Videospiele und Genozide

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Don Mchawi
Beiträge: 414
Registriert: 8. Nov 2017, 08:44

Videospiele und Genozide

Beitrag von Don Mchawi »

Moin,

angeregt durch die aktuellen Diskussionen um Wolfenstein und auch den jüngst erschienenen Gamestarpodcast zum Thema Holocaust in Spielen dachte ich mir, dass das vielfach ob seines Niveaus gelobte beste Spieleforum ein geeigneter Ort wäre, im größeren Rahmen darüber zu diskutieren. In der Ausgabe zu Wolfenstein haben ja auch Jochen und Andre schon das Thema angesprochen (und auch früher mal), entsprechend wurde ein wenig im Wolfenstein-Thread hier im Forum diskutiert.

Da mich persönlich das Spiel selbst gar nicht reizt, wohl aber die Diskussion, dachte ich, ich extrahiere mal das Thema und eröffne einen eigenen Thread dazu.
Der Titel verrät es: Ich würde mich dabei auch gerne von dem Fokus auf die Shoah lösen und generell über die Darstellung von Genoziden in Spielen sprechen. Was nicht heißt, dass diese hier keine Rolle spielen soll.

Ohne Zweifel ist die Shoah in Europa und Nordamerika der präsenteste und greifbarste Genozid. Keiner von uns muss geschichtsinteressiert sein, um ihre Singularität, wichtige Pfeiler des Ablaufes und für sie elementare Orte zu kennen.
Entsprechend stark reagieren wir auf bestimmte Schlagwörter, die wir mit ihr verbinden.
Und entsprechend abstoßend wirkt es auf uns, dieses massive Leid für reine Unterhaltungszwecke instrumentalisiert zu sehen.
Können Spiele die Shoah angemessen darstellen? Darf ein Spiel, dass die Shoah thematisiert Spaß machen? Kann ein Spiel ohne Spaß funktionieren - Filme beispielsweise laufen passiv ab, bei Spielen müssen wir aktiv handeln, damit es weitergeht. Das ist schwerer, wenn wir eigentlich gar nicht wollen, dass es weitergeht.

Und: Würden wir die Fragen anders beantworten, wenn es um einen anderen Genozid geht?
Würde es uns leichter fallen, einen Genozid in einem Spiel zu behandeln, der zeitlich (z.B. an den Armeniern 1915-17), geographisch (z.B. an den Herero in Namibia, damals Deutsch-Südwestafrika 1904-08) oder kulturell (z.B. an den Tutsi 1994 in Ruanda) weit entfernt scheint? Wäre das überhaupt ehtisch vertretbar, wenn wir lockerer mit einem Völkermord umgehen, nur weil wir weniger über diesen wissen?
Welche Bedingungen müsste ein Spiel, der Spieler, die Lokalität und der Genozid erfüllen, damit daraus etwas Gutes werden könnte?


Das sind ein paar der Fragen, zu denen mich ein Austausch interessieren würde - und die ich selbst nicht alle für mich bisher beantworten kann.
Ist natürlich ein großes, weites Thema; aber auch ein interessantes und relevantes. Vielleicht entsteht ja eine fruchtbare Diskussion.
Setzt gerne die Diskussion des Wolfensteinthreads hier fort, dort ging es ja zuletzt auch um vom Spiel selbst losgelöste Aspekte, etwa die filmische Aufarbeitung in Inglourious Basterds oder Das Leben ist schön.
Sanity Assassin
Beiträge: 315
Registriert: 4. Feb 2017, 14:23

Re: Videospiele und Genozide

Beitrag von Sanity Assassin »

