Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

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Pommesbudenpate

Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Pommesbudenpate »

Erstmal möchte ich Wolfgang ein dickes Lob für all seine Formate und speziell seine Kolumnen aussprechen.
Größtenteils mag ich die meisten auch. Aber selbst die die ich kritischer sehe, schätze ich für die Themen die sie aufwerfen. Oder wenn ich mich dadurch selbst hinterfrage, wie nach dem Sexismus-Podcast in der Spielebranche. Die Diskussionen, die daraus entstehen und Auseinandersetzung im Forum liebe ich wirklich, da sie meist sauber ablaufen und man was davon mitnehmen kann.

Zur Folge selber. Bin mir jetzt nicht sicher, aber waren nicht noch Anfang der 2000er Jahre die Rezeptionen deutlich negativer, wenn man nicht eine gewisse Spielzeit erreicht hat (die meist weit über 10 Stunden lag). Möglicherweise ist das auch nur meine Auffassung, da ich damals Schüler war und massig Zeit hatte.
Ansonsten bin ich über weite Teile Wolfgang's Meinung. Wenn ich das Gefühl hab, dass der Entwickler meine Zeit nicht respektiert empfinde ich das auf gewisse Art und Weise respektlos.
Man opfert viel Zeit und auch Geld für das Hobby Spiele, da bekomme ich beim Thema Lootboxen und co einen Kotzreiz bei Vollpreisspielen.
Für mich persönlich gilt eigentlich, dass sich ein Spiel gelohnt hat und die Zeit damit auch, wenn ich was daraus gezogen habe. Sei es eine super Erfahrung, eine innovative Idee oder einfach auch das Gefühl etwas abzuschalten.
Gefühlt zumindest merke ich, dass ich mit zunehmenden Alter immer lieber Indie-Spiele spiele. Dort bekommt man meist etwas außergewöhnlicheres geboten als bei den Triple A Titeln. Sie mögen zwar nicht so gepolisht sein, aber man spürt eindeutig mehr Herz im Produkt. Und Erfahrung wie bei This War Of Mine, die nicht unbedingt Spaß machen, aber die wirklich wie ich finde profund sind. Suche bei den großen Releases meist eher mit der Lupe. Zeit ist das wahrscheinlich mit wichtigste Gut, das man haben kann. Von daher würde ich mir insbesondere von den EAs und Activision dieser Welt einen respektvolleren Umgang wünschen. Natürlich liegt es auch am Spieler selber, aber ich finde man darf trotzdem auch mal die größeren Unternehmen mit in die Pflicht nehmen.



Zuletzt geändert von Pommesbudenpate am 17. Apr 2018, 06:10, insgesamt 5-mal geändert.
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Nachtfischer
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Nachtfischer »

Eine tolle Folge! :)

Und ich kann mich nur anschließen: Spielen ist ein Dasein als bloße "Zeitvertreiber" nicht inhärent. Gute Spiele stellen vielmehr eine mental äußerst produktive Zeitverwendung dar. Dieser Anspruch geht vielen Videospielen heute leider völlig ab. Sie geben sich größte Mühe, das durchschnittliche Spielerhirn permanent zu unterfordern. Teilweise hört man dann von älter werdenden Spielern, dass sie "aus dem Spielen herausgewachsen" seien. Vielleicht sind sie aber nicht aus dem Spielen selbst, sondern aus den Spielen, die sie regelmäßig (insbesondere an der gut sichtbaren Oberfläche des Hobbys) vorgesetzt bekommen, herausgewachsen. Als sich hoffentlich weiterentwickelndes Individuum will man natürlicherweise immer weniger die Zeit vertreiben, sondern sie effizient nutzen. Sie ist ja begrenzt.

