Runde #141: Zensur

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Don Mchawi
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Don Mchawi »

Jochen hat geschrieben: Das wäre natürlich der Idealzustand. Das Problem mit den Privilegien ist aber, dass sich wenige Menschen tatsächlich priviligiert fühlen. Das kann man freilich bedauern oder ändern wollen, aber der weiße, heterosexuelle Mann, der für den Mindestlohn Fenster putzt, wird sich wahrscheinlich nicht als priviligert begreifen.
Absolut, und ich würde ihm da auch nie einen Vorwurf draus machen, dass er sich nicht privilegiert fühlt. Es kann ja auch durchaus sein bzw. ist gar nicht unwahrscheinlich, dass er selbst zu einer anderen, in Deutschland weniger priviligierten Gruppe gehört (zB aus einer Familie ohne Erwerbstätigkeit).
Trotzdem würde ich ihn immer darin ermuntern, kontextbezogen sich mit den eigenen Privilegien auseinander zu setzen. Das Bewusstsein hierfür ist ja auch deshalb noch zu gering, weil es wirklich ein sehr junges Thema ist. Find ich auch logisch nachvollziehbar, die Welt war vor der Globalisierung in ihren Teilen wesentlich einheitlicher. Durch Zuwanderungen und Zusammenwachsen finde ich allerdings, dass eine Auseinandersetzung mit der eigenen Position (nicht unbedingt Rolle) in der Welt wirklich wichtig ist. Ich werde zB nie begreifen, warum die Frage nach der Herkunft oder das Anfassen von Haaren oder auch ab und an eine Passknotrolle für eine deutsche Person schwarzer Hautfarbe ein sehr greifbares Problem ist, wenn ich mich nie damit auseinander gesetzt habe, warum mir das nicht widerfährt.
Bereiche um gesellschaftliche Verantwortung und verantwortungsbewussten Konsum schließen da nahtlos an.
Ich würde aber, wie gesagt, da nie einer Person einen Vorwurf draus machen, sich bisher nicht damit auseinander gesetzt zu haben. Das ist den wenigsten von uns möglich, wenn wir nicht jemanden treffen, der uns dafür sensibilisiert.
So wichtig dieser Prozess ist - ich glaube dass da aktuell zuviel auf einmal kommt. Das ist eine Generationenaufgabe, Programme wie Freiwilligendienste in anderen Ländern können da etwa sehr viel bewirken.
In den letzten Jahren gibt es aber zunehmend eine starke Antihaltung, die sicherlich auch darin begründet ist, dass so viele marginalisierte Gruppen auf einmal sichtbar werden. Angefangen mit dem Feminismus ('darf ich jetzt einer Frau keine Komplimente mehr machen?') über die Gleichberechtigung von Homosexuellen ('was sie privat machen, ist mir egal - aber müssen die das allen zur Schau stellen?'), eben Personen nichtweißer Hautfarbe ('was darf ich denn überhaupt noch sagen?') bis zu sehr aktuell den Diskussionen um Inklusion.
Das gibt es teils seit Jahrzehnten, aber ich glaube in den letzten 15 Jahren kam da zuviel auf einmal. Allerdings finde ich gerade deshalb, dass in öffentlichen Diskussionen der eigene Hintergrund immer mitbedacht werden sollte und zaghaft auch auf vermientlich unsichtbare Privilegien eingegangen werden sollte, um nicht morgen, aber vielleicht in 20-30 Jahren ein Bewusstsein geschaffen zu haben, das globale Ungleichheiten intuitiv erkennt.
Wollte man philosophisch werden, dann könnte man argumentieren, dass wirtschaftliche bzw. finanzielle Gegebenheiten bei der Diskussion eine zentrale (und oft vernachlässigte) Rolle spielen und dass eine fundamentale Kernmechanik des Kapitalismus - das Streben nach einem solchen priviligierten Status, der systembedingt aber nur für einen Bruchteil der Menschen erreichbar ist - das Gefühl von Gleichheit und Ungleichheit ständig befeuert.
Auf jeden Fall, das kann man auch ganz konkret, ohne viel Philosphie: Wenn ich auf Grund meiner SItuation mir keine Krankenversicherung leisten kann, dann mein Kind an Malaria erkrankt und ich nur beten kann, spüre ich sehr greifbar die wirtschaftliche Ungleichheit, die ganz klar auch durch die globale Wirtschaftsordnung bedingt ist. Und dass ich daher stets nach zumindest der Befriedigung meiner Grundbedürfnisse und -sicherheiten strebe, aber selbst gleichzeitig global keine Stimme habe, also nur in den Rahmen des Systems agieren kann (wo ich Kriminalität dazu zählen würde), ist ja auch total verständlich. Was auch wieder an das Bewusstmachen der eigenen Privilegien anknüpft, als weiße Mitteleuropäer haben wir so viel mehr globale Gestaltungsmacht (und damit Verantwortung).
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Vinter
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Vinter »

Privilegien sind zudem etwas höchst subjektives. Und ich wähle jetzt mal ein bewusst provokantes Beispiel:

Einem älteren, bierbäuchigen, unattraktiven Typ, der seit Jahren keine Zuneigung, Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit von Frauen erfahren hat, kommt es garantiert wie ein unwahrscheinliches Privileg vor, wenn er beobachtet, wie sich eine junge, hübsche Frau an den Tresen stellt, sofort Aufmerksamkeit vom anderen Geschlecht erhält, den ganzen Abend über mehrmals angemacht wird und im Prinzip die freie Wahl hat, ob und mit wem sie heute Abend nach Hause geht.

