Andre Peschke hat geschrieben: ↑8. Okt 2018, 09:46
- Eine 90er-Wertung für TR finde ich persönlich natürlich echt absurd. Aber meine Vorstellung von 90er-Wertungen (darf gerne auch mal meherere Jahre gar keine geben) ist einfach eine andere. Man sah ja auch im Thread schon Bemerkungen wie "dann ist ja fast alles keine 80", wo ich sagen würde: Das ist ja nicht schlimm. Wir wollen die Skala ja alle ausgenutzt sehen. Im Bereich 50-70 sollte sich ja ein Großteil abspielen. ABER: Wir wissen ja alle, dass die historisch gewachsenen Wertungssysteme unter Inflation leiden, als würden sie in Reichsmark werten. Ergo ist das vermutlich gar nicht so ein "Skandal", dass sich da so ein Graben auftut.
Andre du hast im Podcast irgendwann gegen Ende gesagt, dass Shadow of the Tomb Raider ja "bis auf einige Probleme technisch hervorragend" umgesetzt sei (sinngemäß) und meine erste Reaktion dazu war, dass ich mir wünschen würde diesen oder einen ähnlichen Satz in Zukunft von keinem Kritiker oder Tester mehr lesen oder hören zu müssen. Das geht jetzt nicht gegen dich Andre falls du dich jetzt angegriffen fühlen solltest, es ist nur so, dass wir bei Spielen diese Selbstverständlichkeit immer noch mit großer Gewichtung in unser Testurteil einfließen lassen.
Ich denke auch, dass wir deshalb hier eigentlich auf zwei Ebenen diskutieren und vermutlich auch deshalb die Leute ein wenig aneinander vorbei reden. Ihr habt ja im Podcast fast ausschließlich auf der "passen die einzelnen Elemente im Spiel zueinander und fügt sich das zu einem Gesamtwerk zusammen" Ebene diskutiert und die Technik nur gestreift bis auf die Faktoren, die das Spielerlebnis beeinflussen (z.B. die hakelige Klettersteuerung). Einige der Redner im Thread argumentieren aber mehr von der Technikseite aus und verstehen nicht, warum man ein Spiel das technisch so hervorragend umgesetzt ist von euch so "gedisst" wird.
Von meiner Perspektive aus ist die Kompetenz der technischen Umsetzung aber nur untergeordnet. Um mal ein Beispiel aus dem Genre Film zu nennen: Kubrick ist ohne Frage einer der herausragendsten Regisseure der Welt und seine Detailversessenheit geradezu legendär. 2001 ist ein absoluter Meilenstein des Kinos und technisch und inszenatorisch fast perfekt umgesetzt.
Ich schlafe trotzdem spätestens nach der Hälfte gelangweilt ein.
Was ich an The Pod schätze ist gerade die Tatsache, dass die Kompetenz der technischen Umsetzung normalerweise nur eine sehr geringe Gewichtung für die Bewertung eines Spiels hat. Es sei denn sie ist wirklich außergewöhnlich gut oder außergewöhnlich schlecht oder sie wirkt sich in irgendeiner Form positiv oder negativ auf das Endprodukt aus (technische Umsetzung und ihr Einfluss auf das Spiel)
Stuttgarter hat geschrieben: ↑8. Okt 2018, 10:22
In dem Zusammenhang ist mir grade aufgefallen, dass ich keine andere Gruppe kenne, die derart Wert auf objektive Kritiken legt wie die der Spieler. Für Buchfans, Musikfans, Filmfans ist irgendwie absolut klar, dass Kritiken immer subjektiv sind. Man kann den Kritiker beschimpfen, weil er ja keine Ahnung von Musik hat, wenn er dem neuen Album von XY nur drei Sterne im "Rolling Stone" gibt - aber es wurde da vermutlich noch nie (zumindest in größerem Ausmaß) die Forderung erhoben, dass der Kritiker doch bitte die neue CD von XY völlig "objektiv" bewerten solle, ein Kritiksystem gemacht werden solle, das für alle Leser funktionieren müsse,
Stuttgarter, Ich denke der Unterschied zwischen Spielebesprechungen und der Besprechung anderer Medien und auch die Art wie Wertungen entstehen liegt genau darin begründet, dass Reviews im allgemeinen die technische Umsetzung zu einem sehr hohen Teil in die Endnote gewichten. Auch weil wir als Konsumenten das so wollen. Früher gab es ausgiebige "Technik Checks" und selbst heute noch beschäftigten sich Print-Reviews zu einem überwiegenden Teil mit der Technik.
