Wortreich: Games und die Freiheit

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Ricer
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Ricer »

Lieber Wolfgang, hallo an Alle,

diese zweiteilige Kolumne gehört für mich mit zum Besten, was im Rahmen dieses Projektes erschienen ist. Die beiden Teile habe ich mehrmals gehört und bleibe sogar etwas sprachlos zurück. An einigen Stellen war ich an Runde "#70 Die Gewwaltdebatte als Farce" erinnert, als es um die Bedeutung der Narration und die Chancen für Kreative der Spielebranche ging.

Ein Punkt hallt in meinem Kopf nach. Und zwar die ludonarrative Dissonanz, dass der Spieler erwartet, alles meistern zu können. Ein Scheitern ist nicht vorgesehen und wird auch im Rahmen des Unterhaltungsmedium viel zu selten eingesetzt.

Dazu fiel mir das oft diskutierte "Save-Game-Playing" in ein, bei dem man einfach so oft neu lädt, bis man mit dem Ausgang einer Aktion zufrieden ist. Bei Minute 12 wurde das Beispiel beschrieben, dass die Bedrohung für Spieler in einem Spiel nie erfahrbar ist. Ein Beispiel wäre "Wolfenstein - The New Order", in dem Blazkowicz mühelos das Arbeitslager Belica befreit. Hier widersprechen sich Narration und das Verhalten von Blazkowicz. Aber thematisiert wird das bisher kaum.

Ein Gegenbeispiel ist in meinen Augen Spec Ops - The Line. Das Spiel liefert permanent kleine Gegnergruppen. Die Gefechte hangeln sich von Checkpoint zu Checkpoint. Dann kommt Kapitel 8 mit dem weißen Phosphor. Wäre es möglich, dass die Diskussion, die um diese Szene geführt wird, auch darauf beruht, dass der Spielcharakter (Walker) hier ein Dilemma sieht, was der Spieler nicht wahrhaben will. Für alle Spielfiguren ist klar, dass es an dieser Stelle kein Weiterkommen durch die direkte Konfrontation gibt (also das Phosphor nicht zu benutzen). Ich würde das so deuten, dass hier eine geordnete und für die Spielfiguren tödliche Situation geschaffen wird.

In vielen Rezensionen wird aber nun genau diese Alternativlosigkeit kritisiert. Der Spieler vor dem PC ist sich sicher, dass er die Situation auch ohne Einsatz des weißen Phosphors regeln kann. Ich denke, dass Spiele den Konflikt einer geordneten und tödlichen Bedrohung noch besser thematisieren können und glaube, dass es bei Spec Ops auch schwieriger zu lesen ist, da die Rollen vertauscht sind. Die gesteuerte Spielfigur bringt das Verderben und die "KI" war in der Rolle, diese Bedrohung abzuwehren. Und sie hatte eine Chance dies effektiv zu tun. In der Szene mit dem Weißen Phosphor. Die Spielfigur hat die "Bedrohung" nur durch ein drastisches Mittel überwinden können und das Spiel kommuniziert dies auch. Spielerinnen und Kritiker sind aber der vollen Überzeugung, dass es auch anders gegangen wäre.

Wolfgang, vielen Dank für deine Beiträge und die damit verbundenen Denkanstöße!

Ein schönes zweites Adventswochenende,
Ricer
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derFuchsi
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von derFuchsi »

Weil ichs gerade erst gehört habe, zu teil 2:
Wieder eine Menge zum grübeln.

Grinding als industriell organisierte Ausschlachtung der getöteten Gegner... also quasi gespielter Holocaust, nur ohne Juden. Hui nicht übel.

Interessant die Beobachtung dass der Gegner in Computerspielen fast immer die kommunalistische Freiheit vertreten aber ohne konsequent so zu handeln.
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Nachtfischer
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Nachtfischer »

derFuchsi hat geschrieben:Grinding als industriell organisierte Ausschlachtung der getöteten Gegner... also quasi gespielter Holocaust, nur ohne Juden. Hui nicht übel.
Und ich habe Grinding kürzlich als "gespielten Kapitalismus" bezeichnet. Was lässt sich daraus nun über die Beziehung von Holocaust und Kapitalismus schlussfolgern? :think:
Wolfgang Walk
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Wolfgang Walk »

