Runde #141: Zensur

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W8JcyyU
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von W8JcyyU »

Wurde das nicht so ähnlich zur Gründungszeit der Grünen schon mal probiert? Auf eine Art und Weise, für die Leute wie Cohn-Bendit noch heute kritisiert werden?
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Andre Peschke
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Andre Peschke »

W8JcyyU hat geschrieben:Wurde das nicht so ähnlich zur Gründungszeit der Grünen schon mal probiert? Auf eine Art und Weise, für die Leute wie Cohn-Bendit noch heute kritisiert werden?
Zeigt evtl. nur, dass die Gesellschaft durchaus ein mächtiges Kontrollinstrument hat (Stigmatisierung, Ausgrenzung etc) und es daher nicht direkt ein staatliches Verbot braucht. Das ist ja wie mit der Meinungsfreiheit: Alles sagen zu dürfen bedeutet nicht, dass man nicht die Konsequenzen für seine Aussagen zu tragen hat.

Andre
Jochen

Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Jochen »

W8JcyyU hat geschrieben:Wurde das nicht so ähnlich zur Gründungszeit der Grünen schon mal probiert? Auf eine Art und Weise, für die Leute wie Cohn-Bendit noch heute kritisiert werden?
Im Falle der Grünen ging's ja nicht um einen gesellschaftlichen Konsens im Hinblick auf Kunst oder Darstellungen, sondern darum, dass ein (kleiner) Teil der Partei relativ offen Sex mit Kindern/Jugendlichen praktizierte und die Legalität einforderte. Das ist eine andere Hausnummer als das, was André hier ansprichst.
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Heretic
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Heretic »

Andre Peschke hat geschrieben:Sprich: Wenn es eine sehr breite Masse von Menschen absolut inakzeptabel findet, wenn ein Spiel explizit Kindesmissbraucht darstellt - ist es dann gerechtfertigt das die Gesellschaft sagt "das wollen wir nicht, unsere Volksvertretung möge das verbieten"? Oder sollte sie sagen: Die Freiheit der Kunst wiegt so schwer, dass wir es zwar vielleicht am Ende mit unseren sozialen Mitteln (gesellschaftlich) ächten, aber es soll nicht verboten sein. Oder zumindest soll es nicht kategorisch verboten sein, muss aber bestimmte Mindeststandards erfüllen (ähnlich Sozialadäquanz).
Grundsätzlich würde ich sagen: letzteres. Verbote haben früher schon nicht richtig funktioniert (man denke nur an die Horrorfilmdebatte in den Achtzigern und deren Auswüchse - hat man die Filme halt kopiert oder im Ausland bestellt), und in Zeiten des Internets werden sie noch weniger funktionieren. Die Frage ist eher, ob ein Spiel, das eine Aussage treffen möchte, eine explizite Darstellung von Kindesmissbrauch überhaupt nötig hätte. Ich würde behaupten: Nein. Man kann auch allein mit Andeutungen und ohne schockierende Darstellungen ein relevantes Werk schaffen, das seinen Standpunkt klarmacht. Eine allgemeingültige Grenze bei der Darstellung zu finden wäre ohnehin unmöglich. Man nehme z. B. Adrian Lynes Verfilmung von Nabokovs "Lolita" aus dem Jahr 1997. Einige Kritiker werfen dem Film vor, er wäre in seiner Darstellung nicht drastisch genug und würde das Thema Kindesmissbrauch verharmlosen. Andere stören sich an Jeremy Irons' Darstellung des Literaturprofessors Humbert, der über weite Strecken sympathisch rüberkommt und eher Opfer seiner Triebe in Verbindung mit einem Jugendtrauma ist. Wieder Andere bezeichnen schon Nabokovs Roman als pädophiles Machwerk. Gerade bei diesem schwierigen Thema kochen die Gemüter gerne über, und der Künstler muss sich garantiert darauf einstellen, dass ihm niedere Beweggründe unterstellt werden.
Wolfgang Walk
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Wolfgang Walk »

Andre Peschke hat geschrieben:Sprich: Wenn es eine sehr breite Masse von Menschen absolut inakzeptabel findet, wenn ein Spiel explizit Kindesmissbraucht darstellt - ist es dann gerechtfertigt das die Gesellschaft sagt "das wollen wir nicht, unsere Volksvertretung möge das verbieten"? Oder sollte sie sagen: Die Freiheit der Kunst wiegt so schwer, dass wir es zwar vielleicht am Ende mit unseren sozialen Mitteln (gesellschaftlich) ächten, aber es soll nicht verboten sein. Oder zumindest soll es nicht kategorisch verboten sein, muss aber bestimmte Mindeststandards erfüllen (ähnlich Sozialadäquanz).
Da hätte ich mal ein paar Fragen, Herr Lehrer? ;-)
- Wo begänne die "sehr breite Masse"? 50%, 2/3? 90% (selbst dann wollten immer noch 8,3 Mio das Kunstwerk sehen ...)
- Wie sähe die Meinungsbildung aus? Stellt Infratest die 2/3-Mehrheit per Umfrage fest oder gibt es dann immer ne Volksabstimmung?
- Und wer bestimmt, was sozial adäquat ist? Das BVerfG hat da ja auch schon spektakulär daneben gelegen.
- Und: dürfte man die teilweise durchaus verheerende bundesdeutsche Rechtsgeschichte in dem Fall als Beleg vor Gericht anführen, dass dem BVerfG in solchen Fragen die notwendige Kompetenz nur mit erheblichen Zweifeln zusprechbar ist?
zackzackab
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Re: RE: Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von zackzackab »

