Nachgeforscht: Unsicherheit

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Sebastian Solidwork
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Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Wieder eine sehr informative Folge.
Mir als Hobbyinteressierten war vieles bekannt und hat mich in dem bestätigt was ich schon weiß.
Sogar habe ich eher ein paar Sachen grundlegende vermisst: Was für Möglichkeiten gibt es Unsicherheit zu erzeugt und welche Vor- und Nachteile haben sie. Zufall und versteckte Informationen erzeugen beide Unsicherheit sind aber unterschiedliche Konzepte. Poker vs Schafkopf.
Unser Nachtfischer weiß hier so einiges. Vielleicht wäre das besser in einem Walkthrough untergebracht? Ihr wollt ja eher die psychologische Seite beleuchten?

Leider hat mir die Audioqualität von Helges Aufnahme, zusätzlich zum schon interessanten Inhalt, nochmals mehr Aufmerksamkeit abgefordert und mich angestrengt. Gerade durch Andres hohe Qualität wird der Kontrast deutlich.
Schlechter geht es natürlich auch, was sind eure realistischen Einschätzungen hier etwas verbessern zu können?

Aktuell funktioniert auch der Link zum Buch nicht "Temporarily Unavailable". Daher hier klassisch bei Amazon.

Ansonsten: Bitte weiter so mit den tieferen Einblicken.
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Helge Thiemann
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Re: Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von Helge Thiemann »

Hallo Sebastian,

danke für das Feedback, über das ich/ wir uns sehr freuen!

Zur Audioqualität: Es handelt sich dabei um eine vor ca. 6 Wochen aufgenommene Folge. Inszwischen habe ich ein beeindruckend aussehendes Mischpult bekommen, welches die Audioqialität für die Zukunft verbessern sollte. Ich kenne das selbst aus anderen Podcasts, wenn ein Gast interviewt wird und die Audioqualität ist nicht gut. Gerade wenn man unterwegs hört kann das echt nervig sein. Sorry nochmal dafür, aber es sollte wie gesagt jetzt besser werden (Daumen sind gedrückt ;)).

Liebe Grüße
Helge
Helge Thiemann
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Re: Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von Helge Thiemann »

Hi,

habe gerade nur kurz über Deinen Link geschaut (durchgescrollt und quer gelesen, mehr noch nicht). Was dort (nach der schnellen Lese) aufgeführt wird gehört in der Psychologie nicht zum Them Unsicherheit sondern eher zum Thema komplexes Problemlösen (Strategien beim Schach, Heuristiekn, Modellbildung etc.). vlt. lag es für mich auch deshalb nicht nahe, das in einen Podcast zum Thema Unsicherheit zu packen.

Vg
Helge
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Sebastian Solidwork
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Re: Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von Sebastian Solidwork »

6 Wochen alt! Ok, das erklärt schon mal was.
Dann erwarte ich da zukünftig höchsten Töne! ;-)

Nicht, dass ich auch schon mal in ähnlicher Qualität aufgenommen wurde... :roll: Niemals!
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Nachtfischer
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Re: Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von Nachtfischer »

Helge Thiemann hat geschrieben: 9. Mai 2019, 10:19 Was dort (nach der schnellen Lese) aufgeführt wird gehört in der Psychologie nicht zum Them Unsicherheit sondern eher zum Thema komplexes Problemlösen (Strategien beim Schach, Heuristiekn, Modellbildung etc.). vlt. lag es für mich auch deshalb nicht nahe, das in einen Podcast zum Thema Unsicherheit zu packen.
Wobei ich jetzt mal vermuten würde, dass es da einige Querverbindungen gibt. Costikyan führt in seinem Buch beispielsweise die "Analytic Complexity" im Kapitel "Sources of Uncertainty" an, eben als eine mögliche Quelle spielerischer Unsicherheit. Letztlich geht es auch bei allen anderen Quellen, die er dort beschreibt darum, das Spiel unvorhersehbar zu machen (z.B. durch Zufall, motorische Anforderungen, menschliche Mitspieler etc.), sodass es für unseren Verstand überhaupt erst interessant werden kann.