Unterforderung ist aber nicht das einzige Problem. Wolfgang schreibt von Spielen, die "zumindest nicht dümmer und tauber" machen. Auch da sieht es vielerorts nicht sonderlich gut aus. Jonathan Blow hat einmal über typische Botschaften, die World of Warcraft vermittelt, gesprochen: "You are a schlub who has nothing better to do than sit around performing repetitive, mindless actions. Skill and shrewdness do not count for much; what matters is how much time you sink in. You don’t need to do anything exceptional, because to feel good you just need to run the treadmill like everyone else." Klar sind das nicht die einzigen Aussagen des Spiels. Aber ob es in seiner Gesamtheit (und seiner Perpetuierung real-systemischer Fragwürdigkeiten) zur einst von James Paul Gee herbeigewünschten "better and smarter society" führt?

Dabei hat das Medium doch unendliches Potenzial. Im Interaktiven an und für sich sowie im Erzählen fundamental interaktiver Geschichten (damit meine ich nicht sowas wie Last of Us oder Walking Dead, sondern vielmehr Edith Finch oder Brothers). Für mich persönlich besteht ein wichtiger Zugang zum Medium in der Sichtbarmachung des Denkens. Spielen bedeutet nicht nur, zu lernen, sondern auch über das Lernen an sich zu lernen. Wir werden Zeuge unserer eigenen Gedanken und davon, wie sie sich immer wieder zu einem höheren Verständnis komplexer Problemstellungen zusammensetzen. Wir interagieren, suchen Lösungen, scheitern, werden kreativ, passen unser Modell der Welt immer wieder entsprechend an. Auf diese Weise bringen uns Spiele auf faszinierende Art und Weise unserem Geist näher als kaum etwas anderes. Jedenfalls dann, wenn wir uns von ihnen fordern lassen.

Doch unabhängig davon aus welcher Ecke sich jeder von uns dem Spielen nähert, könnten wir als Spieler versuchen, einige Grundsätze aufzustellen, die hoffentlich langfristig zu einem bereichernderen Umgang mit dem Medium führen: Wir sollten unsere Zeit und Aufmerksamkeit beispielsweise nicht an den nächstbesten AAA-Hit verschwenden, der vor lauter Blendwerk, Effekthascherei und Massentauglichkeit das Medium nicht einen Meter weit trägt. Wir sollten hinter die Fassade aus audiovisuellem Spektakel blicken und uns immer wieder fragen, was wir in einem Spiel wirklich tun. Wir sollten versuchen, psychologische Tricks frühzeitig und zuverlässig zu erkennen, die uns dazu bringen, uns viel länger mit einem Spiel zu beschäftigen, als es tatsächlichen Mehrwert liefert.

Kurzum: Wir sollten uns Spielen nicht nur aus-, sondern uns mit ihnen auseinander setzen!
Zuletzt geändert von Nachtfischer am 19. Apr 2018, 13:24, insgesamt 1-mal geändert.
MeanMrMustard
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von MeanMrMustard »

Mit einem von Marcel Proust inspirierten Titel weiß ich jetzt schon wieder, dass das keine Folge sein wird, die ich mal eben so nebenbei hören können werde... :lol: Freue mich aber drauf - das Thema klingt sehr interessant und bisher fand ich Wolfgangs Kolumnen immer großartig. :)
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Arragon
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Arragon »

Die Folge hatte bei mir ein durchgängiges, hochtoniges Pfeifen, das extremst störend war.
„Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe“
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Numfuddle
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Numfuddle »

Wolfgang vielen Dank für diese Kolumne im Speziellen.

Dein Beispiel GTA V im Text hat mir klar gemacht, warum ich Bioshock und dessen „Would you kindly?“ Twist bis heute so hasse.

An der Stelle geht es ja darum über Durchbrechen der vierten Wand und Wechsel auf die Metaebene einen Punkt zu machen der sich auf „Warum tust du eigentlich jeden Scheiss, den ein Spiel von dir verlangt du Dummkopf?” herunterbrechen lässt. Die einzige Option diesem äußerst konstruierten moralischen Dilemma aus dem Weg zu gehen wäre aber das Spiel erst gar nicht zu spielen.