Wolfgang Walk hat geschrieben:


- Wo begänne die "sehr breite Masse"? 50%, 2/3? 90% (selbst dann wollten immer noch 8,3 Mio das Kunstwerk sehen ...)

- Wie sähe die Meinungsbildung aus? Stellt Infratest die 2/3-Mehrheit per Umfrage fest oder gibt es dann immer ne Volksabstimmung?


Iudex non calculat. Genaue Erhebungen würden das BVerfG in dem Zusammen kaum interessieren, wenn es dazu käme, dass es abwägen müsste, ob und ggf in welcher Form odwr oder unter welchen Voraussetzung konkrete Kunstwerke im öffentlichen Raum ausgestellt werden dürfen.
Wolfgang Walk hat geschrieben:
- Und wer bestimmt, was sozial adäquat ist? Das BVerfG hat da ja auch schon spektakulär daneben gelegen.


Also in der jüngeren Rechtsgeschichte fällt mir kein Urteil des BVerfG ein, das gemessen am heutigen Verständnis der Menschenrechte eine katastrophale Fehlentscheidug gewesen wäre. Das BVerfG ist ein Spruchkörper, hat keine einer Person vergleichbare Kontinuität in Ansichten und Kompetenzgrenzen. Den heutigen Richten unrühmliche Kapitel der Geschichte vorhalten zu wollen, ist in etwa so legitim, wie die Nachkriegsgenerationen unmittelbar für die Verbrechen der NS - Zeit verantwortlich zu machen.
Wolfgang Walk hat geschrieben:

- Und: dürfte man die teilweise durchaus verheerende bundesdeutsche Rechtsgeschichte in dem Fall als Beleg vor Gericht anführen, dass dem BVerfG in solchen Fragen die notwendige Kompetenz nur mit erheblichen Zweifeln zusprechbar ist?
Aus den genannten Gründen imho: nein.
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Ines
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Re: RE: Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Ines »

Wolfgang Walk hat geschrieben:Also Ärmel hoch und auf geht's!
Ja genau! Ich hatte im Nachdenken über Trigger-Warnungen schon die düstere Vision einer Welt, in der Opfer ihre Erfahrungen nur noch hinter Psychiatriemauern (künstlerisch) darstellen dürfen, weil die Gesellschaft signalisiert, dass sie Intensität und Brutalität dieses Ausdruckes nicht mehr ertragen will.
Wolfgang Walk hat geschrieben:
Claudine_Salome hat geschrieben:Die Frage ist ja vielmehr inwieweit es angemessen ist, ein solches Werk so zu gestalten, dass ein kommerziell erfolgreiches Produkt entsteht. Da sind dann wieder die Herrschaften Kritiker gefragt. Da wir ja bei Spielen auch von Kulturförderung reden, kann die Frage der kommerziellen Verwertbarkeit aber vielleicht ja auch irgendwann mal in den Hintergrund treten.
Da bin ich mir nicht sicher. Kunst, sogar die ganz große, über jeden Zweifel erhabene, ist immer auch schon und sogar vor allem als Auftragswerk entstanden. Michelangelo hat die sixtinische Kapelle ja nicht im Rahmen einer Hausbesetzung angemalt. Insofern würde ich die kommerzielle Verwertung von Kunst vom Diskurs darüber, was Kunst darf, komplett abtrennen. Solange Kunst intellektuell wahrhaftig ist, darf sie alles. Sogar verkäuflich sein. Verliert sie ihre Ehrlichkeit, dann korrumpiert sie sich ohnehin, egal, ob sie dann besser verkäuflich ist oder nicht. Wird sie zum reinen Schauwert, ist die Grenze zur Pornografie sowieso nicht mehr weit (ich möchte hier "Pornografie" aus dem rein sexuellen Kontext rausgelöst verstanden wissen).