Etwas, was manche als "Belästigungen" darstellen (und es ist sicher lästig, wenn man das pausenlos hat), kann für andere ein Privileg sein. Das ist sicher nicht die Art von Privileg, das sich diejenigen vorstellen, die den weißen, heterosexuellen Mann als Wurzel allen Übels begreifen möchten, aber ich sehe nicht, warum man diesen Punkt nicht aufmachen sollte.
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Stuttgarter
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Stuttgarter »

Vinter hat geschrieben: [...] aber ich sehe nicht, warum man diesen Punkt nicht aufmachen sollte.
Weil es einen Unterschied macht, ob einzelne Personen aufgrund individueller Umstände Pech haben oder ganze Bevölkerungsgruppen aufgrund von Herkunft, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung benachteiligt werden.
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Vinter
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Vinter »

Nichtsdestotrotz ist es ein Privileg, dass man bei anderen beobachtet. Und individuell ist es mir herzlich egal, wie es anderen "meiner Gruppe" geht. Deswegen halte ich dieses "omg check your privileges" auch für einen ungeeigneten Indikator für irgendwas. Eben, weil sie zT subjektiv sind.
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Stuttgarter
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Stuttgarter »

Vinter hat geschrieben:Nichtsdestotrotz ist es ein Privileg, dass man bei anderen beobachtet. Und individuell ist es mir herzlich egal, wie es anderen "meiner Gruppe" geht. Deswegen halte ich dieses "omg check your privileges" auch für einen ungeeigneten Indikator für irgendwas. Eben, weil sie zT subjektiv sind.
Von einem einigermaßen intelligenten Menschen würde ich schon erwarten, den Unterschied zwischen "Ich hab Nachteile aufgrund individueller Umstände" und "Gruppe XY hat Nachteile aufgrund ihrer von der Natur gegebenen Veranlagung" erkennen zu können.

Ernsthaft - in einer Zeit, in der weltweit zigtausend Frauen über systemische sexuelle Belästigung reden, sich hinzustellen und drüber zu jammern, dass man schon jahrelang keine mehr abbekommen hat, ist vor allem eins: Erbärmlich.
(Das hast Du nicht gemacht. Aber ich habs in den letzten Wochen immer wieder als Gegenargument lesen "dürfen".)

Edit: Ich weiß übrigens, wovon ich rede. Ich hab schon immer wieder mal jahrelang "keine abbekommen" aufgrund einer nicht gerade dem typischen Schönheitsideal entsprechenden Erscheinung. Aber würde deshalb nie im Leben auf die Idee kommen, mich für "nicht privilegiert" zu halten.
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Dogarr
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Dogarr »

Don Mchawi hat geschrieben:Interessanter Podcast, bei dem wirklich viele Themen und spannende wie relevante Diskussionen angeschnitten wurden.
Hier im Thread geht es bisher ja um die Kunstdefinition und was diese darf.
Ich habe den Eindruck, dass dabei teilweise 'dürfen' nicht von allen gleich verstanden wird und es eine Vermischung von juristischer und ethischer Argumentation gibt. Vielleicht also was Kunst darf und was Kunst sollte.
Wolfgang griff dabei im Podcast ja auch sehr stark die ethische Komponente auf.
Wo soll man bei diesem Thema, beziehungsweise dem Verlauf des Podcasts denn deiner Meinung nach Ansetzen?

Ich für meinen Teil versuche erst einmal herauszufinden, was ist das Problem oder die Kernfrage. Also versuche ich alles, was über die Kernthese oder Frage hinaus geht erst einmal auszublenden. Da diese Folge unter anderem durch Wolfgang's Aussage fahrt aufgenommen hat, versuche ich halt mit meinen Mitteln an diese Thematik heran zu gehen.

Zitat:
„Auf der Metaebene werden gewöhnlich Generalisierungen und allgemeine Strukturen des Gegenstandbereichs der zugrundeliegenden Struktur zu Gegenständen gemacht. Es werden diejenigen Prinzipien untersucht, nach denen das, was auf der Objektebene als einzelne Instanz auftritt, geschieht. Die Vermischung von (Objekt-)Ebene und Metaebene ist eine Möglichkeit, um selbstbezügliche Aussagen oder Bilder zu erstellen, was gelegentlich zu Paradoxien führen kann.“
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Metaebene" onclick="window.open(this.href);return false;

Anmerkung: Kunst zu definieren ?*zwinker


Für mich stellt sich die Problematik des Themas eher andersrum da. Ich kann mich nicht vertiefen in vermeintlichen Grabenkämpfen wenn eine, und wie aus der Definition heraus paradoxe Frage in den Raum gestellt wird.

ES SEI DENN: Ich überspringe die Frage: Was darf Kunst.
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Vinter
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Vinter »

Ich finde das nicht erbärmlich. Ich finde den Wunsch nach Zuneigung ein zutiefst menschliches. Darüber hinaus weiß ich überhaupt nicht, wo der direkte Zusammenhang ist zwischen sexueller Belästigung und dem Wunsch nach eben dieser Zuneigung bzw dem Privileg, diese Zuneigung erhalten zu können oder eben nicht.

