Zum Mailbag 18

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Maestro84
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von Maestro84 »

Cyberpunk mögen und Blade Runner nicht, das ist ja schon merkwürdig. Ansonsten viele interessante Fragen, auch ich bin der Meinung, dass diese öffentlich wirksame Positionier gegen Rechts genauso sinnfrei ist wie eine Positioniert für die Toleranz von Homosexuellen - ok, manche Publisher wie EA machen da medienwirksame PR raus -> widerlich - oder für ein Lebensrecht für kleine Babykatzen. Albern und unter Niveau.
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Puschkin
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von Puschkin »

SebastianStange hat geschrieben: 21. Sep 2018, 11:57 Schön fand ich diese Woche in nem Elektronikmarkt hier in der Stadt folgende Szene.

Abteilungsleiter geht auf einen Mitarbeiter zu, ruft "Herr XYZ!"
Mitarbeiter dreht sich um, schaut Abteilungsleiter an.
Abteilungsleiter: "Kannst Du dich mal hier um den Kunden kümmern?"

Das war wunderbar schief. Aber auch sehr echt, irgendwie. :-D
Das ist dann das verdrehte hanseatische Du ;)
Also den Vornamen zu benutzen und Sie zusagen ist ja auch noch eine Abstufungsmöglichkeit.
MitSchmackes! hat geschrieben: 21. Sep 2018, 16:27 Das Sie ist schrecklich. Eben weil es Distanz schafft. Meiner Ansicht nach gehen in der heutigen Gesellschaft viel zu viele Leute zu distanziert miteinander um. Die Folgen kann man seit Jahren ja sehen. Das Duzen baut diese Distanz ab, es wird gleich menschlicher.

Ganz fürchterlich ist auch der Trend im Internet zu Siezen.
Hmh ich finde ja so Aussagen über die Gesellschaft schwierig. Da will ich den*die Hypothesenaufsteller*in immerfragen wann es denn ein besserer Zustand war.

Und ich verbinde mit dem Sie auch eine gewisse Wertschätzung oder Respekt. Auch das sollte man gerade als Bürger*in von Behörden erwarten.

Aber ich finde es ist auch mein gutes Recht zu anderen eine gewisse Distanz zu wahren.

Ich denke es gibt zwei Ebenen: Das Du kann vertraulich sein, aber auch respektlos. Kontextanhängig.
Do not play devil’s advocate unless you have passed the bar
and are currently representing Satan in a court of law.
Maestro84
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von Maestro84 »

Also ich sieze andere Nutzer z.B. im Forum der Süddeutschen. Unter Spielern wie hier passt das du, aber wenn ich mit fremden Menschen, gerade im Bereich Politik, diskutiere, dann will ich siezen, da ein du bei heftigen Diskussionen nicht passt. Ich würde als Teamleiter auch den Untergebenen kein Sie anbieten, da mich dies umgekehrt auch jedesmal irritiert bei meinem Vorgesetzten.
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philoponus
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von philoponus »

Im Gegensatz zu Jochen halte ich es sehr wichtig, dass es in einer Gesellschaft so etwas wie einen geteilten Bildungskanon gibt, weil der Mensch ein narratives Wesen ist und eine Gesellschaft bzw. Kultur von gemeinsamen Erzählungen (in welchem Medium auch immer) zusammengehalten wird. Das kann man gut in Yuval Noah Hararis Buch "Sapiens – A Brief History of Humankind" nachlesen, der diese Mechanismen schön zusammenfasst.