Klar ist aber auch, dass an der Stelle eine angemessene Kulturförderung korruptionshemmend wirken kann.
Ich meinte damit auch eher, dass die Art der Darstellung in der Rezeption zu thematisieren, zu kritisieren und zu problematisieren ist.
Andre Peschke hat geschrieben:
Claudine_Salome hat geschrieben:Mich lässt die Frage danach, was Kunst darf, noch nicht ganz los und ich habe in dem Zusammenhang mal in einem Katalog zu einer Ausstellung mit Kunst von Psychiatrieerfahrenen geblättert. Da werden natürlich Missbrauch und Gewalt künstlerisch thematisiert und natürlich darf Kunst das.
Ich glaube, da muss man wieder unterscheiden. Das Kunst alle Themen aufgreifen darf, ist klar. Kontrovers wird es halt, wenn sie dabei nicht nur das tabuisierte Thema aufgreift, sondern sich ihm zu stark annähert. Ich weiß nicht, ob es im Rahmen dieser Ausstellung schon Werke gab, in denen sich der Künstler zu einer wenig abstrakten Darstellung entschlossen hat. Aber selbst im Film wird Kindesmissbrauch i.a.R. indirekt (off screen) dargestellt. Sicher auch aus den von Wolfgang erwähnten Erwägungen bzgl. Zumutbarkeit für junge Darsteller. Aber sicherlich auch, weil das jede Schmerzgrenze eines möglichen Publikums ggf. überschreitet. Die Diskussion geht also eher darum, wie weit Kunst in der Art und Weise gehen darf, in der sie ein Thema aufgreift.
Es handelt sich größtenteils um Gemälde und Zeichnungen. Die sind nicht besonders detailliert und sie sind auch zu einem gewissen Maße abstrakt, haben teilweise die Anmutung von Kinderzeichnungen, aber sie sind zum Teil schon so explizit, dass auch ohne Bildunterschrift kein großer Interpretationsspielraum darüber besteht, was darauf zu sehen ist. Was sie nicht sind, ist schön. Das wäre dann die nächste Frage: darf man ein schönes Bild, was explizit zum Beispiel Kindesmissbrauch problematisiert, einem öffentlichen Publikum zugänglich machen? Das klingt jetzt absurd, aber aus der Therapie kenne ich durchaus solche Sachen, die werden gemacht, sie sind aber erstmal nicht für die Öffentlichkeit gedacht.
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Andre Peschke
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Andre Peschke »

Wolfgang Walk hat geschrieben:Da hätte ich mal ein paar Fragen, Herr Lehrer? ;-)
Da sage ich das gleiche, wie im Podcast: Auf irgendeinem Weg sind wir ja auch schon zu der Einschätzung gelangt, dass wir es verbieten, wenn jemand öffentlich seinen Lümmel vorzeigen will. Ein Prozess scheint ja schon zu existieren. Ich würde vermuten: Unsere Volksvertreter einigen sich mehrheitlich darauf, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen.

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Wolfgang Walk
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Re: RE: Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Wolfgang Walk »

zackzackab hat geschrieben:
Wolfgang Walk hat geschrieben:


- Wo begänne die "sehr breite Masse"? 50%, 2/3? 90% (selbst dann wollten immer noch 8,3 Mio das Kunstwerk sehen ...)

- Wie sähe die Meinungsbildung aus? Stellt Infratest die 2/3-Mehrheit per Umfrage fest oder gibt es dann immer ne Volksabstimmung?


Iudex non calculat. Genaue Erhebungen würden das BVerfG in dem Zusammen kaum interessieren, wenn es dazu käme, dass es abwägen müsste, ob und ggf in welcher Form odwr oder unter welchen Voraussetzung konkrete Kunstwerke im öffentlichen Raum ausgestellt werden dürfen.


Den Zusammenhang mit dem öffentlichen Raum hatte Andre, auf den sich meine Frage bezog, aber gar nicht hergestellt.
zackzackab hat geschrieben:
Wolfgang Walk hat geschrieben:
- Und wer bestimmt, was sozial adäquat ist? Das BVerfG hat da ja auch schon spektakulär daneben gelegen.


Also in der jüngeren Rechtsgeschichte fällt mir kein Urteil des BVerfG ein, das gemessen am heutigen Verständnis der Menschenrechte eine katastrophale Fehlentscheidug gewesen wäre. Das BVerfG ist ein Spruchkörper, hat keine einer Person vergleichbare Kontinuität in Ansichten und Kompetenzgrenzen. Den heutigen Richten unrühmliche Kapitel der Geschichte vorhalten zu wollen, ist in etwa so legitim, wie die Nachkriegsgenerationen unmittelbar für die Verbrechen der NS - Zeit verantwortlich zu machen.