Unsicherheit ist generell ein sehr spannendes Thema. Im echten Leben wollen wir sie oft nicht, im Spiel braucht es sie, damit wir uns nicht langweilen. Zu viel davon kann aber wiederum schnell umschlagen und uns ein Spiel als willkürlich, überfordernd oder unfair empfinden lassen.

Die Folge hat eher das Gefühl unter die Lupe genommen als die konkreten Design-Mittel. Aber auch das war sehr interessant! :)
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Sebastian Solidwork
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Re: Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Helge Thiemann hat geschrieben: 9. Mai 2019, 10:19 habe gerade nur kurz über Deinen Link geschaut (durchgescrollt und quer gelesen, mehr noch nicht). Was dort (nach der schnellen Lese) aufgeführt wird gehört in der Psychologie nicht zum Them Unsicherheit sondern eher zum Thema komplexes Problemlösen (Strategien beim Schach, Heuristiekn, Modellbildung etc.). vlt. lag es für mich auch deshalb nicht nahe, das in einen Podcast zum Thema Unsicherheit zu packen.
Gerade mit der Erwähnung dieses Buches dachte ich, dass es darum geht. Fabian hat das ja entsprechend ausgeführt.
Unsicherheit != Unsicherheit

Ansonsten hat die Folge zur psychologischen Unsicherheit soweit gepasst. :-)
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Decius
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Re: Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von Decius »

"German Angst" ist übrigens ein Begriff, den außerhalb Deutschlands keiner kennt. Lambsdorff hat den Begriff wohl mal erfunden, und um sich den richtigen Anstrich zu geben, den einfach "dem Ausland" zugeschrieben. Und seitdem wiederholt das jeder der den Deutschen irgendeine Grundangst andichten will das gerne. Schonallein weil im Englischen "Angst" eine sehr spezielle Form der Teenager-ich-weiß-meinen-Platz-im-Leben-noch-nicht-Unsicherheit ist, wäre der Begriff dort nie jemanden für seine seltsame Verwendung in den Sinn gekommen.
Helge Thiemann
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Re: Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von Helge Thiemann »

Hallo,
erneut ganz kurz - Komplexes Problemlösen ist in der Psychologie ein eigenes Thema, das tatsächlich Überschneidungen zum Thema Entscheidungstheorie aufweist (hier wäre der Umgang mit Unsicherheit lokalisiert, wie er im Podcast gemeint ist), aber eine ganz eigene Forschungstradition hat. Bekanntester deutscher Vertreter des komplexen Problemlösens ist Herr Dörner, der u.a. das Unglück in Tschernobyl psychologisch untersucht hat, aber auch Entwicklungshilfe (und warum gut Gemeintes bisweilen auch zur völligen Katastrophe führen kann), das Löschen von Bränden (oder dessen Scheitern) etc.. Meist übrigens mit Computersimulationen (also Spielen). Es gibt von ihm auch ein spannendes Buch zu diesem Thema: Die Logik des Mißlingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Man kann es auch heute noch kaufen und gut lesen.

Obwohl es auch da (natürlich) verschiedene Meinungen gibt ist ein Merkmal vom komplexen Problemen in der Regel, dass dem Akteur nicht alle Informationen bekannt sind (= Unsicherheit). Es gibt aber noch mehr Kriterien, die ein komplexes Problem kennzeichnen, nämlich beispielsweise die Komplexität (bspw. näherungsweise operationalisiert als Menge am Variablen in einem System), Vernetztheit (Menge von Querverbindungen zwischen den Variablen), Dynamik (Ist glaube ich selbsterklärend) und Polytelie (Vielzieligkeit - gibt es nur ein Zielkriterium, das ich maximieren soll/ muss, oder gibt es verschiedene Ziele, die ggf. sogar in einem Widerspruchsverhältnis stehen). Natürlich könnte ich aber natürlich auch argumentieren, dass mit der Menge an Variablen, die dynamisch vernetzt sind, die Menge an Unsicherheit wächst ;) Aber meist ist nicht die Unsicherheit (oder das Gefühl davon) das Problem, sondern die (Eigen-)dynamik, die ein komplexes System entwickeln kann, die ein Beherrschen des Systems und das Ableiten von allgemeinen Aussagen (wenn - dann) erheblich erschwert. Man hat früher mal eine kleine Computersimulation geschrieben (Tailor Shop; einen kleinen Überblick mit Screenshots gibt es hier: http://f20.blog.uni-heidelberg.de/2011/ ... s-problem/ ) und wenn ich mich richtig erinnere führte selbst das Offenlegen der Zusammenhänge der einzelnen Variablen nicht zu einer wesentlichen Steigerung der Leistung der Teilnehmer. Aber ich kann ich auf falsch erinnern, ist schon lange her.