Weniger allgemein: Wenn man von einem Thema wirklich etwas verstehen will, muss man die besten Repräsentationen davon kennen. Ein Literaturkenner muss Shakespeare und Goethe kennen, ein Filmkenner Fritz Lang und Tarkovsky, ein Physiker Newton und Einstein usw. Sonst werden die Betreffenden zurecht nicht ernst genommen. Gerade für Anfänger sind deshalb solche Listen mit den besten Werken von x/y trotz aller möglichen Meinungsunterschiede sehr nützlich.
Stuttgarter
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von Stuttgarter »

philoponus hat geschrieben: 23. Sep 2018, 11:33 Weniger allgemein: Wenn man von einem Thema wirklich etwas verstehen will, muss man die besten Repräsentationen davon kennen. Ein Literaturkenner muss Shakespeare und Goethe kennen, ein Filmkenner Fritz Lang und Tarkovsky, ein Physiker Newton und Einstein usw. Sonst werden die Betreffenden zurecht nicht ernst genommen. Gerade für Anfänger sind deshalb solche Listen mit den besten Werken von x/y trotz aller möglichen Meinungsunterschiede sehr nützlich.
Dem möchte ich wdersprechen... Für "Kritiker" trifft das sicher zu - für den normalen Menschen aber nicht unbedingt. Ich würde mich aufgrund vermutlich über tausend gesehener Filme durchaus als "Filmkenner" sehen im Vergleich zu vielen Menschen - und das, obwohl ich weder Lang noch Tarkovsky je gesehen hab. Dafür andere UFA-Klassiker, viele amerikanische Schwarzweiß-Klassiker, massig Filme aus allen Jahrzehnten von den 20ern bis heute, aus praktisch allen Genres. Und auch, wenn ich "Panzerkreuzer Potemkin" nie komplett gesehen habe (nur im Studium ein, zwei Szenen) erkenne ich, wenn beispielsweise "The untouchables" die Treppenszene zitiert.

Als Kritiker sollte ich die maßgeblichen Filme kennen - um einerseits die Entwicklung des Mediums nachvollziehen zu können, andererseits Reminiszenzen erkennen zu können. (Was übrigens ein großes Problem bei der Spielekritik darstellt - da viele maßgebliche Klassiker heute gar nicht mehr spielbar sind, selbst, wenn der Nachwuchskritiker sie spielen wöllte.) Für den "Normalmensch" würde ich aber sagen, dass es reicht, wenn er überhaupt wesentliche Klassiker kennt. Nicht unbedingt einzelne bestimmte.

Und da gerade Klassiker aus heutiger Sicht sehr sperrig sein können: "King Kong" von 1933 würde vermutlich in so einem Kanon landen. Aber wenn heute jemand diesen Film als ersten Schwarzweißklassiker überhaupt sehen sollte aufgrund eines Kanons, besteht sicher die Gefahr, dass er die Lust komplett an Klassikern verliert. Genauso wie beim "Paten" - ich würde auch sagen, dass das ein Film ist, den man unbedingt gesehen haben sollte. Aber dann, wenn die Liebe zum Film bereits da ist. Nicht als Einstieg - dafür ist er viel zu sperrig, langsam, episch, grade für heutige Sehgewohnheiten.

Da wäre der Ansatz "Fangen wir mal mit Filmen an, die nicht mal zu den fünfhundert besten gehören, aber dafür einfach Spaß machen" viel hilfreicher: Gewöhn Dich mit dem "Rosaroten Panther" (Blake Edwards, mit Sellers, Niven etc) an alte Filme, mach danach mit Hitchcockklassikern wie dem "Unsichtbaren Dritten" weiter, paar Billy-Wilder-Komödien, "Leoparden küsst man nicht", dann irgendwann "Casablanca" und "Vom Winde verweht" - und dann kannst Du Dich an die großen Brocken wagen.
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philoponus
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von philoponus »

Ich habe "Kenner" und "Kritiker" hier nicht unterschieden. Ein Kenner ist nach meinem Verständnis immer jemand, der hinreichend Wissen über eine Kultursparte hat, um fundiert kritisieren zu können. Ich würde niemanden als Filmkenner bezeichnen, der - Verzeihung - nur Hollywood-Mainstream-Schrott kennt, egal ob das 100 oder 3000 Filme sind.

Bildung generell bedeutet für mich, sich mit dem Sperrigen auseinanderzusetzen, auch wenn es anstregend ist. Ist ja auch beim Sport so. Wer immer dieselben 3km joggt, wird auch nie ein guter Marathonläufer werden.