Ich verweise noch mal auf das Urteil, das ich weiter oben zitiert habe, und das genau eines belegt: "Soziale Adäquanz" ist ein Bewertungskriterium, bei dem es historische Belege (NACH WK2!) gibt, dass auch das BVerfG massiv daneben liegen kann. Es geht nicht darum, den heutigen Richtern was vorzuhalten, es geht nur darum darauf hinzuweisen, dass dies ein Bewertungskriterium ist, das mit großer Vorsicht zu genießen und entsprechend zurückhaltend anzuwenden wäre, solange es ja doch eigentlich relativ klar formulierte Rechtsnormen gibt, die man ebenfalls heranziehen kann. Soziale Adäquanz kann ich schlicht auf der Basis einiger Expertenmeinungen behaupten.
zackzackab hat geschrieben:
Wolfgang Walk hat geschrieben:

- Und: dürfte man die teilweise durchaus verheerende bundesdeutsche Rechtsgeschichte in dem Fall als Beleg vor Gericht anführen, dass dem BVerfG in solchen Fragen die notwendige Kompetenz nur mit erheblichen Zweifeln zusprechbar ist?
Aus den genannten Gründen: nein.
Aus den genannten Gründen: Doch.
snoogie
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von snoogie »

Andre Peschke hat geschrieben:
Wolfgang Walk hat geschrieben:Da hätte ich mal ein paar Fragen, Herr Lehrer? ;-)
Da sage ich das gleiche, wie im Podcast: Auf irgendeinem Weg sind wir ja auch schon zu der Einschätzung gelangt, dass wir es verbieten, wenn jemand öffentlich seinen Lümmel vorzeigen will. Ein Prozess scheint ja schon zu existieren. Ich würde vermuten: Unsere Volksvertreter einigen sich mehrheitlich darauf, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen.

Andre

Achtung, es folgen steile Thesen:

Selbst die Sachen, auf die sich unsere Volksvertreter im Parlement geeinigt haben, dass sie verboten sind, können Kunst und damit erlaubt sein.

Siehe z.B.: http://www.sueddeutsche.de/kultur/verfa ... -1.2466053" onclick="window.open(this.href);return false;

Der Kontext ist einfach sehr sehr sehr entscheidend in genau der Einschätung ob etwas Kunst ist oder nicht, auch Jan Böhmermann kann davon ein Lied singen.

Von daher bin ich der Meinung: Kunst darf alles.
Hier sind wir aber wieder bei der Frage was denn Kunst ist... Und darüber entscheidet im Zweifelsfall ein Gericht.
Egal wie ein solches Urteil ausfällt, ob es als Fehlurteil bewertet wird oder nicht wird es Künstler aber nicht davon abhalten weiter ihre Kunst zu machen. Es gibt weltweit soviele Künster die unter Repressionen leben und mit Strafen leben weil sie in oder mit ihrer Kunst Sachen zeigen und machen, die "der Staat" als strafrechtlich relevant findet, die aber international hoch angesehen sind, und die es immer wieder machen werden, der Kunst wegen.


Ist es also auch irgendwo eine Aussage, dass kein "Gamekünstler" die sprichwörtlichen Eier in der Hose hat da mal eine Grenze zu überschreiten, das Videospiele noch keine "richtige" Kunstform sind?
Wolfgang Walk
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Wolfgang Walk »

snoogie hat geschrieben: Ist es also auch irgendwo eine Aussage, dass kein "Gamekünstler" die sprichwörtlichen Eier in der Hose hat da mal eine Grenze zu überschreiten, das Videospiele noch keine "richtige" Kunstform sind?
Ist das so? Da draußen gibt es so viele interaktive Sachen, die wir gar nicht kennen, von denen wir nie hören. Oder beklagen wir uns nur, dass kein AAA-Game das tut? Und wenn wir das tun: Welcher groß und teuer produzierte Kinofilm hat denn in den letzten 30 Jahren so ein Fass aufgemacht. Und hier reden wir ja definitiv von einer voll entwickelten Kunstform.

Ich habe in den letzten Jahren Games zu so ziemlich jedem Thema gesehen, von Todesstrafe über Gun Control bis hin zu Flüchtlingen, Bürgerkrieg, Krebs und dem Sterben an sich. Oft nur in ganz kleinem Rahmen, ohne Aussicht auf Publisher-Kontrakte. Nicht alles war geglückt, aber ich würde jetzt mal ganz einfach behaupten, dass thematisch kontroverse Games in den letzten 10 Jahren mehr Publikum erreicht haben als ebensolche Filme, die ja meist unter Selbstausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Und einige dieser Games waren sogar richtig erfolgreich: Orwell, This War of Mine, Papers, Please, The Dragon Cancer ...
snoogie
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von snoogie »

Natürlich ist es nicht so, das war eher die steile These, ich stimme dir da absolut zu Wolfang :)

Ich liebe solche Spiele ja auch, gerade die kleinen Spiele die ich eher als Kunst und/oder Erfahrung bezeichnen würde.
Was ich trotzdem interessant finde:

Wenn ein Jonathan Meese so etwas macht, dann findet das in den Medien statt. Ich habe von noch keinem Kunstspiel gelesen oder gehört was eine Grenzüberschreitung gewagt hat mit der Intention gerichtlich klären zu lassen: dieses Spiel ist Kunst. Darum ging es mir.