Wäre aber interessant gewesen, das Thema, wie es hier diskutiert wird, auch mit Bezug auf Spiele in den Podcast zu integrieren. Aber vlt. machen wir da ja noch einen eigenen Podcast zu ;)

Viele Grüße
Helge
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Sebastian Solidwork
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Re: Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Helge Thiemann hat geschrieben: 9. Mai 2019, 22:43 dem Akteur nicht alle Informationen bekannt sind (= Unsicherheit)
...
Natürlich könnte ich aber natürlich auch argumentieren, dass mit der Menge an Variablen, die dynamisch vernetzt sind, die Menge an Unsicherheit wächst ;) Aber meist ist nicht die Unsicherheit (oder das Gefühl davon) das Problem, sondern die (Eigen-)dynamik, die ein komplexes System entwickeln kann, die ein Beherrschen des Systems und das Ableiten von allgemeinen Aussagen (wenn - dann) erheblich erschwert.
Erzeugt nicht gerade auch die Eigendynamik ein Fehlen an Informationen als Unsicherheit?
Das ist für mich kausal. Ich verstehe nicht wie das getrennt sein kann.
Helge Thiemann hat geschrieben: 9. Mai 2019, 22:43 Wäre aber interessant gewesen, das Thema, wie es hier diskutiert wird, auch mit Bezug auf Spiele in den Podcast zu integrieren. Aber vlt. machen wir da ja noch einen eigenen Podcast zu ;)
Immerzu! :-)
Ich werte das als Versprechen und verschleierten Einblick in eure Planung !1!1!1

Danke für deine uns gewidmete Zeit.
„Schönheit ist auch immer ethisches Empfinden.“

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bluttrinker13
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Re: Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von bluttrinker13 »

Das Buch von Dörner kann ich nur empfehlen, der Mann war (ist) Klasse. Habe ihn oft auf Vorträgen erlebt, auf denen er auch jetzt noch recht aktiv ist. Das ist so ein richtiges Urgestein der die deutsche Psychologie nicht nur gut vertreten sondern auch einen international anerkannten Forschungsbereich (Komplexes Problemlösen) etabliert hat.

Unsicherheit als solche bezieht sich nicht nur auf (bzw. resultiert nicht nur durch) Informationsmangel, obwohl das in der klassischen Entscheidungstheorie weiterhin die primäre Sichtweise ist. Aber auch Jungermann und Pfister geben zu das es Formen der Unsicherheit gibt, die bislang nur wenig thematisiert wurden, weil sie sich schwerer operationalisieren und quantifizieren lassen. Dazu gehört beispielsweise Unsicherheit in bezug auf eigene Ziele und Werte in Handlungen, oder die erlebte Kontrollierbarkeit einer Situation. Hier haben wir auch Anschluss an komplexes Problemlösen: da komplexe Systeme non-linearen dynamischen Regeln folgen, die unserem durch die Evolution sehr linear geprägten Verständnis von Kausalität und Abläufen nicht entsprechen, erleben wir diese Systeme als schwer kontrollierbar, vor allem schwer vorhersagbar, und das trotz der Tatsache das wir alle relevanten Inputs und Outputs kennen. Wir kommen nur mit den Abläufen dazwischen nicht klar.

