "Du" abschaffen.

Ich bin überzeugt davon, dass sich eine universelle Anrede genauso frag- und kritikwürdig auswirken würde. Nur halt in anderen Belangen, auf andere Weise. Der Nachteil dieser "Ineffizienz" erschließt sich mir auch nicht - da ich keinerlei negative Auswirkung sehe, obs nun einen oder zwei Begriffe für dasselbe gibt. Oder willst Du sämtliche Synonyme auch loswerden? (Die Frage klingt vermutlich bissig, ist aber tatsächlich ernst gemeint - da ich keine Ahnung habe, worauf Du mit der "Effizienz" letztlich rauswillst.)

Immerhin gibt es hier im Thread doch eine Menge Leute, die die derzeit existierende Unterscheidung in bestimmten Situationen für sehr sinnvoll halten. Ich halte es für ein klein wenig ignorant, einfach zu beschließen, dass die sich alle irren, weil sie das Gegenteil nur nicht kennen.

[echtschlecht165]

Dr. phil korrekt.

Manche Kollegen waren nach vielen Jahren Zusammenarbeit noch überrascht als sie das erfahren haben. Die Menschen erwarten psychologisch ja immer Dinge, die zum Setting passen. Weißer Mantel im Krankenhaus = Arzt. Manche haben mich Jahre lang für einen Ökonomie- oder Informatik-Doktor gehalten.

ich hatte leider nie das Durchhaltevermögen ein Studium komplett durchzuziehen, bzw. war mir parallel arbeiten und studieren immer zu heftig.
Meine 6 Jahre Latein in der Schule und 4 Semester halbherziges Geschichtestudium, um danach auf Kunststofftechnik umzusatteln ist auch nicht der klassische Bildungsweg meiner Kollegen.

[Nachtfischer]

Immerhin gibt es hier im Thread doch eine Menge Leute, die die derzeit existierende Unterscheidung in bestimmten Situationen für sehr sinnvoll halten. Ich halte es für ein klein wenig ignorant, einfach zu beschließen, dass die sich alle irren, weil sie das Gegenteil nur nicht kennen.

Erneut: Ich habe nie behauptet, dass sich hier irgendwer irrt. "Inside the box" stimmt das alles. Jenseits dessen meiner Ansicht nach jedoch nicht. Und dagegen habe ich bisher tatsächlich noch kein einziges Argument gelesen. Aber dabei können wir es dann auch belassen. Wir kommen da früher oder später sowieso noch hin.

[echtschlecht165]

ist es nicht schön unterscheiden zu können, ob man mit jemandem nur kommuniziert, weil man es muss, weil man voneinander etwas braucht ohne dass man besondere persönliche Gefühle füreinander hat. (Siezen)
Oder ob man zusätzlich zu den Rationalen Dingen auch sich auch noch mehr füreinander interessiert. (Duzen)

Ich finde nicht, dass das Deutsche hier dem Englischen unterlegen ist, eher fehlt mir da beim Englischen etwas.