Wenn du meinst, das Beispiel würde die Diskussion über Privilegien ad absurdum führen, dann hast du recht. Das war genau mein Ziel. Mir ist Kollektivismus ein Graus. Und genausowenig, wie ich muslimischen Flüchtlingen pauschal unterstelle, antisemitisch zu sein, so wenig glaube ich daran, dass es irgendwie hilfreich ist, von individuellen Menschen Zugeständnisse zu fordern, weil ich seiner kollektiven "Gruppe" Privilegien unterstelle.
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Stuttgarter
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Stuttgarter »

Kommt halt drauf an, wie man "Zugeständnisse" definiert. Wenn unter "Zugeständnis" läuft, dass Menschen nicht aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung systematisch benachteiligt werden, magst Du recht haben.
Wolfgang Walk
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Wolfgang Walk »

Klagsam hat geschrieben:
Wolfgang Walk hat geschrieben: Das ist natürlich auch - sorry - Unfug, weil es eben in meinem Argument um eine zumindest sehr wahrscheinlichen Zusammenhang geht, der genau hier ja nicht belegbar wäre.
Dann verstehe ich dich nicht. Gib mir doch bitte jeweils einmal ein Beispiel für eine physische, wirtschaftliche und psychische Gefährdung durch ein Kunstwerk bei der du sagen würdest: Geht nicht.
Ich fahre bei Dir zuhause vorbei, schweiße Fenster und Haustüren zu, zünde alles an und erkläre es zur Kunstaktion, während in Eurem Haus alle verrecken. Die wirtschaftlichen und körperlichen Schäden sind evident. Die psychischen dürften bei deinen Freunden und Verwandten entstehen, wenn ich damit durchkäme.
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Ines
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Ines »

Ich habe jetzt mal ein bisschen darüber nachgedacht und nachdem ich erstmal auch ein komisches Gefühl bei der Aussage hatte, dass Kunst auch Kinderpornografie thematisieren darf, ist mir aufgefallen, dass sie das, wenn man den Fokus verschiebt, schon ständig tut. Ich arbeite ja in der Psychiatrie und da ist es sehr alltäglich, dass sich Betroffene auf einer künstlerischen Ebene mit ihren erlebten Traumata beschäftigen. Das wird dann gegebenenfalls auch ausgestellt. Warum nicht auch ein Spiel machen? Oder ein Theaterstück, einen Film? Was spräche dagegen, wenn ich als Therapeutin mich unter dem Eindruck der Arbeit mit Betroffenen auf künstlerischer Ebene mit dem Thema befassen würde?
Das mit dem Schutz vor psychischer Schädigung finde ich übrigens auch schwierig. Aus der Praxis habe ich persönlich nicht den Eindruck, dass Menschen durch Medienkonsum auf eine Art und Weise belastet werden, vor der man sie schützen kann. Ich habe eher den Eindruck, dass erwachsene Betroffene sich vor belastenden Medien gut schützen können. Unter anderem deshalb halte ich auch nicht viel von Trigger-Warnungen. Eine Einschränkung der künstlerisch behandelbaren Themen würde ja auch die Ausdrucksmöglichkeiten der Betroffenen stark beschneiden. Im öffentlichen Raum, wo man ungewollt mit den Dingen konfrontiert wird, ist sicherlich ein sensibler Umgang mit potentiell belastenden Themen notwendig. Aber ich denke, das ist weniger eine Frage von Psychopathologie und Opferschutz, als von gesellschaftlichen Konsens, weil Trauma-Erinnerungen sehr individuell ausgelöst werden können.
"Se faire objet, se faire passive, c'est tout autre chose q'être un objet passif" (S. de Beauvoir)
Wolfgang Walk
Beiträge: 344
Registriert: 8. Aug 2016, 20:11

Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Wolfgang Walk »

