@Wolfgang
Einmal Jesper Juul zu verteidigen habe ich mir so wohl nie erträumt, habe ich ihn doch in der Vergangenheit immer als einen Kämpfer der ludonarrativen Kriege innerhalb der Game Studies gelesen. Nun ist sein Artikel, auf den du dich beziehst, selbst in seiner Kürze gar nicht schlecht.
"Juul definiert seinen zentralen Begriff, die Freiheit überhaupt nicht: Was versteht er darunter?"
Das stimmt meiner Meinung nach nicht, denn bereits in der Einleitung finden sich Bezüge zum im Artikel verwendeten Freiheitsbegriff. "[...] which points directly to a juxtaposition: play is broadly associated with free-form and voluntary activities, yet games are also defined by rule structures that in part limit what players can do." (Jesper Juul: "Playing".
http://www.jesperjuul.net/text/playing/" onclick="window.open(this.href);return false;) Juul geht es, wie du in deinem Artikel richtig beschreibst, um die scheinbaren Gegensätze von freiem, reinen Spiel (free-form), und diesem genau entgegenwirkenden Regelkorsett. Juul geht es also offensichtlich um Handlungsfreiheit im Rahmen des Spiels (Spiel im Sinne des Spielens); das wird im weiteren Verlauf des Aufsatzes nur noch deutlicher.
"Er verhandelt Freiheit in seinem Artikel strikt als Game-intrinsischen Begriff, als gehöre der nur zu dem jeweiligen Spiel – und behandelt das Game als etwas, in dem sich nicht letzten Endes größere Fragen spiegeln. Als könnte das Game selbst nicht womöglich auch zu Diskursen außerhalb des Games beitragen."
Da es um Handlungsfreiheit im Spiel geht, wäre das Hinzuziehen eines über diesen Fokus hinausgehenden Freiheitsbegriff innerhalb des Artikels höchstwahrscheinlich wenig konstruktiv. Und natürlich ist dieser Freiheitsbegriff damit dem Computerspiel intrinsisch. Leider kann ich diese Teilkritik an Juuls Text überhaupt nicht nachvollziehen, da sie vollkommen an der Zielsetzung des Aufsatzes vorbeigeht. Salopp und zugespitzt formuliert ist das, als würde ich der Sonne vorwerfen Licht zu machen.
Bezüglich der Verweise auf Diskurse außerhalb des jeweiligen Computerspiels: Die Abschnitte der detaillierten Ausführungen der vier Konzepte halten allerlei weiterführende Beispiele bereit, seien es Verhaltenstheoretische Experimente, protestantische Arbeitsethik (übrigens ein sehr spannendes Thema und unglaublich vielseitig anschließbar an übergeordnete Diskurse) oder die Frage, ob Computerspiele uns etwas über die Gegebenheiten unserer soziokulturellen Lebensumstände beibringen können. Das waren alles nur Beispiele aus dem weiterführenden Abschnitt zur Submission, die anderen enthalten noch viele weitere. Ich behaupte an dieser Stelle, dass sich alle diese Fragestellungen genauso gut auch in Bezug zur Rolle der Freiheit im Spiel bearbeiten ließen, was Juul so nicht explizit ausführt.
"[...] aber wie weit sich diese ganze Dialektik des Freiheitsbegriffs im Spiel widerspiegelt, dazu äußert er sich bedauerlicherweise gar nicht."
Die von dir beschriebene Ambivalenz des Freiheitsbegriffs wird sehr wohl im Aufsatz aufgegriffen. Juul tut das jedoch nicht explizit durch die Gegenüberstellung verschiedener Freiheitsbegriffe, sondern anhand des Spiels oder verschiedener Spielweisen. Die eine Spielweise ist frei und zügellos, die andere ist festen Strukturen und Regeln unterworfen: "However, Caillois still emphasizes that paidia is an unstructured activity, and he therefore does not consider the possibility that a strictly structured activity can give rise to freedom for the player. [...] In this case, structured game design can in and of itself enable player freedom." Juul beschreibt in seinem Text also zwei verschiedene Begriffe spielerischer Freiheit, die augenscheinlich nicht zusammenpassen. Als Ludologe geht er aber sowie schon immer davon aus, dass selbst aus vermeintlich starren Strukturen, wie Spielregeln, so etwas wie spielerische Freiheit entstehen kann (Hier wird das am Beispiel der Portal Gun aufgegriffen:
http://gamestudies.org/1202/articles/th ... experience" onclick="window.open(this.href);return false;). Die Ambivalenz der spielerischen Freiheit im Computerspiel ist demzufolge Juuls Ausführungen deutlich zu entnehmen.
"Er verliert sich in seinem Artikel am Ende ein wenig, und man weiß nicht mehr unbedingt: Ging es ihm jetzt tatsächlich um den Freiheitsbegriff im Game oder eben um die Gegenüberstellung Game vs. Gamer[.]"