Ich wollte jedoch keineswegs absprechen, dass Videospiele Kunst sein können oder sind.
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lolaldanee
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von lolaldanee »

Weil es grade zum Thema Zensur ganz gut passt:
China scheint ab jetzt alle sozialen Features von Steam zu zensieren. Dadurch ist auch der Steam Workshop und seine Mods betroffen. Der Staat da ist so autoritär, es ist immer wieder erstaunlich. Die chinesischen Anzüge scheinen selbst davor Panik zu haben, dass Spieler von der Freiheit Spiele so ändern zu können wie sie wollen, auf falsche Gedanken kommen :P
Ist natürlich Unfug, sie haben halt Angst davor, dass es z.B eine böse Mod geben könnte, die Tibet bei Civ spielbar macht, oder ähnliches das in China verboten ist, bzw vor dem unkontrollierten sozialen Austausch der über die Platform stattfinden könnte.

Zumindest ist da drüben die Frage was Kunst darf leicht zu beantworten: Den Staat und seine Anzüge toll finden


Mich würde es ja schon mal jucken ein Spiel zu entwickeln in dem man wirklich einem Zensor aus jedem möglichen Staat auf die Füße tritt bei dem es nur irgendwie geht. Quasi ein Spiel zu entwickeln, das in sovielen Ländern verpönt wird wie möglich, um ein bisschen auf die Dämlichkeit diverser Regeln hinzuweisen.
Ich stelle mir das dann in etwa so vor:
Man spielt einen schwulen (Russland) Menschenrechtler (Türkei, und noch viele andere), der in einer Naziuniform mit Hakenkreuz (Deutschland) von Pakistanisch-Kashmir aus (Indien) aufbricht um Tibet zu befreien (China) indem er dort fleißig mit Drogen dealt (Australien). Der Auftraggeber im Spiel ist Mohammed (Diverse Staaten) der einem im Namen von Jehova (Israel) seine Aufträge gibt. :violin:

:twisted: Weitere Vorschläge was noch zu addieren wäre werden gerne angenommen
Wolfgang Walk
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Registriert: 8. Aug 2016, 20:11

Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Wolfgang Walk »

lolaldanee hat geschrieben:
:twisted: Weitere Vorschläge was noch zu addieren wäre werden gerne angenommen
Er sollte unter 21-Jährige in den USA zum Alkoholkonsum anleiten und ihnen raten, dabei keine Waffen zu tragen.
Zuletzt geändert von Wolfgang Walk am 19. Dez 2017, 15:58, insgesamt 1-mal geändert.
Jochen

Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Jochen »

Mach doch einen transsexuellen Menschenrechtler mit großen nackten Brüsten draus, dann hast du Russland UND die die USA mitgenommen.
meisterlampe1989

Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von meisterlampe1989 »

Andre Peschke hat geschrieben: Zeigt evtl. nur, dass die Gesellschaft durchaus ein mächtiges Kontrollinstrument hat (Stigmatisierung, Ausgrenzung etc) und es daher nicht direkt ein staatliches Verbot braucht. Das ist ja wie mit der Meinungsfreiheit: Alles sagen zu dürfen bedeutet nicht, dass man nicht die Konsequenzen für seine Aussagen zu tragen hat.

Andre
Und genau das greift bei der Darstellung von (virtuellen) Sex mit Kindern. Gerade bei dem Thema würde sich die Kritik eben nicht nur an das Werk richten, sondern dem Künstler würden sicherlich niedere Beweggründe, z.B. eben, dass er sich daran aufgeilt, vorgeworfen. Und deswegen wird sich das auch nie jemand trauen.

Ich kenne das z.B. aus Social Media Diskussionen über Pädophilie. Wenn dort vermeldet wird, dass ein Kind missbraucht wurde, dann werden immer fürchterlich menschenverachtende Dinge darunter geschrieben. Dass man Pädophile aufhängen, kastrieren, vergasen sollte, am besten präventiv und auf dem Marktplatz etc.. Ich werbe dann für einen anderen Umgang mit Pädophilie, denn diese Stigmatisierung verhindert z.B. Prävention. Die ist möglich, wie viele Selbsthilfegruppen zeigen, in denen Pädophile ihre Neigungen unterdrücken. Außerdem ist so eine Stigmatisierung aus rein humanistischer Sicht unethisch, denn Pädophilie ist nichts, was sich diese Menschen ausgesucht haben.
Meine Einstellung ändert ja nichts daran, dass, wenn so eine Tat passiert, der Täter mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden soll.
Trotzdem kommt bereits nach wenigen Posts der Vorwurf, dass ich ja selber pädophil wäre. Das Thema ist einfach verbrannte Erde.