Don Mchawi hat geschrieben:Können Spiele die Shoah angemessen darstellen? Darf ein Spiel, dass die Shoah thematisiert Spaß machen? Kann ein Spiel ohne Spaß funktionieren - Filme beispielsweise laufen passiv ab, bei Spielen müssen wir aktiv handeln, damit es weitergeht. Das ist schwerer, wenn wir eigentlich gar nicht wollen, dass es weitergeht.
Grundsätzlich: klar. Ich könnte mir zum Beispiel einen Walking Simulator o.ä. gut vorstellen, der so etwas wie einen geplanten KZ-Ausbruch thematisiert, oder den Aufstand im Warschauer Ghetto. Historische Beispiele gäbe es genug. Es gäbe da in der spielerischen Umsetzung meines Erachtens vor allem zwei wichtige Aspekte:
1. Man sollte vermutlich aufpassen, das Narrativ nicht zu sehr durch "spaßiges" Gameplay zu konterkarieren - deshalb das Beispiel des Walking Simulators. Bzw. müsste "spaßiges" Gameplay vernünftig eingebettet sein, zum Beispiel in Rückblenden (an eine Zeit, in der die Spielfigur selbst noch Spaß erleben konnte).
2. Auch narrativ sollte man, solange der Spieler eingreifen kann, einen Grad an bzw. eine Illusion von Eigenwirksamkeit und Hoffnung erhalten. Klar kann man (sollte man?) ein realistisch-negatives Ende der Story erzählen, aber ein Spiel, das von vornherein den Eindruck vermittelt, dass die Lage der Spielfigur aussichtslos und unveränderbar ist, bietet auch wenig Anreiz zum Spielen abseits des grundlegenden Szenarios. Im Übrigen deckt sich das wiederum auch mit der Realität, wo Hoffnung in ausweglosen Situationen ja mitunter die einzig verbleibende Motivation des eigenen Handelns sein kann.

Inhaltlich bietet das Thema natürlich Fallstricke wie kein anderes, vermutlich müsste man da eng mit entsprechenden Experten, Stiftungen etc. zusammenarbeiten, um das überhaupt angehen zu können. Von ethischen Problemen bei Sachen wie Monetarisierung ganz abgesehen (ist es angebracht, mit einem Spiel über den Holocaust Geld zu verdienen?). An der Stelle könnte man sich vermutlich viel bei filmischen Umsetzungen wie "Schindlers Liste" abschauen, die das Thema auch erfolgreich aufgegriffen haben.
Meiner Meinung nach wäre es ein wichtiger Schritt für das Medium, wenn es solche Szenarien irgendwann nicht nur karikiert und oberflächlich, sondern auch ernsthaft und tiefgehend aufgreifen könnte.
Stuttgarter
Beiträge: 1634
Registriert: 31. Dez 2016, 22:39

Re: Videospiele und Genozide

Beitrag von Stuttgarter »

Erster kleiner Denkanstoß - die besten Filme über den Holocaust sind jene, die so wenig wie möglich zeigen. Das "Urteil von Nürnberg" von 1961 fällt mir da als erstes ein - aber auch "Zug des Lebens". Die Literaturkritikerin Löffler kritisierte "Schindlers Liste" dafür, dass er zu oft für Tränen sorge - und Tränen letztlich ein Genuss seien. Das konnte ich so bei dem Film nicht nachvollziehen - er hat für mich ein ganz anderes Problem: er funktioniert genau ein einziges Mal, beim ersten Schauen. Da sind die ganzen Schockszenen furchtbar - aber sie funktionieren danach nie wieder. Die beste Szene in "Schindlers Liste" ist hingegen jene, in der in einem Zug Juden, die deportiert werden sollen, versichert wird, ihr Gepäck komme in einem anderen Zug nach - Kameraschwenk in einen Nebenraum, wo die SS (?) bereits dabei ist, die Koffer nach Wertsachen zu durchsuchen.

Kleiner allgemeinerer Ausblick - das Grauen ist immer dann besonders verstörend, wenn es nicht zu deutlich gezeigt wird. Siehe "Der weiße Hai": Spielberg hatte keinen überzeugenden Hai. Deshalb hat er bis zum Finale darauf verzichtet, ihn zu zeigen. Dadurch ist ihm ein Meisterwerk des Horrors gelungen.

