Nachdem ich nun schon erschreckend viele Stunden mit dem Spiel verbracht habe, kann ich mich nicht zurückhalten hier ebenfalls kurz meine ersten Eindrücke anzufügen. Ich scheine zu den Glücklichen zu gehören, die weder Probleme mit „motion sickness“ haben, noch von allzu vielen Bugs geplagt werden. Was nicht heißen soll, dass ich nicht auch dutzende, zum Teil wirkliche nervtötende Glitches, Scriptfehler etc. ertragen muss. Ein wirklich weiser Mensch würde das Spiel in einem Jahr in der „Game of the Year Edition“ spielen, aber ich zähle leider nicht zu jenen Buddhas des Spielehobbys. Die oben angesprochene Tatsache, dass ich bereits etliche dutzend Stunden in das Ding versenkt habe, lässt bereits erahnen, dass ich wie viele andere in die Spielwelt geradezu verliebt bin. Das betrifft zum einen die wunderschöne Grafik, zum anderen aber auch all die "simulationslastigen", zum Teil zweifellos etwas sperrigen Systeme, die man nicht mögen muss, welche mir persönlich aber ein „Sich-Verlieren-in-der-Welt“ ermöglichen, das schon immer eine Kernmotivation meines Spielens war. Man könnte mit einem etwas platten Schlagwort auch einfach sagen: Immersion. Selbst Dinge, die für viele wahrscheinlich lästig sind, wie die Inventarverwaltung, gehören für mich dazu. Ein kleines banales Beispiel: Ich erlege nach langem Anschleichen und Verfolgen einen Hirsch. Stolz pack ich wie in jedem Rollenspiel seine Hinterlassenschaften in meine Taschen: Fell, Fleisch, meine verschossenen Pfeile (um ihn auszunehmen und das Geweih zu entfernen fehlen mir noch die Perks). Plötzlich kann ich mich kaum mehr vom Fleck bewegen. Verwundert öffne ich das Inventar und stelle fest: Natürlich, an so einem stattlichen Hirschen ist verdammt viel Fleisch. Das mal eben zusätzlich zu meiner Rüstung mit mir rumzuschleppen wird schwierig. Also schichte ich es um in die Satteltaschen und ziehe meiner Wege. Einige Spieltage später fällt mir beim Reiten über die Felder Böhmens ein unangenehmer Geruch auf und ich stelle fest, das die Taschen meines Pferdes randvoll gefüllt sind mit verdorbenem Wildfleisch… All das hat streng genommen nichts mit Realismus zu tun, aber es erweckt erfolgreich ein Gefühl davon. Ähnlich ergeht es mir mit der vieldiskutierten historischen Authentizität. Zunächst muss ich aber noch anfügen, dass ich bei aller Liebe zu sperrigen Systemen die Speichermechanik gerade angesichts der vielen Bugs für unzumutbar halte und schamlos die "Mod" benutze, welche mich beliebig speichern lässt. Eben merke ich: der Beitrag wird länger als erhofft, aber ein paar Worte trotzdem noch zur ganzen Kontroverse um das Spiel.
Meine Interpretation des ursprünglichen Konfliktes um die Repräsentation von „people of color“ im Spiel ist zugegeben eher wohlwollend und sollte es sich herausstellen, dass Vavra ein strammer Rechtsaußen ist, hinfällig. Ich halte es für einen Fall verunglückter Kommunikation von beiden Seiten. Vavras Grundmotivation für die Entwicklung des Spieles scheint mir der Wunsch gewesen zu sein, der Welt, die dominiert wird von amerikanischen Geschichten und Geschichtsbildern, sein eigenes Land und dessen Geschichte zu präsentieren. Es handelt sich also um ein durchaus patriotisches Spiel, worauf ich noch zurückkommen will. Die Kritiker wiederum sehen einen weiteren weißen Mann aus Europa, der schon wieder ein Spiel macht über das vermeintlich blütenweiße Mittelalter und fragen aus ihrer Perspektive zu Recht wie es um die Vielfalt der dargestellten Geschichtswirklichkeit bestellt ist. Vavra auf der anderen Seite sieht sich als Entwickler aus einem kleinen, mitteleuropäischen Land, das noch vor 28 Jahren völlig abgeschottet hinter dem eisernen Vorhand lebte und jetzt endlich auch einmal seine Geschichte erzählen will. Und dann kommen irgendwelche Kritiker aus Amerika und Westeuropa und behaupten so sei das aber alles nicht gewesen und möglicherweise sei er ein Rassist. Ich überspitze, aber man kann sich gut vorstellen, dass diese Situation eine überscharfe Reaktion hervorruft. In der Sache bin ich selbst sehr nah bei den Kritikern. Aber mich überrascht der teilweise völlige Mangel an Empathie. Diejenigen, welche immerzu fordern die Spielelandschaft solle verschiedene Perspektiven aus verschiedenen Ländern und Weltanschauungen anbieten, scheinen nicht zu erkennen, dass es sich hierbei um eine solche Bereicherung handelt. Nur: Gottbewahre! Um eine teilweise ziemlich konservative. Das darf und muss kritisiert werden. Aber warum nicht in einem ersten Schritt eben diese Bereicherung des Spielekosmos aus einem kleinen postkommunistischem Land begrüßen?