Übrigens gibt es bereits Gesetze, die Darstellung von Sex mit Kindern auch im virtuellen Raum verbieten. Ich glaube Du hast es bereits irgendwo hier im Thread geschrieben, aber es gibt ja auch den Straftatbestand, dass der Anschein einer kinder-bzw. jugendpornografischen Darstellung ausreicht. Das gibt es seit 2008. So eine Darstellung IST bereits illegal.
Andre Peschke hat geschrieben: Da sage ich das gleiche, wie im Podcast: Auf irgendeinem Weg sind wir ja auch schon zu der Einschätzung gelangt, dass wir es verbieten, wenn jemand öffentlich seinen Lümmel vorzeigen will.
Was aber eigentlich nicht verboten ist. Das Gesetz gegen die "Erregung öffentlichen Ärgernisses" umfasst nur sexuelle Handlungen. Man darf sich keinen in der Öffentlichkeit runter holen. Es gibt nur leider einige rückständige Menschen, die sich durch einen Lümmel so verstört fühlen, dass sie die Polizei rufen, wenn jemand nur nackt herumläuft. Da muss sich dann die Polizei mit der "Belästigung der Allgemeinheit" behelfen, kann maximal eine Ordnungswidrigkeit verhängen und einen Platzverweis erteilen.
Man darf per se nackt herumlaufen, nur irgendeiner regt sich halt immer auf.

Und selbst da kann man einen Bogen zur Kunst schlagen. Denn wenn es um Kunst geht, scheint auch Nacktheit im öffentlichen Raum niemanden mehr zu stören.
2014 hat bei der "Art Cologne" die Schweizer Performance-Künstlerin Milo Moire vor dem Gebäude eine Leinwand auf den Boden gelegt, sich dann mit Farbe gefüllte Eier vaginal eingeführt, ist auf eine Leiter geklettert und hat diese Eier dann "gelegt". Dadurch ist dann ein Gemälde entstanden.
Das Video ist zensiert, aber trotzdem: NSFW und Viewers Discretion is Advised: https://www.youtube.com/watch?v=wKFZOIv5sS0" onclick="window.open(this.href);return false;

Das würde den Straftatbestand der "Erregung öffentlichen Ärgernisses" erfüllen und das, was wir sonst in der Öffentlichkeit dulden deutlich übersteigen. Kunst scheint also bei vielen Menschen die Toleranz zu steigern, auch Grenzen zu überschreiten, die eigentlich gesellschaftlich verankert sind.
Aber bei dem Thema Kindesmissbrauch hört es halt auf.
snoogie
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von snoogie »

meisterlampe1989 hat geschrieben: Was aber eigentlich nicht verboten ist. Das Gesetz gegen die "Erregung öffentlichen Ärgernisses" umfasst nur sexuelle Handlungen. Man darf sich keinen in der Öffentlichkeit runter holen. Es gibt nur leider einige rückständige Menschen, die sich durch einen Lümmel so verstört fühlen, dass sie die Polizei rufen, wenn jemand nur nackt herumläuft. Da muss sich dann die Polizei mit der "Belästigung der Allgemeinheit" behelfen, kann maximal eine Ordnungswidrigkeit verhängen und einen Platzverweis erteilen.
Man darf per se nackt herumlaufen, nur irgendeiner regt sich halt immer auf.

Und selbst da kann man einen Bogen zur Kunst schlagen. Denn wenn es um Kunst geht, scheint auch Nacktheit im öffentlichen Raum niemanden mehr zu stören.
2014 hat bei der "Art Cologne" die Schweizer Performance-Künstlerin Milo Moire vor dem Gebäude eine Leinwand auf den Boden gelegt, sich dann mit Farbe gefüllte Eier vaginal eingeführt, ist auf eine Leiter geklettert und hat diese Eier dann "gelegt". Dadurch ist dann ein Gemälde entstanden.
Das Video ist zensiert, aber trotzdem: NSFW und Viewers Discretion is Advised: https://www.youtube.com/watch?v=wKFZOIv5sS0" onclick="window.open(this.href);return false;

Das würde den Straftatbestand der "Erregung öffentlichen Ärgernisses" erfüllen und das, was wir sonst in der Öffentlichkeit dulden deutlich übersteigen. Kunst scheint also bei vielen Menschen die Toleranz zu steigern, auch Grenzen zu überschreiten, die eigentlich gesellschaftlich verankert sind.
Aber bei dem Thema Kindesmissbrauch hört es halt auf.