Nach 30 Stunden Spielzeit ein „Dilemma“ vorgesetzt zu bekommen das so banal ist, dass man im Grundstudium Philosophie dafür auch schon höchstens eine vier bekommen hätte und dessen Thesiskern mit „Hättest du das Spiel mal besser nicht gespielt“ zusammengefasst werden kann hat mich damals so geärgert, dass es meine Spielerfahrung nachhaltig negativ geprägt hat.

Ja ich weiß das das der Punkt ist, den Ken Levine machen wollte, das macht es in meinen Augen aber nicht besser.

Das gleiche gilt für die Folterszene in GTA oder die „white phosphorus“ Szene in Spec Ops: The Line. Genau wie bei Bioshock gibt es keine Auflösung die auf der Spielebene möglich ist „the only winning move is not to play“. Auf der Metaebene, Spiel beenden, deinstallieren, potenziell Dutzende Stunden Spielzeit „drangeben“ für eine pseudointellektuelle Vorführung - noch nicht einmal Debatte - zum Thema.

Wenn der Entwickler wenigstens die Konsequenz besessen hätte, die Metaebene als legitimen Ausweg zuzulassen und mir z.B. die Möglichkeit eröffnet hätte den Kaufpreis zurückerstattet zu bekommen wenn ich das Dilemma ernst nehme und mich für das nicht weiterspielen entscheide. Wenn ich schon die Metaebenen-Entscheidung treffe und tatsächlich nicht weiterspiele finde ich das nur konsequent.

Aber nein, zusätzlich zu den vergeudeten Stunden Lebenszeit bekomme ich die 60 Euro natürlich auch nicht wieder. Das heißt, dass das Spiel die Debatte, die es aufmacht und mir als Spieler irgendwann nach 10 - 20 Stunden Spielzeit aufzwingt selbst nicht ernst nimmt und der Designer das Dilemma nur dazu verwendet um seine eigene intellektuelle Überlegenheit zu demonstrieren.
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Sebastian Solidwork
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Wie alle anderen Medien sehe ich Spiele als Spiegel unserer Gesellschaft.
Leider zeigt sich auch hier die, mMn immer mehr zunehmende, Entwicklung weniger auf Nachhaltigkeit und mehr auf kurzfristige Erfolge zu setzten.
Ist daran allein der Kapitalismus schuld? Ich bin mir nicht sicher, auch wenn ich ihm die Schuld an vielem gebe.

Frage an die älteren Semester: Was war früher anders? Warum gab es früher im Kapitalismus mehr Nachhaltigkeit?
Ich habe mal gehört, dass früher einfach die Ingenieure führend waren und jetzt immer mehr "die BWLer" übernehmen. Und damit wohl die, meiner Meinung nach Kreativität erstickende, detaillierter Kontrolle von alles und jedem. Wie kam es dazu?
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Pommesbudenpate

Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Pommesbudenpate »

Das ist jetzt nur die Perspektive von einem Laien wie mir. Aber gefühlt geht es ja in den meisten Bereichen so, minimaler Aufwand maximaler Ertrag. Grad bei größeren Produktionen, wenn ich mal bei den Spielen bleibe, hab ich das Gefühl das man schon darauf achtet sehr effektiv zu arbeiten. Kann mir gut vorstellen, dass man daher eher riskante oder ideenreiche Neuerung weg lässt, um nach dem üblichen Verfahren weiterzuarbeiten.
Das ist aber wie gesagt nur meine Wahrnehmung die ich hab. Zum Teil seh ich es im Betrieb wo ich Teilzeit arbeite auch, dass der Einzelne im Großen und Ganzen untergeht, da der Gewinn an erster Stelle steht. Da ist Kreativität eher ein Randthema, genauso wie die Zufriedenheit der Mitarbeiter.
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Sebastian Solidwork
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Pommesbudenpate hat geschrieben: 17. Apr 2018, 14:43 ... sehr effektiv zu arbeiten.
Effektiv wäre ja schön (= einen bestimmten Effekt erzielen, 'egal' mit welchem Aufwand). Leider geht es meist um Effizienz (= zu möglichst geringen Kosten arbeiten).
Es scheint der Glaube zu existieren, dass beliebig an der Effizienz gedreht werden kann ohne den Effekt zu beeinflussen. Meine Erfahrung schaut anders aus.
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Joschel
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Joschel »