zackzackab hat geschrieben:
Wolfgang Walk hat geschrieben: Allerdings hat das BVerfG durchaus auch eine nicht immer ruhmreiche Spruchpraxis zu verantworten, die jenen Zeitgeist oft ein wenig zu tief eingeatmet hat. Zumindest für meinen Geschmack.
Mich würde interessieren, an welche Fälle Du dabei denkst.
z. Bsp. http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv006389.html" onclick="window.open(this.href);return false;
zackzackab hat geschrieben:
Wolfgang Walk hat geschrieben: Edit: Ich möchte meine Argumentation also ganz spezifisch ästhetisch einordnen: Ästhetisch ist für mich alles erlaubt, was keinen Menschen wirtschaftlich, physisch oder psychisch schädigt. Mir ist klar, dass die psychische Schädigung im Zweifelsfall schwer belegbar oder widerlegbar ist. Aber mehr als bloße Behauptung sollte sie schon sein.
Es gibt ja aber durchaus noch andere Grundrechte, abseits vom Schutz des Eigentums (der verfassungrechtliche Eigentumsbegriff ist weiter als der des BGB), des umstrittenen Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs sowie der körperlichen Unversehrtheit (psychisch wie physisch), die Verfassungsrang haben und schon deshalb geeignet sind, eine legitime Zielsetzung für einen Eingriff in die Kunstfreiheit zu bilden. Dazu braucht man nur einen Blick in die Art. 1 ff GG werfen und die Grundrechte herausgreifen, die ich jetzt nicht genannt habe. Mich würde interessieren, ob Du denen tatsächlich die Eignung absprechen willst, einen Eingriff in die Kunstfreiheit zu rechtfertigen und falls ja, warum.
Natürlich nicht. Ich sehe allerdings auch in keiner der dort gewährten Grundrechte eine Möglichkeit sie - als Künstler wohlgemerkt, nicht als Organ der Exekutive - einzuschränken, ohne vorher körperlich, seelisch oder wirtschaftlich schädigend tätig zu werden.
zackzackab hat geschrieben:
Wolfgang Walk hat geschrieben:Die Frage, ob beispielsweise ein Kunstwerk zum Thema Pädophilie, das Pädophilie in der Darstellung verwendet, im öffentlichen Raum ausstellbar ist, ist dabei noch mal eine andere und durch die Gegenfrage zu beantworten: Inwieweit habe ich das Recht, im öffentlichen Raum von Kunst (und/oder der ja oft hässlichen Wahrheit) unbehelligt zu bleiben?
Aus verfassungsrechtlicher Sicht dürfte das Recht, die Rezeption bestimmter Arten von Kunst zu vermeiden, durch die allgemeine Handlungsfreiheit geschützt sein (Art. 2 Abs. 1 GG). Im vorrangigen einfachen Recht wären solche Fragen aber ggf. baurechtliche oder Fragen des öffentlichen Sachenrechts, wo dann aber die Grundrechte auch wieder reinspielen. Ein Verbot, ein Kunstwerk zum Thema Pädophilie im öffentlichen Raum auszustellen, dürfte schon leicht über die Zwecksetzung des Jugendschutzes zu rechtfertigen sein.
Und selbst da würde ich einwenden, dass so ein vorauseilendes Verbot ohne Kenntnis des jeweils auszustellenden Werkes eine nicht hinnehmebare EInschränkung der Kunstfreiheit darstellen würde, weil sie ein ganzes Themengebiet ausschließt und nicht am Einzelwerk entscheidet. Und ich würde jetzt mal ganz steil schätzen, dass das BVerfG da auf meiner Seite wäre.
Don Mchawi
Beiträge: 414
Registriert: 8. Nov 2017, 08:44

Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Don Mchawi »

Dogarr hat geschrieben:
Wo soll man bei diesem Thema, beziehungsweise dem Verlauf des Podcasts denn deiner Meinung nach Ansetzen?

Ich für meinen Teil versuche erst einmal herauszufinden, was ist das Problem oder die Kernfrage. Also versuche ich alles, was über die Kernthese oder Frage hinaus geht erst einmal auszublenden. Da diese Folge unter anderem durch Wolfgang's Aussage fahrt aufgenommen hat, versuche ich halt mit meinen Mitteln an diese Thematik heran zu gehen.
[...]
Ich meinte gar nicht unbedingt, dass die Ansätze falsch oder unpraktisch o.ä. wären. Mir ging's nur darum, dass 'dürfen' von einigen eher juristisch, also gesetzlich bestimmt, für andere eher ethisch, also an Hand von Werten und Zielen bestimmt, verstanden wird. Glaube, dass es da sinnvoll sein kann, zu trennen und zB die ethische Perspektive mit 'sollen' auszudrücken.

Was wäre denn für dich die Kernfrage, für die du die Abzweigungen zunächst ausblenden würdest? Was Kunst ist? Was Kunst darf?
Radikal könnte man sich auch überlegen, ob wir überhaupt einen Kunstbegriff brauchen - lapidar gesagt versteht ja eh jeder etwas anderes darunter.
Und man könnte auch die Frage aufwerfen, warum Kunst (was auch immer das ist) überhaupt mehr können sollte, als jeder andere gesellschaftliche/sprachliche/gestalterische Bereich.