Nachtfischer hat geschrieben:
derFuchsi hat geschrieben:Grinding als industriell organisierte Ausschlachtung der getöteten Gegner... also quasi gespielter Holocaust, nur ohne Juden. Hui nicht übel.
Und ich habe Grinding kürzlich als "gespielten Kapitalismus" bezeichnet. Was lässt sich daraus nun über die Beziehung von Holocaust und Kapitalismus schlussfolgern? :think:
Da findest Du bei Adorno sicher schon genau die Antwort, die Du hier implizierst. 8-)
Wolfgang Walk
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Wolfgang Walk »

Die Minima Moralia ist eine Goldgrube: "In den Bewegungen, welche die Maschinen von den sie Bedienenden verlangen, liegt schon das Gewaltsame, Zuschlagende, stoßweis Unaufhörliche der faschistischen Mißhandlungen." :-)
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Sebastian Solidwork
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Ich dachte an Tyranny - aber spätestens nach dem Satz Die müssen nichts mit Setting oder Thema des Games zu tun haben. war klar, dass auch das ein schlechtes Beispiel ist.
Zwar ist der Spieler auf Seite eines Regimes. Aber schon in seiner Rolle in der Story als ein Inquisitor nimmer er wieder eine, individualistische, Sonderrolle ein. Und das Spielsystem ist ganz klassisch individualistisch.

Gerade beim Schreiben bringt mich das auf einen Gedanken: Brauchen beide Seiten ein bisschen was vom anderen um existieren zu können? Wie Ying und Yang.
Ein kommunalistisches System braucht einige individualistische Inquisitoren um sich zu bewahren.
Und eine individualistisches System braucht einen kommunalistischen Kern um sich zu bewahren. Bei uns wäre das der Rechsstaat alla "Wer sich dem Rechsstaat beugt, der bekommt seine individuell Freiheit".
Auf eine ähnliche Art und Weise ist das auch im Film Equilibrium dargestellt.

... HA! DARUM geht es in Equilibrium!


Zwar propagiert unsere westliche Gesellschaft individualistische Werte und gesteht sie en Teilbereichen auch zu, aber z.B. in der Wirtschaft sind bisher eher kommunalistische gefragt. Auch wenn da mit der Digitalisierung eine Veränderung statt findet.
Somit stehen perfider Weiße auch in unserer westlichen Gesellschaft viele Leute unter einem kommunalistischen Druck. Kapitalismus sei Dank.
Und dafür sehe individualistische Spiele als eine Druckventil. Hier kann individualistische Freiheit mal ausgelebt werden - "Ich bin von Bedeutung".
Einerseits. Andererseits wirken viele AAA-Produktionen, selbst im Fantasy-Setting, auf mich wie US-Propagandamaterial. Nur die individualistische Freiheit ist gut.

Auch beobachte ich in meinem Umfeld das genau die genannte Veränderung vielen Menschen zu schaffen macht. Sie sind in Hierarchien groß geworden und sollen jetzt selbstständig und -verantwortlich arbeiten. Von Wasserfall nach Agil.
Die hängen noch in ihren kommunalistischen (?) Gewohnheiten und Denkmustern. Mancher bevorzugt es das Rädchen im System zu sein.
Wer kennt noch Die Welle (ich nur den alten)? Als am Ende der eine Junge heult weil das kommunalistische System aufgegeben wird. Ich glaube davon haben wir nicht wenige in unserer Gesellschaft.
Was mich dazu bringt, dass das auch Gunter Dueck in seiner Omnisophieu.a. zum Ausdruck bringt. Es gibt einfach Leute die bevorzugen es in einem System zu leben, weil ihr Gehirn so funktioniert.

Wie ich selbst ein paar Kommentare vorher schon schrieb:
"Interaktive Medien können noch mehr, für das Individuum, wichtige Fragen stellen. Es müssen nicht unbedingt immer die großen philosophischen sein.
Sie können somit einen Entfaltungsfreiraum darstellen wie auch zum Nachdenken anregen. Und auch Empathie lehren.
"
Wie du es sagst Wolfgang, Spiele sind dafür gemacht in andere hinein zu tauchen. Und zu verstehen was für sie Un-/Freiheit ist.

Mögliches ist das obige etwas ohne Zusammenhang....