Didaktisch bin ganz bei dir. Man kann / sollte nicht bei den schwierigsten Werken anfangen. Der erste Roman sollte nicht "Ulysses" sein, der erste Film nicht "Stalker", das erste Spiel nicht "Dwarf Fortress". Vermutlich auch nicht das zehnte oder dreißigste. Deshalb wären hier gute Lehrer an den Schulen und Unis so wichtig. Gibt leider nur wenige, die gut Klassiker vermitteln können. Sich mit diesen Dingen zu beschäftigen, ist ja eine Lebensaufgabe.
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von Stuttgarter »

philoponus hat geschrieben: 23. Sep 2018, 12:29 Didaktisch bin ganz bei dir. Man kann / sollte nicht bei den schwierigsten Werken anfangen. Der erste Roman sollte nicht "Ulysses" sein, der erste Film nicht "Stalker", das erste Spiel nicht "Dwarf Fortress". Vermutlich auch nicht das zehnte oder dreißigste. Deshalb wären hier gute Lehrer an den Schulen und Unis so wichtig. Gibt leider nur wenige, die gut Klassiker vermitteln können. Sich mit diesen Dingen zu beschäftigen, ist ja eine Lebensaufgabe.
Ich hab mich ja letztlich auf Dein "Kanon für Anfänger" bezogen. Wir sind offentlichtlich beide der Meinung, dass man grade Anfänger eben nicht mit den "schweren Brocken" abschrecken darf. Und davon ausgehend denke ich, dass für später kein "Kanon" mehr notwendig ist. Ich hab als früher Teenager angefangen, Filme zu lieben - dank meinen Eltern waren da durchaus auch "leicht verdauliche" Schwarzweißklassiker dabei. Die Neugier, welche Filme ich unbedingt mal sehen will und sollte, kam danach von ganz allein im Lauf der Zeit. Ich hab keinen Kanon gebraucht, um den "Paten", den "weißen Hai", "Einer flog übers Kuckucksnest", auch einen "Blade Runner" zu entdecken - die schlichte Neugier hat gereicht.

Jetzt antwortest Du evtl., "Aber was ist mit denen, bei denen die Neugier nicht von allein kommt?". Dann würde ich erwidern, "Die werden höchstwahrscheinlich mit den Filmen dann auch nicht glücklich werden". Keinerlei Gewinn draus ziehen. Und dann ist es letztlich auch egal, ob sie ihn gesehen haben oder nicht. Was bringt es, wenn wir - aufgrund der Kanonidee - tatsächlich erreichen, dass 80 % den "Paten" gesehen haben, aber von den 80 % wiederum mehr als die Hälfte das als rein verschwendete Lebenszeit ansieht? Zumal sie ihn vielleicht aufgrund eines Kanons schlicht zu früh in ihrem Leben geschaut haben und zehn Jahre später, wenn sie von sich aus drauf gestoßen wären, einen anderen Zugang dazu gehabt hätten?

Ich musste in meiner Schulzeit Goethe, Lessing, Schiller und (ganz schlimm) "Berlin Alexanderplatz" lesen. Der einzige, der sich davon für mich "erholt" hat, ist Schiller - und auch bei dem hats ein Jahrzehnt gebraucht, bis ich ihn irgendwann freiwillig in die Hände genommen habe.

