WALKthrough - Der Kunde als Mitarbeiter

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Rince81
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Re: WALKthrough - Der Kunde als Mitarbeiter

Beitrag von Rince81 »

roman hat geschrieben: 8. Nov 2018, 17:56 Interessante Folge! Ich habe auch schon "ehrenamtlich" an Dingen im Internet mitgearbeitet.
Mir rollen sich immer alle Fussnägel hoch, wenn sowas als Ehrenamt oder ehrenamtlich bezeichnet wird. Ich finde es gut, dass es hier und auch in einem anderen Beitrag zumindest in Anführungszeichen steht. Man arbeitet kostenlos und freiwillig, ehrenamtlich hat für mich aber immer etwas altruistisches und vor allem auch mit Gemeinnützigkeit zu tun. Man arbeitet ehrenamtlich in Vereinen, in der Lokalpolitik, der Feuerwehr, Umweltverbänden, etc., etc.) aber nicht als freiwilliger unbezahlter Forenmoderator oder Schreiber 0bei einem kommerziellen Unternehmen.
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roman
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Re: WALKthrough - Der Kunde als Mitarbeiter

Beitrag von roman »

Rince81 hat geschrieben: 8. Nov 2018, 19:10
roman hat geschrieben: 8. Nov 2018, 17:56 Interessante Folge! Ich habe auch schon "ehrenamtlich" an Dingen im Internet mitgearbeitet.
Mir rollen sich immer alle Fussnägel hoch, wenn sowas als Ehrenamt oder ehrenamtlich bezeichnet wird. Ich finde es gut, dass es hier und auch in einem anderen Beitrag zumindest in Anführungszeichen steht. Man arbeitet kostenlos und freiwillig, ehrenamtlich hat für mich aber immer etwas altruistisches und vor allem auch mit Gemeinnützigkeit zu tun. Man arbeitet ehrenamtlich in Vereinen, in der Lokalpolitik, der Feuerwehr, Umweltverbänden, etc., etc.) aber nicht als freiwilliger unbezahlter Forenmoderator oder Schreiber 0bei einem kommerziellen Unternehmen.
Deswegen ja auch "ehrenamtlich" in Anführungszeichen :) Ich habe auch an Projekten mitgearbeitet, bei denen kein kommerzieller Hintergedanke existiert hat.
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billi
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Re: WALKthrough - Der Kunde als Mitarbeiter

Beitrag von billi »

Ich war früher ebenfalls als Beta-Tester (u.a. für Anstoss 3) tätig. Der Unterschied zu heute war, dass man damals als "Bezahlung" das fertige Spiel kostenlos bekommen hat, man also eine gewisse "Entlohnung" bekam. Ich hätte den Test damals allerdings auch ohne so eine Bezahlung gemacht, einfach, weil mir das Testen damals sehr viel Spass gemacht hat und ich einiges über die Internas der Computerspieleentwicklung gelernt habe.
Auch heute spiele ich gerne Early-Access-Titlel, weil es mich fast mehr interessiert zu sehen wie sich ein Spiel "entwickelt", anstatt das fertige Spiel zu spielen.

Ich kann die Kritik an den Tests ohne Bezahlung nur ansatzweise nachvollziehen. In meinen Augen ist ein Spiel generell etwas, mit dem man sich freiwillig beschäftigt und mit dem man Spass hat. Eine Freizeitbeschäftigung. In dem Moment wo einer dieser beiden Punkte nicht mehr erfüllt sind, höre ich auf ein Spiel zu spielen.
Ich gehe mal davon aus, dass die heutigen Betatester nicht gezwungen werden das Spiel x Stunden pro Tag zu spielen, oder y Bugs pro Woche zu melden. Sie machen eigentlich nur das, was sie als Kunde nach dem Launch des Titels auch machen würden: das Spiel spielen.
Als "Bonus" dürfen sie das Spiel noch vor allen anderen ausprobieren und haben sogar in geringem Maße die Möglichkeit Einfluss auf die Spielentwicklung zu nehmen. In sofern sehe ich da erstmal kein Problem.
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Hegelkant
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Re: WALKthrough - Der Kunde als Mitarbeiter