Ich habe noch ein paar mehr Gedanken im Kopf, aber die kann ich gerade noch nicht ausdrücken.
Ich habe die Kolumne jetzt schon zwei mal gehört und zwei mal gelesen. Es werden wohl noch ein paar Mal dazu kommen... ich groke.
„Schönheit ist auch immer ethisches Empfinden.“

Umweltschutz beginnt im Geldsystem.
Fix the system!

Der Sinn des Lebens ist, dass Menschen voller Sinn das niemals wissen müssen. - Gunter Dueck in Omnisophie
Wolfgang Walk
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Wolfgang Walk »

Es gibt auf diesem Planeten keine Reinformen von kommunalistischer oder individualistischer Freiheit. Der Mensch ist schon biologisch ein Gruppentier - und nimmt sich dennoch immer auch als von der Gruppe getrennt wahr. In diesem nicht auflösbaren Konflikt liegt seine Größe als Pionier - und sein Elend als Brudermörder. Erlösung gäbe es erst, wenn es ihm gelänge, aus freiem Willen das eine oder andere fahren zu lassen. Und beides würde dann wahrscheinlich zur Auslöschung der Spezies führen.

Wir sind gefangen im ständig notwendigen Aushandeln des Sozialvertrags. Unsere individuell gefühlte Freiheit findet im Rahmen dieses Vertrages statt - und sonst nicht. Auch das ist es, was die Regeln eines Spiels reflektieren.
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W8JcyyU
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von W8JcyyU »

Wolfgang Walk hat geschrieben:
Nachtfischer hat geschrieben:
derFuchsi hat geschrieben:Grinding als industriell organisierte Ausschlachtung der getöteten Gegner... also quasi gespielter Holocaust, nur ohne Juden. Hui nicht übel.
Und ich habe Grinding kürzlich als "gespielten Kapitalismus" bezeichnet. Was lässt sich daraus nun über die Beziehung von Holocaust und Kapitalismus schlussfolgern? :think:
Da findest Du bei Adorno sicher schon genau die Antwort, die Du hier implizierst. 8-)
(Disclaimer vorweg: Harter Tobak. Relativierungen sind nicht beabsichtigt. Der geäußerte Grundgedanke: Konzentrationslager folgen gewissermaßen kapitalistischen Überlegungen, spätestens aber die Vernichtungslagern verletzen eben diese Überlegungen.)

Die hier angedeutete / implizierte Beziehung zwischen Holocaust und Kapitalismus ist für mich - ohne weitere Erläuterung - schlicht Populismus und in sich wenig tragbar. In wie weit decken sich etwa die reinen Vernichtungslager ab '41/'42 mit kapitalistischen Prinzipien? Das NS-Regime hatte nicht lediglich die Ausbeutung, sondern die Vernichtung jegliches "lebensunwertes Lebens" zum Ziel. Wo findet sich bei der industriellen Vernichtung hier die 'Wertschöpfung' (im Vergleich zur Ausbeutung / Versklavung)?
Wolfgang Walk
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Wolfgang Walk »

W8JcyyU hat geschrieben:Wo findet sich bei der industriellen Vernichtung hier die 'Wertschöpfung' (im Vergleich zur Ausbeutung / Versklavung)?
Jenseits von Goldzähnen, Lampenschirmbespannungen sowie großflächiger, entschädigungsloser Enteignung von Millionen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtung_durch_Arbeit" onclick="window.open(this.href);return false;

Zitat: "Die durchschnittliche Lebenserwartung eines jüdischen Häftlings im Arbeitseinsatz betrug weniger als vier Monate."

Dass der Kapitalismus mit seiner - historisch ausreichend gesicherten - Unterstützung faschistischer Strukturen (teilweise sogar durch Putschunterstützung gegen gewählte, demokratische Systeme) langfristig letztlich auch seine eigene Vernichtung betreibt, ist da nur ein scheinbarer Widerspruch. Davon hat er sich noch nie abhalten lassen. Wenn dem NICHT so wäre, würde der Kapitalismus nicht die Lebensgrundlagen der Menschheit riskieren. Die kurzfristige Gier wischt den Nachhaltigkeitsgedanken unwirsch beiseite, weil der den ganzen Skandal des Kapitalismus in sich trägt: auf Kosten folgender Generationen zu leben. Etwas, das so gut wie nie jemand auf diesem Planeten je offen zugegeben hat.
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W8JcyyU
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von W8JcyyU »

Extermination camp (Vernichtungslager): "Todeslagers were designed specifically for the systematic killing of people delivered en masse by the Holocaust trains. The executioners did not expect the prisoners to survive more than a few hours beyond arrival [...]"

