Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

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Peninsula
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Peninsula »

Fährmann hat geschrieben: Ich störe mich aber an einer Sache bei dem Beispiel: Von beiden Aussagen ist die zweite eindeutig widerlegbar. Das ist bei vielen Szenarien nicht der Fall. Angenommen man bleibt im Jahr 1975 und will ein Spiel über den Kalten Krieg programmieren. Man überlegt sich, was die Grundprämisse sein soll:

1.: Im Jahr 1975 war die Sowjetunion den Amerikanern überlegen.
2.: Im Jahr 1975 war die Sowjetunion den Amerikanern unterlegen.

Man hat also zwei Prämissen, die jeweils entgegengesetzte Pole darstellen. Selbst wenn man mit 100 Historikern zusammenarbeitet und möglicherweise selbst eine einflussreiche Position in dieser Zeit hatte, wird man nie in der Lage sein, eines der beiden Szenarien objektiv als das realistischere benennen zu können. Wenn man sich anschließend also hinstellt und sagt: "Unser Spiel ist realistisch, weil wir mit vielen Historikern gesprochen haben, die das genauso sehen wie wir", halte ich das für eine schwierige Aussage.
Ich kenne mich mit dem Diskurs zum Kräfteverhältnis im kalten Krieg nicht gut genug aus, um einzuschätzen, wie strittig die Aussagen 1 und 2 sind. Grundsätzlich würde ich aber zwei gegensätzliche Aussagen, die beide jeweils von einer Vielzahl Experten als richtig erachtet werden, nicht hinsichtlich ihres Realismusgrades unterscheiden.
Der Realismusanspruch des Werks wird IMO ein Stück weit dadurch verletzt, dass sich die Entwickler in deinem Beispiel die zu ihrer Vorstellung "passenden" Experten gezielt suchen. Wenn das wirklich absichtlich geschieht und womöglich auch noch verschwiegen wird, ist das IMO unredlich, weil man die Experten eben nicht heranzieht, um von ihnen zu lernen, sondern nachträglich die eigene Wahrnehmung bestätigen zu lassen. Ich weiß allerdings nicht, ob "Realismus" die passende Kategorie ist, solche weltanschaulichen Entscheidungen ggf. zu kritisieren.

EDIT: Und auch hier gilt wieder, dass das nicht auf "historische" Settings beschränkt ist - man schaue sich nur die vielen konkurrierenden Analysen zu gegenwärtigem Wahlverhalten o.ä. an.
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kami
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von kami »

Peninsula hat geschrieben:Unabhängig von der Frage nach der Historizität halte ich die offenbar sehr platte "Kiptschak sind böse, wilde Reiterhorden"-Erzählung in KC:D für sehr unglücklich, weil das Spiel von sich selbst behauptet, eine realistische Geschichte "für Erwachsene" zu erzählen - und da wird dann solche Schwarzweißmalerei verschiedener Menschengruppen - ob in historischem oder zeitgenössischem Setting - problematisch.
Das Spiel gibt natürlich die eingeschränkte, subjektive aber dennoch völlig valide Wahrnehmung des fiktiven Charakters Heinrich wieder, keine nüchterne, distanzierte Sicht, die man sich Jahrhunderte später in der wissenschaftlichen Betrachtung erlauben kann. Unter den gegebenen Umstände wäre es etwas zu viel verlangt, wollte Heinrich die fremdländischen Söldner als etwas anderes als eine Bedrohung sehen. Es ließe sich freilich einwenden, dass die Entwickler die gegebenen Umstände anders hätten gestalten können.
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Fährmann
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Fährmann »

kami hat geschrieben: Das Spiel gibt natürlich die eingeschränkte, subjektive aber dennoch völlig valide Wahrnehmung des fiktiven Charakters Heinrich wieder, keine nüchterne, distanzierte Sicht, die man sich Jahrhunderte später in der wissenschaftlichen Betrachtung erlauben kann. Unter den gegebenen Umstände wäre es etwas zu viel verlangt, wollte Heinrich die fremdländischen Söldner als etwas anderes als eine Bedrohung sehen. Es ließe sich freilich einwenden, dass die Entwickler die gegebenen Umstände anders hätten gestalten können.
Mit dem Argument könnte man jede Propaganda verteidigen. So wie: "Jud Süß zeichnet Juden gierig und sittenlos, weil das die subjektive, aber dennoch völlig valide Wahrnehmung der fiktiven Protagonistenfamilie ist".

