Jochen hat geschrieben:
Wie André auch schon bemerkte: Dass sich die Kritik formal auf das Werk bezieht, bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Künstler sie nicht persönlich nimmt. Ich kenne offen gestanden keinen einzigen Künstler, der vernichtende Kritik
nicht persönlich nehmen würde. Und wenn ich einen kennen würde, würde ich mich fragen, wie wichtig ihm seine Kunst tatsächlich ist - und ob er psychologisch noch ganz bei Trost ist
Ich bin ja insofern ganz bei dir, dass der Künstler damit leben muss. Das ist gewissermaßen der Deal, den er eingeht, wenn er seine Kunst öffentlich macht. Aber von ihm zu erwarten oder zu verlangen, dass ihn das im Falle einer miesen Kritik nicht grämen, ärgern oder möglicherweise auch irrational reagieren lassen soll, erscheint mir ziemlich ... empathielos, um ehrlich zu sein. Man kann sich nun darüber streiten, ob es klug ist, diese Gefühle ebenfalls öffentlich zu machen - oder ob man sie nicht lieber für sich behält, weil man sonst wie ein weinerlicher Tropf dasteht. Erfahrungsgemäß sollte man wahrscheinlich letzteres wählen, es sei denn, man heißt Stanley Kubrick, Truman Capote oder Bob Dylan, dann darf man Kritiker beleidigen, wie es einem beliebt und erntet dafür noch Applaus. Aber genau deshalb fand ich diese Folge/Thematik ja so spannend. Weil hier ausnahmsweise mal jemand öffentlich macht, was man sonst nur hinter vorgehaltener Hand und nach dem siebten Bier zu hören bekommt.
Jochen - und auch André -. ich hab ja nicht behauptet, dass ein Verriss einen kalt lässt. Auch, wenn ich mich im folgenden ein bisschen wiederholen werde (aus dem anderen Thread): Mir gehts tatsächlich darum, dass man ein dickes Fell haben sollte. Ich habs in dem andern Ding ja schon geschrieben: Ich hab durchaus auch schon paar Verrisse bekommen. Aber - sie waren berechtigt (so, wie Du, André, ja auch zu Past Cure sagst, dass man die 2/10 geben kann). Hätte ich mir von dem jeweiligen Kritiker was anderes, ausgewogeneres gewünscht? Klar. Aber es beißt keine Maus keinen Faden ab, dass
ich derjenige war, der sich höchstpersönlich den Verriss eingehandelt hat. Weil ich nicht vorbereitet genug war. Weil ich fürs falsche Publikum das falsche Programm zusammengestellt habe. Weil ich - wie wohl auch Phantom 8 - zuviel wollte und deshalb überall zu wenig gebracht habe. Es lag an
mir, dass ein Kritiker verreissen
konnte.
Alles in allem halte ich mich für durchaus halbwegs bei Trost.
Aber es stimmt, dass die kritische Selbstbetrachtung unter "uns Künstlern" nicht wirklich weit verbreitet ist. Aus meiner ureigenen Erfahrung im Bekannten- und Kollegenkreis kann ich allerdings nur sagen, dass jene, die a) nicht in der Lage sind, das eigne Tun halbwegs realistisch einzuschätzen und dazu noch b) dünnhäutig auf Kritik reagieren, gewaltige Schwierigkeiten im Leben haben. Sowohl persönlich (weil sie ja jede Schmähung ins Mark trifft) als auch professionell (weil Auftraggeber nunmal recht konkrete Vorstellungen davon haben, was sie in welcher Qualität wollen - und wenn der Künstler das aus "künstlerischer Integrität" zu oft nicht liefert, suchen sie sich halt jene, die das liefern). Was dann ein Teufelskreis ist - da die geschundene Künstlerseele durch ausbleibende Aufträge noch mehr verletzt wird.