Hier die Unterscheidung zwischen Konzentrations- und Vernichtungslager. Das erstere sich aus kapitalistischen Prinzipien ableiten lassen, keine Frage. Zwangsarbeit, Enteignung, Verwertung jeglicher menschlicher Überreste. Vernichtungslager dahingegen konzentrieren sich alleine auf die Vernichtung. Sogar die Existenz als Arbeitssklave wird abgesprochen.

Wäre der Nationalsozialismus eine kapitalistische Ideologie, müsste das Verhältnis zwischen der vermeintlichen "Herrenrasse" und etwa Juden nicht mehr dem Verhältnis US-amerikanischer Plantagenbesitzer und schwarzer Sklaven gleichen? Auch dort findet sich Ausbeutung und Zwangsarbeit, aber (unentgeltliche) Tötungen widersprechen dem eigenen Ziel.

Ähnlich bei der Rassenhygiene. Die Unterscheidung zwischen Slawen und Juden (Lebensraum im Osten): "[...] dazu sollte mit dem Generalplan Ost ein Großteil der nordischen Slawen innerhalb dreier Jahrhunderte assimiliert, der Rest nach Sibirien vertrieben werden oder als Arbeitssklaven eingehen." Erstere können assimiliert werden bzw. als Arbeitssklaven existieren. Dem Juden wird selbst diese Dimension entzogen.
Wolfgang Walk
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Wolfgang Walk »

Die IG Farben ließ in Auschwitz für sich arbeiten. Todeslager und Vernichtung-durch-Arbeitslager lassen sich da kaum mehr sauber voneinander trennen. Und nein, das Verhältnis Jude-Nazi war ein anderes als das des Sklavenbesitzers in den USA zu seinem Sklaven. Für die Versklavung hatten die Nazis die slawischen Völker vorgesehen. Die heißen ja schon so.

Und die enge Verquickung von deutschen Kapitalisten und Nationalsozialismus kann ja niemand ernsthaft bestreiten. Den sozialistischen Anteil haben die Nazis spätestens mit dem Röhmputsch ziemlich auf Null gefahren. Nicht ein größerer Betrieb wurde in Deutschland verstaatlicht, die jüdischen Vermögen an private Unternehmer verteilt. Siehe Neckermann.
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Sebastian Solidwork
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Ich sehe das etwas genereller:
Die Um- und Ungleichverteilung des Kapitalismus ist schon dehumanisierend. Und damit sehe ich ihn als die Grundlagen für den Nationalismus.
Dem Kapitalismus (als spezielle Form der Marktwirtschaft) geht es nur ums Kapital. Menschen zählen nur solange sie mehr Kapital bringen. Wertschöpfung hat hier nur dem Kapital zu dienen.
Aufgrund der ökonomischen Ungleichverteilung kommen Menschen auf schädliche kommunalistische Ideen und wollen sich und ihre Gruppe bevorteilen.
Die eigene Gruppe zu bevorteilen mag ja der normale Selbsterhaltungstrieb sein. Wird aber heutzutage durch den Kapitalismus ins Extrem verzerrt und pervertiert.

Speisen sich nicht alle Konflikte aus Ungleichverteilungen?
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W8JcyyU
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von W8JcyyU »

Wolfgang Walk hat geschrieben: Und die enge Verquickung von deutschen Kapitalisten und Nationalsozialismus kann ja niemand ernsthaft bestreiten. Den sozialistischen Anteil haben die Nazis spätestens mit dem Röhmputsch ziemlich auf Null gefahren. Nicht ein größerer Betrieb wurde in Deutschland verstaatlicht, die jüdischen Vermögen an private Unternehmer verteilt. Siehe Neckermann.
Schlussendlich ging es nicht darum die Wechselwirkungen zu bestreiten. Viel mehr, ob Kapitalismus Teil der nationalsoz. Ideologie ist oder bloßer Nutznießer. Für mich entspricht das Verhältnis und Umgang mit Sklaven in den US mehr kapitalistischen Prinzipien denn der Nationalsozialismus, aus den dargelegten Gründen. Dass sich beide Systeme wunderbar miteinander einigen konnten, will und wollte ich nicht bestreiten.
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Wolfgang Walk »