Kindesmissbrauch als Performancekunst kann ich mir auch beim besten Willen nicht vorstellen da man hierfür ja ein Kind bräuchte, welches rechtlich gar nicht in der Lage wäre zuzustimmen bei solch einer Performance mitzumachen und darüber hinaus wahrscheinlich auch nicht in der Lage wäre das eventuell zugrunde liegende Konzept dieser Kunstperformace (ich nehme hierfür jetzt einfach mal an es gäbe eins) zu verstehen (ich bin jetzt in der realen Welt und bei realen Personen).
Vielleicht tue ich der Gesellschaft unrecht aber viele Leute haben wahrscheinlich Schwierigkeiten die zugrundeliegenden Konzepte solcher Kunstperformances wie Milo Moire oder Marina Abromovic sie veranstaltet haben & veranstalten zu verstehen, wie sollte man da "sowas" verstehen.

Moderne Kunst überfordert ja schon viele.
meisterlampe1989

Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von meisterlampe1989 »

snoogie hat geschrieben: Kindesmissbrauch als Performancekunst kann ich mir auch beim besten Willen nicht vorstellen
Nur mal als Disclaimer: Darauf wollte ich nicht hinaus!

Es geht hier wenn überhaupt um eine virtuelle Darstellung; ein realer Kindesmissbrauch kann niemals Kunst sein, weil hier einem anderen Menschen schwerer Schaden zugefügt wird. Selbst wenn es "nur" geschauspielert ist, ist das Risiko groß, dass das Kind Schaden nimmt.
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Terranigma
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Terranigma »

meisterlampe1989 hat geschrieben:Man darf per se nackt herumlaufen, nur irgendeiner regt sich halt immer auf.
Das ist in der Tat ein guter Punkt. Ich habe da eher eine historische Perspektive auf das Thema, würde mich allerdings vorweg auch anschließen: Kunst darf alles. Oder eher: Kunst muss alles dürfen.


Die Frage, welche Instanz am Ende über Verbote entscheidet, erscheint mir irrelevant. Das Bundesverfassungsgerecht ist ein auch nur eine Instanz der Rechtssprechung, die an Gesetze gebunden ist, gleichzeitig sind es aber Menschen, die ausgehend von zeitgenössischen, persönlichen und allzu menschlichen Befindlichkeiten Recht sprechen. Ihre Legimität liegt alleine aufgrund ihres Amtes über meiner, oder jener von Wolfang, Andre, Jochen oder sonstwem. Gleichwohl bewegt man sich hier nahe an der Grenze zum Autoritätsargument, wo der Wahrheitsgehalt - hier eher: der Grad an Vernunft - sich nicht an der Aussage und ihrer Argumentation bemisst, sondern daran, wessen Mund sie aussprach. Die Frage, was Kunst im juristischen Sinne darf, das zu beurteilen liegt nicht an mir; dafür fehlt mir die Expertise. Die Frage allerdings, was Kunst im ethischen Sinne darf, die kann ein Bundesverfassungsrichter nicht kompetenter beantworten als jedweder andere. Ich tue mir aus historischer Perspektive auch schwer damit, die Rechtssprechung als zentrale Instanz zur Beantwortung ethischer Fragen zu konsultieren. Das ist nicht deren Metier. Wobei die Frage, z.B. zur Darstellung von Kinderpornografie, wohl im eigentliche Sinne nicht einmal eine ethische, sondern eine moralische Frage ist, d.h. sie zielt darauf an, was in der Gesellschaft als gut, anständig, sittlich, statthaft und ordentlich angesehen wird. Und das entscheidet nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern das moralische Bauchgefühl - und das wandelt sich historisch.

Als historische Beispiele, weshalb ich mir insb. die Vorstellung, dass deutsche Richter derartige Kompetenzen zugeschrieben werden, solch Bauchschmerzen bereitet. In den vergangenen Jahren hat das BVerfG in seiner Rechtssprechung mehrheitlich die Rechte von Homosexuellen gestärkt, mit Verweis auf das Grundgesetz. Noch 1957 entschied allerdings das BVerfG, dass der §§ 175 StGB, der gleichgeschlechten Sex unter Strafe stellte, nicht im Widerspruch zum GG stand. Kurz: im Jahre 2017 ergibt sich aus dem GG, dass rechtliche Ungleichbehandlungen von gleichgeschlechtlichen Paaren aufzuheben seien, während 60 Jahre zuvor dasselbe GG den damaligen Richtern keinen Anlass bot, den §§ 175 StGB als verfassungswidrig einzustufen. Der banale Grund, weshalb die Rechtssprechung sich derart geändert hat, liegt nicht in der Gesetzeslage, sondern in den Befindlichkeiten: die damaligen Richter des BVerfG kamen mehrheitlich aus CDU/CSU und bezogen sich in ihrer Rechtsbegründung u.a. auf das alte Testament, das Preußische Allgemeine Landrecht sowie die Constitutio Criminalis Carolina von 1532. Da fragt man sich natürlich schon so: WTF? Weiterhin liegen die Geburtsdaten der Richter im späten 19. Jhd. Kurz: Es war halt ein anderer Schlag Mensch gewesen, die genauso ihr Vorurteile, Befindlichkeiten, Vorlieben, Abneigungen, usw. pflegten wie jeder andere auch. Der Grund, dass Homosexualität heutzutage kein Tabu mehr ist, wurde insofern gegen die Rechtssprechung erstritten - nicht mit ihr - sodass ich die Frage, was Kunst dürfen sollte, niemals den Händen von Richtern anvertrauen würde.