Wenn das die Argumentation der Entwickler wäre, würde ich mich als Rezipient fragen, wie ich darauf angemessen reagieren soll. Sollte ich Heinrich für nen rassistischen, alarmistischen Idioten halten, weil er die Kiptschak als boshaft und rückständig wahrnimmt?
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Terranigma
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Terranigma »

Fährmann hat geschrieben:Mit dem Argument könnte man jede Propaganda verteidigen. So wie: "Jud Süß zeichnet Juden gierig und sittenlos, weil das die subjektive, aber dennoch völlig valide Wahrnehmung der fiktiven Protagonistenfamilie ist".
Das wäre auch eine Erklärung. Das Problem an diesem Propagandafilm liegt ja nicht darin, dass er eine einseitige Darstellung bietet, sondern dass er eine einseitige Darstellung liefert, die unseren heutigen Wertekonsens - zurecht - widerspricht. Wenn man den Nationalsozialismus ausschließlich aus der Perspektive einer Widerstandskämpfers zeigt, der die Nazis für böswillige und faschistoide Monstren hält, würden wir die Einseitigkeit solch eines Films wohl als wenig problematisch wahrnehmen, weil so eine Darstellung heutzutage konsensfähig ist. Ein Film aus der Perspektive eines Sklaven, der die Sklaverei und Sklavenhalter als unmenschliche Misshandlung empfindet, würde man auch nicht "Einseitigkeit" vorhalten und erwarten, die Perspektive der Sklavenhalter angemessen zu berücksichtigen.

Das empfundene Problem erscheint mir daher hier nicht in der Einseitigkeit der Perspektive zu sein - fast alle Erzählungen sind einseitig, nicht multiperspektivisch - sondern in der Auswahl der Perspektive selbst. Die Perspektive eines Widerstandskämpfers während des Nationalsozialismus ist auch nur eine Perspektive, ebenso die Perspektive eines Antisemiten.
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monieu
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von monieu »

Elegant finde ich das über eine Dissonanz mit der eigenen Spielfigur zu vermitteln: Man lässt den Spieler ein Situation erleben und die Spielfigur später die Situation aus ihrer gefärbten Sicht wiedergeben.

Ich muss sagen mich würde interessieren, wie Kingdom Come: Deliverance von den Leuten, die es wegen Daniel Vávras Aussagen kritisch sehen, bewertet würde, wenn er vorher nicht besonders aufgefallen wäre. Vielleicht kann man im Sinne des naiven Spielens einen Kritiker auftreiben, dem das ganze Spektakel entgangen ist. :think:
Zuletzt geändert von monieu am 24. Feb 2018, 19:40, insgesamt 1-mal geändert.
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kami
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von kami »

Fährmann hat geschrieben:Wenn das die Argumentation der Entwickler wäre, würde ich mich als Rezipient fragen, wie ich darauf angemessen reagieren soll. Sollte ich Heinrich für nen rassistischen, alarmistischen Idioten halten, weil er die Kiptschak als boshaft und rückständig wahrnimmt?
Nein, du könntest ihn einfach am Maßstab seiner Zeit messen anstatt Jahrhunderte später deinen Maßstab an ihn anzulegen. Und ist es alarmistisch, wenn man eine schlechte Meinung über diejenigen hat, die das eigene Dorf dem Erdboden gleichgemacht und dabei fast alle Einwohner umgebracht haben?
Zu deinem völlig unpassenden Jud Süß-Vergleich sag ich mal nichts.
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Fährmann
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Fährmann »

Terranigma hat geschrieben: Das wäre auch eine Erklärung. Das Problem an diesem Propagandafilm liegt ja nicht darin, dass er eine einseitige Darstellung bietet, sondern dass er eine einseitige Darstellung liefert, die unseren heutigen Wertekonsens - zurecht - widerspricht. Wenn man den Nationalsozialismus ausschließlich aus der Perspektive einer Widerstandskämpfers zeigt, der die Nazis für böswillige und faschistoide Monstren hält, würden wir die Einseitigkeit solch eines Films wohl als wenig problematisch wahrnehmen, weil so eine Darstellung heutzutage konsensfähig ist. Ein Film aus der Perspektive eines Sklaven, der die Sklaverei und Sklavenhalter als unmenschliche Misshandlung empfindet, würde man auch nicht "Einseitigkeit" vorhalten und erwarten, die Perspektive der Sklavenhalter angemessen zu berücksichtigen.

Das empfundene Problem erscheint mir daher hier nicht in der Einseitigkeit der Perspektive zu sein - fast alle Erzählungen sind einseitig, nicht multiperspektivisch - sondern in der Auswahl der Perspektive selbst. Die Perspektive eines Widerstandskämpfers während des Nationalsozialismus ist auch nur eine Perspektive, ebenso die Perspektive eines Antisemiten.
Das sind echt gute Gedanken. Ich würde eine kleine Einschränkung machen: Ich glaube, dass wir es schon grundsätzlich nicht mögen, wenn Figuren - auch Antagonisten - eindimensional negativ dargestellt werden. Selbst wenn es Nazis sind. Antagonisten sollten uns immer daran erinnern, dass in jedem Menschen das Potential zu negativen Handlungen stecken kann.