Beitrag von Hegelkant »

Im Podcast wurde auch angesprochen, dass die Externalisierung von Kosten ("Kunde als Mitarbeiter") nicht nur ein Phänomen der Spieleindustrie ist, sondern eine Arbeitsweise des Kapitalismus allgemein. Ich weiß. Ich arbeite im Strategiebereich eines großen Konzerns (nicht in der Spieleindustrie) und weiß, wie die Leute ticken, die sich sowas ausdenken (nicht ich!). Man will entweder Leuten Sachen verkaufen, die sie eigentlich nicht brauchen (die aber "wünschbar" sind, wenn man die Leute entsprechend triggert, Games gehören m.E. übrigens dazu) oder Kosten senken, indem man digitalisiert/automatisiert oder eben Kosten "outsourct", beides auf Kosten der Mitarbeiter, dem höchsten Kostenfaktor.

Das führt dazu, dass Unternehmen Am Ende nur noch dann bereit sind, die Kosten selbst zu tragen, wenn
(a) die Leute sich wehren, d.h. es finden sich nicht genug Freiwillige oder
(b) sie die Kosten an die Käufer weitergeben können, was in der Spielebranche schwierig ist oder
(c) sie einen Qualitätsanspruch haben, den sie bei Freiwilligen nicht einfordern können (im Sinne eines Rechtsanspruchs).

Der Knackpunkt ist meines Erachtens (c). Wir müssen als Kunden einen Qualitätsanspruch formulieren, den die Hersteller nur leisten können, wenn sie die Arbeit gute Leute machen lässt und dafür bezahlt (um die Garantie zu bekommen, dass das Ergebnis gut ist). Einfach mal einen veritablen Shitstorm vom Zaun treten, wenn ein Hersteller den Kunden als Mitarbeiter einspannt. Das ist die Sprache, die die verstehen (neben den Verkaufszahlen wohl leider die einzige). Dadurch kann man mehrere Dinge erreichen. Zum Einen werden die Spiele dadurch auf Dauer (hoffentlich) besser. Zweitens kann man steuern, wen man trifft; man kann Indies anders behandeln als große, etablierte Publisher. Drittens kann es einem als eigenes Kaufkritierium dienen, falls man eine Entscheidungshilfe braucht; für mich ist es zum Beispiel eine gute deutsche Lokalisierung, weil ich will, dass die Hersteller darauf Wert legen, auch wenn ich dadurch viele echt interessante Spiele nicht spielen werde (Indies nehme ich von der Regel aus). Und viertens können wir dadurch vielleicht zeigen, dass die Gamesbranche nicht nur eine moderne Form der Modeindustrie ist, wo zu Billiglöhnen Massenprodukte hergestellt werden, von denen wir viel zu viele im Jahr kaufen, die dann vielleicht einmal getragen und dann im Schrank vergessen oder gleich weggeworfen werden, weil wir gerade im Schaufenster den nächsten Trend gesehen haben und angetriggert wurden.

Wir müssen uns gegen die Auswüchse des Kapitalimus wehren. Es wird sonst immer schlimmer.
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Flo
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Re: WALKthrough - Der Kunde als Mitarbeiter

Beitrag von Flo »

Sorry, wenn mein Post nicht auf den Diskurs hier eingeht, habe die Folge eben gehört und möchte nur meine Gedanken dazu kurz festhalten. Also...

Briefmarken

Das Beispiel mit den Briefmarken ist sehr unpassend, weil hier ein existierendes Hobby zum Zwecke der Veranschaulichung genommen wurde - und dann aber aber in den Verhältnissen dermaßen verzerrt wurde, was der ganzen Sinn der Übung (die Sache anschaulich zu gestallten) vollkommen über den Haufen geworfen wirft. Das Verhältnis zwischen Geld welches in Porto investiert wird, und den Wert von Briefmarken, die zu Sammelzwecken aus der Postökonomie heraus gezogen wird, ist garantiert nicht ansatzweise bei 1 zu 10. Das Geld, mit welchen Briefmarkensammlerinnen die Post sozusagen "subventionieren" wird so verschwindend gering, dass es keinerlei Einfluss auf das Unternehmen hat.