Ausgehend von meiner eignen Schulzeit bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es bei Kunst fast nix fataleres gibt, als jemanden zu sagen, "Das MUSST Du lesen/anhören/anschauen". Nein. Kunst hat dann eine Chance, beim Konsumenten positiv zu wirken, wenn freiwillig und unvoreingenommen darauf zugegangen wird. Nicht aufgrund irgendeiner höhren Instanz, die sagt, "Werk XY musst Du kennen, um überhaupt mitreden zu können".
error42
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von error42 »

Was in den letzten Jahren oft vergessen wird: Die größere Distanz beim "Sie" ist ja nur die halbe Wahrheit. Die förmlichere Anrede hat auch immer die Funktion gehabt, seinem Gesprächspartner eine gewisse Wertschätzung entgegen zu bringen und Respekt zu erweisen.
error42
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von error42 »

Numfuddle hat geschrieben: 22. Sep 2018, 14:03 Ein run muss knackig kurz sein, damit dieser gameplayloop funktioniert. Idealerweise nicht länger als 30 -45 Minuten.
...
Es muss - von mir aus auch selten - den einen run geben, wo die Item-Synergien richtig aus dem Ruder laufen (siehe Binding of Isaac).
Sehr gute Punkte. Interessant!
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Terranigma
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von Terranigma »

philoponus hat geschrieben: 23. Sep 2018, 11:33Ein Literaturkenner muss Shakespeare und Goethe kennen, [...]
Sagt ein Deutscher. Der US-Amerikaner, der Chinese, der Japaner, der Tibeter, der Nigerianer, der Sioux, usw. werden da wohl andere Ansichten haben. Für eine überschaubare Gemeinschaft - kurz: einen Staat - kann man so einen Kanon sicherlich schreiben. Wird ja auch getan und an Schulen und Universitäten gelehrt. Aber einen im weiteren Sinne allgemeinen Anspruch, der die ganze Menschheit (!) einschließt, kann man damit nicht formulieren. Auch einfach deshalb, weil uns die meisten Kulturräume fremd und aufgrund der Sprachbarriere auch nicht zugänglich sind. Wenn man außer Deutsch und Englisch keine Sprache spricht kann man leicht zu dem Eindruck gelangen, dass die größten Werke der Literatur in gerade diesen Sprachen verfasst wurden.

Diese "Das muss man gelesen haben"-Listen sind mir zu kulturspezifisch und zumeist nationalistisch - im Endeffekt sagt jede Nation, dass die eigene Nationalliteratur die tolleste unterm Himmel sei - um das ernst zu nehmen. Die Deutschen feiern ihren Goethe, Schiller und Lessing ab und meinen, das wären Klassiker, die jeder kennen muss, während einige Kilometer im Norden die Menschen meinen, ein Leben ohne Shakespear, Dickens, Austen, Wordsworth oder Blake wäre möglich, aber sinnlos. Und in Schweden, Vietnam, Finnland, Spanien, China, Frankreich, Japan, Russland, usw. gibt's wohl auch "Das muss man gelesen haben"-Listen, von denen ich nichts weiß.

Mir erscheint das borniert.
Sitting quietly and doing nothing,
Spring comes, and the grass
grows by itself.
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holymoe4237
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von holymoe4237 »

Terranigma hat geschrieben: 23. Sep 2018, 21:03Sagt ein Deutscher. Der US-Amerikaner, der Chinese, der Japaner, der Tibeter, der Nigerianer, der Sioux, usw. werden da wohl andere Ansichten haben. Für eine überschaubare Gemeinschaft - kurz: einen Staat - kann man so einen Kanon sicherlich schreiben. (...) Aber einen im weiteren Sinne allgemeinen Anspruch, der die ganze Menschheit (!) einschließt, kann man damit nicht formulieren.

Diese "Das muss man gelesen haben"-Listen sind mir zu kulturspezifisch und zumeist nationalistisch(...)
Mir erscheint das borniert.
Grundsätzlich finde ich deine Argumentation sehr sympathisch.
Jedoch glaube ich durchaus, dass literarische Größen der genannten Nationalitäten/Ethnien die wichtigsten Werke von Shakespeare und Goethe ohne Wimpernzuckern als "Das sollte man wirklich gelesen haben!" einschätzen würden. Wir haben es seit Beginn des 19. Jh. ja mit einer europäisierten und seit den 1950ern (?) mit einer globalisierten Kulturwelt zu tun.
(Bei mündlichen oder habituellen Medien wie Märchen und Ritualen ist das anders.)