Juul geht es doch gerade nicht um Game vs Gamer, versucht er doch deutlich zu machen, dass Spielregeln die spielerische Freiheit nicht ausschließen oder verunmöglichen, er schreibt es doch sogar direkt im letzten Satz: "Game playing is therefore not a conflict between games and players but a moment where games and players fit together and mutually constitute each other."
So viel zu Juuls Text und meiner Kritik an deiner Kritik. Deine weiteren Ausführungen zu den verschiedenen Freiheitsbegriffen bleiben dadurch selbstredend unberührt, da deren Emergenz trotzdem schlüssig bleibt und dem Ziel Rechnung trägt, einen über den wissenschaftlichen Artikel hinausgehenden Diskurs anzustoßen. Ganz nebenbei übrigens ein sehr löbliches Ziel, denn den Geisteswissenschaften mangelt es überwiegend an Transferwillen und Lust zur Diskussion außerhalb gewohnter Kreise.
Dennoch muss ich zum Ende hin deine Ausführungen zum kommunalistischen Freiheitsbegriff aufgreifen. Ich habe nun leider das Buch von Liane Bednarz nicht vorliegen und weiß daher nicht, wie genau der Begriff in ihren und Christoph Giesas Ausführungen verwendet wird. Meine Recherche führte mich zu Arno Waschkuhn (Kritische Theorie: Politikbegriffe und Grundprinzipien der Frankfurter Schule). Waschkuhn beschreibt den Begriff der kommunalistischen Freiheit unter Rückgriff auf Albrecht Wellmer gegenüber dem individualistischen Freiheitsbegriff zuerst einmal "als eine normativ ausgezeichnete Form des Lebens von Individuen-in-Gesellschaft" (Arno Waschkuhn, Kritische Theorie: Politikbegriffe und Grundprinzipien der Frankfurter Schule, S. 222.) Das liest sich doch zunächst gar nicht so unheimlich, oder? Weiter sei Freiheit nicht nur durch Institutionen, anderen Lebensformen und Gesellschaft begrenzt (wie zentral in individualistischen Freiheitstheorien), sondern sie würde zuallererst durch diese ermöglicht und hervorgebracht (vgl. Waschkuhn, S. 224) [Wir haben uns an dieser Stelle womöglich schon an der Brücke zu Juuls Aufsatz den Kopf gestoßen]. Was dir in Bezug zur Alt-Right und deinen anderen Beispielen an der kommunalistischen Freiheitstheorie suspekt erscheint, so vermute ich, ist wohl dieser Teil: "Die kommunalistische Grundintention ist, daß von individueller Freiheit überhaupt nicht geredet werden kann außer durch elnen internen und positiven Bezug auf die Lebensformen und Institutionen einer Gesellschaft [...]" (Waschkuhn, S. 223f.) Ich kann mir schon vorstellen, wie der Begriff im Buch von Bednaz/Giesa verwendet wird und es macht höchstwahrscheinlich auch Sinn in dem Kontext, in dem der Rest des Buches steht. Deiner Kolumne hätte die differenzierte Betrachtung und weniger dichotome Gegenüberstellung zum individualistischen Freiheitsbegriff aber gut getan, zumal der kommunalistische so schön an Juuls Position anschließbar ist. Denn es ist doch klar, dass bestimmte Aspekte unserer Freiheit natürlich gesellschaftlich und institutionell begründet sind. Unsere Freiheit wird schließlich nicht nur eingeschränkt (bspw. durch Gesetze) sondern ebenso ermöglicht (bspw. durch die Presse).
Zum Schluss möchte ich gern die Brücke zu Juul schlagen, in der Hoffnung dem zweiten Teil deiner Kolumne nicht zuvorzukommen. Wieso also passt der beschriebene kommunalistische Freiheitsbegriff so gut zu Juuls Ausführungen? Aus seinem Text ist die Position des freien Spiels, das sich ohne jede einschränkenden Spielregeln entfalten kann sehr einfach zu entnehmen. Die Freiheit, die sich aus dem Ludischen ergeben soll wird von Juul aber nur zum Ende hin kurz angerissen. Die kommunalistische Freiheitstheorie beschreibt aber nun genau das. Das Hervorgehen einer spielerischen Freiheit aus festen Strukturen, aus einem Regelwerk. Juul weißt ja darauf hin, dass die anfangs beschriebene Dichotomie von Spiel und Regelstrukturen so nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Um deine erwähnte Kernkompetenz von Computerspielen aufzugreifen: genau dieses Paradox aus Regeln und spielerischer Freiheit erleben wir doch ständig im Akt des Spielens. Exakt am Umschlagpunkt des "welchen Freiheitsbegriff transportiert denn dieses Spiel, wenn ich diese oder jene Regeln befolgen muss" bieten Computerspiele ihre je eigene Brücke zu externen Diskursen an, die Aussagen über unsere gesellschaftlichen Verhältnisse zulassen.
Leseempfehlung zum Ende: Roger Caillois: Die Spiele und die Menschen. Schön geschrieben.