Ein Bereich der Psychologie der dazu mehr gemacht hat, ist das Natural Decision Making Paradigma (Klein, Lipshitz), dass sich zum Ziel gesetzt hatte (?), alltagsnahe, praktische Entscheidungsfindungen zu analysieren, abseits des rationalen Modells. Lipshitz & Strauss 1997 haben hier ein super Paper zu Unsicherheitsformen und ihren Auslösebedingungen geschrieben, falls das interessiert. Hier wird Informationsunsicherheit auch besser abgegrenzt vom Unsicherheitsgefühl das eben nicht so sehr auf dem Mangel an Information basiert, sondern genausogut ihrem übermäßigen Vorhandensein oder der Abwesenheit klarer Orientierung. Ein gutes Beispiel dafür sind Dilemmata - Werfen wir den fetten Mann aus dem Rettungsboot damit alle anderen durchkommen oder nicht? Die Konsequenzen sind klar (Informationen da), unsicher sind sich die Leute dennoch wie die Sau.
Helge Thiemann
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Re: Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von Helge Thiemann »

Hallo,

noch (wie immer auf die schnelle) ein paar Gedanken, die ich in Bezug auf die Aspekte von Sebastian und den Artikel von Nachtfischer zwischendurch hatte.

Zum einen zur Frage, wie man Dynamik und Unsicherheit trennen kann (oder auch nicht). Was in meinem vorherigen Post von den Autoren unter Unsicherheit verstanden wurde war vermutlich eher etwas, was man auch als Transparenz oder Intransparenz verstehen könnte. Bsp.: Wenn ich weiss, dass ein Vogel pro Tag ein Insekt ist, ich die Anzahl der Tiere am Anfang und die Reproduktionsrate der Insekten kenne, dann kann ich bestimmen, wieviele Insekten nach x Tagen noch leben. Das System ist transparent und damit (aus Sicht der Autoren) nicht unsicher weil deterministisch. Andere Autoren (wie Pfister und Co) verstehen Unsicherheit weiter, dann wäre alles, was ich nicht vorhersehen kann, auch unsicher. Wenn jemand also die Formel nicht berechnen kann, dann wäre die obige Aufgabe für ihn unsicher obgleich eigentlich transparent. Entscheidend wäre der Skill. Und da fängt mein Gedanke an.

Das nachfolgende ist eher ein loser Gedanke und kann auch am Ende zu nichts führen, ich würde aber trotzdem das Konzept der Unsicherheit in dem Artikel, den Sebastian oben gepostet hat, auf den Prüfstand stellen wollen. Unter diesem Begriff wird im Artikel letztlich alles verstanden, was einem Spieler in einem Spiel passieren oder nicht passieren kann - komplexe Systeme bei Strategiespielen, richtige und falsche Abfolgen bei Puzzlen oder Versagen oder nicht Versagen bei Geschicklichkeitsspielen wie Mario Bros. Das kann man so machen. Die Frage ist nur, ob das Konzept der Unsicherheit tragfähig genug ist, um aus all diesen unterschiedlichen Spielen die entstehende Spielfreude richtig vorherzusagen und zu erklären. Mein Vorschlag wäre diesen Begriff der Unsicherheit zu ersetzen oder zumindest zu ergänzen durch die Konzepte von Komplexität, jeweils unterschiedlichem Skill und Kontrolle. Warum. Unsicherheit in Spielen wie Schach oder Mario Bros wird anders erzeugt und hat andere Anforderungen an den Spieler. Schach erfordert von der zugrunde liegenden kognitiven Fähigkeit insbesondere ein stark ausgeprägtes Lang- und Kurzzeitgedächtnis und eine starke Fähigkeit Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten in komplexen Spielstellungen schnell zu erkennen (Mustererkennung). Super Mario erfordert eher eine gute Auge-Hand-Koordination und schnelle Reaktionszeiten. Damit ist es eher ein feinmotorisches Spiel. Meine Heuristik (mein Bauchgefühl) rät mir, dass es vermutlich klüger ist, hier nicht dasselbe Konzept der Unsicherheit über beide Spiele zu stülpen, da die Weiterentwicklung der Spiele unterschiedliche Strategien/ Maßnahmen erfordern würde und nicht nur einfach die Erhöhung (oder Verringerung) der Unsicherheit.

