Terranigma hat geschrieben:
Ich tue mir mit dem Konzept "die Geschichten schwarzer Menschen schwer", weil das im Umkehrschluss notwendigerweise die Frage aufwirft, ob es auch "die Geschichten weißer Menschen" gibt. Tue mir schwer, hier Kultur, Geschichte und Hautfarbe derart in einen Topf zu werfen; natürlich haben schwarze Menschen in bestimmten Aspekte in der Vergangenheit - und Gegenwart - andere Erfahrungen gemacht als weiße Menschen. Umgekehrt hat ein Kind mit dunkler Hautfarbe, das 2018 in Deutschland geboren wird, erst einmal nichts mit den Erlebnissen anderer Menschen mit dunkler Hautfarbe vor Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten in Amerika oder Afrika zu tun. Genauso wenig wie ich aufgrund meiner Hautfarbe in der Tradition von Kolonialisten oder Sklavenhaltern stehe.
Die Hautfarbe allein stellt sicher nicht den Kontext (weshalb monieu sich ja auch explizit eine Geschichte in einer Umgebung, in der Schwarze keine marginalisierte Gruppe darstellen, namentlich etwa im subsaharischen Afrika) her, aber in deinem Beispiel eines 2018 in Deutschland geboren Kindes steht der Kontext durch das Zusammenspiel von Ort und Hautfarbe. Dieses Kind hat nämlich sehr viel Kontakt mit der kolonialen Geschichte. Es wird schon in frühen Jahren damit konfrontiert werden, anders zu sein. Nach wie vor herrscht in Deutschland die Meinung vor, dass Deutsche nunmal ursprünglich weiß waren, das somit unsere natürliche Farbe sei. Die wenigsten haben dahinter eine Diskriminerungsabsicht, die kommt mit dem netten, ehrlichen Interesse. 'Wo kommst du denn eigentlich her? Naja ich meine so wirklich. Ursprünglich? Deine Eltern?' wird dem Kind immer wieder aufzeigen, dass schwarze Deutsche Exoten sind. Und auf diese Exoten werden Stereotype projeziert, die kolonialistisch geprägt sind. Da geht es dann um Armut, niederen Bildungsstand, körperliche Eigenschaften (wie oft ich schon falsche Vorstellungen durch Pornos gehört habe), Rythmus im Blut usw usw.
Das Kind hat somit direkt mit den Erlebnissen anderer Schwarzer in vergangener Zeit zutun, da diese erst die aktuellen Vorurteile geprägt haben.
Auf der anderen Seite stehen wir natürlich auch irgendwo im Erbe der weißen Seite dieser Zeit. Wir sind nicht daran schuld, haben für die Vergangenheit keine Verantwortung. Aber so wie wir heute als weiße Deutsche darstehen, stehen wir in direkter Tradition unserer kolonialistischen Vorfahren.
Wäre hilfreich wenn du sagst, was du genau damit meinst. Von was für Geschichten reden wir hier? Die Geschichten von Schwarzen wird z.B. im Filmbereich zumeist im Kontext von Kolonialismus und Sklaverei - kurz: Unterdrückung - verortet. Das heißt selbts diese Geschichten sind eigentlich auch die Geschichten von Weißen, die hier als Antagonisten als Kolonialisten und Sklaventreiber auftreten. Die Bandbreite der hier erzählten Geschichten erscheint mir sehr überschaubar und eng: eben Kolonialismus und Sklaverei. Außerhalb dieses europäisch-amerikanischen Fokus werden Schwarzafrikaner eigentlich kaum als eigenständige Gruppe thematisiert; mir fällt z.B. kein einziger Film ein, der in Afrika spielt, aber in dem es keinen weißen Europäer gibt.
Keinen weißen Europäer, du meinst denke ich keine Haupt- oder größere Nebenrolle oder? Also das mal irgendwo ein weißer Komparse rumsteht, ist ja nicht so wichtig, oder?
Beispiele für Filme, die nicht selbst reine afrikanische Produktionen sind, mit relevantem nur schwarzen Cast:
Sometimes in April (Genozid in Ruanda, 2004 glaube ich)
Queen of Katwe (Ugandische Schwachspielerin aus den Slums Kampalas, 2016 rum)
Beasts of No Nation (fällt mir kein weißer Europäer ein)
Ruanda (Genozid, Jahr habe ich nicht im Kopf, glaube ich ein belgischer Film)
Das sind ein paar Beispiele, die mir aus dem Kopf direkt einfallen. In der Sache hast du aber natürlich recht, die meisten Filme, die in Afrika spielen, haben eine wichtige weiße europäische oder us-amerikanische Figur. Sind übrigens alles gute Filme, falls jemand an den Themen Interesse hat, kann ich empfehlen.
Allgemein könnte man ja fragen, warum Angehörige einer bestimmten Ethnie, Sozialgruppe, Geschlecht, etc. pp. im besonderen Maße prädestiniert dafür sein sollten, Geschichten über diese Sozialgruppe zu erzählen. Zumindest das klingt ja irgendwie so an.
Eine Innenperspektive wird immer einen anderen Fokus haben, als eine von außen. Ich bin nicht der Meinung, dass zB ein weißer Autor nicht auch eine Geschichte über Schwarze erzählen kann. Allerdings geht es dabei viel darum, dass Weiße seit Jahrhunderten diejenigen sind, die andere Völker 'entdecken' und deren Kulturen und Geschichten erzählen. Mit traurigen Ergebnissen. Viele Diskussionen um rassisitsiche Begriffe hätten wir heute gar nicht, wenn nicht immer Weiße diese Geschichten erzählt hätten - zumindest mit entsprechender Reichweite.
Es muss ja kein entweder oder sein, aber wenn immer nur über, nie aber von einer Gruppe erzählt wird, nimmt es ein Stück weit die Selbstbestimmung.
Edit: Sehe gerade, du hast es rauseditiert. Ich war zu schnell :p