Sehr schöne Folge!
Ihr hattet ja auch schonmal das Thema, ob Spiele Zeitverschwendung sind... würde mich freuen, wenn ihr dieses Thena auch in Zukunft häufiger aus verschiedenen Perspektiven beleuchten würdet.
Gerne mehr davon!
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lolaldanee
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von lolaldanee »

Numfuddle hat geschrieben: 17. Apr 2018, 12:08

Nach 30 Stunden Spielzeit ein „Dilemma“ vorgesetzt zu bekommen das so banal ist, dass man im Grundstudium Philosophie dafür auch schon höchstens eine vier bekommen hätte und dessen Thesiskern mit „Hättest du das Spiel mal besser nicht gespielt“ zusammengefasst werden kann hat mich damals so geärgert, dass es meine Spielerfahrung nachhaltig negativ geprägt hat.

Ja ich weiß das das der Punkt ist, den Ken Levine machen wollte, das macht es in meinen Augen aber nicht besser.

Das gleiche gilt für die Folterszene in GTA oder die „white phosphorus“ Szene in Spec Ops: The Line. Genau wie bei Bioshock gibt es keine Auflösung die auf der Spielebene möglich ist „the only winning move is not to play“. Auf der Metaebene, Spiel beenden, deinstallieren, potenziell Dutzende Stunden Spielzeit „drangeben“ für eine pseudointellektuelle Vorführung - noch nicht einmal Debatte - zum Thema.

Wenn der Entwickler wenigstens die Konsequenz besessen hätte, die Metaebene als legitimen Ausweg zuzulassen und mir z.B. die Möglichkeit eröffnet hätte den Kaufpreis zurückerstattet zu bekommen wenn ich das Dilemma ernst nehme und mich für das nicht weiterspielen entscheide. Wenn ich schon die Metaebenen-Entscheidung treffe und tatsächlich nicht weiterspiele finde ich das nur konsequent.
Gunnar Lott, bist du das? Das habe ich doch alles genau so schon mal gehört! :?
Ich stimme übrigens zu, und habe konseuqenterweise auch GTA5 genau wegen der Folterszene und Spec Ops ebenfalls wegen dieser Dinge nicht gespielt
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echtschlecht165
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von echtschlecht165 »

hahaha, diesen Text hab ich jetzt mit der innerlichen Stimme von Gunnar Lott gelesen.
Passt ja supergut :lol:
In Stein gemeißelt
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lolaldanee
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von lolaldanee »

Die Kolumne hat übrigens mal wieder mein Leben bereichert und auf gar keinen Fall meine Zeit verschwendet, danke Wolfgang
Pommesbudenpate

Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Pommesbudenpate »