Ein Spiel müsste in der Lage sein, durch Andeutungen, Symbolik, Nebensächlichkeiten die Geschichte von Opfern zu erzählen. Das ganze sensibel, ohne Holzhammer. (Oder als Gegenthese: so wie der Brachialhammer am Ende von "Zug des Lebens". Wer den Film kennt, weiß, was ich meine - alle anderen: Anschauen. Das Ende zu spoilern wäre ein riesiges Verbrechen.) Oben wurden Walking Simulatoren schon als mögliches Genre genannt - Adventures könnten auch eine Möglichkeit sein. Was vermutlich nicht funktionieren wird, ist alles, was irgendwie auf Action rausläuft. Da - analog zu Löfflers Tränen-Satz - jede erfolgreich absolvierte Action-Passage schon wieder zu Befriedigung führen würde.

Befriedigung ist okay - wenn ich in einem "Wolfenstein" quasi als "Rache" einen Nazi nach dem anderen um die Ecke bringe. Scheiße ja, das ist befriedigend. In einem Spiel, das aber tatsächlich sich auf die Opfer statt die Täter konzentrieren will, wäre diese Befriedigung absolut falsch.
Don Mchawi
Beiträge: 414
Registriert: 8. Nov 2017, 08:44

Re: Videospiele und Genozide

Beitrag von Don Mchawi »

So erstmal sorry, dass ich meinen eigenen Thread solange verwaist zurück ließ, war etwas eingebunden - witzigerweise habe ich in der Zeit sogar Schindlers Liste nochmal gesehen, im Rahmen eines vorbereitenden Seminars für ostafrikanische Freiwillige, die für ein Jahr nach Deutschland gehen werden. Dort ist Rassismus natürlich immer ein großes Thema und in dem Kontext logischerweise auch die deutsche Geschichte um die NS-Zeit.
Ich würde gar nicht unbedingt sagen, dass Schindlers Liste nur beim ersten Mal gucken funktioniert. Die Szene, die du beschreibst, ist aber auf jeden Fall eine der stärksten im Film. Grundsätzlich würde ich auch mit dir mitgehen, dass die meisten Szenen dann stark sind, wenn sie nicht explizit den Akt selbst zeigen, aber deutlich machen, was passiert. Ich würde da aus dem Bauch raus noch zwei weitere Szenen aus Schindlers Liste nennen, einmal in Auschwitz, in der einfach der Schornstein raucht, während eine Schlange von Menschen vor der Tür steht. Sicher die richtige Entscheidung, nicht die Vergasung selbst zu zeigen. Finde ich immer wieder sehr eindringlich. Und das Mädchen im roten Mantel, das kurz während der Räumung des Krakauers Ghetto auftaucht, dann nicht mehr gezeigt wird - bis zu der Szene, in der die Leichen jenes Massakers verbrannt werden. Dadurch, dass das alles halb im Hintergrund passiert, fällt es vielen beim ersten Mal sehen gar nicht auf, lässt sich aber immer viel drüber diskutieren und interepretieren. Klar gibt es ein paar Schocker, die man schon kennt ('ein einarmiger Schlosser'), trotzdem finde ich das an die Dichte und Atmosphäre von Schindlers Liste kaum ein anderer Film rankommt. Es ist aber natürlich ein Film, der sich an den Mainstream richtet, zynisch könnte man sagen ein Blockbuster-Holocaust-Film.
Danke für den Tipp mit 'Zug des Lebens', den habe ich tatsächlich noch nicht gesehen, werde ich mal bei Gelegenheit nachholen.

Stuttgarter hat geschrieben: Ein Spiel müsste in der Lage sein, durch Andeutungen, Symbolik, Nebensächlichkeiten die Geschichte von Opfern zu erzählen. Das ganze sensibel, ohne Holzhammer. (Oder als Gegenthese: so wie der Brachialhammer am Ende von "Zug des Lebens". Wer den Film kennt, weiß, was ich meine - alle anderen: Anschauen. Das Ende zu spoilern wäre ein riesiges Verbrechen.) Oben wurden Walking Simulatoren schon als mögliches Genre genannt - Adventures könnten auch eine Möglichkeit sein. Was vermutlich nicht funktionieren wird, ist alles, was irgendwie auf Action rausläuft. Da - analog zu Löfflers Tränen-Satz - jede erfolgreich absolvierte Action-Passage schon wieder zu Befriedigung führen würde.