Ich finde dementsprechend, dass man sich in vielen Fällen trotzdem über eine einseitige Perspektive aufregen kann. Aber das gilt natürlich nicht bei den von dir aufgezählten Beispielen. Nicht alle Menschengruppen sind miteinander vergleichbar. Wenn du 6 Millionen Juden umbringst, hast du dich möglicherweise damit abgefunden, dass die Nachwelt wenig Empathie für deine Sicht der Dinge aufbringen wird. Bei den Kiptschaken ist das IMO was anderes: Aus Sicht der böhmischen Entwickler standen sie einfach auf der falschen Seite der Geschichte, haben im Rahmen ihrer Epoche aber nie etwas wirklich Boshaftes angestellt.
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Desotho
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Desotho »

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Terranigma
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Terranigma »

Fährmann hat geschrieben:Ich glaube, dass wir es schon grundsätzlich nicht mögen, wenn Figuren - auch Antagonisten - eindimensional negativ dargestellt werden.
Auch das ist aber wohl Ausdruck unseres derzeitigen Empfidens. Seit einigen Jahren ist es in Erzählungen üblicher geworden, auch Antagonisten eine gewisse Tiefe - und nachvollziehbare Motivlage! - zuzuschreiben, aber wenn ich mir Filme verngangener Jahrezehnte anschaue würde ich sagen: Nein, grundsätzlich ist das nicht der Fall. Die Antagonisten in Abenteuerfilmen, Comics, usw. waren zumeist eindimensionale Bösewichter, die böse sind weil (a) weil wegen darum oder wegen (b) einem sehr absurden Erlebnis in ihrer Kindheit. Auch Darth Vader war in Episode VI ein gesichtsloser Bösewicht, dessen Boshaftigkeit durch seinen schwarzen Umhang der Boshaftigkeit +1 noch unterstrichen wurde. :D
Fährmann hat geschrieben:Bei den Kiptschaken ist das IMO was anderes: Aus Sicht der böhmischen Entwickler standen sie einfach auf der falschen Seite der Geschichte, haben im Rahmen ihrer Epoche aber nie etwas wirklich Boshaftes angestellt.
Ich würde sagen, dass du derartige Einseitigkeiten aber in jeder Erzählung findest - auch in modernen. Multiperspektivität ist ein Grundprinzip der Geschichtswissenschaft, aber keines von Erzählungen. Dort erleben wir Ereignisse zumeist nur aus der Perspektive eines Protagonisten - z.B. Harry Potter - oder aus der Perspektive einer Gruppe von Protagonisten - z.B. die Gemeinschaft des Ringes. In Harry Potter erfährt man zwar manches über die Hintergründe von Voldemort, aber am Ende des Tages ist er halt der Bösewicht. Über Sauron erfahren wir in den Filmen wiederum gar nichts. Auch Filme - oder Romane und Videospiele - die vor einem historischen Sujet spielen, arbeiten zumeist mir sehr klar absteckbaren Freund- und Feindbildern.

Ich würde insofern auch bei den Kiptschaken sagen, dass KC:D hier einen legitimen Ansatz hat, die Geschichte aus der Perspektive eines böhmischen Siedlers zu zeugen, für den die Kiptschaken eben unangenehme Typen waren. Ich sehe die Verantwortung, das ganze zu kontextualisieren, nicht so sehr beim Autoren des Werkes, sondern beim Konsumenten. Der sollte KC:D mit der gebotenen Distanz spielen. Das werden die meisten nicht tun. Aber dieses Versäumnis würde ich nicht unbedingt dem Autoren anlasten. In Königreich der Himmel wird auch ein Antagonismus zwischen "den Christen" und "den Muslimen" aufgezogen, wobei die Darstellung der Christen wenig sympathisch ausfällt, während die Muslime als idealtypisches Gegenbild dienen. Derart eindimensional war das Verhältnis von Okzident und Orient wohl nicht, aber ich würde dem Film auch nicht vorwerfen, halt eine (!) bestimmte Perspektive auf die Geschichte einzunehmen.

Wenn diese dennoch als Abbildung dessen, "wie es eigentlich war" vom Konsumenten verstanden werden, dann liegt das Problem dort. Natürlich werben auch Filme, Videospiele, usw. mit ihrer historischen Authentizität - aber das sollte man als Konsument dann halt intuitiv als PR-Phrase ignorieren.
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Fährmann
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Fährmann »

Terranigma hat geschrieben: (...)
Ich finde alles nachvollziehbar, was du sagst.

Deswegen kommt in meinen Augen die besondere Problematik bei KC:D von den speziellen Hintergrundbedingungen der Produktion.

Wenn man einem Spielestudio vorwirft, es würde Völker kriminalisieren und ein zweifelhaftes Frauenbild transportieren, und das Studio dann sowas sagt wie:
"Sorry, wir haben uns da keine großen Gedanken drüber gemacht"
oder
"Wir haben uns einfach nach dem Markt orientiert und das gemacht, was Hollywood-Filme auch machen"
... dann finde ich das zwar schade, aber kein Grund für eine größere Diskussion. Es ist einfach ein Phänomen unserer Zeit und darüber hinaus gibt es ja auch noch die Dinge, die du im letzten Post geschrieben hast.

