Games als Schulstoff

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Caravaggio
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Games als Schulstoff

Beitrag von Caravaggio »

Liebes Forum
Ich muss für meinen Beitrag leider etwas ausholen:
Ich bin Lehrer an einem Schweizer Gymnasium. Die Gymnasien in meinem Kanton haben im 10. und 11. Schuljahr (ca. 15-17 Jährige) ein Fach, welches sich „Akzentfach“ nennt. Dieses können die Jugendlichen selbst wählen. Es findet einmal die Woche in 3 zusammenhängenden Schulstunden statt. Thematisch gibt es dort ganz unterschiedliche Dinge, wie Naturwissenschaften, Moderne Sprachen, Sozialwissenschaften etc. Die Schulen haben auch die Möglichkeit, dort selber Fächer zu „erfinden“ und bei uns an der Schule gibt es das Akzentfach „Die digitale Gesellschaft und ihre Medien“. Dies unterrichte ich (ab nächstem Sommersemester zum ersten Mal).

Meine Idee ist es nun, dort eine Unterrichtseinheit zum Thema Games zu machen. Ich bin gerade dabei, das Ganze inhaltlich auszuarbeiten und mich würde interessieren, was ihr davon haltet.

Ich habe die Unterrichtseinheit mal grob in 4 Blöcke eingeteilt, es hat aber noch grossen Baustellencharakter:

a) Gamesgeschichte
Es gibt hier ein schönes Kapitel in „Computerspiele – Eine Ästhetik“ von Daniel Feige. Das ist ein ziemlich hardcore-kulturwissenschaftlicher Text, der zunächst mal deutlich macht, dass das hier „serious business“ ist und wir uns nicht einfach nur zum Daddeln in der Schule treffen. Ich denke daran, den Inhalt irgendwie grafisch aufarbeiten zu lassen (der Stammbaum der Games oder so) und mit Letsplay-Links zu versehen. Ziel ist es, sich über die inhaltliche Breite und historische Tiefe des Themas bewusst zu werden und eine gemeinsame Grundlage zu schaffen.

b) Games als Produkte der Kulturindustrie
Welche ökonomische Bedeutung haben Videospiele? Welche Finanzierungsmodelle gibt es? (Vollpreis, Free to play, Games as a service etc.) Wie wirkt sich das auf die Spiele aus?
Welche Jobs gibt es in der Spieleindustrie?
Vielleicht könnte man in diesem Zusammenhang auch ein Entwicklerstudio besuchen. Die Leute von „Far: Lone Sails“ sitzen hier ganz in der Nähe, ich habe aber noch keinen Kontakt.

c) Games als Spiegel der Gesellschaft
Wettbewerb vs. Eskapismus: Warum spielt man?
Gameskultur und Fandom, Games und Geschlechterrollen (ich habe mir schon Nina Kiels Buch organisiert…), Gamergate
Games und Gewalt
Spielsucht (incl. Lootbox-Debatte etc.)
Historische Authentizität in Games – Gibt es sowas?
Gamification in Schule oder Arbeitswelt

d) Games als „Kunst“
Was ist eigentlich Kunst? Wann ist Kunst gute Kunst? Was macht ein „künstlerisch wertvolles“ Spiel aus?
Gameplay vs. Narration, Besonderheiten des Spiels als Erzählform
Hier geht es auch darum, den Jugendlichen mal aussergewöhnliche Sachen jenseits von Fortnite näher zu bringen.

Mich würde einfach mal interessieren, was ihr davon haltet. Ideen, Kritik, Anregungen, Materialvorschläge sind gerne gesehen. :D
Tyrosh22
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Re: Games als Schulstoff

Beitrag von Tyrosh22 »

Hallo! Schöne Idee und toll, dass du dich dem Thema in deiner Schule annehmen willst. Meine Frage wäre zunächst, was eine Unterrichtseinheit genau ist? Für mich liest sich deine Struktur eher wie ein ganzes Schuljahr oder ein Lehrplan. Ich glaube ein stärkerer Fokus wäre besser. Kannst du vielleicht deine Schüler_innen fragen, was sie an dem Thema interessiert und welche Erwartungen sie haben? Es macht auf mich ein wenig den Eindruck, als wolltest du alle aktuellen Debatten innerhalb der Spielelandschaft auf den Schüler_innen 'abladen'. Vielleicht ist es für die Schüler_innen aber zunächst interessanter, ihr eigenes Spielverhalten und ihre Erfahrungen einzubringen und zu reflektieren?