Sebastian Solidwork hat geschrieben: Effektiv wäre ja schön (= einen bestimmten Effekt erzielen, 'egal' mit welchem Aufwand). Leider geht es meist um Effizienz (= zu möglichst geringen Kosten arbeiten).
Es scheint der Glaube zu existieren, dass beliebig an der Effizienz gedreht werden kann ohne den Effekt zu beeinflussen. Meine Erfahrung schaut anders aus.
Wortklauber :-). Nein hast Recht, es wird darauf finde ich eher geachtet, wie du es schön erläutert hast, effizient zu arbeiten.
Dadurch geht zumindest meines Empfindens nach einiges verloren.
Ich bezweifele, dass irgendein Entwickler der an Battlefront 2 gearbeitet hat mit der Arbeit wirklich zufrieden war. Nur geht das in so einer “Machinerie“ halt irgendwo unter. Genauso wie die Qualität darunter leidet.
Man könnte ja so argumentieren, dass durch die Vercausalisierung ein benutzerfreundlicheres Spiel geschaffen wird. Da würde dann aber wiederum das Greifen was Wolfgang (zurecht) moniert, dass man die Zeit eines Kunden nicht ernst nimmt.
Es lässt sich ja genauso eine Parallele zu den Spielemagazinen ziehen. Schon oft haben die Drei gesagt, dass sich die zeitintensiven Berichte meist nicht lohnen. Da es wenig oder weniger Interesse generiert, als jetzt zum Beispiel die hundertste News über ein neues Element in CoD oder irgendeine schnell zusammengestellte Top 10 Liste.
Nur glaube ich, auch wenn es sich etwas verbessern mag in letzter Zeit, dass der Trend eindeutig eher beunruhigender ist.
Wenn man sich mal anschaut, was so alles noch in den 2000er Jahren rauskam. Wie ein (vor kurzem) besprochenes Beyond Good and Evil, Shadow of the Colossu, Shadow of Rome oder Eternal Darkness. Diese Liste könnte man beliebig weiterführen. Und die Titel waren zum Teil damalige Triple A oder doch sehr teure Produktionen.
Man sieht ja eindeutig bei den meist genannten Titeln, dass die kein großes Franchise hinter sich hatten oder man zumindest bereit war mehr Risiko zu gehen. Eine ähnliche Entwicklung sieht man ja im Filmbereich. Sicherer ist halt die im Vergleich billigere Variante ein Franchise zu etablieren und weiterzuführen. Stell mir das überspitzt formuliert für den Entwickler auch wie in einem Arbeitslager vor.

Zuletzt geändert von Pommesbudenpate am 17. Apr 2018, 17:54, insgesamt 2-mal geändert.
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Wudan
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Wudan »

Schöne Kolumne mal wieder, danke dafür!

Ich habs noch nicht in allen Details sacken lassen, aber zu einer Stelle möchte ich schon mal kurz etwas sagen:
Wer über Early Access schimpft, sollte wissen, dass damit oft die Testgruppe erheblich vergrößert und so die Differenz zur gewünschten Spielerfahrung stark verringert werden kann! Fruchtbarer wäre es zumeist, an einem Early Access teilzunehmen!
Das stimmt! Allerdings ist mein Problem mit Early Access ein ganz anderes: Die Spiele kosten da schon oftmals Vollpreis. Ich sehe durchaus den potentiell hohen Nutzen den Early Access für die Entwicklung eines Spieles haben kann, und wäre der Entwickler so ehrlich und würde sagen "hey testet doch schon mal bisschen unser Spiel und gebt uns Feedback und meldet uns Bugs, dadurch wird das fertige Spiel besser, wir haben was davon und ihr habt was davon und könnt das Spiel dafür behalten - ok! Auch auf einen halben Preis würde ich mich evtl. noch einlassen. Aber ich sehe nicht ein warum ich den vollen Preis für ein unfertiges Spiel bezahlen sollte und mir obendrein noch die Arbeit mit Feedback-Geben/Bugs melden machen sollte. Und ich verstehe offen gesagt auch nicht das es so viele Leute trotzdem tun, denn ich empfinde dieses "Angebot" als eingermaßen unredlich.
Zuletzt geändert von Wudan am 17. Apr 2018, 19:08, insgesamt 1-mal geändert.
Pommesbudenpate

Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Pommesbudenpate »

Nachtfischer hat geschrieben:Eine tolle Folge! :)

Und ich kann mich nur anschließen: Spielen ist ein Dasein als bloße "Zeitvertreiber" nicht inhärent. Gute Spiele stellen vielmehr eine mental äußerst produktive Zeitverwendung dar. Dieser Anspruch geht vielen Videospielen heute leider völlig ab. Sie geben sich größte Mühe, das durchschnittliche Spielerhirn permanent zu unterfordern. Teilweise hört man dann von älter werdenden Spielern, dass sie "aus dem Spielen herausgewachsen" seien. Vielleichtr sind sie aber nicht aus dem Spielen selbst, sondern aus den Spielen, die sie regelmäßig (insbesondere an der gut sichtbaren Oberfläche des Hobbys) vorgesetzt bekommen, herausgewachsen. Als sich hoffentlich weiterentwickelndes Individuum will man natürlicherweise immer weniger die Zeit vertreiben, sondern sie effizient nutzen. Sie ist ja begrenzt.