In dem andern Thread war ich zugegeben recht unfreundlich gegenüber den Aussagen/der Art von Phantom 8. Hier jetzt ging es mir wirklich darum, dass ein dickes Fell für die Jungs und Mädchen dringend nötig sein wird. Sonst werden sie mit Sicherheit weder beruflich noch persönlich glücklich. Zu der traurigen Wahrheit gehört nämlich, dass vermutlich nicht mal ein Prozent aller künstlerisch arbeitenden nur das tun können, was ihnen eine Herzensangelegenheit ist, und dafür dann auch noch nur Lob und Anerkennung bekommen. Das funktioniert in aller Regel nicht. Selbst die Uralt-Stones sind Zwängen unterworfen - zum Beispiel jenen, pro Abend zumindest eine bestimmte Menge Hits zu spielen statt nur unbekannte Songs.
Und André,
Andre Peschke hat geschrieben:
Zu denken, man könne überhaupt "nur das Werk kritisieren" und seinen Urheber dabei quasi vollumfänglich aussparen, halte ich zumindest im Kontext von kreativem Schaffen ein bisschen für ein Feigenblatt. Je kleiner das Team, desto mehr. Wenn du mir sagst, mein Podcast war scheiße, greift das den Teil von mir an, der als Macher gedacht hat, Thema und/oder Ausführung seien gut gelungen. Als ich bei der GS anfing Videos zu machen, fanden viele meine Stimme scheiße oder mein Aussehen "zu schwul" - war das zu persönlich? Oder sind mein Aussehen und meine Stimme nicht auch Teil des Werkes (jetzt mal abgesehen davon, dass "zu schwul" ein reichlich dummer Kritikpunkt ist).
speziell dazu: Das sehe ich als zwei völlig unterschiedliche Fälle an. Deine Stimme und Dein Aussehen zu kritisieren ist nunmal
nicht Kritik am Werk, sondern direkt an der Person. Abgesehen davon, dass ich mich grade massiv fremdschäme: Du machst journalistische Videos. Weder Deine Stimme noch Dein Aussehen hat da irgendeine Rolle zu spielen. Wenn ich ein Klavierkonzert mache und in der Kritik danach lese, dass der Pianist 20 KG Übergewicht hat, ist das rein faktisch korrekt - hat aber mit dem eigentlich zu besprechenden Thema "Konzert" rein gar nix zu tun.
Sollte ein Kritiker mal sowas in seiner "Kritik" schreiben, kann ich ihn getrost als "niveaulosen Volltrottel" abhaken, dessen Geschmiere mich nicht weiter beschäftigen muss. Sollte er aber schreiben, dass meine Interpretation von John Miles' "Music" ein "Haufen diabetesfördernder Tonmüll" ist, weil ich einerseits so wahnwitzig bin, zu denken, ich könne die Nummer als Klaviersolostück spielen, andererseits das Ding kitschig aufgeblasen hab - dann sollte das vor allem erst mal
mir zu denken geben.
Und speziell zum "Podcast ist scheiße": Du dürftest mich für alle Zeiten aus dem Forum werfen, wenn ich Dir nur das hinknalle ohne anhand einer dezidierten Auflistung zu sagen,
was denn meiner Meinung nach "Scheiße" ist.
Dass ein Verriss sogar besser begründet sein
muss als eine lobende Kritik, ist selbstverständlich. Aber grade Dich - wie auch Jochen - schätze ich definitiv so ein, dass Ihr selbst ein sehr gutes Gefühl dafür habt, ob Ihr ne Folge rausstellt, die richtig gut ist - oder eine, bei der Ihr selbst denkt, "Verdammt, das wär unter besseren Umständen soviel besser gegangen". Denn fairerweise - vermutlich niemand, der ernsthaft kreativ arbeitet, veröffentlicht was mittelmäßiges bis schlechtes, weil er einfach zu faul war, mehr Sorgfalt zu investieren. Es dürften immer die äußeren Bedingungen sein, die einen zwingen, etwas zu früh/unfertig rauszuhauen.