Die Schwierigkeit besteht bei KC:D darin, dass es bei Vavra mehr oder weniger offensichtliche Indizien gibt, dass er ein fremdenfeindliches, mögl. rassistisches und frauendiskriminierendes Weltbild hat. Wenn er dieses in ein Spiel überträgt, hat das für mich ne andere Qualität als die obigen Fälle. Dann fühlt es sich schmierig und wie Propaganda an. Und dass er (und die PR) anschließend fälschlicherweise behauptet, alles was in dem Spiel passiere, sei total historisch, macht das noch sehr viel unangenehmer.
Stuttgarter
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Stuttgarter »

Was mir hier grad ein bisschen fehlt ist die Auseinandersetzung mit der Art des Erzählens. Dass ein Spiel, Film, Roman den Protagonisten ein Kind seiner Zeit sein lässt, ist überhaupt nicht das Problem. Genausowenig wie es ein Problem darstellt, wenn der Protagonist eines Romans, Films, Spiels sich rassistisch, sexistisch, homophob äußert und verhält. Darum geht es nicht. Es geht darum, wie der "allwissende Erzähler" das dann einordnet. Ob er den Ansichten seines Protagonisten etwas gegenüberstellt, um dem Konsumenten zu zeigen, dass der Protagonist falsch liegen könnte. Der Autor muss dabei nicht mal wertend vorgehen - nur innerhalb der Erzählung auch etwas anderes zeigen. Von mir aus sogar in einer bruchstückhaften Parallelhandlung, die nur ab und zu in kleinen Zwischenszenen gezeigt wird, die der Protagonist gar nicht selbst mitbekommt.

Also auf KC:D übertragen (das ich allerdings nicht gespielt habe, ich entnehme das folgende dem Threadverlauf): Es ist nicht das Problem, dass der Protagonist Frauen als minderwertig empfindet, das "fremde Volk" für durch und durch böse hält. Das Problem ist wohl, dass die Entwickler das völlig kommentarlos als Tatsache hinstellen, ohne es einzuordnen.
Jochen

Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Jochen »

Stuttgarter hat geschrieben:Was mir hier grad ein bisschen fehlt ist die Auseinandersetzung mit der Art des Erzählens. Dass ein Spiel, Film, Roman den Protagonisten ein Kind seiner Zeit sein lässt, ist überhaupt nicht das Problem. Genausowenig wie es ein Problem darstellt, wenn der Protagonist eines Romans, Films, Spiels sich rassistisch, sexistisch, homophob äußert und verhält. Darum geht es nicht. Es geht darum, wie der "allwissende Erzähler" das dann einordnet. Ob er den Ansichten seines Protagonisten etwas gegenüberstellt, um dem Konsumenten zu zeigen, dass der Protagonist falsch liegen könnte
Ich bin nicht der Ansicht, dass es eine Pflicht bzw. Verantwortung des Künstlers/Autors gibt, solche Darstellungen "einzuordnen". Er kann und darf sie legitimerweise auch einfach darstellen - und die Einordnung dem Leser, Zuschauer, Spieler überlassen. Der oft implizierten Annahme, das könne der Konsument gar nicht leisten, wohnt ein seltsam reaktionäres Menschenbild inne: der Konsument als ungebildeter Dummkopf.

Problematisch wird's in meinen Augen erst, wenn die Darstellung eindeutig verherrlichende Züge annimmt. Und selbst da muss man aufpassen, dass man nicht zu alarmistisch wird. Dass Lovecraft ein rassistisches Arschloch war und seine Texte randvoll sind mit rassistischen Motiven bedeutet nämlich nicht zwangsläufig, dass sie geneigt sind, rassistisches Gedankengut in anderweit unbescholtenen Menschen festzusetzen. Wenn man diese spezielle Straße entlangmarschiert, muss man sich nämlich viele unanangehme Fragen über z.B. Gewalt in Medien/Kunst stellen.
Freitag
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Freitag »

Stuttgarter hat geschrieben:Also auf KC:D übertragen (das ich allerdings nicht gespielt habe, ich entnehme das folgende dem Threadverlauf): Es ist nicht das Problem, dass der Protagonist Frauen als minderwertig empfindet, das "fremde Volk" für durch und durch böse hält. Das Problem ist wohl, dass die Entwickler das völlig kommentarlos als Tatsache hinstellen, ohne es einzuordnen.
Vielleicht würde es der Diskussion helfen, das Spiel auch zu spielen, Hörensagen wird leicht schwierig. Vorweg: Ich habe jetzt 45 Stunden investiert, bin bei der Hauptstory ca. zur Hälfte durch, schätze ich.