W8JcyyU hat geschrieben:
Wolfgang Walk hat geschrieben: Und die enge Verquickung von deutschen Kapitalisten und Nationalsozialismus kann ja niemand ernsthaft bestreiten. Den sozialistischen Anteil haben die Nazis spätestens mit dem Röhmputsch ziemlich auf Null gefahren. Nicht ein größerer Betrieb wurde in Deutschland verstaatlicht, die jüdischen Vermögen an private Unternehmer verteilt. Siehe Neckermann.
Schlussendlich ging es nicht darum die Wechselwirkungen zu bestreiten. Viel mehr, ob Kapitalismus Teil der nationalsoz. Ideologie ist oder bloßer Nutznießer.
Dass Kapitalismus untrennbarer Teil der nazistischen Ideologie ist, das lässt sich schon deshalb nicht bestreiten, weil es eben nur ein Beispiel für nazistische Ideologie gibt: Deutschland 33-45. Wenn wir über Faschismus im Allgemeinen reden: nein, der geht auch antikapitalistisch.

Aber wir hatten ja selbst Teil 1 nicht mal behauptet. Die Frage war doch, inwieweit faschistische Individuenverachtung auch Teil des Kapitalismus ist (und sich u.a. im Spiel im Grinding abbildet). Und ich glaube, so rum gesehen lässt sich schwer argumentieren, dass der Kapitalismus in jedem Fall sich schützend vor die Freiheit des Individuums wirft. Dem geht es ja nur um Geld. Deshalb heißt er ja so. Die Mittel, mit denen das Geld verdient wird, sind per Definition zweitrangig - und werden kaum ideologisch betrachtet. Weder im individualistischen noch im kommunalistischen Sinn.
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Sebastian Solidwork
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Wolfgang Walk hat geschrieben: ... Die Frage war doch, inwieweit faschistische Individuenverachtung auch Teil des Kapitalismus ist (und sich u.a. im Spiel im Grinding abbildet). Und ich glaube, so rum gesehen lässt sich schwer argumentieren, dass der Kapitalismus in jedem Fall sich schützend vor die Freiheit des Individuums wirft. Dem geht es ja nur um Geld. Deshalb heißt er ja so. Die Mittel, mit denen das Geld verdient wird, sind per Definition zweitrangig - und werden kaum ideologisch betrachtet. Weder im individualistischen noch im kommunalistischen Sinn.
Sebastian Solidwork hat geschrieben:Ich sehe das etwas genereller:
Die Um- und Ungleichverteilung des Kapitalismus ist schon dehumanisierend. Und damit sehe ich ihn als die Grundlagen für den Nationalismus.
Dem Kapitalismus (als spezielle Form der Marktwirtschaft) geht es nur ums Kapital. Menschen zählen nur solange sie mehr Kapital bringen. Wertschöpfung hat hier nur dem Kapital zu dienen.
Aufgrund der ökonomischen Ungleichverteilung kommen Menschen auf schädliche kommunalistische Ideen und wollen sich und ihre Gruppe bevorteilen.
Die eigene Gruppe zu bevorteilen mag ja der normale Selbsterhaltungstrieb sein. Wird aber heutzutage durch den Kapitalismus ins Extrem verzerrt und pervertiert.

Speisen sich nicht alle Konflikte aus Ungleichverteilungen?


Schön zu sehen, dass unsere beiden Absätze sich inhaltlich gleichen. Das sehe ich als gute Grundlage um das folgende zu klären.
Wolfgang Walk hat geschrieben:Es gibt auf diesem Planeten keine Reinformen von kommunalistischer oder individualistischer Freiheit. Der Mensch ist schon biologisch ein Gruppentier - und nimmt sich dennoch immer auch als von der Gruppe getrennt wahr. In diesem nicht auflösbaren Konflikt liegt seine Größe als Pionier - und sein Elend als Brudermörder. Erlösung gäbe es erst, wenn es ihm gelänge, aus freiem Willen das eine oder andere fahren zu lassen. Und beides würde dann wahrscheinlich zur Auslöschung der Spezies führen.