Unterforderung ist aber nicht das einzige Problem. Wolfgang schreibt von Spielen, die "zumindest nicht dümmer und tauber" machen. Auch da sieht es vielerorts nicht sonderlich gut aus. Jonathan Blow hat einmal über typische Botschaften, die World of Warcraft vermittelt, gesprochen: "You are a schlub who has nothing better to do than sit around performing repetitive, mindless actions. Skill and shrewdness do not count for much; what matters is how much time you sink in. You don’t need to do anything exceptional, because to feel good you just need to run the treadmill like everyone else." Klar sind das nicht die einzigen Aussagen des Spiels. Aber ob es in seiner Gesamtheit (und seiner Perpetuierung real-systemischer Fragwürdigkeiten) zur einst von James Paul Gee herbeigewünschten "better and smarter society" führt?

Dabei hat das Medium doch unendliches Potenzial. Im Interaktiven an und für sich sowie im Erzählen fundamental interaktiver Geschichten (damit meine ich nicht sowas wie Last of Us oder Walking Dead, sondern vielmehr Edith Finch oder Brothers). Für mich persönlich besteht ein wichtiger Zugang zum Medium in der Sichtbarmachung des Denkens. Spielen bedeutet nicht nur, zu lernen, sondern auch über das Lernen an sich zu lernen. Wir werden Zeuge unserer eigenen Gedanken und davon, wie sie sich immer wieder zu einem höheren Verständnis komplexer Problemstellungen zusammensetzen. Wir interagieren, suchen Lösungen, scheitern, werden kreativ, passen unser Modell der Welt immer wieder entsprechend an. Auf diese Weise bringen uns Spiele auf faszinierende Art und Weise unserem Geist näher als kaum etwas anderes. Jedenfalls dann, wenn wir uns von ihnen fordern lassen.

Doch unabhängig davon aus welcher Ecke sich jeder von uns dem Spielen nähert, könnten wir als Spieler versuchen, einige Grundsätze aufzustellen, die hoffentlich langfristig zu einem bereichernderen Umgang mit dem Medium führen: Wir sollten unsere Zeit und Aufmerksamkeit beispielsweise nicht an den nächstbesten AAA-Hit verschwenden, der vor lauter Blendwerk, Effekthascherei und Massentauglichkeit das Medium nicht einen Meter weit trägt. Wir sollten hinter die Fassade aus audiovisuellem Spektakel blicken und uns immer wieder fragen, was wir in einem Spiel wirklich tun. Wir sollten versuchen, psychologische Tricks frühzeitig und zuverlässig zu erkennen, die uns dazu bringen, uns viel länger mit einem Spiel zu beschäftigen, als es tatsächlichen Mehrwert liefert.

Kurzum: Wir sollten uns Spielen nicht nur aus-, sondern uns mit ihnen auseinander setzen!
+1. Würde ich so Wort für Wort unterschreiben.
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Andre Peschke
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Andre Peschke »

Numfuddle hat geschrieben: 17. Apr 2018, 12:08 Ja ich weiß das das der Punkt ist, den Ken Levine machen wollte, das macht es in meinen Augen aber nicht besser.
Ist das denn die einzige Lesart? Du könntest es ja auch spielimmanent deuten: Als Spieler hast du den Zwang ausagiert, dem dein Charakter unterliegt. So wie "Brothers: A Tale of Two Sons" ja auch durch den Kniff mit der Steuerung eine bestimmte emotionale Verwundung kommunizieren will. Ich fand immer, man MUSS Bioshock nicht zwingend als direkte Ansprache an den Spieler begreifen.