Das dargestellte Frauenbild ist problematisch ja. Die Romanzen sind plump, billig, schlecht geschrieben, klischeehaft. Der Entwickler transportiert hier pubertäre Allmachtsfantasien, ja. Aber dass der Protagonist Frauen als minderwertig empfindet, würde ich ohne anderslautende Beweise abstreiten. Bisher haben sich ihm zwei der Frauen geradzu aufgedrängt - Stichwort Allmachtsfantasie - und das macht es natürlich keinen Deut besser. Das ist alles ziemlicher Käse und war mir beim Zuschauen schon unangenehm peinlich. Reiht sich aber leider bei vielen anderen Videospielen an, sticht nach meinem Dafürhalten nicht nennenswert negativ heraus. Witcher 1 war da sogar noch schlimmer.

Zu den Kumanen: Natürlich sind sie für den Protagonisten ohne wenn und aber die Bösen. Sie sind Söldner des feindlichen Königs Sigismund und haben in seinem Auftrag und mit seinem restlichen Heer das Dorf des Protagonisten gebrandschatzt. Sie sind also auch nur ein Teil der Bösen. Die Eltern des Protagonisten werden hingegen vom (ungarischen?) Anführer des Heeres ermordet.
Ich sehe also kein Problem, dass die Kumanen sowie Sigismund und seine weitere Gefolgschaft im Spiel die Rolle des Bösen einnehmen

Mir als Spieler vor dem Bildschirm ist hingegen ziemlich klar, dass die Kumanen nur Söldner sind. Im Spiel wird mir dann sogar erklärt, dass sie selber von den Mongolen vertrieben wurden und plündern, weil der Lohn so mies sei. Ist das nicht schon eine Differenzierung? Ansonsten wüsste ich nicht, wie ein "allwissender Erzähler" das noch weiter einordnen sollte.

Was bleibt für mich von der ursprünglichen Kontroverse? Das Spiel transportiert definitv eine romantisierte Vorstellung des Mittelalters und ein problematisches Frauenbild, sobald es um Sexualität geht. Mehr ist für mich bisher nicht vorhanden. Falls sich das im Storyverlauf ändert, melde ich mich zu Wort.
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Terranigma
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Terranigma »

Stuttgarter hat geschrieben:Ob er den Ansichten seines Protagonisten etwas gegenüberstellt, um dem Konsumenten zu zeigen, dass der Protagonist falsch liegen könnte. Der Autor muss dabei nicht mal wertend vorgehen - nur innerhalb der Erzählung auch etwas anderes zeigen. Von mir aus sogar in einer bruchstückhaften Parallelhandlung, die nur ab und zu in kleinen Zwischenszenen gezeigt wird, die der Protagonist gar nicht selbst mitbekommt.
Ich sehe aber keine Notwendigkeit das zu tun, sondern erwarte umgekehrt auch vom Konsumenten eine gewisse Mündigkeit, sich nicht jedweden Film, Spiel, Roman, o.Ä. den die PR-Abteilung mit "Basiert auf wahren Begebenheiten!" oder "101% historisch korrekt!" bewirbt willenlos zu ergeben, und das für bare Münze zu nehmen. Ich sehe da keine Notwendigkeit zur Einordnung, und wäre es auch verquer dieses Problem nun dezidiert bei K:CD festzumachen, da eine derartige Kontextualisierung innerhalb von Erzählungen auch heute noch absolut unüblich ist. Quasi jedwede Erzählung - seien es völlig fiktive, oder fiktive die sich einen historischen Anstrich verpassen - arbeiten zumeist ausschließlich aus der Perspektive des bzw. der Protagonisten, und selbst wenn sie mal eine Kontextualisierung bieten - wie z.B. dass Voldemort in Harry Potter wohl eine doofe Kindheit hatte - so hat dies wenig Einfluss auf den Rest der Handlung.

Allgemein würde ich daher sagen: Es ist legitim die Kumanen ausschließlich aus der Perspektive von Heinrich darzustellen. Ebenso ist's legitim, die Perspektive von Heinrich innerhalb der Erzählung zu kontextualisieren und zu erweitern, z.B. indem man einen kumanischen Protagonisten, o.Ä. einführt. Ich würde daraus nur niemals ein "Sollen" ableiten, denn wie und was der Erzähler erzählen will, das obliegt ihm. Er darf auch eine ranzige Hasstriade auf die Kumanen schreiben, und ich darf das als Rezipient dann doof finden und ablehnen.
Jochen hat geschrieben: Dass Lovecraft ein rassistisches Arschloch war und seine Texte randvoll sind mit rassistischen Motiven bedeutet nämlich nicht zwangsläufig, dass sie geneigt sind, rassistisches Gedankengut in anderweit unbescholtenen Menschen festzusetzen.
Würde einschränkend aber sagen, dass es für unsereins mittlerweile relativ einfach ist plumpen Rassismus als solchen zu erkennen, und abzulehnen, d.h. wenn Lovecraft vom "Nigger" in Gedichten schreibt, dann fällt uns das sofort auf und wir nehmen daran Anstoß. Aber ob die Darstellung der Kumanen in KC:D überhaupt problematisch ist und ob man darüber überhaupt weiter nachdenken sollte, das weiß man wohl nicht. Vor KC:D dürfte kaum jemand in Deutschland je von den Kumanen gehört haben, sodass man auch keine Ahnung hat, ob an deren Darstellung überhaupt irgendwas problematisch ist oder nicht. Ahnungslosigkeit ist ein gutes Trägermedium für Vorurteile - das gilt für schlechte, wie auch gute.
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Peninsula »

