derblaueClaus hat geschrieben: ↑6. Mai 2018, 00:56
Ich widerspreche dem Punkt, und zwar heftig
. Er geht von der falschen Prämisse aus, nämlich, dass mehr Daten und mehr Detail und mehr Kontrolle gleich bessere Simulation ist. Nur stimmt dieser Automatismus nicht.
Ich bin Wargamer, sowohl auf dem PC als auch Brett. Das von dir zitierte Twilight Struggle zählt zum Beispiel zu dem Genre. Und gerade da schaffen es die Brettspiele einen deutlich höheren Mehrwert an Simulation und an Spielwert zu schaffen. Wie ? Ganz einfach. Sie konzentrieren sich gezwungenermaßen auf das Wesentliche. Nämlich: Welche Rolle hat der/die Spieler ? Welche Aussage möchte ich mit dem Spiel treffen ? Was muss ich dazu simulieren ? Die meisten digitalen Vertreter der Gattung machen sich darüber selten Gedanken. Sie müssen es nicht, die Rechner haben ja heute genug Power.
Ein Beispiel: Gary Grigsbys War in the West. Überladen, die Mechaniken passen nicht zusammen. Einerseits muss ich mich um jede einzelne Division kümmern, soll aber gleichzeitig das Strategische nicht aus dem Auge verlieren. Das passt nicht zusammen. Historisch war es Eisenhower, der sich um das strategische kümmerte, Patton und andere Generäle um ihre Divisionen. Das Spiel wird dadurch unscharf. Ähnliches Beispiel: Decisive Campaigns: Babarossa. Auf der einen Seite wird das politische Geschehen mit eingebunden, ich bekomme Befehle, die militärisch keinen Sinn ergeben, muss schwierige grundsätzliche Entscheidungen für die militärische Kampagne treffen. Sogar ethische Entscheidungen werden mir abverlangt. Großartig. Gleichzeitig erwartet das Spiel aber von mir wieder Fitzelentscheidungen, ala welches Artillerieregiment feuert wann auf wen.
Das zerstört die Simulation, weil es dir als Spieler Einflussmöglichkeiten in die Hand gibt, die dein historischer Counterpart nie hatte. Eisenhower konnte nunmal unmöglich jeder einzelnen Einheit sagen was sie zu tun hatte, auch für ihn hatte der Tag nur 24 Stunden. Das führt aber natürlich zu Fehlern, Fehleinschätzungen und bösen Überraschungen. Und diesen menschlichen Faktor lassen PC-Wargames völlig außen vor.
Oh die Geister die ich rief... Ich wollte eigentlich nur eben mal anmerken, dass es vielleicht vorteilhaft von unseren Podcastern wäre, wenn sie schon die Analogie zum Brettspiel so sehr lieben, sich auch etwas über dieses Medium zu informieren. Und dies war halt ein Beispiel, wo das etwas unvorteilhaft war, dass ein so altes Beispiel gewählt wurde. Ja dadurch kennt es zwar jeder, aber es zerstört halt etwas das Argument was es illustrieren sollte, denn wenn man eben argumentieren möchte, dass Videospiele den Brettspielen so weit vorraus sind sollte man vielleicht kein so altes Spiel nehmen, wo davon ausgeganen werden kann, dass ein Videospiel besser ist, einfach weil Hunderte Jahre an Entwicklung dazwischen liegen und es eher ein Armutszeugnis wäre, wenn ein modernes Spiel gegen Schach abstinkt.
Aber nun ja ich würde da auch sagen, dass der Computer zwar komplexere Szenarien abbilden kann. Aber noch entschieden werden muss, ob dies wirklich besser ist. Gerade heute haben sich ja viele Alternativen zum klassischen D&D-Regelsatz gebildet, die in ihren Regeln weniger rigide sind und damit weit mehr Möglichkeiten im emergenten Storytelling ermöglichen als jedes Pc-Rollenspiel.
derblaueClaus hat geschrieben: ↑6. Mai 2018, 00:56
Das gilt nicht nur für Twilight Struggle, sondern für alle Wargames. Für die meisten Wargamer ist der kleine Film, der während des Spielens im Kopf abläuft der größte Spaß an der Sache.