Ein Besuch im Entwicklerstudio fände ich übrigens klasse, sowas hätte ich auch gerne in der Schule gemacht. Super Idee!
Meine zwei YouTube Projekte:

gameWitty - Kurze Essays zu kurzen Videospielen. Als Video und als Text.
inkWitty - Videos zu Füllern, Tinten und die Freude am Schreiben.
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Caravaggio
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Re: Games als Schulstoff

Beitrag von Caravaggio »

Vielen Dank für Deine Antwort, Tyrosh22.
Du hast natürlich völlig recht mit der Fülle an Inhalten, dass wird sich sicher noch eindampfen. Allerdings habe ich so ca. 10 Wochen à 3 Stunden zur Verfügung. Da kann man schon was machen.
Was die Perspektive anbelangt, so möchte ich das Thema bewusst ein wenig von oben betrachten und in einem gesellschaftlichen Zusammenhang diskutieren. Die eigene Spielerfahrung wird sicher immer wieder eine Rolle spielen, aber um sie zu reflektieren braucht es m. E. den Einblick in übergeodnete Konzepte. Diese erschliessen sich den Jugendlichen nicht von alleine (in Gegensatz zu so etwas wie Spielspass).
Oder anders gesagt: Musikunterricht am Gymnasium sieht ja auch nicht (nur) so aus, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Lieblingslieder vorstellen.
Aber ich verliere die Interessen und Bedürfnisse der Zielgruppe schon nicht aus den Augen. Wenn mein Text so gewirkt hat, liegt das vielleicht an meinem Lehrer-Slang :lol:
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Sebastian Solidwork
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Re: Games als Schulstoff

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Wie wäre es noch mit einer Einführung in die Grundlagen von Gamedesign? Sowas wie z.B. Feedbackloops.
Damit wird dann auch klarer wie das Medium Spiel selbst funktioniert. Und daraus werden vielleicht auch Bezüge zu anderen Themen verständliche.

Zu Gameplay vs. Narration hätte ich ein paar Links:
https://ludokultur.de/2017/05/09/narrat ... dem-spiel/
https://ludokultur.de/2017/12/15/solve- ... -synthese/

Das ist von Nachtfischer hier im Forum. Generell kann ich dir so ziemlich all seine Texte empfehlen :-D
https://ludokultur.de/texte/
„Schönheit ist auch immer ethisches Empfinden.“

Umweltschutz beginnt im Geldsystem.
Fix the system!

Der Sinn des Lebens ist, dass Menschen voller Sinn das niemals wissen müssen. - Gunter Dueck in Omnisophie
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Caravaggio
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Re: Games als Schulstoff

Beitrag von Caravaggio »

Vielen Dank für die Links, Sebastian. Wirklich gute Texte von Nachtfischer.
Ich habe hier lange nicht reingeguckt, aber die Sache nimmt langsam Gestalt an...
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VikingBK1981
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Re: Games als Schulstoff

Beitrag von VikingBK1981 »

Ja nette Idee. Als Vater eines 12 Jährigen frage ich mich aber, wofür? Vielleicht bin ich das etwas sehr altmodisch, aber es so viel sinnvollere Inhalte die an einer Schule schon jetzt nicht vermittelt werden oder nicht mehr, dass man die Zeit deutlich sinnvoller nutzen kann und sollte.

Hoffe ich stoße dir nicht zu sehr vor den Kopf. Hier in Deutschland gibt es kaum noch richtigen Geschichtsunterricht und Politik auch nicht. Alles zusammen gewürfelt in einem Fach und nichts wird richtig abgedeckt. Praktische Inhalte, die mal wirklich hilfreich wären, kommen auch nicht vor.
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Desotho
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Re: Games als Schulstoff

Beitrag von Desotho »

Sinnloser als z.B. Religion (gibt es das heute noch) wird es sicher nicht sein :D

Ev. wäre es spannend, wenn die Kinder dann auch zusammen ein eigenes Spiel machen würden. Es gibt ja genug "einfache" Werkzeuge.
El Psy Kongroo
Presto
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Re: Games als Schulstoff

Beitrag von Presto »

Games sind für mich ein Teil von Medienkompetenz. Das heißt, dass ich es begrüßen würde, wenn sie in eine untergeordneten Rolle vorkommen würden. Der Fokus sollte jedoch primär auf den Umgang und die Möglichkeiten neuer Medien liegen. Dabei ginge es mir nicht nur um Gefahren, sondern auch um die Vorteile moderner Medien.