Erste Überlegung: So ist in beiden Spielen die Spielerkontrolle m.M.n. absolut essentiell. Wenn ich in Super Mario die Unsicherheit erhöhe, indem ein Zufallsgenerator die Spielfigur alle 0,2 Sekunden ein Tick nach links oder rechts verschiebt, dann ist das Spiel dadurch erheblich weniger spaßig geworden. Die Spielfreude sinkt also, obgleich ich durch den Zufallsgenerator (der auch in der Liste des Artikels auftaucht) die Unsicherheit an sich erhöht habe. Sie sinkt, weil durch den Zufallsgenerator nicht mehr nur meine feinmotorische Fähigkeit entscheidet, ob ich eine Situation meistere, sondern auch der Zufallsgenerator. Dasslbe könnte ich bei Strategietiteln machen. Wenn ich dem Zufall einen so großen Raum gebe, dass es letztlich nicht von der Strategie, sondern vom Zufall abhängt, ob jemand das Spielziel erreicht oder verfehlt, hat das Spiel mehr Unsicherheit aber weniger Spielfreude.

Andere Überlegung: Ich kenne mich mit Schach nicht aus, wenn man von den Regeln absieht. Magnus Carlsen ist da einen Schritt weiter als ich. Wenn ich davon ausgehe, dass Unsicherheit Spielfreude bewirkt, dann müsste ich mehr Spaß an Schach haben als er, weil ich mehr Unsicherheit verspüre. Ich vermute, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Insoweit hängt die Spielfreude hier noch an anderen Aspekten, zum Beispiel an der Freude der eigenen Fähigkeits-Entwicklung (Mastery), an der Freude am Wettbewerb und am Gewinnen (Leistungsmotiv) oder an sozialen Motiven (Freude, den anderen meine Kompetenz zu zeigen oder allgemein "mitreden" zu können in meiner Peer-Group oder Anerkennung und Geld für meine Fähigkeiten zu bekommen), etc..

Meine Schlussfolgerungen und Thesen:
1) Die Spielfreude wird letztlich nicht nur durch die mal mehr oder minder große Unsicherheit erzeugt. Unsicherheit über den Ausgang eines Spiels und den (besten) Weg dahin sind "lediglich" eine bei den meisten Spielen notwendige Voraussetzung für Spielfreude (Achtung Ausnahme: es gibt auch Klicker-Games...).
2) Spielfreude wird (bei Strategietiteln u.ä. Titeln) durch eine angemessene Komplexität (gemessen an der Zahl möglicher Spielzustände), sowie allgemein durch die Herausforderung meines (je nach Titel/ Genre anderen) Skills, der ich gewachsen oder nicht gewachsen bin, erzeugt. Voraussetzung ist, dass ich meinen Skill durch ein mehr an Spieldurchgängen steigern kann (vgl. im Artikel die Arcs und Loops). Zugrunde liegende Motivation wäre dann das Mastery-Motiv (das wäre anknüpfend an die Humanistische Psychologie) oder das operante Konditionieren (das wäre Behavioristisch gedacht) und die damit einhergehende Ausschüttung an Neurotransmittern.
3) Voraussetzung für Spielfreude ist dabei in der Regel, dass der Zufall nicht darüber entscheidet, ob ich das Spielziel erreiche oder verfehle, sondern er nur für Variationen innerhalb der denkbaren Spielzustände sorgt, dass aber der Spieler-Skill am Ende entscheidet, ob das Spiel gewonnen oder verloren wird.