Vinter hat geschrieben:Ich finde das nicht erbärmlich. Ich finde den Wunsch nach Zuneigung ein zutiefst menschliches. Darüber hinaus weiß ich überhaupt nicht, wo der direkte Zusammenhang ist zwischen sexueller Belästigung und dem Wunsch nach eben dieser Zuneigung bzw dem Privileg, diese Zuneigung erhalten zu können oder eben nicht.
Naja, den Zusammenhang hast du in deinem Beispiel in die Diskussion eingeführt.
Ich will auch gar nicht bestreiten, dass der Mann in deinem Beispiel unter den Umständen leidet. Und wie auch bei Jochens Fensterputzer würde ich ihm da nie einen Vorwurf machen (ich weiß, dass es da radikalere als mich gibt, die genau das tun), wenn er nicht von sich aus die Unterschiede sieht und seine priviligierte Position erkennt. Ich würde sie aber nicht verleugnen.
Um bei deinem Beispiel zu bleiben: Der Unterschied ist sowohl statistisch als auch kausal. Sprich du wirst eine Vielzahl von Frauen finden, die im Alltag immer wieder Belästigung in Form von aufdringlichen Männern erfahren. Und dass weil sie eine Frau (und zumindest in der entsprechenden Gesellschaft etwas attraktiv sind), sprich sie können da nur unter enormen Einschränkungen ihre individuellen Freiheit etwas daran ändern (Burka tragen, nicht mehr ausgehen). Gleichzeitig gehen hier die Belästigungen von einer gesellschaftlich bevorteilten Gruppe aus, die sich keiner Belästigung bewusst sind und ihr Verhalten korrekt finden. In den meisten Fällen gehen Männer ja nicht hin und sagen 'hey, heute belästige ich mal ein paar Frauen', sondern verstehen gar nicht, warum ihr 'hey Süße' auf der Adressatenseite auf wenig Gegenliebe stößt. Dazu kommt, dass das ja nicht von einem Mann an einem Abend passiert, sonst wäre das ja nicht so ein Thema. Auch nicht nur in der Bar, sondern am Arbeitsplatz, in der U-Bahn, im Park. Was bleibt ist, dass die Frau aus deinem Beispiel immer solchen Ansprachen ausgesetzt ist, sie immer wieder abwimmeln muss und, nicht zu vergessen, ein massiv verringetes Sicherheitsempfinden hat. Auch in deutschen Städten trauen sich viele Frauen nachts nicht allein durch die Straßen. Das ist leider leider auch begründet, so sehr es unsereins vielleicht beschämt.
Gucken wir uns den Mann aus deinem Beispiel an. Wie gesagt, dass sein Wunsch nach Zuneigung zutiefst menschlich ist und er darunter auch leidet möchte ich ihm gar nicht nehmen. Allerdings lässt sich hier kein Kausalzusammenhang zu seinem Geschlecht, das ihm angeboren ist, herstellen. Bei anderen Männern klappt es ja auch. Es sind also andere Faktoren entscheidend. Teilweise kann er an diesen Faktoren selbst etwas ändern (Bauch), andere Faktoren (Alter nanntest du) betreffen uns alle irgendwann. Selbst wenn ihm alles genetisch vorbestimmt ist, bleibt es zunächst ein Inidviualfall und keine gesamte gesellschaftliche Gruppe (dazu schreibe ich unten was), was zB schon mal den Begriff der Diskriminierung ausschließt. Vor allem aber erfährt er keine andauernden Belästigungen oder Ausschluss von eigentlich für alle verfügbaren Ereignissen. Er findet keine Zustimmung beim anderen Geschlecht, das ist alles (auch wenn es natürlich hart sein kann). Nur gibt es aber kein Recht auf ein erfülltes Liebesleben.
Befriedigung seiner Person kann er zudem auch in vielen anderen Bereichen finden (etwa auf der Arbeit), ohne da immerwieder auf seine Männlichkeit reduziert zu werden.
Wenn du meinst, das Beispiel würde die Diskussion über Privilegien ad absurdum führen, dann hast du recht. Das war genau mein Ziel. Mir ist Kollektivismus ein Graus. Und genausowenig, wie ich muslimischen Flüchtlingen pauschal unterstelle, antisemitisch zu sein, so wenig glaube ich daran, dass es irgendwie hilfreich ist, von individuellen Menschen Zugeständnisse zu fordern, weil ich seiner kollektiven "Gruppe" Privilegien unterstelle.
Es wäre schön, nicht über Gruppen reden zu müssen und sie einfach als Konstrukt abtun zu können. Bei näherer Betrachtung sind stigmatisierte Gruppen ja auch an willkürlichen Merkmalen ausgewählt (warum ist die Hautfarbe wichtig, nicht aber die Haarfarbe (und wehe jetzt kommt jemand mit der Hexenverfolgung :D ) ). Gut, bei jeder dieser Gruppen kann man sich das historisch-kulturell herleiten. Logisch aber in der Regel eher nicht.
Jetzt aber davon auszugehen, dass es diese Gruppen gar nicht gäbe, wäre nicht richtig. Denn diese Gruppen erfahren im Alltag immer wieder Benachteiligungen und Andersbehandlungen auf Grund ihrer Merkmale, die für sie auch selbst dadurch bestimmend werden.
Ich habe beispielsweise mal mit einer Seminargruppe von 12 Leuten eine kleine Übung gemacht, bei der jeder drei DInge aufschreiben sollte, die für ihn seine Identifikation ausmachen. Elf waren weiß, eine war schwarz. Und genau einmal tauchte Hautfarbe auf. Und das liegt nicht daran, dass sie stolz auf ihre Hautfarbe war, sondern dass sie als Schwarze in Deutschland immer wieder vorgehalten bekommt, anders zu sein. Ich verweise da gerne auch immer auf Max Frischs Andorra, in der eine nichtjüdische Figur immer als Jude behandelt wird und sich später selbst als Jude definiert.
Diese benachteiligten Gruppen lassen sich erfassen, sie haben meist ein Identifikationsgefühl, das sie in genau diese Gruppen drückt. Und gemeinsam als Gruppe erfahren sie die gleichen Diskriminierungen - weil sie schwul, schwarz oder schwerbehindert sind.
Und daher finde ich es wichtig und richtig, gesellschaftlich daran zu arbeiten, dass diese Gruppen nicht marginalisiert werden. Und der erste Schritt dazu ist erstmal anzuerkennen, das man selbst bestimmte Privilegien hat, die man vielleicht vorher gar nicht als solche wahrgenommen hat. Etwa nicht ständig gefragt zu werden, woher man eigentlich kommt. Oder, um wieder den Schritt in die globale Welt zu gehen, dass man mit seinem Pass, nur weil Bundesrepublik Deutschland draufsteht, problemlos Visa für die meisten Länder dieser Welt erhält. Keiner erwartet jetzt, dass du Schuldgefühle hast, wenn du nach Ghana fährst und ein Ghanaer dort nicht nach Deutschland kommen kann. Oder dass du aus Solidarität auf Hartz 4 verzichtest, weil ein Kongolese keine Grundversorgung erhält. Aber ich wüsste nicht, wie ich es anders als Privileg bezeichnen sollte - und sich darüber bewusst zu werden, finde ich gut und richtig. Denn nur dann kann die Welt etwas gerechter werden (welch pathetischer Schlusssatz).
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Klagsam
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Klagsam »