Befriedigung ist okay - wenn ich in einem "Wolfenstein" quasi als "Rache" einen Nazi nach dem anderen um die Ecke bringe. Scheiße ja, das ist befriedigend. In einem Spiel, das aber tatsächlich sich auf die Opfer statt die Täter konzentrieren will, wäre diese Befriedigung absolut falsch.
Das ist eben die Frage (bzw. eine von vielen), was würde ein solches Spiel erreichen wollen.
Wenn ich spontan an wichtige Filme über die Shoah denke, fallen mir vor allem drei ein: Die Serie Holocaust, die das Thema erstmal abseits von Gerichtsprozessen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machte - einer in weiten Teilen kaum vorgebildeten Öffentlichkeit. Quasi Aufklärung durch Unterhaltung.
Dann der erwähnte Schindlers Liste, die erstmals ganz große Emotionen für den Mainstream mit dem Thema verknüpfte.
Und dann 'Shoah' von Lanzmann, der eine zehnstündige Dokumentation schuf, die ein wichtiges Zeugnis ist.
Zu einem Zeitpunkt von Schindlers Liste behaupte ich, war die allgemeine Aufklärung im Vergleich zu den Siebzigern (Serie 'Holocaust') über die Shoah schon deutlich vorangeschritten, von uns beschriebene Andeutungen wie die Koffer am Bahnhof oder der Schornstein in Auschwitz reichten völlig aus, um das Publikum verstehen zu lassen.
Ein Spiel, das dieser Tradition folgte, wäre mit guten Andeutungen wie du sagst sicher am besten beraten.
Aber ich glaube ein Spiel könnte auch die Funktion von 'Holocaust' übernehmen: Einem Publikum, das zwar von einem entsprechenden Genozid gehört hat, aber vielleicht nicht so tief in der Materie steckt, um Andeutungen voll zu begreifen. Und dieses Publikum sensibilisieren, auf das Thema aufmerksam machen. Dann müsste es allerdings expliziter sein als nur in Andeutungen. Meine damit natürlich nicht, dass ständig Menschen erschossen oder verstümmelt werden müssen, auch hier, nicht alles zeigen. Aber deutlich machen, was passiert. Beispielsweise reicht für uns ein Schornstein über Auschwitz, um auf den Anfang meines Posts zurückzukommen, den ostafrikanischen Freiwilligen reicht das häufig nicht - da fehlt es an Vorwissen. In dem Fall sprechen wir darüber. Von einem Spiel ausgehend, das ohne Betreuer seinen Spielern etwas vermitteln möchte, müsste mehr als ein Schornstein zu sehen sein. Nicht unbedingt viel, aber wenn der Spieler mitbekäme, das regelmäßig Menschen dort hinein gehen, Rauch aufsteigt, und niemand herauskommt, das würde beispielsweise ausreichen, wäre aber schon mehr als nur eine Andeutung.

Interessant wäre auch die Frage, ob ein Spiel als eine Dokumentation funktionieren könnte. Womit wir bei Lanzmann wären, sicher ein besonders intensives Beispiel, aber vielleicht im kleineren Rahmen. Eine Art Adventure mit einer Reise beispielsweise als Thema, eine Reise nach Polen, bei der wir Orte besuchen und dort wahre Informationen bekommen. Weiß nicht, ob das funktionieren würde.
Bringt mich aber auf eine vielleicht geschickte Idee, das Thema Genozid als Spiel aufzugreifen: in rückblickender Perspektive. Dass wir den Genozid nicht live erleben, sondern in irgendeiner Form beispielsweise in der Gegenwart mit Leuten sprechen, Fotos sehen, Videos, Rätsel lösen. Keine Ahnung, Adventures scheinen grundsätzlich sicher das logischste Genre zu sein.