Das tolle gerade bei Computerspielen ist nun, dass sie das erste neue Medium in einer recht weit globalisierten Medienwelt sind.
Natürlich sind einzelne Spiele in bestimmten Kulturkreisen besonders einflussreich. Aber dennoch waren sehr viele Spiele in fast allen digitalisierten Kulturkreisen sehr einflussreich. Warum dafür keinen Kanon für historisch interessierte Spieler anlegen?
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philoponus
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von philoponus »

Terranigma hat geschrieben: 23. Sep 2018, 21:03
philoponus hat geschrieben: 23. Sep 2018, 11:33Ein Literaturkenner muss Shakespeare und Goethe kennen, [...]
Sagt ein Deutscher. Der US-Amerikaner, der Chinese, der Japaner, der Tibeter, der Nigerianer, der Sioux, usw. werden da wohl andere Ansichten haben. Für eine überschaubare Gemeinschaft - kurz: einen Staat - kann man so einen Kanon sicherlich schreiben. Wird ja auch getan und an Schulen und Universitäten gelehrt. Aber einen im weiteren Sinne allgemeinen Anspruch, der die ganze Menschheit (!) einschließt, kann man damit nicht formulieren.
Kann man sehr wohl, weil Kultur und speziell Literatur etwas völlig universelles ist. Ich bin viel gereist und viele Asiaten kennen die europäische Kultur besser als so manche Europäer. Es spricht ja nichts dagegen, den Kanon durch Werke dieser Kulturen zu ergänzen. Das wird ja auch gemacht. Selbstverständlich ist ein Kanon der Weltliteratur nicht komplett, wenn die beispielsweise die großen chinesischen und japanischen Klassiker fehlen.

Shakespeare etwa hat die Natur des Menschen (nicht des Europäers oder des Engländers) brillant beschrieben (besser: gezeigt). Das ist für einen Nigerianer genauso relevant und interessant.
Numfuddle
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von Numfuddle »

Das ist jetzt schon ein recht chauvinistisches Argument. Ist ja schön dass „Asiaten“ (Asien ist kein Land) sich gut im europäischen Kulturkanon auskennen. Umgekehrt haben wir halt keinen blassen Schimmer von den großen Werken in Musik, Poesie und Literatur aus dem Rest der Welt.

Selbst wenn wir nur bei England bleiben dürften viele nicht viel mehr als Shakespeare kennen und schon der Name Chaucer dürfte ein Schulterzucken hervorrufen.

90% der Weltkultur mit einer Handbewegung wegzuwischen und dann gönnerhaft zu erlauben, dass wir unseren Kanon natürlich jederzeit um ein paar wenige Werke ergänzen können hinterlässt bei mir einen schalen Nachgeschmack.

Letztendlich ist ein „Kulturkanon“ arbiträr, naturgemäß äußerst lückenhaft und häufig nur ein Werkzeug um sich seiner eigenen vermeintlichen Bildung zu versichern.
Numfuddle
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von Numfuddle »

Zweitens sorgt ein Kanon auch immer dafür, dass andere - möglicherweise ebenso wichtige - Werke in Vergessenheit geraten.

Goethe ist z.B. wahnsinnig überhöht obwohl er natürlich auch viel Mist geschrieben hat und England hat auch mehr zu bieten als nur Shakespeare.
Stuttgarter
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von Stuttgarter »

Es gibt im Musikbereich eine Samplerreihe, "Mir gefällt keine [xyz] Musik, aber das mag ich". Jeder Musikliebhaber rümpft darüber natürlich die Nase - auf den CDs findet sich wirklich ausschließlich der absolute Massengeschmack. Bei der "klassischen Musik"-CD ist da natürlich die "Kleine Nachtmusik", Beethovens Fünfte (erster Satz), ein Teil der "Vier Jahreszeiten" etc. drauf. Also genau das, was eh jeder Mensch irgendwann schonmal gehört hat, selbst, wenn er sich noch nie auch nur ansatzweise mit Musik beschäftigt hat. Bei der "Jazz"-Variante entsprechend "In the mood", "Take five", "Girl from Ipanema" und so weiter.

