Ich kenne mich mit dem Diskurs zum Kräfteverhältnis im kalten Krieg nicht gut genug aus, um einzuschätzen, wie strittig die Aussagen 1 und 2 sind. Grundsätzlich würde ich aber zwei gegensätzliche Aussagen, die beide jeweils von einer Vielzahl Experten als richtig erachtet werden, nicht hinsichtlich ihres Realismusgrades unterscheiden.Fährmann hat geschrieben: Ich störe mich aber an einer Sache bei dem Beispiel: Von beiden Aussagen ist die zweite eindeutig widerlegbar. Das ist bei vielen Szenarien nicht der Fall. Angenommen man bleibt im Jahr 1975 und will ein Spiel über den Kalten Krieg programmieren. Man überlegt sich, was die Grundprämisse sein soll:
1.: Im Jahr 1975 war die Sowjetunion den Amerikanern überlegen.
2.: Im Jahr 1975 war die Sowjetunion den Amerikanern unterlegen.
Man hat also zwei Prämissen, die jeweils entgegengesetzte Pole darstellen. Selbst wenn man mit 100 Historikern zusammenarbeitet und möglicherweise selbst eine einflussreiche Position in dieser Zeit hatte, wird man nie in der Lage sein, eines der beiden Szenarien objektiv als das realistischere benennen zu können. Wenn man sich anschließend also hinstellt und sagt: "Unser Spiel ist realistisch, weil wir mit vielen Historikern gesprochen haben, die das genauso sehen wie wir", halte ich das für eine schwierige Aussage.
Der Realismusanspruch des Werks wird IMO ein Stück weit dadurch verletzt, dass sich die Entwickler in deinem Beispiel die zu ihrer Vorstellung "passenden" Experten gezielt suchen. Wenn das wirklich absichtlich geschieht und womöglich auch noch verschwiegen wird, ist das IMO unredlich, weil man die Experten eben nicht heranzieht, um von ihnen zu lernen, sondern nachträglich die eigene Wahrnehmung bestätigen zu lassen. Ich weiß allerdings nicht, ob "Realismus" die passende Kategorie ist, solche weltanschaulichen Entscheidungen ggf. zu kritisieren.
EDIT: Und auch hier gilt wieder, dass das nicht auf "historische" Settings beschränkt ist - man schaue sich nur die vielen konkurrierenden Analysen zu gegenwärtigem Wahlverhalten o.ä. an.