Eine Gesellschaft sollte Schneid genug haben, das selbst ausdiskutieren zu können. Um den Bogen bzgl. nackt in der Gegend herumlaufen zu schlagen: die heutigen olympischen Spiele werden in Sportkleidung ausgetragen, ihre dokumentierten Anfänger vor ca. 3.000 Jahren wurden nackt ausgetragen. Nacktheit galt lange Zeit nicht als schamvoll. Oder anders gesagt: wenn das "Erregen öffentlichen Ärgernisses" darin besteht, dass Menschen sich - naja, warum halt auch immer - nackt auf der Straße zeigen, so ist dieses moralische Empfinden keine Naturkonstante. Vor langer Zeit war Nacktheit nicht derart mit Scham belegt. Schönes Beispiel sind heidnische Plastiken, die Brust, Vagina und Penis abgebildet sind, während christliche Plastiken späterer Zeiten den Menschen immerzu verhüllt darstellten. Moralische Befindlichkeiten wandeln sich. Sie sind regional und zeitlich begrenzt; heute ist's so, morgen vielleicht anders. Und das schließt selbst Kindesmissbrauch ein, Stichwort wäre da "Päderastie" im Altertum, was die sexuelle Beziehung zwischen einem Jungen - zumeist deutlich jünger als 18 Jahre - und einem älteren Mann beschreibt. Heutzutage würde dies zweifellos unter Kindesmissbrauch fallen.

Wenn man insofern sagt "Kunst darf alles" scheint mir das eine sehr ökonomische Haltung zu sein, weil man dann nicht im Zugzwang ist, Kunst ständig darauf abzuklopfen, ob sie mit gegenwärtigen moralischen Vorstellungen vereinbar ist, die übermorgen schon wieder ganz anders aussehen können. Moralische Vorstellungen, wohlgemerkt! Die ethischen Grenzen liegen natürlich dort, wo Menschen tatsächlich geschädigt werden. Dafür fällt mir bei Videospielen allerdings kein denkbares Beispiel ein.
Sitting quietly and doing nothing,
Spring comes, and the grass
grows by itself.
meisterlampe1989

Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von meisterlampe1989 »

Terranigma hat geschrieben:
meisterlampe1989 hat geschrieben:Man darf per se nackt herumlaufen, nur irgendeiner regt sich halt immer auf.
Das ist in der Tat ein guter Punkt. Ich habe da eher eine historische Perspektive auf das Thema, würde mich allerdings vorweg auch anschließen: Kunst darf alles. Oder eher: Kunst muss alles dürfen.
Ich glaube du vermischt da aber etwas. Denn auch ich sage: Kunst darf alles, aber nicht alles ist Kunst. Dass ich nicht dagegen wäre, wenn mir jemand auf der Straße nackt entgegen kommt, hat mit meinem toleranten Freiheitsbegriff zu tun, aber nicht, dass ich glaube, dass das Nacktsein per se eine künstlerische Aussage hat.

Kunst und Satire, von der ja auch gesagt wird sie dürfe alles, müssen eine Aussage haben. Etwas vermitteln, zum denken anregen.

Und ich bin deswegen auch kein Fan von der Theorie vom "Tod des Autors bzw. Künstlers". Gerade in Grenzfragen ist der Autor dafür ausschlaggebend, ob es akzeptiert wird, wenn eine Grenze überschritten wird oder nicht.

Wenn ich jetzt in die Stadt gehe und auf den Marktplatz kote und dann sage, der Haufen sei ein Kunstwerk und würde die Verrohung der Gesellschaft präsentieren, wäre ich eine halbe Stunde später mit einer Zwangsjacke in der Psychiatrie. Wenn das aber ein bekannter Performance-Künstler macht, steht der am nächsten Tag mit seiner provokanten und innovativen Performance-Art im Feuilleton einer großen deutschen Tageszeitung und bekommt vielleicht auch noch einen Preis.

Das Beispiel kann man beliebig weiter führen: Wenn ich eine Leinwand nehme und die wahllos mit Farbe bespritze und dann zu einem Museum gehe und dafür 10000€ verlange, lassen die die Hunde los. Kommt ein bekannter Maler, spricht man von großer Kunst.
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