Wolfgang Walk hat geschrieben:Ich fahre bei Dir zuhause vorbei, schweiße Fenster und Haustüren zu, zünde alles an und erkläre es zur Kunstaktion, während in Eurem Haus alle verrecken. Die wirtschaftlichen und körperlichen Schäden sind evident. Die psychischen dürften bei deinen Freunden und Verwandten entstehen, wenn ich damit durchkäme..
Edit schritt hier gerade ein, weil ich in der ersten Version groben Unfug zitiert habe.

Ansonsten wird mir gerade das Missverständnis klar. Ich ging von einer Schädigung aus, die durch die Rezeption entsteht. Du von einer Schädigung die durch das "Kunstwerk" an sich entsteht.
Stuttgarter
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Stuttgarter »

Don Mchawi hat geschrieben: Keiner erwartet jetzt, dass du Schuldgefühle hast, wenn du nach Ghana fährst und ein Ghanaer dort nicht nach Deutschland kommen kann. Oder dass du aus Solidarität auf Hartz 4 verzichtest, weil ein Kongolese keine Grundversorgung erhält. Aber ich wüsste nicht, wie ich es anders als Privileg bezeichnen sollte - und sich darüber bewusst zu werden, finde ich gut und richtig. Denn nur dann kann die Welt etwas gerechter werden (welch pathetischer Schlusssatz).
Danke, genau das ist der Punkt. Niemand verlangt ständiges Büßertum. Aber es wäre prima, würde man einfach anerkennen, dass diese Welt im Moment noch ziemlich ungerecht ist. Auch in unserem Land, unserer Stadt, unserer Straße. Das wäre ein Anfang.
zackzackab
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Registriert: 1. Apr 2017, 14:17

Re: RE: Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von zackzackab »

Wolfgang Walk hat geschrieben:
z. Bsp. http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv006389.html" onclick="window.open(this.href);return false;


Ja, das ist eine tieftraurige Episode verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung. No argument there. Als jemand, der Mitte der 2000er das Jurastudium aufgenommen hat, bin ich mit dieser Art von Urteilen im Rahmen der Ausbildung nicht konfrontiert worden. Das halte ich für kritikwürdig. Ich finde es wichtig, dass angehende Juristen auch mit den Irrungen des Bundesverfassungsgerichts konfrontiert werden und man es nicht dabei belässt, darauf hinzuweisen, dass auch die Interpretation der Verfassung dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen ist.
Wolfgang Walk hat geschrieben:
Natürlich nicht. Ich sehe allerdings auch in keiner der dort gewährten Grundrechte eine Möglichkeit sie - als Künstler wohlgemerkt, nicht als Organ der Exekutive - einzuschränken, ohne vorher körperlich, seelisch oder wirtschaftlich schädigend tätig zu werden.


Ach, da fallen mir schon Möglichkeiten ein:

Es ist sicher Kunst denkbar, die gegen die Würde anderer Menschen verstößt. Und nicht jede Verletzung der Menschenwürde zieht zugleich eine psychische oder physische Verletzung oder einen wirtschaftlichen Schaden nach sich. Eltern genießen Erziehungsfreiheit und damit ist auch die Möglichkeit geschützt, Kinder von gewissen, für die Persönlichkeitsentwicklung potentiell schädlichen Einflüssen fernzuhalten. Und nicht jeder potentiell schädliche Einfluss wird als psychische oder physische Schädigung zu qualifizieren sein. Wenn ein Künstler auf dem einzigen für größere Versammlungen in einer Stadt geeigneten Ort ein riesiges Kunstwerk fest und auf Dauer installiert, das den Raum für Versammlungen unbrauchbar macht, geraten Kunst- und Versammlungsfreiheit aneinander, usw.

Da die Nutzung öffentlicher Einrichtungen, zB Straßen oder Plätze, dem öffentlichen Sachenrecht unterfällt, werden diese Kollisionen unterschiedlicher Rechte mit Verfassungsrang von der Exekutive bei der Entscheidung im Einzelfall abgewogen. Und dann wird im Einzelfall entschieden, ob und ggf. wie das Kunstwerk in der Öffentlichkeit gezeigt werden kann.