Stell dir einfach mal vor eine Besprechung einer neuen Metallica CD würde zu 75% aus der Beschreibung der verwendeten E-Gitarren und des Schlagzeugs bestehen und wie kompetent die Musiker ihre Instrumente bedienen und es ginge Absätze lang nur über die Tontechnik im Studio und warum der Tontechniker die Regler so toll gestellt hat oder es gäbe Tabellen und Video-Content wo die Tester das Album mit verschiedenen Gitarren der unterschiedlichen Hersteller nachstellen und den Klang bewerten. Stell dir vor ein Ed Sheeran Album würde alleine deshalb abgewertet, weil er bei der Umsetzung seiner Songs nur eine Akustik-Gitarre verwendet und das 20,000 Euro NVidia Drumset mit Double-Bass ja gar nicht ausnutzt.
Stell dir vor die Besprechung eines Umberto Eco Romans beschränkte sich auf die Diskussion der verwendeten Druckmaschine oder ein Kritiker, der den neuen Marvel Blockbuster bespricht, ergießt sich seitenlang nur über technische Details der verwendeten Panavision Kameras.
Das passiert natürlich nicht, weil die Kompetenz der technischen Umsetzung in allen anderen Bereichen eine absolute Selbstverständlichkeit ist. Es wird schlicht vorausgesetzt, dass Musiker ihre Instrumente beherrschen, dass Regisseure wissen wie man einen Film macht und Autoren schreiben können. Die technische Umsetzung spielt nur dann eine Rolle in der Kritik wenn sie in irgendeiner Form außergewöhnlich ist.
Nicht einmal bei Tests von elektronischen Geräten, Waschmaschinen oder Autos wird der Maßstab eines Spieletests angelegt, weil auch ein Auto, Motor und Sport Tester davon ausgeht, dass das zu besprechende Auto ein Lenkrad, Gaspedal, Getriebe und vier Räder hat und man damit verkehrssicher auf deutschen Straßen fahren kann und ein Stiftung Warentest Autor auch erst einmal voraussetzt, dass alle 15 zu testenden Staubsauger halt Staub saugen können. Die Technik wird nur dann signifikant bewertet wenn sie von der "Baseline abweicht", wenn z.B. die Bremsen eines Autos Müll sind oder das Fahrwerk einem ein besonders geiles Fahrgefühl gibt.
Nur Spielebesprechungen basieren einen großen Teil ihrer Wertung auf diesen Selbstverständlichkeiten. Du hast ein Spiel gemacht, das nicht hässlich ist, nicht abstürzt, das man durchspielen kann und wo alles funktioniert? Herzlichen Glückwunsch hier ist deine 70 von 100.
Würden die Kritiker in anderen Medien auf die selbe Art besprechen wie wir Spiele bewerten, dann müsste jeder Stanley Kubrick Film mindestens eine 85 - 90 haben, weil selbst sein schlechtester Film noch auf der technischen Ebene handwerklich absolut perfekt umgesetzt wurde. Nur macht das halt "Eyes Wide Shut" nicht weniger Scheiße. Umgekehrt bedeutet das, dass selbst das schlimmste Uwe Boll Machwerk oder der größte "direct to DvD" Müll noch mindestens eine 75 kriegen müsste, weil das ja alles "technisch kompetent" umgesetzt ist.
Noch unfairer ist es, weil ja innerhalb dieses Korsetts alle Nicht-AAA Spiele abgewertet werden müssten, da deren technische Umsetzung ja nicht auf dem gleichen Niveau ist und wie absurd das eigentlich ist, merkt man dann wenn man versucht diese Art der Bewertung auf andere Medien anzuwenden.
Das ist jetzt ein wenig reduktio ad absurdum, aber ein Pulp Fiction müsste ja dann "schlechter" sein, weil Tarantino eben keine 200 Millionen Dollar für Visual Effects ausgegeben hat (obwohl das für den Film keinen Sinn ergibt) oder ein "12 Angry Men" dürfte nicht über 70 hinauskommen, weil es schwarz/weiß ist und nur in einem Raum spielt während ein Valerian ja schon alleine deshalb höher bewertet sein muss, weil Luc Besson so viel in Visuals investiert hat. Ein Nick Cave oder Johnny Cash Album müsste dann schlechter sein als das neue Taylor Swift Album, weil im Vergleich nur Taylor Swift 5 Produzenten angeheuert hat und Millionen in die Bühnenshow steckt und das langweiligste Prog-Metal Album dürfte mindestens eine 80 einstreichen, weil die Musiker so virtuos ihre Instrumente beherrschen.
Nur Spieletests machen aus der Selbstverständlichkeit "ihr habt ein Spiel gemacht" eine automatische 70 und bewerten die Tatsache das man 200 Millionen für ein AAA Spiel ausgegeben hat automatisch positiv.
Da bleibt dann für ein Shadow of the Tomb Raider, das technisch und inszenatorisch hinter die ersten beiden Teile zurückfällt und dazu noch zahlreiche spielmechanische und Plot-Probleme hat halt nur eine 85 - 90 übrig.