Was ich mir zum Beispiel auch als Setting vorstellen könnte: Blauhelmsoldat der UN während des Genozids in Ruanda 1994. Dazu kurz zur Erläuterung, zu jener Zeit gab es die größte Friedensmission ihrer Zeit in Ruanda, die durch internationale Diplomatie aber während der Tötungen nicht eingreifen durfte, obwohl diese vor ihren Augen geschahen. Ein sehr spannendes uns kontroverses Thema, das bis heute enorm wichtig für die internationale Politik im Kontext von militärischen Auslandseinsätzen ist (wie oft der Ruandavergleich (unangebrachterweise) bei Syrien etc fällt in Diskussionen darüber). Auch eine spannende Perspektive, man möchte eingreifen, kann es nicht, wie geht man damit um, was bedeutet das für die Menschen im Land etc. Ich glaube da könnte man etwas richtig richtig Gutes draus machen. Ich hätte gerade total Lust, so ein Projekt zu verwirklichen. Hab aber keine Ahnung von Programmieren etc :lol:
Naja, ich lasse meine Gendanken vielleicht gerade auch zu frei schweifen.

Sanity Assassin hat geschrieben: Grundsätzlich: klar. Ich könnte mir zum Beispiel einen Walking Simulator o.ä. gut vorstellen, der so etwas wie einen geplanten KZ-Ausbruch thematisiert, oder den Aufstand im Warschauer Ghetto.
Eine Idee wäre zB auch etwas wie Son of Saul, also die Arbeit in einem sogenannten Sonderkommando in einem Vernichtungslager, also von inhaftierten Juden, die gezwungen die Leichen ihrer Mithäftlinge entsorgen und weitere Aufgaben 'hinter der Kulisse' übernehmen. Glaube, da könnte man auch etwas daraus machen.
Historische Beispiele gäbe es genug. Es gäbe da in der spielerischen Umsetzung meines Erachtens vor allem zwei wichtige Aspekte:
1. Man sollte vermutlich aufpassen, das Narrativ nicht zu sehr durch "spaßiges" Gameplay zu konterkarieren - deshalb das Beispiel des Walking Simulators. Bzw. müsste "spaßiges" Gameplay vernünftig eingebettet sein, zum Beispiel in Rückblenden (an eine Zeit, in der die Spielfigur selbst noch Spaß erleben konnte).
Das glaube ich wird die schwerste Herausforderung. Einen emotional harten Film lasse ich weiterlaufen, muss nicht aktiv daran teilnehmen. Ein emotional hartes Spiel muss mich immernoch in der Lage halten, aktiv weiterzuspielen. Und, ich stimme dir zu, sollte trotzdem nicht 'Spaß' im herkömmlichen Sinne machen. Rückblenden sind eine gute Idee, sowohl charakterliche Tiefe hineinzubringen als auch notwendige Verschnaufpausen vom Terror, durch die man als Spieler am Ball bleiben kann.
2. Auch narrativ sollte man, solange der Spieler eingreifen kann, einen Grad an bzw. eine Illusion von Eigenwirksamkeit und Hoffnung erhalten. Klar kann man (sollte man?) ein realistisch-negatives Ende der Story erzählen, aber ein Spiel, das von vornherein den Eindruck vermittelt, dass die Lage der Spielfigur aussichtslos und unveränderbar ist, bietet auch wenig Anreiz zum Spielen abseits des grundlegenden Szenarios. Im Übrigen deckt sich das wiederum auch mit der Realität, wo Hoffnung in ausweglosen Situationen ja mitunter die einzig verbleibende Motivation des eigenen Handelns sein kann.
Weiß ich nicht, zunächst einmal kann eine zu hoffnungsvolle und positive Darstellung natürlich schnell verharmlosend wirken.
Ist die Frage, welche Rolle der Spieler einnimmt. Und was Hoffnung ist. :D Reicht der Wunsch nach Überleben? Kann nicht vielleicht gerade ein Spiel als Medium einen immer gleichen, sinn- und aussichtlosen Alltag darstellen? Stichwort Grinden. Ich könnte mir zum Beispiel auch eine Art Survivalspiel vorstellen, alleine oder mit anderen in weißrussischen Wäldern oder armenischen Bergen versteckt.
Inhaltlich bietet das Thema natürlich Fallstricke wie kein anderes, vermutlich müsste man da eng mit entsprechenden Experten, Stiftungen etc. zusammenarbeiten, um das überhaupt angehen zu können.
Wäre gut, ja.... würde mich auch echt interessieren, was beispielsweise Yad Vashem zu dem Thema sagen würde, ob sie sich schonmal damit auseinandergesetzt haben.
Das wäre übrigens eine weitere interessante Frage; müsste ein Genozidspiel aus der Gruppe der Betroffenen dieses Genozids kommen? Oder könnte genauso gut ein amerikanisches Entwicklerstudio die Herero in Namibia thematisieren - ohne das Thema einfach nur auszuschlachten oder gar rassistisch zu besetzen?
Von ethischen Problemen bei Sachen wie Monetarisierung ganz abgesehen (ist es angebracht, mit einem Spiel über den Holocaust Geld zu verdienen?). An der Stelle könnte man sich vermutlich viel bei filmischen Umsetzungen wie "Schindlers Liste" abschauen, die das Thema auch erfolgreich aufgegriffen haben.
In dem Fall würde ich klar mit ja antworten, allerdings unter der Bedingung, dass nicht der entsprechende Genozid als Event oder Marketinggag im Vordergrund steht, sondern die inhaltliche und/oder emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema wirklich Kerngedanke und -ziel des Spiels ist.
Ich finde es auch vollkommen legitim, wenn ein Paul Celan für seine Gedichte Geld erhält, ein Schlink seinen Vorleser verkauft oder eben auch ein Lanzmann von seinen Dokumentationen leben kann.
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesen Themen ist ein Zugewinn für die Gesellschaft und darf auch bezahlt werden.
Meiner Meinung nach wäre es ein wichtiger Schritt für das Medium, wenn es solche Szenarien irgendwann nicht nur karikiert und oberflächlich, sondern auch ernsthaft und tiefgehend aufgreifen könnte.
Denke ich auch - und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Ideen kommen mir, wie ein Spiel solche Themen repsektvoll und mit Mehrgewinn angehen könnte.
Antiidiotika
Beiträge: 73
Registriert: 17. Apr 2017, 15:51