Um als Teil eines Kunstunterrichtes existieren zu können müssten Games, meiner Meinung nach, noch einiges leisten. Klar gibt es eine kulturelle Beeinflussung von Games die sicherlich auch eine zeitgeschichtliche Relevanz hat, aber wenn man so schaut welchen anderen, politisch und auch artistisch bildenden Künstler und Epochen heutzutage nicht behandelt werden, würde ich dem bisher keine große Relevanz einräumen. Games sind ein großer Teil meines Lebens, welches ich dadurch finanziere Teil der IT-Industrie zu sein. Aber selbst wenn ich mich im Kollegenkreis so umschaue, muss ich doch sagen, dass ein wirklich tiefes Spielinteresse das über aktuelle Trends hinausgeht im meinem Umfeld eher die Ausnahme ist.
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Caravaggio
Beiträge: 9
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Re: Games als Schulstoff

Beitrag von Caravaggio »

Schön, dass hier was geschrieben wird. Vielen Dank!
VikingBK1981 hat geschrieben: 27. Jan 2019, 18:11 Ja nette Idee. Als Vater eines 12 Jährigen frage ich mich aber, wofür? Vielleicht bin ich das etwas sehr altmodisch, aber es so viel sinnvollere Inhalte die an einer Schule schon jetzt nicht vermittelt werden oder nicht mehr, dass man die Zeit deutlich sinnvoller nutzen kann und sollte.
Naja, unsere Schülerinnen und Schüler sind um die 16 und haben sich ein 3-stündiges Wahlpflichtfach mit dem Namen „Die digitale Gesellschaft und ihre Medien“ ausgesucht. Sie können auch „Moderne Sprachen“ oder „Experimentelle Naturwissenschaften und Technik“ wählen. All dies nimmt den „normalen“ gymnasialen Schulfächern (inkl. Geschichte und Gesellschaftskunde) nichts weg.
Das Fach ist vor rund 4 Jahren als weitere Wahlmöglichkeit bei uns an der Schule entstanden und hat natürlich einen sehr interdisziplinären Charakter. Z. B. Schreiben die Jugendlichen eigene Blogs, setzen sich mit gesellschaftlichen Phänomenen im Zusammenhang mit der Digitalisierung auseinander und produzieren unsere wöchentliche „Schülerzeitung“ auf Youtube. (https://www.youtube.com/channel/UC78JYY ... LnoekLMQcw, Achtung, Schweizerdeutsch! :P )
Unser Gaming-Block wird nur 8 Wochen (aber immerhin 24 Unterrichtsstunden) von insgesamt zwei Schuljahren dauern. Aber natürlich kann es auch sein, dass es ein bisschen Gegenwind gegen unser Vorhaben gibt. Insofern ist deine Kritik sehr wertvoll. Danke!
Desotho hat geschrieben: 27. Jan 2019, 19:25 Ev. wäre es spannend, wenn die Kinder dann auch zusammen ein eigenes Spiel machen würden. Es gibt ja genug "einfache" Werkzeuge.
Die Jugendlichen haben auch regulären Informatikunterricht, da gehört das eher rein. Wir wollen eher in eine geistes- und sozialwissenschaftliche Richtung. Wenngleich natürlich bei den Sachen auch viel IT-User-Kompetenzen erlernt werden müssen.
Presto hat geschrieben: 27. Jan 2019, 20:36 Aber selbst wenn ich mich im Kollegenkreis so umschaue, muss ich doch sagen, dass ein wirklich tiefes Spielinteresse das über aktuelle Trends hinausgeht im meinem Umfeld eher die Ausnahme ist.
Gut, aber welche deiner (und meiner) Kollegen haben in letzter Zeit "Nathan der Weise" gelesen oder "Citizen Kane" geschaut? Dafür sind wir ja da :lol:
Häufig werden die Games sicher auch der Anlass für die Beschäftigung mit allgemeineren geistes- und sozialwissenschaftlichen Themen sein. Wir werden sicher nicht stundenlang über Fortnite-Tänze sprechen. (wobei...die wirtschaftlichen und rechlichen Implikationen sind schon ganz interessant...)
Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Diskussion der Relevanz von Videospielen unter den Schülern kontrovers wird und einige das so sehen werden wie Du. Das wird spannend.

Vielen Dank für Euer Feedback.
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