Jochen hat geschrieben:Dass Lovecraft ein rassistisches Arschloch war und seine Texte randvoll sind mit rassistischen Motiven bedeutet nämlich nicht zwangsläufig, dass sie geneigt sind, rassistisches Gedankengut in anderweit unbescholtenen Menschen festzusetzen.
Wenn man das zum Maßstab erklärt - wenn man also davon ausgeht, dass Werke inhaltlich erst dann "problematisch" werden, wenn sie auf einen Schlag aus unbescholtenen Menschen Rassisten machen o.ä., dann kann man das mit der Kritik auch lassen und abwarten und Däumchen drehen bis die Medienwirkungsforschung "handfeste" Ergebnisse liefert, falls sie es denn überhaupt je tut. Für eine Verbotsdiskussion würde ich diesen Maßstab ja eventuell noch nachvollziehen können, aber die führt hier doch niemand?

Vielmehr nehmen wir alle hier jede/r für sich die geforderte "kritische Einordnung" vor - für mich ist da ein Spiel, das offenbar xenophobe und sexistische Klischees enthält mit einem Lead Designer, der sich öffentlich rechtsoffen und Gamergate-freundlich positioniert. Das heißt nicht, dass KC:D für sich genommen Spieler zu Rassisten und Sexisten "umpolt", aber es heißt eben auch nicht, dass es alarmistisch wäre, Kritik an diesen Aspekten einzufordern.

Und natürlich gibt es keine Pflicht, ein Werk eindeutig weltanschaulich zu verorten, aber ebenso wenig gibt es ein Recht darauf Kritik an möglichen Lesarten abzuschmettern, indem man im Diskurs dann sämtliche Verantwortung für den Inhalt eines Werks auf den Rezipienten abwälzt.
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Terranigma »

Peninsula hat geschrieben:Und natürlich gibt es keine Pflicht, ein Werk eindeutig weltanschaulich zu verorten, aber ebenso wenig gibt es ein Recht darauf Kritik an möglichen Lesarten abzuschmettern, indem man im Diskurs dann sämtliche Verantwortung für den Inhalt eines Werks auf den Rezipienten abwälzt.
Tut ja niemand. Auch die Diskussion dreht sich hier wohl eher darum, dass ... naja. Nun, niemand fordert Verbote. Niemand fordert, dass Autoren ihre Werke jederzeit kritisch einordnen müssen. Niemand fordert, dass die Verantwortung ausschließlich beim Rezipienten liegt. Niemand sagt, dass Kritik nicht erlaubt sei. Niemand sagt, dass Kritik durch Verweis auf die Eigenverantwortung des Rezipienten abzumildern sei.

Ernst gemeinte Frage, aber fordert hier eigentlich überhaupt irgendwas oder stellt irgendeine konkrete These in den Raum, an der man sich abarbeiten könnte? Mein Eindruck ist, dass wir hier durchaus einen grundsätzlichen Konsens haben, und die Differenz lediglich in den der Frage des Maßes besteht, d.h. in welchem Maße ist der Rezipient für die Kontextualisierung selbst verantwortlich und ab wann ist die Darstellung eines Werkes problematisch. Aber auf diese Fragen wird man keine eindeutigen Antworten finden; da wird der eine die Linie früher ziehen, der andere später.


Anstatt eine vom Spiel losgelöste Grundsatzdiskussion zu führen - so viel Spass das auch macht - wäre es doch pragmatischer zu fragen: "Gibt es hier jemanden, der die Darstellung der Kumanen in KC:D problematisch findet? Falls ja, warum?" Und mein Eindruck bisher ist, dass eigentlich niemand so recht diese Position einnehmen möchte, oder bezeichnet hier jemand KC:D als "rassistisches" oder "xenophobes" Werk?
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Peninsula »