Das ist dann ein Grundrechtseingriff der Exelutive, ja, aber zu dem Zweck, die Grundrechte der Beteiligten einem angemessenen Ausgleich zuzuführen. Die Freiheit des einen hört eben dort auf, wo die des anderen beginnt.
Wolfgang Walk hat geschrieben:
Und selbst da würde ich einwenden, dass so ein vorauseilendes Verbot ohne Kenntnis des jeweils auszustellenden Werkes eine nicht hinnehmebare EInschränkung der Kunstfreiheit darstellen würde, weil sie ein ganzes Themengebiet ausschließt und nicht am Einzelwerk entscheidet. Und ich würde jetzt mal ganz steil schätzen, dass das BVerfG da auf meiner Seite wäre.
Ich hätte vielleicht mehr ins Detail gehen sollen; Juristen erscheint auf Ihrem Gebiet manches fälschlicherweise so offenkundig, dass man es nicht ausdrücklich klarmacht:

Natürlich wird so eine Entscheidung idR auf Basis formeller Gesetze durch Verwaltungsakt, dh Einzelfallentscheidung, gefällt. Ich wollte also keinesfalls sagen, dass man im Einzelfall nicht genau hinschauen muss. "Deine Seite" ist also auch meine Seite. ;)
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Leonard Zelig
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Leonard Zelig »

Stuttgarter hat geschrieben: Edit: Ich weiß übrigens, wovon ich rede. Ich hab schon immer wieder mal jahrelang "keine abbekommen" aufgrund einer nicht gerade dem typischen Schönheitsideal entsprechenden Erscheinung. Aber würde deshalb nie im Leben auf die Idee kommen, mich für "nicht privilegiert" zu halten.
Es gibt auch Leute, die noch nie eine "abbekommen" haben. Die sind gegenüber attraktiven und erfolgreichen Männern nicht wirklich privilegiert was diesen Lebensbereich angeht.

Privilegiert bist Du doch nicht, weil Du ein Mann bist, sondern weil Du in einem der reichsten Länder der Welt geboren bist, eine gute Bildung erhalten hast und jetzt oder in Zukunft dank dieser deinen Lebensunterhalt verdienen kannst.
"The whole problem with the world is that fools and fanatics are always so certain of themselves, but wiser people so full of doubts."

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meisterlampe1989

Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von meisterlampe1989 »

Dass es privilegierte Menschen gibt, ist sicherlich unbestritten. Allerdings verstehe ich nicht, warum das immer so vorwurfsvoll formuliert wird. Ich kann weder etwas dafür, dass ich als weißer Mann geboren wurde, noch, dass ich in einen der reichten Länder der Welt geboren wurde.

Und wenn ich mit Arbeit eine finanzielle Privielegierung erarbeite, dann ist das verdienter Lohn. Ich bin eigentlich Anti-Kapitalist, aber das kann man nicht bestreiten. Hier muss man allerdings vorsichtig sein, weil diese Haltung davon ausgeht, dass alle Menschen den gleichen Zugang zu Bildung und Arbeit haben. Und das ist nicht überall erreicht, auch nicht in den reichsten und modernsten Ländern.

Es ist doch viel wichtiger, wie ich mit meinem Privileg umgehe. Kapsel ich mich ab, oder trage ich dazu bei, dass andere Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, Sexualität, des Geschlechts oder der Sozio-Ökonomie nicht auf meiner Stufe sind, diese auch zu erreichen. Deswegen ist es zum Beispiel nicht hilfreich, wenn man Privilegierte von der Debatte ausschließt, weil sie privilegiert sind. Manche werden mir das jetzt als "White Savior"-Mythos auslegen, aber am Ende sind es ja die Privilegierten, die höchstwahrscheinlich eine Veränderung herbeiführen können. Das negiert auf keinen Fall die Anstrengung von Minderheiten; ohne ihre Anstrengungen, wie etwa Proteste, gäbe es ja den Stillstand.

Außerdem muss man aufpassen, wem man entgegen schleudert, dass er privilegiert ist. Das kann schnell zu Abwehrhaltungen führen. Ich vergleiche das immer mit relativer und absoluter Armut. Ein Hartz 4-Empfänger ist in Deutschland unterprivilegiert, aber in einigen afrikanischen Staaten wäre das, was ein Hartz4-Bezieher bekommt Luxus. Aus der Sicht eines Menschen aus Somalia ist der Hartz4-Empfänger überaus privilegiert.

Wenn FDP-Leute früher im Parlament von der Dekadenz der Sozialhilfeempfänger im Hinblick auf afrikanische Länder geschwafelt haben, habe ich schon damals Brechreiz bekommen.

Also man muss mit den Begriffen aufpassen.
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Ines
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Ines »

Mich lässt die Frage danach, was Kunst darf, noch nicht ganz los und ich habe in dem Zusammenhang mal in einem Katalog zu einer Ausstellung mit Kunst von Psychiatrieerfahrenen geblättert. Da werden natürlich Missbrauch und Gewalt künstlerisch thematisiert und natürlich darf Kunst das. Zum Beispiel Art Brut macht das seit Ewigkeiten und wir reden hier sicherlich nicht darüber, ob das legitim ist. Die Frage ist ja vielmehr inwieweit es angemessen ist, ein solches Werk so zu gestalten, dass ein kommerziell erfolgreiches Produkt entsteht. Da sind dann wieder die Herrschaften Kritiker gefragt. Da wir ja bei Spielen auch von Kulturförderung reden, kann die Frage der kommerziellen Verwertbarkeit aber vielleicht ja auch irgendwann mal in den Hintergrund treten.
"Se faire objet, se faire passive, c'est tout autre chose q'être un objet passif" (S. de Beauvoir)
Wolfgang Walk
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Wolfgang Walk »