Mmh. Jetzt ist es doch wieder mehr geworden als gedacht. Ist es nachvollziehbar? Mache ich logische Fehler? Ich finde es aber spannend, darüber nachzudenken, was an Spielen Freude macht und was nicht. ;)

Liebe Grüße
Helge
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Nachtfischer
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Re: Nachgeforscht: Unsicherheit

Beitrag von Nachtfischer »

Hallo Helge! Klasse, dass du dir die Zeit für so eine ausführlich Antwort genommen hast. :)

Ich habe bei deinem Post durchweg das Gefühl, dass du von zwei so in meinen Augen nicht ganz richtigen Annahmen ausgehst: Erstens behaupten weder der Artikel noch Costikyans Buch, dass Unsicherheit der zentrale Faktor für Spielspaß sei. Und daher auch nicht, dass die Gleichung "mehr Unsicherheit = mehr Spielspaß" gelten würde. Zweitens behaupten sie auch nicht, dass alle Formen der Unsicherheit gleich wären bzw. mit den gleichen Mitteln zu erzeugen wären. Im MDA-Framework gedacht behandeln sie die "Aesthetics", also das was beim Spieler ankommt. Als Entwickler schlage ich mich aber zunächst mit den Mechanics herum, da hast du ja mit deinem zufälligen Verschieben der Spielfigur ein schönes Beispiel geliefert. Da werden reaktiv und kognitiv anspruchsvolles Gameplay natürlich nicht in eine Schublade gesteckt (und auch diese Kategorien noch weiter unterteilt).

Und natürlich kann es zu viel Unsicherheit geben. Sei es durch exzessiven Zufall oder überbordende Komplexität in einem deterministischen System. Diese beiden Extreme kann man sogar recht schön gegenüberstellen. Das Problem ist letztlich, dass sich für den Spieler schnell ein Gefühl von Willkürlichkeit einstellen kann (sei es nun aus mangelndem Skill oder da das System tatsächlich willkürlich ist). Konsistentes Feedback, das am besten kleinschrittig eine "heuristische Leiter" hinauf führt, ist da unerlässlich.
Unsicherheit über den Ausgang eines Spiels und den (besten) Weg dahin sind "lediglich" eine bei den meisten Spielen notwendige Voraussetzung für Spielfreude (Achtung Ausnahme: es gibt auch Klicker-Games...).
Absolut richtig und das ist denke ich auch die Kernaussage von Artikel und Buch. Klicker-Games sind tatsächlich eine Ausnahme, aber gar keine so exotische, wie man meinen mag. Denn deren Ansatz von "sichere Belohnungen durch das Abarbeiten trivialer Aufgaben verdienen" findet sich ja so z.B. auch in fast jedem modernen AAA-Titel oder in jedem MMO-Grind. Das Schlagwort ist hier "Workification". Oder mit anderen Worten: Wir spielen uns die doofe unsichere Realität mit stumpfen, aber uns verlässlich lobenden Games schön.
Spielfreude wird (bei Strategietiteln u.ä. Titeln) durch eine angemessene Komplexität (gemessen an der Zahl möglicher Spielzustände), sowie allgemein durch die Herausforderung meines (je nach Titel/ Genre anderen) Skills, der ich gewachsen oder nicht gewachsen bin, erzeugt.
Hier wäre eben auch die Frage, wie man "Spielfreude" definiert. Ich würde sagen, du beschreibst da eine bestimmte Form, das intrinsisch getriebene Besser-werden-wollen. Hat jemand, der über Stunden in der Progressions-Spirale vom Cookie Clicker hängt, auch "Freude"? Und wieder etwas anderes sind narrative Titel wie Gone Home. Aber: Für mechanisch anspruchsvolle Spiele (sei es kognitiv oder reaktiv) gilt die Definition aber, denke ich.
Voraussetzung für Spielfreude ist dabei in der Regel, dass der Zufall nicht darüber entscheidet, ob ich das Spielziel erreiche oder verfehle, sondern er nur für Variationen innerhalb der denkbaren Spielzustände sorgt, dass aber der Spieler-Skill am Ende entscheidet, ob das Spiel gewonnen oder verloren wird.
Auch hier: Wenn Freude am Glücksspiel keine "Spielfreude" ist. Ansonsten vollste Zustimmung. Das findet sich auch im Artikel als "Eingabe-" und "Ausgabe-Zufall" (speziell unter "Unfairer Zufall"). Den Zufall kann man übrigens auch mit der Flow-Theorie zusammenbringen und als Störfaktor begreifen, der zum "Ausscheren" aus dem Flow-Kanal führt. Hach, so viele Modelle!
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