Terranigma hat geschrieben:"Gibt es hier jemanden, der die Darstellung der Kumanen in KC:D problematisch findet? Falls ja, warum?" Und mein Eindruck bisher ist, dass eigentlich niemand so recht diese Position einnehmen möchte.
Hust:
Fährmann hat geschrieben:Und hier fällt tatsächlich auf, dass die Landschaft, die Rüstungen, die Kleidung, die Häuser, usw. recht akribisch recherchiert wurden, im Gegensatz dazu aber die Kiptschak problematisch verkürzt und ein merkwürdiges Genderbild übernommen wurden. Die Rolle der ländlichen Frau im Mittelalter war hochkomplex und findet sich nicht mal ansatzweise in dem Spiel wieder (... mit dem Disclaimer, dass ich nicht 100% von Kingdom Come gesehen habe). Im Gegenteil: Dass Frauen dem Spielercharakter konstant signalisieren, was für ein cooler Dude er ist, sich anflirten lassen und ansonsten (im Gegensatz zu Männern) mit deutlich weniger Macht in der Gesellschaft abgebildet werden, ist ziemlich schräg.
Und:
Fährmann hat geschrieben:Die Schwierigkeit besteht bei KC:D darin, dass es bei Vavra mehr oder weniger offensichtliche Indizien gibt, dass er ein fremdenfeindliches, mögl. rassistisches und frauendiskriminierendes Weltbild hat. Wenn er dieses in ein Spiel überträgt, hat das für mich ne andere Qualität als die obigen Fälle. Dann fühlt es sich schmierig und wie Propaganda an. Und dass er (und die PR) anschließend fälschlicherweise behauptet, alles was in dem Spiel passiere, sei total historisch, macht das noch sehr viel unangenehmer.
Finde ich überzeugend am konkreten Beispiel KC:D dargelegt. Ebenso konkrete Gegenargumente vermisse ich allerdings - da wird dann in der Tat eher eine Grundsatzdiskussion geführt.
Jochen

Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Jochen »

Peninsula hat geschrieben:Wenn man das zum Maßstab erklärt - wenn man also davon ausgeht, dass Werke inhaltlich erst dann "problematisch" werden, wenn sie auf einen Schlag aus unbescholtenen Menschen Rassisten machen o.ä., dann kann man das mit der Kritik auch lassen und abwarten und Däumchen drehen bis die Medienwirkungsforschung "handfeste" Ergebnisse liefert, falls sie es denn überhaupt je tut
Zitiere doch bitte die komplette Aussage. Also auch jenen Teil, wo ich sehr explizit formuliere, dass ich eine Verherrlichung problematisch erachte und lediglich vor zu viel Alarmisierung bei der Tragweite dieser Problematik warne und dann das Beispiel Lovecraft nenne. Denn wenn du das machst, wird ziemlich schnell ersichtlich, was ich eigentlich sagte - und dass das mit deiner Gegenargumentation herzlich wenig gemein hat ;)
Peninsula hat geschrieben:Und natürlich gibt es keine Pflicht, ein Werk eindeutig weltanschaulich zu verorten, aber ebenso wenig gibt es ein Recht darauf Kritik an möglichen Lesarten abzuschmettern, indem man im Diskurs dann sämtliche Verantwortung für den Inhalt eines Werks auf den Rezipienten abwälzt.
Niemand schmettert hier Kritik ab oder will die Verantwortung für den Inhalt eines Werkes auf den Rezipienten abwälzen. Ganz im Gegenteil. Ich sagte, es sei legitim, wenn der Künstler die Einordnung seiner Darstellung dem Rezipienten überlässt - das schließt eine kritische Einordnung ausdrücklich mit ein. Nicht legitim hingegen ist meiner Meinung die Forderung, das habe der Künstler zu erledigen, weil er nicht davon ausgehen könne, dass der Rezipient zu einer Einordnung in der Lage sei. Das ist er - wie dieser Thread zeigt - nämlich durchaus.
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Terranigma
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Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Terranigma »

Peninsula hat geschrieben:Finde ich überzeugend am konkreten Beispiel KC:D dargelegt. Ebenso konkrete Gegenargumente vermisse ich allerdings - da wird dann in der Tat eher eine Grundsatzdiskussion geführt.
Dem würde ich auch nicht widersprechen. Ich würde dies lediglich nicht "sexistisch" nennen, d.h. mit einem Werturteil belegen, sondern es erst einmal - wie Dom es im Podcast tut - für sich so nehmen, und sagen, dass es eine Interpretation von Frauen im Mittelalter ist. Wohl eine, die der Komplexität des Themas nicht gerecht wird, allerdings dürfte das umgekehrt auch für die Darstellung der Männer dienen, so waren innige Männerfreundschaften mit Verhaltensweisen, die heute ggf. als homoerotisch gesehen würden - z.B. das Teilen des Bettes - nicht im Spiel enthalten. Umgekehrt ist nicht mein Eindruck, dass dies gegenüber Männern als "sexistisch" gesehen wird.

Ich sehe hier zwei Perspektiven, die ich trennen würde:
(1) Die Darstellung von "Geschlecht" in KC:D entspricht nicht der Komplexität, welche die wiss. Forschung abbildet. Stattdessen bedient KC:D zeitgenössische Stereotype über das Mittelalter.
(2) Die Darstellung von Frauen im Spiel ist sexistisch.