Wie nun schon von verschiedenster Seite zu Recht betont wurde, ist historische Wahrhaftigkeit eine Illusion. Selbst die Geschichtswissenschaft hat den Anspruch die Dinge zu schildern „wie sie wirklich waren“ (von Ranke) vor sehr langer Zeit entscheidend relativiert, daher wäre es lächerlich dergleichen von einem Computerspiel zu erwarten, das unter unvergleichlich schwierigeren Zwängen (Spielmechanik, Technik, Erwartung der Spieler, Marktrealität usf.) operiert als ein historisches Werk. Daraus folgt natürlich nicht, dass man schulterzuckend alles unterschiedslos hinnehmen darf, da es ja vermeintlich keine historische „Wahrheit“ gäbe. Gerade weil Objektivität letztlich illusorisch ist, man aber das Streben danach nicht aufgeben kann, müssen die jeweiligen subjektiven Voraussetzungen und Vorbelastungen eines Werkes, sei es einer historische Monographie oder eben eines Computerspiel, beleuchtet und hinterfragt werden. Man entschuldige diese etwas oberlehrerhafte Einleitung. Mangels Fachwissens kann ich eine wirkliche Einordnung des Geschichtsbilds dieses Spieles kaum leisten. Damit eine solche Analyse tatsächlich aufschlussreich wäre müsste sie aber weit über die zweifellos wichtige Frage nach verschiedenen Ethnien hinausgehen. Ich habe ja schon erwähnt, dass ich das Spiel für ein patriotisches Werk halte. Nun ist das aber im 15. Jahrhundert durchaus problematisch, denn ich bezweifle zum Beispiel, dass Dorfbewohner Böhmens irgendein Bewusstsein dafür hatten „Tschechen“ zu sein. Andere interessante Fragestellungen wären die allgemeine Darstellung der Politik und vor allem auch der Religion. Ich stelle also the Pod die einfache Aufgabe einen renommierten Historiker zu finden, der sich intensiv mit dem Böhmen der frühen Neuzeit beschäftigt hat, diesen dann zu zwingen, das Spiel ebenso intensiv zu spielen, um anschließen einen zweistündigen Podcast über dessen Geschichtsbild aufzunehmen. Danke im Voraus
Zuletzt noch ein Aspekt, den anzusprechen ich mich kompetent genug fühle und der gleichzeitig im Moment der Punkt am Spiel ist, welcher mich am meisten stört. Die Prämisse von Kingdom Come ist ganz klar: Wäre es nicht cool als unbedeutender Schmied durchs wunderschöne Böhmen des 15. Jahrhunderts zu ziehen und sich über kurz oder lang zum heldenhaften Kämpfer und Abenteurer zu mausern? Dagegen ist erstmal nichts einzuwenden gerade wenn man bedenkt, dass Eskapismus und Machtfantasie eine inhärente Eigenschaft der meisten Rollenspiele ist. Aber dieses Spiel entspringt so eindeutig der Fantasie eines hinsichtlich seines Männer bzw. Frauenbildes arg unreflektierten Mannes, dass mich die Sache insbesondere mit Blick auf die gamergate-Vergangenheit des Herrn Vavra doch ziemlich unangenehm berührt. Dieser scheint mich zu fragen: Wäre es nicht super cool von der kreuzbraven Müllersmagd in den Heuschober gezogen zu werden, nachdem man sie im heldenhaften Faustkampf vor einer Karikatur von Nebenbuhler gerettet hat? - Naja. Wäre es nicht noch cooler wenn sich einem gleichzeitig eine sexuell frustrierte Fürstin heimlich hingeben würde? - Nein, eigentlich eher nicht. Diese Geschichten könnten vielleicht, aber nur vielleicht funktionieren, wenn sie brillant und vielschichtig geschrieben wären. Aber hier scheint mir einfach nur ein Typ ziemlich banale Fantasien zu bedienen. Oder um es anders zu sagen: Eine Frau hätte dem „writing team“ sicherlich gut getan. Als Belege noch folgende „Features“: Ein Perk, der den Spieler so unwiderstehlich macht, dass Prostituierte kostenlos ihre Dienste anbieten? Ein Charismabonus danach, weil man „seine Bedürfnisse befriedigt hat“ und sich deswegen offenbar super männlich und unwiderstehlich fühlt? Was soll der Scheiß?
Trotzdem werde ich weiterspielen und die fantastischen Lichteffekte über den Feldern und Auen Mitteleuropas bewundern. Ich muss nämlich gestehen, dass die Fantasie des Spieles bei mir letztendlich doch funktioniert und ich mich irgendwie „heimisch“ fühle in dieser Welt, trotz und vielleicht auch wegen der überall spürbaren Romantisierung einer vermeintlich noch einfacheren Zeit.
(Oh man Gott ist das jetzt lang geworden... Sorry dafür =)