Das war eher daraufbezogen, was halt Brettspiele vom Computerspiel lernen können und emergentes Storytelling denke ich halt müssen sich Brettspiele nicht abgucken. Gerade das haben sich ja Computerspiele von ihnen abgeguckt und das beherrschen Brettspiele meist immer noch weit besser als die meisten Computerspiele. (Vorrausgesetzt natürlich man Themed richtig, also guckt welches Theme zu den Mechaniken des Brettspiels passt und klatscht nicht irgendeins drauf)
Gleichzeitig wird diese Art des Storytellings in Videospielen ja nun mittlerweile nicht mehr so sehr geschätzt. Ich meine man muss sich nur mal die Besten Geschichten in Videospielen angucken und die wenigsten funktionieren da noch auf diesem alt hergebrachten emergent Storytelling. Bioshock, Last of Us,... alles Spiele die eine sehr ausgestaltete Geschichte haben und damit versuchen Messages zu transportieren oder eine gezielte Aussage zu treffen. Und das sehe ich in Brettspielen noch nicht so häufig, wüsste aber auch nicht wie man das am Besten umsetzt. Wie gesagt das Beispiel Train macht das schon sehr gut es transportiert eine klare Message, ist aber auch weit von einem klassischen Brettspiel entfernt.
Nachtfischer hat geschrieben: ↑6. Mai 2018, 08:57
Mich persönlich interessiert aber dennoch eher die umgekehrte Richtung: Was können Video- von Brettspielen lernen? In Brettspielen sehe ich seit Jahren eine im Schnitt enorm viel höhere Qualität des Game-Designs. Eben weil es da normalerweise nicht reicht, sich auf Grafik, Spektakel, Story oder Loot-Gambling auszuruhen. Da muss eine gut geölte (und auch regelmäßig innovative) Gameplay-Maschine entwickelt werden. Was im Digitalen höchstens eine Handvoll Mal im Jahr und fast nur im tiefsten Indie-Sektor vorkommt, ist im Analogen schlicht Alltag.
Ok auf die Gefahr hin, dass das ganze jetzt etwas entgleist und ins Rambling übergeht:
Zum einen mopse ich dann doch noch einen Punkt vom Herrn Walk, den ich aber sehr wichtig fand: Die Presse macht ihre Spiele und das Problem war die Spieleindustrie hatte über Jahre keine Kritiker, die wirklich ihren Titel verdienen. Diese Stiftung Warentestkultur hat da sehr viel kaputt gemacht, aber um es etwas anschaulich zu machen:
Jeder Filmkritiker, der etwas taugt, zerreisst zum Beispiel die Transformers-Filme, nicht weil sie etwa schlecht sind, sondern weil sie Kritiker sind und es ihre Aufgabe ist Neues,Sehenswertes und Innovatives suchen. Und es ist ihnen dabei auch vollkommen egal, ob sie da in der Bevölkerung auf Zustimmung stoßen oder ob sie damit "objektiv" sind. Es wird diese, durchaus von der Objektivität entfernte, Ansicht angenommen, einfach weil sie wertvoll ist. Und so wird von Kritikern eben auch der missglückte Versuch der Innovation sehr viel wohlwollender aufgefasst, als das x-te mal das Abliefern von Bekanntem. Dadurch tun sie aber einen sehr guten Dienst, denn der Konsument hat eine klare Stelle, wo er sich hinwenden kann, wenn er etwas Neues sucht und das Medium wird angehalten sich weiterzuentwickeln.
Ähnlich ist es eben auch bei Brettspielen, es git eine klare Kritikerkultur, die es abstraft, wenn einfach nur das kommt was bekannt ist. Und dadurch entwickelt sich das Medium. Es wäre aber mal erfrischend zu sehen, wenn die Gamestar den nächsten Call of Duty einfach mal eine 5/10 gibt, nicht weil das Spiel schlecht wäre, sondern weil es einfach alles bekannt ist und es kaum Innovationen gibt. hach man kann ja mal träumen...
Um aber auch noch was präziseres Anzubringen: Brettspiele sind vor allem darin besser unötige Features und Ballast wegzutrimmen und das merkt man. Dabei muss man noch nicht mal sagen es wird versimpelt. Es gibt durchaus viele Brettspiele, derren Spielzeit mehrere Stunden beträgt oder die durchaus viele Mechaniken besitzen, die man erstmal durchblicken muss. Aber selbst in diesen Spielen merkt man alles passt, alles sitzt und ergibt Sinn. Keine dieser Mechaniken ist einfach nur zum Selbstzweck vorhanden, oder Gott bewahre, nur um die Spielzeit zu strecken. Jede ist vorhanden, weil sie das Spiel bereichert und besser macht und davon sind Videospiele weit entfernt, weil aber zum Teil längere Spielzeit als etwas erstrebenswertes angesehen wird.