Gäbe es tatsächlich ein Verhältnis 1 zu 10, dann würde die Post in Reaktion darauf ihr gesamte Geschäftsmodell signifikant verändern. Und da ein potentiell ausgedachtes alternatives Post-Geschäftsmodell über alle Maßen spekulativ wäre, würde es auch keinen Sinn machen, davon Erkenntnisse abzuleiten, die man dann auf die Computerspielebranche übertragen könnte.

Erst-mal-beobachten-Konzept

Wolfgang meint, man müsse erst mal beobachten wohin sich das entwickle, bevor er da ein Urteil fällen wolle. Auch meinte er, dass man von den Unternehmen erst mal erwarten solle, dass die sich ethisch korrekt verhalten. Und, dass man den Kunden nicht rein reden sollte, wenn sie Lust haben, unentgeltlich freiwillig zu helfen. (Die letzte Aussage impliziert die Prämisse des vollkommen mündigen Kunden.)

Das sind drei klassisch neoliberale Aussagen:
  • Man darf eine Idee nicht verurteilen, bevor sie nicht in der "freien Welt" (sprich: Wirtschaft) versagt hat.
  • Selbstverantwortlichkeit soll dem Unternehmen gelassen werden.
  • Das Individuum soll die persönlich Verantwortung über dessen Glück (und damit umgekehrt über dessen Versagen (z.B. sich nicht ausbeuten zu lassen)) tragen.
Dass ihm diese Aussagen so leicht über die Lippen gehen, wo er sich ansonsten eigentlich als großer Supporter (ich sehe ihn sogar als 'Kämpfer') für gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritt begreift, mag daran liegen, dass er einen Großteil seines Lebens in der Spielebranche überleben musste, welche - laut seiner Aussage - zeitlich genau aus dem Herzen des Neoliberalismus heraus erblüht ist. Ich meine, wenn man so lange, einer solch dichten Belastung ausgesetzt gewesen war, wie soll die Lunge da Staubfrei bleiben?

Ich bin wahrlich kein Experte, aber soweit wie ich das verstehe ist ein Hauptproblem am Neoliberalismus, dass er in Kombination mit Kapitalismus zu einer ätzenden Entität verschmilzt, die sich durch gesellschaftliche Werte frisst, wie ... Jochen durch die Red Rising Trilogie*. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Publisher moralisch Verantwortungsvoll mit der potentiellen Arbeitskraft ihrer Kundschaft umgehen, halte ich für so wahrscheinlich, wie dass Steuererleichterungen für Superreiche die Armut verringert.


*vgl. Podcast 'Kapitel Eins', 'Episode 5: Von Fantasy, SF und Donald Trump'; https://itunes.apple.com/de/podcast/kap ... 64283?mt=2
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Hegelkant
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Re: WALKthrough - Der Kunde als Mitarbeiter

Beitrag von Hegelkant »

Interessante Einschätzung, danke dafür :) (Hinweis: lies doch auch die restlichen Beiträge des Threads, da sind einige dabei, die vielleicht für dich relevant oder weiterführend sind).
Flo hat geschrieben: 18. Nov 2018, 22:04 Wolfgang meint, man müsse erst mal beobachten wohin sich das entwickle, bevor er da ein Urteil fällen wolle. Auch meinte er, dass man von den Unternehmen erst mal erwarten solle, dass die sich ethisch korrekt verhalten. Und, dass man den Kunden nicht rein reden sollte, wenn sie Lust haben, unentgeltlich freiwillig zu helfen. (Die letzte Aussage impliziert die Prämisse des vollkommen mündigen Kunden.)