Wir sind gefangen im ständig notwendigen Aushandeln des Sozialvertrags. Unsere individuell gefühlte Freiheit findet im Rahmen dieses Vertrages statt - und sonst nicht. Auch das ist es, was die Regeln eines Spiels reflektieren.
Kann es sein, dass deine Prognose stark von der aktuellen kapitalistischen Situation geprägt ist?
Ich sehe diesen Konflikt prinzipiell, in Form einer Synthese beider Aspekte, als auflösbar an. Ohne dafür die Menschheit dafür opfern zu müssen.
Das Zusammenspiel beider Aspekte ist klar Stärke wie Schwäche. Welches von beidem ist, ist für mich vom Kontext abhängig.
Erlösung werden wir erfahren wenn Menschen sich nicht mehr fürchten brauchen und sich nicht mehr, zum Schutz ihrer selbst, in die ein oder andere, teils pervertierte, Form der Freiheit flüchtet. Sondern jeder Mensch frei(er) wählen kann welche ihm die bevorzugte Freiheit ist ohne dafür andere Menschen zu der jeweiligen zu zwingen.
Der Kapitalismus ist für mich auch nur ein temporäres Phänomen und überwindbar. Wir haben schon so vieles geschafft und werden, mit einhergehenden temporären Rückschlägen, auch das schaffen.
Hier können und hoffentlich auch werden Spiele einen wertvollen Beitrag leisten. Sie können so wohl die aktuellen Probleme und Ursachen eingängig vermitteln so wie auch mögliche Lösungsansätze. Spiele sind ein Medium und ein Medium dient der Kommunikation :)
Was meinst du dazu Wolfgang? Ist dir meine Perspektive verständlich und ist sie auch etwas für dich?
„Schönheit ist auch immer ethisches Empfinden.“

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Wolfgang Walk
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Wolfgang Walk »

Sebastian Solidwork hat geschrieben:
Wolfgang Walk hat geschrieben:Es gibt auf diesem Planeten keine Reinformen von kommunalistischer oder individualistischer Freiheit. Der Mensch ist schon biologisch ein Gruppentier - und nimmt sich dennoch immer auch als von der Gruppe getrennt wahr. In diesem nicht auflösbaren Konflikt liegt seine Größe als Pionier - und sein Elend als Brudermörder. Erlösung gäbe es erst, wenn es ihm gelänge, aus freiem Willen das eine oder andere fahren zu lassen. Und beides würde dann wahrscheinlich zur Auslöschung der Spezies führen.

Wir sind gefangen im ständig notwendigen Aushandeln des Sozialvertrags. Unsere individuell gefühlte Freiheit findet im Rahmen dieses Vertrages statt - und sonst nicht. Auch das ist es, was die Regeln eines Spiels reflektieren.
Kann es sein, dass deine Prognose stark von der aktuellen kapitalistischen Situation geprägt ist?
Kaum. Dass der Mensch dem menschen Wolf ist, das hat schon Plautus vor 2200 Jahren bemerkt. Da gab's noch für weitere 1700 Jahre keinen Kapitalismus.
Sebastian Solidwork hat geschrieben:Ich sehe diesen Konflikt prinzipiell, in Form einer Synthese beider Aspekte, als auflösbar an. Ohne dafür die Menschheit dafür opfern zu müssen.
Das Zusammenspiel beider Aspekte ist klar Stärke wie Schwäche. Welches von beidem ist, ist für mich vom Kontext abhängig.
Erlösung werden wir erfahren wenn Menschen sich nicht mehr fürchten brauchen und sich nicht mehr, zum Schutz ihrer selbst, in die ein oder andere, teils pervertierte, Form der Freiheit flüchtet. Sondern jeder Mensch frei(er) wählen kann welche ihm die bevorzugte Freiheit ist ohne dafür andere Menschen zu der jeweiligen zu zwingen.
Der Kapitalismus ist für mich auch nur ein temporäres Phänomen und überwindbar. Wir haben schon so vieles geschafft und werden, mit einhergehenden temporären Rückschlägen, auch das schaffen.
Hier können und hoffentlich auch werden Spiele einen wertvollen Beitrag leisten. Sie können so wohl die aktuellen Probleme und Ursachen eingängig vermitteln so wie auch mögliche Lösungsansätze. Spiele sind ein Medium und ein Medium dient der Kommunikation :)
Was meinst du dazu Wolfgang? Ist dir meine Perspektive verständlich und ist sie auch etwas für dich?
Der Mensch fürchtet sich nicht mehr und ausschließlich wegen äußerer Umstände. Wenn dem so wäre, dann hätten wir längst die Welt erlöst. Materialismus ist nur ein teil einer erfolgreichen Welterklärung. Zuerst kommt das Essen, dann die Moral: damit lag Brecht zwar richtig. Aber er hätte auch nie behauptet, dass mit dem Essen die Moral zwangsläufig kommt. Wäre dem so, gäbe es keine Banker, gäbe es keinen obszönen Reichtum, gäbe es keine Multimilliardäre, die Politiker und politische Systeme kaufen, um noch mehr Milliarden anzuhäufen.

