Absolut, und ich würde ihm da auch nie einen Vorwurf draus machen, dass er sich nicht privilegiert fühlt. Es kann ja auch durchaus sein bzw. ist gar nicht unwahrscheinlich, dass er selbst zu einer anderen, in Deutschland weniger priviligierten Gruppe gehört (zB aus einer Familie ohne Erwerbstätigkeit).Jochen hat geschrieben: Das wäre natürlich der Idealzustand. Das Problem mit den Privilegien ist aber, dass sich wenige Menschen tatsächlich priviligiert fühlen. Das kann man freilich bedauern oder ändern wollen, aber der weiße, heterosexuelle Mann, der für den Mindestlohn Fenster putzt, wird sich wahrscheinlich nicht als priviligert begreifen.
Trotzdem würde ich ihn immer darin ermuntern, kontextbezogen sich mit den eigenen Privilegien auseinander zu setzen. Das Bewusstsein hierfür ist ja auch deshalb noch zu gering, weil es wirklich ein sehr junges Thema ist. Find ich auch logisch nachvollziehbar, die Welt war vor der Globalisierung in ihren Teilen wesentlich einheitlicher. Durch Zuwanderungen und Zusammenwachsen finde ich allerdings, dass eine Auseinandersetzung mit der eigenen Position (nicht unbedingt Rolle) in der Welt wirklich wichtig ist. Ich werde zB nie begreifen, warum die Frage nach der Herkunft oder das Anfassen von Haaren oder auch ab und an eine Passknotrolle für eine deutsche Person schwarzer Hautfarbe ein sehr greifbares Problem ist, wenn ich mich nie damit auseinander gesetzt habe, warum mir das nicht widerfährt.
Bereiche um gesellschaftliche Verantwortung und verantwortungsbewussten Konsum schließen da nahtlos an.
Ich würde aber, wie gesagt, da nie einer Person einen Vorwurf draus machen, sich bisher nicht damit auseinander gesetzt zu haben. Das ist den wenigsten von uns möglich, wenn wir nicht jemanden treffen, der uns dafür sensibilisiert.
So wichtig dieser Prozess ist - ich glaube dass da aktuell zuviel auf einmal kommt. Das ist eine Generationenaufgabe, Programme wie Freiwilligendienste in anderen Ländern können da etwa sehr viel bewirken.
In den letzten Jahren gibt es aber zunehmend eine starke Antihaltung, die sicherlich auch darin begründet ist, dass so viele marginalisierte Gruppen auf einmal sichtbar werden. Angefangen mit dem Feminismus ('darf ich jetzt einer Frau keine Komplimente mehr machen?') über die Gleichberechtigung von Homosexuellen ('was sie privat machen, ist mir egal - aber müssen die das allen zur Schau stellen?'), eben Personen nichtweißer Hautfarbe ('was darf ich denn überhaupt noch sagen?') bis zu sehr aktuell den Diskussionen um Inklusion.
Das gibt es teils seit Jahrzehnten, aber ich glaube in den letzten 15 Jahren kam da zuviel auf einmal. Allerdings finde ich gerade deshalb, dass in öffentlichen Diskussionen der eigene Hintergrund immer mitbedacht werden sollte und zaghaft auch auf vermientlich unsichtbare Privilegien eingegangen werden sollte, um nicht morgen, aber vielleicht in 20-30 Jahren ein Bewusstsein geschaffen zu haben, das globale Ungleichheiten intuitiv erkennt.
Auf jeden Fall, das kann man auch ganz konkret, ohne viel Philosphie: Wenn ich auf Grund meiner SItuation mir keine Krankenversicherung leisten kann, dann mein Kind an Malaria erkrankt und ich nur beten kann, spüre ich sehr greifbar die wirtschaftliche Ungleichheit, die ganz klar auch durch die globale Wirtschaftsordnung bedingt ist. Und dass ich daher stets nach zumindest der Befriedigung meiner Grundbedürfnisse und -sicherheiten strebe, aber selbst gleichzeitig global keine Stimme habe, also nur in den Rahmen des Systems agieren kann (wo ich Kriminalität dazu zählen würde), ist ja auch total verständlich. Was auch wieder an das Bewusstmachen der eigenen Privilegien anknüpft, als weiße Mitteleuropäer haben wir so viel mehr globale Gestaltungsmacht (und damit Verantwortung).Wollte man philosophisch werden, dann könnte man argumentieren, dass wirtschaftliche bzw. finanzielle Gegebenheiten bei der Diskussion eine zentrale (und oft vernachlässigte) Rolle spielen und dass eine fundamentale Kernmechanik des Kapitalismus - das Streben nach einem solchen priviligierten Status, der systembedingt aber nur für einen Bruchteil der Menschen erreichbar ist - das Gefühl von Gleichheit und Ungleichheit ständig befeuert.