Das sind drei klassisch neoliberale Aussagen:
  • Man darf eine Idee nicht verurteilen, bevor sie nicht in der "freien Welt" (sprich: Wirtschaft) versagt hat.
  • Selbstverantwortlichkeit soll dem Unternehmen gelassen werden.
  • Das Individuum soll die persönlich Verantwortung über dessen Glück (und damit umgekehrt über dessen Versagen (z.B. sich nicht ausbeuten zu lassen)) tragen.
Dass ihm diese Aussagen so leicht über die Lippen gehen, wo er sich ansonsten eigentlich als großer Supporter (ich sehe ihn sogar als 'Kämpfer') für gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritt begreift, mag daran liegen, dass er einen Großteil seines Lebens in der Spielebranche überleben musste, welche - laut seiner Aussage - zeitlich genau aus dem Herzen des Neoliberalismus heraus erblüht ist. Ich meine, wenn man so lange, einer solch dichten Belastung ausgesetzt gewesen war, wie soll die Lunge da Staubfrei bleiben?
Ich schätze Wolfgang nicht so ein, dass er sich hier auf die Seite des Neoliberalismus schlagen wollte, sondern er lediglich auf die Vielschichtigkeit und Ambivalenz des Themas hinweisen wollte (Stichwort "Indies").

Zu den Punkten zwei und drei habe ich mich schon früher in diesem Thread ausgelassen. Ich bezweifle stark, dass wir von einem vollständig mündigen Kunden ausgehen können und glaube auch, dass Unternehmen (insbesondere Aktiengesellschaften) sich nur soweit ethisch korrekt verhalten, wie sie es gesetzlich müssen oder es sich wirtschaftlich erlauben können. Siehe weiter oben im Thread.

Aber auf Punkt eins der Liste möchte ich weiter eingehen (abgesehen davon, ich das nicht aus Wolfgangs Aussage herauslese). Was heißt es, dass eine Idee "versagt"? Dass sie unrealistisch, unvernünftig oder unrentabel ist? Oder dass es eine bessere Alternative gibt? Das sind sehr verschiedene Kriterien. Zudem impliziert der Satz, dass jede Idee realisiert bzw. ausprobiert werden muss (um versagen zu können), bevor sie verworfen werden kann. Was wiederum heißt dies? Reicht ein Gedankenspiel oder muss man die Idee tatsächlich umsetzen, und bis zu welchem Grad muss man die Idee ausdetaillieren, um das Versagen erkennen zu können?

Ausprobiert werden die Ideen von Startups oder Indies, wie sie in der Gamesbranche heißen, was nichts anderes ist als eine weitere Externalisierung von Kosten, wo der knallharte Wettbewerb schlicht ausgelagert wird und die großen Publisher nicht mehr gegeneinander kämpfen, sondern friedlich koexisiteren und sich die blutigen Indie-Gladiatorenkämpfe von oben anschauen und am Ende etwaige Überlebende unter ihre Fittiche nehmen, denn die haben sich ja bewiesen. Und wenn Ideen unten in der Arena scheitern, tut das den Großen nicht weh. Dies impliziert auch für uns, dass wir in unserer Kritik die Großen und die Indies nicht gleich behandeln dürfen. Die Kleinen kämpfen in der Arena ums überleben. Die Großen scheffeln Millionen.

Wolfgang würde vielleicht zustimmen, wenn man sagte: Don't hate the player, hate the game. Dieses Fass - "hate the game" - hat er in einer anderen Form schon in seiner großartigen Kolumne "Das schwerste Spiel überhaupt" bzgl. der Aufmerksamkeitsökonomie aufgemacht. Hier könnte man das Thema noch weiter fassen und die grundlegende Spielmechanik des Kapitalismus nebst derzeitigem Regelwerk betrachten (Wettbewerb, Digitalisierung, Globalisierung, Gesetze). Wenn es dem Kapitalismus gelingt, dass wir nur noch innerhalb dieses Spiels Ideen entwickeln, hat er gewonnen...
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