(1) Stimme ich zu. Gleichwohl scheint mir der Vorwurf insofern etwas 'günstig zu haben', weil kein Videospiel, kein Spielfilm, o.Ä. der Komplexität des Historischen in jedweder Hinsicht gerecht werden kann. Das ist auch nicht der Anspruch (!) des Mediums, es sind keine wiss. Arbeiten. In dieser Hinsicht ist jedweder Spielfilm, jedwedes Spiel, usw. eine Verkürzung und Reduktion. Diese Feststellung ist erst einmal unabhängig davon, ob man die dargestellte Perspektive persönlich moralisch gut oder schlecht findet. Wenn Juden in Holocaust-Filmen ausschließlich als Opfer dargestellt werden, ist dies auch eine Reduktion der Komplexität; es gab während des Holocaust auch jüdische Kollaborateure, aber ich kann mich an keinem Film erinnern, in der Juden im Kontext des Holocausts auch einmal in dieser Rolle dargestellt wurden. Wohl weil diese Darstellung - zurecht, würde ich auch sagen - als unanständig empfunden würde, obwohl es eine mögliche Perspektive ist. Aber das Komplexität in historischen Darstellungen reduziert wird, das erscheint mir nicht per se einen Vorwurf wert, weil es unvermeidbar ist.

(2) Stimme ich teilweise zu. Die Darstellung der Frauen ist wohl am Frauenbild der Entwickler orientiert. Die Entwickler sind Tschechen, und deren Frauenbild entstammt dem des derzeitigen Tschechischen. Nun trifft das Verhalten der Frauen im Spiel auch nicht meinen Nerv; dasselbe gilt übrigens aber auch für die Männer. Ich würde das Thema der verqueren Darstellung von "Geschlecht" daher nicht einzig an Frauen festmachen, und dies ausschließlich auf Frauen bezogen als "sexistisch" bezeichnen. "Sexismus" ist in meinen Ohren gravierender, als dass die männliche Spielfigur als attraktiver Dude inszeniert wird. Aber das ist wohl eine Ermessensfrage, ab wo man die Grenze zum "Sexismus" übertreten sieht und wo nicht. Ich würde es als "konservativ" bezeichnen, aber nicht das Wort "Sexismus" zücken. Andere mögen die Grenze schon überschritten sehen.
Zuletzt geändert von Terranigma am 25. Feb 2018, 16:03, insgesamt 1-mal geändert.
Sitting quietly and doing nothing,
Spring comes, and the grass
grows by itself.
Jochen

Re: Kingdom Come: Deliverance und sein problematisches Geschichtsbild

Beitrag von Jochen »

Terranigma hat geschrieben:Tut ja niemand. Auch die Diskussion dreht sich hier wohl eher darum, dass ... naja. Nun, niemand fordert Verbote. Niemand fordert, dass Autoren ihre Werke jederzeit kritisch einordnen müssen. Niemand fordert, dass die Verantwortung ausschließlich beim Rezipienten liegt. Niemand sagt, dass Kritik nicht erlaubt sei. Niemand sagt, dass Kritik durch Verweis auf die Eigenverantwortung des Rezipienten abzumildern sei.

Ernst gemeinte Frage, aber fordert hier eigentlich überhaupt irgendwas oder stellt irgendeine konkrete These in den Raum, an der man sich abarbeiten könnte?
Nun: Die mindestens implizite Forderung, der Autor in Gestalt des "allwissenden Erzählers" müsse fragwürdige Darstellung einordnen, damit dem Konsumenten ersichtlich wird, dass sie fragwürdig sind, würde ich durchaus als konkrete These bezeichnen - und lehne sie aus den dargelegten Gründen ab.

Aber ja, die Krux an solchen Diskussionen ist meist, dass es schwierig wird, sie auf einer konstruktiven Ebene zu führen. Man kann konstatieren, dass die Darstellung von X in Spiel Y sexistisch/rassistisch/homophob/xenophob usw. ist. Haben André und ich ja im Podcast auch schon oft genug getan. Mithin dreht sich ein erheblicher Teil der Geisteswissenschaften um genau solche Fragen. Aber was leitet sich daraus ab? Ein Verbot? Die Forderung, so etwas nicht mehr zu machen? Die Forderung, so etwas nicht zu kaufen? Die Forderung, so etwas kritisch zu bewerten, auch wenn es ein Rezensent im Einzelfall vielleicht anders interpretiert?

Diese klaffende Lücke in der Diskussion konnte man damals auch wunderbar bei Sarkeesian und Co. beobachten. Die einen sagten: Das muss man doch kritisieren dürfen/können. Und die anderen sagten: Warum soll man das kritisieren, get a life. Nun gehörte ich ja bekanntermaßen auch zu jenen, die sagten, selbstverständlich muss man das kritisieren dürfen. Aber diese Kritik existiert im Elfenbeinturm und um ihrer selbst willen (was übrigens nicht schlimm ist, ich mag Elfenbeintürme und akademische Diskussionen sehr). Jede daraus ableitbare konstruktive Forderung findet relativ schnell ihre Grenzen bei Grundwerten von Meinungs- und Kunstfreiheit.
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