Andre
Edward van
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Edward van »

Wie bei jedem ersten Hören der neuen Kolumne fühle ich mich auch dieses Mal, als hätte ich als geübter Hügelerklimmer versucht den Kilimanjaro zu besteigen. In diesen zwanzig Minuten waren wieder sehr viele interessante und für mich zum großen Teil auch neue Gedanken da, die erst noch verarbeitet werden müssen.

Aber das Herz schlug, bei der Erwähnung von Dostojewski sofort höher. :oops:
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lolaldanee
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von lolaldanee »

Edward van hat geschrieben: 18. Apr 2018, 10:48 Wie bei jedem ersten Hören der neuen Kolumne fühle ich mich auch dieses Mal, als hätte ich als geübter Hügelerklimmer versucht den Kilimanjaro zu besteigen.
das trifft es tatsächlich wahnsinnig gut, dieses mal fand ich es besonders verkopft
wolfgangs kolumnen sind definitiv die beiträge die sich am wenigsten nebenher hören lassen, da muss man sich schon konzentrieren
Numfuddle
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Numfuddle »

Andre Peschke hat geschrieben: 17. Apr 2018, 19:59 Ist das denn die einzige Lesart? Du könntest es ja auch spielimmanent deuten: Als Spieler hast du den Zwang ausagiert, dem dein Charakter unterliegt. So wie "Brothers: A Tale of Two Sons" ja auch durch den Kniff mit der Steuerung eine bestimmte emotionale Verwundung kommunizieren will. Ich fand immer, man MUSS Bioshock nicht zwingend als direkte Ansprache an den Spieler begreifen.
Andre
Ich bin jetzt kein Poststrukturalist wie Jochen, für mich spielt die Absicht des Autors hinter dem Werk immer noch eine Rolle und Ken Levine hat in diversen Interviews selbst bestätigt, dass die direkte Ansprache des Spielers die eigentliche Intention war und damit Werks-immanent. "The illusion of choice in video games", wie er es selbst glaube ich mal formuliert hat. Das ist jetzt allerdings eine eher banale philosophische Erkenntnis.

Auch Spiel-immanent funktioniert es für mich einfach nicht. Es ist ja nicht wirklich eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Konzept "Freier Wille" oder der Illusion dessen, auch wenn der Autor sie mit Dingen wie Ryans Motto "A man chooses, a slave obeys" aufmachen will.

Jack unterliegt ja eben keinem wirklichen kosmischen Determinismus (Karma, Schicksal you name it) der sein Handeln vorbestimmt, es gibt da keine "tragische Ironie" sondern er ist lediglich als "Manchurian Candidate" programmiert Ryan um die Ecke zu bringen. Er ist eben kein Protagonist einer griechischen Tragödie, kein Ödipus dem "das Schicksal (TM)" sein Ende vorbestimmt hat. Andererseits unterliegt er auch keiner Hybris die ihn mögliche Handlungsalternativen ausblenden lässt. Das Spiel versucht auch erst gar nicht dem Spieler unterbewusst eine Handlungsalternative aufzubauen, die der Spieler dann einfach nicht nimmt oder nicht sieht. Der Spieler hat schlicht keine.

