Ich bin erschüttert: Wahrheit. Es geht um Wahrheit. Und ein bisschen um Moral.
Bevor ich nun weiterschreibe, will ich betonen, dass ich gerade weil ich Kate Edwards Ansichten vermutlich nicht teile, den Podcast unbedingt fertighören möchte (Ich habe nach Minute 14 begonnen diesen Text zu schreiben) und mich ehrlich auf das, was sie sagt, einlassen möchte. Gerade wenn man das Gefühl hat, dass das Gegenüber in einer Konversation Unrecht hat, sollte man sich selbst hinterfragen, über sein eigenes Bias nachdenken und versuchen die Gegenposition zu verstehen und dieser eine ehrliche Chance zu geben. Es gibt nichts Schöneres als durch harte Fakten überzeugt zu werden und das zuzugeben.
Ich möchte im Folgenden darauf eingehen, wo - meiner Ansicht nach - Kate Edwards in Bezug auf die Änderung von AOE II in Südkorea Unrecht hat: Sie scheint das Vorgehen bei AOE II damit zu rechtfertigen, dass schließlich auch in der Enzyklopädie, an der sie (bzw. Microsoft) gearbeitet hat, jeweils unterschiedliche Höhen für den Mont Blac in der italienischen und der französischen Version zu finden waren. Wenn man schon nicht einmal feststellen kann, wie hoch der Mont Blanc ist, woher sollte man denn dann schon wissen, wer in einem Krieg zwischen Korea und Japan auf wessen Territorium gelandet ist? Wenn doch der Mont Blanc zwei unterschiedliche Gipfelhöhen haben kann, dann können doch auch sowohl Korea Japan als auch Japan Korea besetzt haben?
Halt! Stopp! Nachdenken - Genau hier liegt das Problem! Leider muss ich jetzt kurz ausholen:
Höhenangaben werden üblicherweise von einem Fixpunkt aus angegeben. Diese fixe Höhe bezeichnet man in Österreich (und soweit ich weiß auch in Deutschland) als Normalnull. Dementsprechend werden z.B. Geländehöhen in Metern über Normalnull festgehalten. Jetzt ist es aber so, dass jedes Land seine eigene Normalnull festlegt. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass unterschiedliche Länder unterschiedliche Höhenangaben für einen Berggipfel vorlegen, da sie ja von anderen Punkten aus wegmessen.
Zudem kann es sein, dass jeweils ein Land einfach aufgrund von "schlechter" Messtechnik ein ungenaueres Messergebnis erzielt hat, als das andere.
Auch ist es essenziell darüber nachzudenken, wie groß der relative Fehler ist, wenn z.B. Italien behauptet, dass der Mont Blanc 4780 statt 4810 Meter hoch sei: Der relative Fehler beträge in diesem Fall 0.6%, was in diesem Zusammenhang lächerlich klein ist. Die relevante Information für eine Enzyklopädie (die wohl nicht von Militärpiloten als Navigationsgerät beim Überfliegen der Alpen genutzt wird), nämlich dass der Mont Blanc ein sehr sehr hoher Berg ist, bleibt erhalten, selbst wenn man die Gipfelhöhe um 30 Meter zu niedrig angeben würde.
Sollten also Italien und Frankreich die Gipfelhöhe des Mont Blanc von unterschiedlichen Normalnullen aus gemessen haben, sind beide Aussagen wahr. sollten die unterschiedlichen Höhen durch einen Messfehler entstanden sein, können beide Ausagen als zumindest ausreichend genau und damit wahr angesehen werden.
Betrachtet man nun die Tatsache, ob Japan oder aber Korea in einem Krieg in das jeweils andere Land einmarschiert sind, stellt man fest: Die überwiegende Mehrheit der Geschichtswissenschaftler auf unserem Planeten scheint davon überzeugt zu sein, dass Japan in Korea einmarschiert ist und nicht Korea in Japan. Korea (und dessen Geschichtswissenschaftler?) scheinen gemäß Kate Edwards nun zu behaupten, dass es genau umgekehrt war. Es liegt also ein binäres Problem vor: Entweder ist Japan in Korea einmarschiert oder aber Korea ist in Japan einmarschiert. Quantifiziert man nun den relativen Fehler, den man macht, wenn man dem falschen Land die Invasion zuschreibt, ist es offensichtlich, dass der relative Fehler hier 100% beträgt.
Zusammenfassend sei also gesagt, dass im Falle der Gipfelhöhe des Mont Blanc beide Messwerte ausreichend genau (bzw. absolut richtig) und damit ausreichend wahr sein können, während im Falle des Japan-Korea Krieges genau das Gegenteil gilt: Eine der beiden Antwortmöglichkeiten auf die Frage, welches Land das andere besetzt hat, muss falsch sein.
Es ist also ein absoluter und zum Himmel schreiender non sequitur aus den unterschiedlichen Aussagen zweier Länder zur Höhe eines Berggipfels (beide Aussagen sind wahr) zu schließen, dass es auch im Falle der Invasion im Japan-Korea Krieg (eine Aussage schließt offensichtlich die andere aus) zwei gleich richtige Aussagen über die Realität geben muss.
Warum ist dem so? Erstens, sagen unterschiedliche Meinung zur Höhe von Berggipfeln nichts über vergangene Kriege aus und selbst wenn sie das täten, wären die beiden Situationen nicht analog, da im Falle des Mont blanc beide Aussagen wahr sind, wohingegen im Falle des Japan-Korea Krieges jeweils eine Aussage der anderen widerspricht.
Abschließend möchte ich noch ergänzen, warum ich Kate Edwards Zugang zu dieser Frage für äußerst unmoralisch halte: Ist AOE II ein historisch exaktes Spiel? Sind alle Waffen und Gebäude so dargestellt, wie sie in der Realität ausgesehen haben? Gab es Onlu den Wolf wirklich?
Nein, natürlich nicht!
Spielt es eine Rolle, ob nun in einem Videospiel Japan Korea oder Korea Japan besetzt hat?
Nein, natürlich nicht!
Wieso ist es dann ein Problem, dass Microsoft - auf den Zuruf von Kate Edwards? - das Spiel so verändert hat, dass in der koreanischen Version Korea Japan angreift und nicht wie in der Normalversion, die im Rest der Welt erscheint, Japan Korea?
Das Problem ist, dass hier ein Autor auf Druck eines Landes sein Werk verändert und damit einer Zensur durch Marktmacht nachgibt. Damit öffnet man Tür und Tor für jedes weitere Vorgehen dieser Art und hintergeht die Meinungs-, Ausdrucks- und Darstellungsfreiheit, von der wir im Westen zumindest immer behaupten, dass sie einen Wert für uns habe. Das ist das Problem.
Das derlei Entscheidungen aus kaufmännischer Sicht völlig nachvollziehbar sind, ist eine Sache. Sich unkritisch, ja sogar relativierend, hinzustellen und so zu tun, als ob das alles überhaupt kein Problem sei, ist eine völlig andere.