Re: Videospiele und Genozide

Beitrag von Antiidiotika »

Ich denke, dass erstmal um auf die Frage welcher Genozide am ehesten funtioniert, es wichtig ist, dass man ihn versteht und nachvollziehen kann.
Den Holocaust kennt jeder von uns deshalb funktioniert er auch besser, als beispiel das Armenienmassakar oder andere Dinge. Als ich beispielsweise Bioshock Infinite spielte, war mir Wounded Knees nie ein wirklicher Begriff, ebenso die Pinkerton Agentur. Erst durch recherchieren und nachlesen wurde mir etwas besser klar, was das denn überhaupt bedeutet und denoch tue ich mir schwer, es nachzuvollziehen.

Auch schwer ist es, eben das Ganze als solches zu beleuchten und das in einem Videospiel. Filme haben es ja sehr einfach, sie erzählen einfach eine Geschichte und lassen es ihren Zuschauer passiv betrachten. Sie erzeugen lediglich dadurch Gefühle. Ein gutes Spiel bindet aber den Spieler durch die Verzahnung wesentlich immersiver und besser, als es Filme könnten. Die wenigsten Filme schaffen, was ein The Last of Us im Prolog schafft und spätestens mit der Schlussszene der ersten Jahreszeit schafft es auch TLoU, Resignation und Gleichgültigkeit zu transportieren und damit mich zu erreichen.

Als Spiel ist es genau deshalb schwer eben einen halbwegs spielbaren Einblick in einen Genozide zu zeigen.
Da würde am ehesten noch eine Flucht-Sim im Telltale Gewand oder im Gameplay und Technikgewand eines bsw. Fallout 1 funktionieren (also Isoperspektive und alles Anklicken). Dabei den Storyfaden füllen dürfte weniger das Problem sein, aber eher das Gameplay. TT Spiele haben da von vornherein den Vorteil eh nur Quicktime-Ausweichen und Antworten auswählen zu bieten.
Einen Walking Sim, ja okay, aber bei diesen Walking-Sims, das hat für mich eher auch nur etwas von einem seichten Film, den ich so schnell anschauen kann, wie ich will, aber wenig von einem Spiel. Wobei ich selbst schon bei TT Bauchweh habe, von einem Spiel zu sprechen.