Ich denke nicht, dass die Welt erlösbar ist. Was nicht heißt, dass wir sie nicht verbessern können.
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Sebastian Solidwork
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Re: Wortreich: Games und die Freiheit

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Wolfgang Walk hat geschrieben:
Sebastian Solidwork hat geschrieben:Kann es sein, dass deine Prognose stark von der aktuellen kapitalistischen Situation geprägt ist?
Kaum. Dass der Mensch dem menschen Wolf ist, das hat schon Plautus vor 2200 Jahren bemerkt. Da gab's noch für weitere 1700 Jahre keinen Kapitalismus.
Stimmt, da war mein Horizont zu klein. Ungleichverteilung von Gütern gibt es schon deutlich länger.

Wolfgang Walk hat geschrieben:
Sebastian Solidwork hat geschrieben:Ich sehe diesen Konflikt prinzipiell, in Form einer Synthese beider Aspekte, als auflösbar an. Ohne dafür die Menschheit dafür opfern zu müssen.
Das Zusammenspiel beider Aspekte ist klar Stärke wie Schwäche. Welches von beidem ist, ist für mich vom Kontext abhängig.
Erlösung werden wir erfahren wenn Menschen sich nicht mehr fürchten brauchen und sich nicht mehr, zum Schutz ihrer selbst, in die ein oder andere, teils pervertierte, Form der Freiheit flüchtet. Sondern jeder Mensch frei(er) wählen kann welche ihm die bevorzugte Freiheit ist ohne dafür andere Menschen zu der jeweiligen zu zwingen.
Der Kapitalismus ist für mich auch nur ein temporäres Phänomen und überwindbar. Wir haben schon so vieles geschafft und werden, mit einhergehenden temporären Rückschlägen, auch das schaffen.
Hier können und hoffentlich auch werden Spiele einen wertvollen Beitrag leisten. Sie können so wohl die aktuellen Probleme und Ursachen eingängig vermitteln so wie auch mögliche Lösungsansätze. Spiele sind ein Medium und ein Medium dient der Kommunikation :)
Was meinst du dazu Wolfgang? Ist dir meine Perspektive verständlich und ist sie auch etwas für dich?
Der Mensch fürchtet sich nicht mehr und ausschließlich wegen äußerer Umstände. Wenn dem so wäre, dann hätten wir längst die Welt erlöst. Materialismus ist nur ein teil einer erfolgreichen Welterklärung. Zuerst kommt das Essen, dann die Moral: damit lag Brecht zwar richtig. Aber er hätte auch nie behauptet, dass mit dem Essen die Moral zwangsläufig kommt. Wäre dem so, gäbe es keine Banker, gäbe es keinen obszönen Reichtum, gäbe es keine Multimilliardäre, die Politiker und politische Systeme kaufen, um noch mehr Milliarden anzuhäufen.

Ich denke nicht, dass die Welt erlösbar ist. Was nicht heißt, dass wir sie nicht verbessern können.
Mir geht es nicht nur um die rein materielle Ungleichverteilung. Sondern auch von Macht und Freiheiten.
Kapitalismus ist erstmal eine Machtumverteilung. Die materielle dann eine Folge davon.
Lässt das meinen Text in einem anderen Licht erscheinen?

Vermutlich habe ich mit "Erlösung" in meinem Text das falsche Wort gewählt bzw. anderes interpretiert als du.
Generell bin ich bei dir, dass es nie ein 100% Lösung geben wird. Es gilt eine soziale Ordnung zu erschaffen in der jeder möglichst zu seinem Recht kommt und seine persönliche Freiheit ausleben kann ohne anderen zu schaden.
Dieses Ordnung will erschaffen und gehalten werden. Sobald sich zu wenige darum kümmern wird sie zusammen brechen. Jedes System braucht seine Wartung.

Und da nichts von Dauer ist, wird auch diese Ordnung irgendwann wieder vergehen. Und die Geschichte wird sich ähnlich wiederholen.
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