Er hat deshalb keine weil "Drogen, Hypnose, Amnesie, schnelles Wachstum Jada, jada, kuck mal da hinten ein dreiköpfiger Affe". Das ist für mich einfach nur konstruiert und unglaublich "contrived". Letztendlich hat Jack keine Wahl, weil der Plot es so will und dem Autor nichts besseres als Gehirnwäsche/Hypnose als cop-out eingefallen ist. Das Ende ergibt sich nicht mal im entferntesten aus der vorherigen Spielerfahrung. Das Spiel baut da nichts auf, es gibt kein "Foreshadowing", es gibt keine Pointe der Art "die Handlungsalternative lag die ganze Zeit vor dir aber du hast trotzdem alles so gemacht wie wir wollten", es gibt auch keinen Spannungsbogen, keine Andeutung auf die man sich hinterher zurückbeziehen kann und die plötzlich dem Spiel eine andere Lesart gibt. Es sei denn man zählt die zahlreichen "Would you kindly". Das Ende kommt quasi aus heiterem Himmel ohne das der Spieler überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte es kommen zu sehen und die angeblich so zentralen Themen von BIoshock werden vorher auch gar nicht wirklich angerissen oder verhandelt. Jede Twilight Zone Folge bekommt das besser hin.

Zur "illusion of choice" gehört für mich eben auch das man - zumindest für eine Zeit - einer solchen Illusion unterliegen kann und für eine erzählerisch passende tragische Ironie muss das Scheitern bereits am Anfang in der Handlung angelegt sein und zwar so, dass sich am Ende der Handlung eine neue alternative Lesart der Geschichte ergibt. Es hilft nichts das Ende wie ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern.

Das macht Spec Ops: The Line z.B. deutlich besser, weil das Ende von Anfang an in der Geschichte angelegt ist, Foreshadowing betrieben wird und das Spiel die Gewohnheiten des Spielers und seine Grundannahmen gegen ihn verwendet, so dass er quasi aus freien Stücken, aus Hybris und Arroganz, in sein eigenes Messer läuft und man sich hinterher wirklich mit der Frage auseinandersetzen muss warum man es denn nicht schon früher gemerkt hat.

Spec Ops fällt zu dem Dilemma halt auch nur ein, dass Abschalten die bessere Alternative ist weil man in der Schlüsselszene ja eben keine spiel-interne Handlungsalternative mehr hat und dem Spiel da die letzte Konsequenz und der Mut fehlt. Der Twist im Spiel hätte für mich deutlich mehr Wirkung wenn der Spieler prinzipiell die Option hätte durch eine Handlungsalternative das Massaker zu verhindern und der Spieler diese wegen Plot, Spielhandlung und der eigenen Erwartungshaltung quasi selbst ausgeblendet hat.

GTA ist einfach nur schwach, weil die Folterszene nicht mal im Ansatz in der Spielhandlung logisch angelegt ist, es nur ein Vehikel ist um dem Spieler im Besonderen und Amerikanern im Allgemeinen einen Vortrag der Art "Torture is bad, mmmmkay!" zu halten und weil das Spiel einem ja auch erst keine Wahl lässt.
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Andre Peschke
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Re: Wortreich: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Beitrag von Andre Peschke »

Numfuddle hat geschrieben: 19. Apr 2018, 00:27 Ich bin jetzt kein Poststrukturalist wie Jochen, für mich spielt die Absicht des Autors hinter dem Werk immer noch eine Rolle und Ken Levine hat in diversen Interviews selbst bestätigt, dass die direkte Ansprache des Spielers die eigentliche Intention war und damit Werks-immanent.
Schon klar. Das war ja nur ein Vorschlag auf eine andere Perspektive. Dass du dich damit nicht arrangieren kannst, ist ja ok. Ich habe deine Argumentation genauso gegen die Szene mit dem weißen Phosphor in "Spec Ops: The Line" angeführt, die für mich mangels Handlungsalternativen nicht funktioniert. Ich glaube, der Grund warum Bioshock bei mir diese Reaktion nicht hervorruft ist, dass ich die angebotene Fiktion in Bioshock als Herleitung akzeptiere und es mir Freude bereitet, dass das Spiel quasi HUD-Elemente und die vielen kleinen "Would you kindly"s als Brotkrumen benutzt um sowohl das Dilemma meiner Spielfigur als eben auch die Alternativlosigkeit meines Daseins als Spieler vorzuführen. Ich fand das damals brillant. Aber ich hab ja auch nichtmal einen Grundkurs in Philosophie besucht. :D

Andre
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