Eine andere aber sehr heikle Möglichkeit wären da eher noch Strategiespiele. Ein KZ Sim, um es jetzt mal auf die Spitze zu treiben bietet noch am ehesten Gameplay und Storymögglichkeiten, wär aber insgesamt sehr präkar und muss Vorsichtig sein, einen schmalen Grad zwischen „Spielspaß“ (im Sinne von, es hat Abwechslung und lässt sich länger spielen) und „ethnisch scheiße“ zu beschreiten.

„Herr Kommandant, der erste Zug mit Juden kam an, wir müssen ein paar Auswählen, die helfen, der Rest kommt in die Gaskammern“ - >>Wähle 5 Juden aus<< - >>Stecke den Rest in die Gaskammer<<

Äh, ja... Wie gesagt heikle, vorallem aber ist es im Gegenstz zu einem Civ halt letzlich ein Spiel, in dem man Massenvernichtung nachspielen würde und dürfte da wegen der Prämisse schon recht bald jedem Spieler sauer aufstoßen.
In einem historischen Strategiespiel, dass sich eben nicht auf diese spezielle Thematik konzentriert begeht man ja durchaus auch sehr viele skrupellose Verbrechen.
In einem Age of Empire und Co. ist das ganze aber wieder sehr abtrakt und für uns eher wieder unbegreifbarer. Wenn man mal vergleicht, wie verharmlost bsw. eine Belagerung oder das töten von Dorfbewohnern in AoE ist, im Vergleich zur Antike und das auf oben erwähntes KZ Sim Spiel extrapoliert, bliebe nicht viel, was letzlich noch einen Genozid bzw. den Holocaust aufarbeiten würde. Aber es wäre „spielbar“, aber belanglos.

Meiner Meinung nach ist das eben ein Gebiet, auf dem sich Spiele schwer tuen, ein Spiel zu bieten, dass nicht entweder jedem Spieler nach kurzer Zeit verleidet, weil es eine extreme Thematik abbildet, die mir sauer aufstoßen muss, um zu wirken, mich also abschreckt oder so weichgespült oder abstrakt ist, dass es belanglos ist. Und letzlich bliebe noch die Problematik des Gameplay, mir fiele da nicht viel ein, dass nicht an eine der beiden obrigen Probleme stößt. Aber am ehesten noch ein Fluchsim im TT Stil oder Iso/Ego Perspektive.
Don Mchawi
Beiträge: 414
Registriert: 8. Nov 2017, 08:44

Re: Videospiele und Genozide

Beitrag von Don Mchawi »

Antiidiotika hat geschrieben:Ich denke, dass erstmal um auf die Frage welcher Genozide am ehesten funtioniert, es wichtig ist, dass man ihn versteht und nachvollziehen kann.
Den Holocaust kennt jeder von uns deshalb funktioniert er auch besser, als beispiel das Armenienmassakar oder andere Dinge. Als ich beispielsweise Bioshock Infinite spielte, war mir Wounded Knees nie ein wirklicher Begriff, ebenso die Pinkerton Agentur. Erst durch recherchieren und nachlesen wurde mir etwas besser klar, was das denn überhaupt bedeutet und denoch tue ich mir schwer, es nachzuvollziehen.
Das wäre eben wieder der Aspekt, ob das entsprechende Spiel ein bekanntest Thema emotional aufgreifen möchte oder auf ein neues Thema aufmerksam machen bzw dafür sensibilisieren möchte. Ich könnte mir auch sehr gut vorstellen, dass eben einer der im Globalen Norden unbekannteren Genozide ein gutes Thema sein könnte; eben da das Spiel dadurch einen echten Mehrwert hätte und ganz simpel auch storytechnisch per se noch viel Neues drin steckt. Allerdings müsste sich das Spiel dessen bewusst sein, will sagen im Falle eines unbekannteren Völkermordes müsste das Spiel den entsprechenden Hintergrund mitliefern bzw aus dem Spiel heraus erklären.
Bioshock habe ich nicht gespielt, aber ich glaube dort waren es ja mehr Andeutungen, mit denen die Themen aufgegriffen wurden. Das eigentliche Setting war ja sehr abstrakt.
Eine andere aber sehr heikle Möglichkeit wären da eher noch Strategiespiele. Ein KZ Sim, um es jetzt mal auf die Spitze zu treiben bietet noch am ehesten Gameplay und Storymögglichkeiten, wär aber insgesamt sehr präkar und muss Vorsichtig sein, einen schmalen Grad zwischen „Spielspaß“ (im Sinne von, es hat Abwechslung und lässt sich länger spielen) und „ethnisch scheiße“ zu beschreiten.