Claudine_Salome hat geschrieben:Mich lässt die Frage danach, was Kunst darf, noch nicht ganz los und ich habe in dem Zusammenhang mal in einem Katalog zu einer Ausstellung mit Kunst von Psychiatrieerfahrenen geblättert. Da werden natürlich Missbrauch und Gewalt künstlerisch thematisiert und natürlich darf Kunst das. Zum Beispiel Art Brut macht das seit Ewigkeiten und wir reden hier sicherlich nicht darüber, ob das legitim ist.
Tatsächlich tun wir das aber doch, und das ist es, was ich im Gespräch mit Andre meinte: Die falsche Rücksichtnahme auf irgendwelche Empfindlichkeiten, die den Betroffenen dann auch häufig genug von außen nur angedichtet werden, weil man das Thema am liebsten nicht wahr hätte: die ist genauso reaktionär und im Zweifel noch perfider als das brutale, autoritäre Verbot. Kunst darf alles meint: es gibt kein Thema, keinen Bereich des Lebens, für den sie diskursiv ungeeignet wäre. Ungeeignet ist höchstens die Art und Weise, wie ich diesen Diskurs führe. Aber anscheinend haben wir dieses Wissen über die lautstark lärmendede Empörungskultur auf allen Seiten verloren. Kunst darf jedes Thema, und deshalb dürfen Games jedes Thema. Das sollte eigentlich axiomatisch sein, aber die allgemeine sprachliche und intellektuelle Verrottung sorgt nun mal dafür, dass wir inzwischen selbst unsere Axiome verteidigen und erläutern müssen. Also Ärmel hoch und auf geht's!
Claudine_Salome hat geschrieben:Die Frage ist ja vielmehr inwieweit es angemessen ist, ein solches Werk so zu gestalten, dass ein kommerziell erfolgreiches Produkt entsteht. Da sind dann wieder die Herrschaften Kritiker gefragt. Da wir ja bei Spielen auch von Kulturförderung reden, kann die Frage der kommerziellen Verwertbarkeit aber vielleicht ja auch irgendwann mal in den Hintergrund treten.
Da bin ich mir nicht sicher. Kunst, sogar die ganz große, über jeden Zweifel erhabene, ist immer auch schon und sogar vor allem als Auftragswerk entstanden. Michelangelo hat die sixtinische Kapelle ja nicht im Rahmen einer Hausbesetzung angemalt. Insofern würde ich die kommerzielle Verwertung von Kunst vom Diskurs darüber, was Kunst darf, komplett abtrennen. Solange Kunst intellektuell wahrhaftig ist, darf sie alles. Sogar verkäuflich sein. Verliert sie ihre Ehrlichkeit, dann korrumpiert sie sich ohnehin, egal, ob sie dann besser verkäuflich ist oder nicht. Wird sie zum reinen Schauwert, ist die Grenze zur Pornografie sowieso nicht mehr weit (ich möchte hier "Pornografie" aus dem rein sexuellen Kontext rausgelöst verstanden wissen).

Klar ist aber auch, dass an der Stelle eine angemessene Kulturförderung korruptionshemmend wirken kann.
Zuletzt geändert von Wolfgang Walk am 19. Dez 2017, 10:40, insgesamt 1-mal geändert.
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Andre Peschke
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Re: Runde #141: Zensur, Kunst und Gesellschaft

Beitrag von Andre Peschke »

Claudine_Salome hat geschrieben:Mich lässt die Frage danach, was Kunst darf, noch nicht ganz los und ich habe in dem Zusammenhang mal in einem Katalog zu einer Ausstellung mit Kunst von Psychiatrieerfahrenen geblättert. Da werden natürlich Missbrauch und Gewalt künstlerisch thematisiert und natürlich darf Kunst das.
Ich glaube, da muss man wieder unterscheiden. Das Kunst alle Themen aufgreifen darf, ist klar. Kontrovers wird es halt, wenn sie dabei nicht nur das tabuisierte Thema aufgreift, sondern sich ihm zu stark annähert. Ich weiß nicht, ob es im Rahmen dieser Ausstellung schon Werke gab, in denen sich der Künstler zu einer wenig abstrakten Darstellung entschlossen hat. Aber selbst im Film wird Kindesmissbrauch i.a.R. indirekt (off screen) dargestellt. Sicher auch aus den von Wolfgang erwähnten Erwägungen bzgl. Zumutbarkeit für junge Darsteller. Aber sicherlich auch, weil das jede Schmerzgrenze eines möglichen Publikums ggf. überschreitet. Die Diskussion geht also eher darum, wie weit Kunst in der Art und Weise gehen darf, in der sie ein Thema aufgreift.

Mit dem Extrembeispiel sollte ja die Frage illustriert werden, ob ein gesellschaftlicher Konsens über die moralischen oder geschmacklichen Grenzen der Kunst auch ihren tatsächlichen Rahmen darstellen sollte (wie das in der Praxis dann ist - andere Frage). Sprich: Wenn es eine sehr breite Masse von Menschen absolut inakzeptabel findet, wenn ein Spiel explizit Kindesmissbraucht darstellt - ist es dann gerechtfertigt das die Gesellschaft sagt "das wollen wir nicht, unsere Volksvertretung möge das verbieten"? Oder sollte sie sagen: Die Freiheit der Kunst wiegt so schwer, dass wir es zwar vielleicht am Ende mit unseren sozialen Mitteln (gesellschaftlich) ächten, aber es soll nicht verboten sein. Oder zumindest soll es nicht kategorisch verboten sein, muss aber bestimmte Mindeststandards erfüllen (ähnlich Sozialadäquanz).

Andre
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