Kurz: Da sind genau die Stücke drauf, die zwar die populärsten, aber zum Großteil nicht wirklich die bedeutendsten sind.

Ich hoffe, dass diese CD-Reihe viele Hörer dazu bringt, wirklich so sehr Gefallen an den Stücken zu finden, die in dieser Art "Kanon" versammelt sind, dass sie sich danach eingehender mit der jeweiligen Musik beschäftigen. Meine Befürchtung ist allerdings eher, dass die meisten voll auf Dunning-Kruger aufspringen und sich danach für "Jazzexperten" halten, nur, weil sie eine Doppel-CD im Schrank haben, auf denen die "Greatest Hits" aus über hundert Jahren Jazzgeschichte drauf sind. Also so, wie sich jene für Springsteen-Fans halten, die zwar die "Greatest Hits" haben (weil da ja auch "Born in the USA" drauf ist), aber noch nicht mal wissen, dass es Alben wie "Nebraska" oder "Devil and dust" überhaupt gibt.

Ein Kanon ist immer nur ein "Greatest Hits" oder "Best of". Wie Numfuddle dazu noch sehr schön ausgeführt hat: Ein im Zweifel chauvinistischer. Und ausschließender.

Zum Glück hat jeder Kulturkonsument seine ganz eigene Top Tausend "Werke, die man kennen muss". Er wird sein ganzes Leben lang seine Umwelt damit konfrontieren, "DAS musst Du unbedingt lesen, DIESES Stück auf jeden Fall mal hören, DEN Film musst Du gesehen haben". Und so im kleinen dafür sorgen, dass nicht nur der Massengeschmack, sondern die gesamte Bandbreite der Kultur nicht in Vergessenheit gerät.Das halte ich für wesentlich wichtiger als eine Liste, die einen dazu verdonnert, auf jeden Fall mal Goethes "Faust" zu lesen.
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von philoponus »

Numfuddle hat geschrieben: 24. Sep 2018, 09:57 Zweitens sorgt ein Kanon auch immer dafür, dass andere - möglicherweise ebenso wichtige - Werke in Vergessenheit geraten.

Goethe ist z.B. wahnsinnig überhöht obwohl er natürlich auch viel Mist geschrieben hat und England hat auch mehr zu bieten als nur Shakespeare.
Das halte ich doch eher eher für ein theoretisches Argument. Als würden gerade jene Menschen, die Shakespeare nicht lesen, dann statt dessen die andere vergessenen Werke aus der englischen Literatur des 16. Jahrhunderts lesen. Ich hätte als Literaturwissenschaftler jedenfalls noch nie jemanden getroffen, der nicht Goethe gelesen hätte, dafür aber dann viele anderen "vergessene" Werke aus dem 18. Jahrhundert.
Numfuddle hat geschrieben: 24. Sep 2018, 09:57 Letztendlich ist ein „Kulturkanon“ arbiträr, naturgemäß äußerst lückenhaft und häufig nur ein Werkzeug um sich seiner eigenen vermeintlichen Bildung zu versichern.
Es ist wesentlich weniger schwer, gute von schlechten Kunstwerken zu unterscheiden als viele Laien glauben. Aber ich weiß, anti-intellektuelle Ressentiments sind cool.
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von philoponus »

Stuttgarter hat geschrieben: 24. Sep 2018, 10:31 Ein Kanon ist immer nur ein "Greatest Hits" oder "Best of". Wie Numfuddle dazu noch sehr schön ausgeführt hat: Ein im Zweifel chauvinistischer. Und ausschließender.
Selbstverständlich ist ein guter Kanon ausschließend: Er schließt den Schrott aus und konzentriert sich auf die besten Werke :mrgreen:

Mit Chauvinismus hat das nichts zu tun. Die erste Bundesliga ist ja auch nicht chauvinistisch, nur weil da nicht jede Dorf-Jugendmannschaft mitspielen darf.
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von Stuttgarter »

philoponus hat geschrieben: 24. Sep 2018, 10:59

Selbstverständlich ist ein guter Kanon ausschließend: Er schließt den Schrott aus und konzentriert sich auf die besten Werke :mrgreen:

Mit Chauvinismus hat das nichts zu tun. Die erste Bundesliga ist ja auch nicht chauvinistisch, nur weil da nicht jede Dorf-Jugendmannschaft mitspielen darf.
Hm. Vielleicht haben wir etwas wesentliches bislang nicht definiert - aber wie lang/groß wäre für Dich denn so ein Kanon, allein was Literatur angeht? Wie umfangreich? Also - wieviel Werke würden da drauf stehen?

Edit: Ganz abgesehen davon, dass eine Fußballanalogie natürlich nicht wirklich hilfreich ist - Fußballergebnisse liegen absolut eindeutig in "Sieg - Niederlage - Unentschieden" vor, und daraus leitet sich ab, wer in welchem Umfeld/in welcher Liga spielt. :D Wir sind uns hoffentlich einig, dass Kunstkritik doch etwas differenzierter sein sollte. ;)
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von philoponus »

Die Größe des Kanons hängt sicher vom Zweck ab. Wenn es ein taxativer Zweck ist, also die besten / bedeutendsten Werke aufzuzählen, könnte das sicher in die tausende gehen. Wenn es ein didaktischer Zweck ist, ist weniger sicher mehr, weil realistischerweise ja kein Student tausende Werke rezipieren kann.

Das didaktische Hauptproblem sehe ich auch nicht im Kanon, sondern dass die Methoden des Literaturunterrichts in der Schule völlig anachronistisch ist. Wer Klassikern mit Interpretationen auf den Leib rückt, hat nicht einmal ansatzweise verstanden, wie Literatur funktioniert.
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Re: Zum Mailbag 18

Beitrag von Stuttgarter »

philoponus hat geschrieben: 24. Sep 2018, 12:08 Wenn es ein didaktischer Zweck ist, ist weniger sicher mehr, weil realistischerweise ja kein Student tausende Werke rezipieren kann.
An dem Punkt würdest Du aber nicht nur den "Schrott" aussortieren, sondern auch gute Literatur. Und in dem Moment wirds dann im Zweifel chauvinistisch. Und btw auch sehr anmaßend - wenn irgendjemand letztlich willkürlich drüber befindet, dass Autor/Werk A aufgenommen werden sollte, Autor/Werk B aber nicht.

Das Problem sieht man doch schon ständig, wenn irgendwelche Zeitschriften "die besten 100/200/250/500 Spiele/Filme/Platten aller Zeiten" küren. Gute Redaktionen schreiben gleich ganz an den Anfang, dass das ein völlig unrepräsentatives, nicht mal ansatzweise objektives Ranking darstellt. Weil bei Kunst nie nur der Urheber, sondern auch der Rezipient einen ganz wesentlichen Teil ausmacht. Vermutlich jeder hat schon die Erfahrung gemacht, dass er mit einem Musikstück, einem Film, einem Buch beim ersten Kontakt überhaupt nichts anfangen konnte. Und paar Jahre später dasselbe Werk plötzlich absolut fesselnd wurde. Aufgrund anderer Lebensumstände, neu gewonnener Erfahrungen, manchmal auch "nur" der dann richtigen Stimmung. Es gibt natürlich handwerkliche Kriterien, nach denen Kunst "gut" oder "schlecht" ist. Aber welche Wirkung sie auf den einzelnen hat - das ist nicht objektivierbar. Wenn so ein Kanon nun mir sagt, "Werther musst Du lesen, Die Räuber haben wir aber aus Platzgründen draußen gelassen", ich aber mit Werthers Mimimi in dem Moment gar nix anfangen kann, während mich Schillers revolutionäre Gedanken voll abholen würden - was ist dieser Kanon dann letztlich wert?
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