„Herr Kommandant, der erste Zug mit Juden kam an, wir müssen ein paar Auswählen, die helfen, der Rest kommt in die Gaskammern“ - >>Wähle 5 Juden aus<< - >>Stecke den Rest in die Gaskammer<<
Ich glaube, dass ein Strategiespiel nicht funktionieren würde, da Strategiespiele zwar in Zwischensequenzen, Missionsbeschreibungen etc Story erzählen können, aber wohl das stärkste Speilmechanik-getriebene Genre sind. Immersion ist wichtig, aber ob ein Strategiespiel taugt entscheidet wirklich nur die Spielmechanik und dadurch ist das Thema immer recht abstrakt dargestellt. Einen KZ-Manager gab es ja schon mal (oder sogar mehrere), das dürfte aber sicher nicht der richtige Weg sein... Am ehesten könnte ich mir noch eine Art Oskar Schindler Wirtschaftssimulation vorstellen, a la verwalte und baue eine funktionierende Fabrik und rette dabei so viele Juden wie möglich. Aber auch da wäre die Judenrettung soetwas wie Siegpunkte sammeln, sehr makaber. Ich kann mir persönlich kein Strategiespiel vorstellen, das dieses Thema sinnvoll aufgreifen könnte... Dafür steht wie gesagt die Spielmechanik zu sehr im Vordergrund und das Genre zielt zu sehr auf.....Spaß.
Äh, ja... Wie gesagt heikle, vorallem aber ist es im Gegenstz zu einem Civ halt letzlich ein Spiel, in dem man Massenvernichtung nachspielen würde und dürfte da wegen der Prämisse schon recht bald jedem Spieler sauer aufstoßen.
In einem historischen Strategiespiel, dass sich eben nicht auf diese spezielle Thematik konzentriert begeht man ja durchaus auch sehr viele skrupellose Verbrechen.
In einem Age of Empire und Co. ist das ganze aber wieder sehr abtrakt und für uns eher wieder unbegreifbarer. Wenn man mal vergleicht, wie verharmlost bsw. eine Belagerung oder das töten von Dorfbewohnern in AoE ist, im Vergleich zur Antike und das auf oben erwähntes KZ Sim Spiel extrapoliert, bliebe nicht viel, was letzlich noch einen Genozid bzw. den Holocaust aufarbeiten würde. Aber es wäre „spielbar“, aber belanglos.
Was wiederum echt ein interessanter Gedanke ist... tatsächlich begehen Strategiespieler so manchen Genozid, nur dass es nie beim Namen genannt wird. Wenn ich dran denke, wie oft ich ganze Reiche in Civ niedergebrannt und die Städte ausradiert habe, was ist das anderes als ein Völkermord. Oder wenn ich in Europa Universalis Einheimische in Amerika und Afrika töte, um dort meine Kolonien nicht Überfällen (die ja eigentlich eine Verteidigung sind) ausgesetzt zu sehen...
Aber genau das ist eben wieder der Punkt, es sind reine spielmechanische Entscheidungen, die ich ja fälle. Teilweise bestraft mich ein Civ, wenn ich Städte nicht nieder brenne, was schon sehr komisch ist, wenn man mal drüber nachdenkt.
Wie oft ich in Hearts of Iron mit Deutschland Polen und die Sowjetunion angegriffen habe, klammere ich hier mal ganz aus.
Wie gesagt... Strategiespiele sind sehr abstrakt, Immersion, ja, teilweise auch Identifikation mit meinem Reich, aber wirklich emotional...selten. Glaube daher kein Genre, um einen Genozid wirklich als zentrales Spielthema aufzugreifen.
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