Wortreich: "Zu viel Kunst"

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sleepnt
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von sleepnt »

Kunst mit einer Formel auf die Summe anderer, wieder höchst individueller Aspekte runterzubrechen ist keine Annäherung.

Ich finde sie, die Formel, interessant - denn das Kampfsystem von Dark Souls würde ich, in meiner persönlichen Wahrnehmung, in allen Bereichen hoch bewerten und dennoch nicht als Kunst bezeichnen.

Im Gegenteil, schlampige, vermeidlich hässliche o.ä. Werke kann ich ebenfalls als Kunst wahrnehmen/bezeichnen - z.B. eine alte, demolierte Mülltonne. Doch wenn sie mir, aus welchen Gründen auch immer, etwas in mir regt (z.B. Erinnerung an einen überlebten Autounfall), dann kann ich diese demolierte Mülltonnen als Kunst bezeichnen.

Und dann mal den Kunstmarkt zu karikieren: Dann rahme ich die Mülltonne in einen Glaskasten, stelle sie in eine Galerie und Neureiche diskutieren über den tieferen Sinn dieses Objekts umd bieten Tausende und Millionen drauf.

Dabei ist die Mülltonne in erster Linie eins: Für mich wahrgenommene Kunst.
Lars Kalthoff
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Lars Kalthoff »

Kunst mit einer Formel auf die Summe anderer, wieder höchst individueller Aspekte runterzubrechen ist keine Annäherung.
Das scheint dann falsch angekommen zu sein. Nochmal, es geht hier explizit um Aspekte, die ICH benötige, um etwas als Kunst zu empfinden. Logischerweise sind diese höchst individuell und sie sollen keinesfalls eine Annäherung an irgendwas darstellen. Lediglich eine Reflektion meinerseits darüber, was die Dinge, die ich Kunst nenne, gemeinsam haben.
denn das Kampfsystem von Dark Souls würde ich, in meiner persönlichen Wahrnehmung, in allen Bereichen hoch bewerten und dennoch nicht als Kunst bezeichnen.
Würde ich auch nicht. Aber bei mir würde es auch nur bei Exzellenz hohe Punkte kassieren. Ich finde es weder besonders innovativ, noch ist Dark Souls für mich in irgendeiner Form signifikant. Es ist nunmal überhaupt nicht meine Art Spiel. Bei Eleganz würde ich es sogar sehr niedrig ansetzten um ehrlich zu sein.
Doch wenn sie mir, aus welchen Gründen auch immer, etwas in mir regt (z.B. Erinnerung an einen überlebten Autounfall), dann kann ich diese demolierte Mülltonnen als Kunst bezeichnen.
Das finde ich sehr interessant. Trifft zwar nicht mein Kunstbild, aber das kann ich einigermaßen nachvollziehen. In dem Fall wäre die Signifikanz dann so stark ausgeprägt, dass die anderen Aspekte gar nicht mehr wichtig sind.
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sleepnt
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von sleepnt »

Das Beispiel mit dem Mülleimer trifft auch nicht mein Kundtbild, wäre dennoch völlig legitim. Interessant es dennoch auf deine Fragmentierung (trifft es das besser) deines Kunstbegriffes anzuwenden.

Aber mit der Annahme der individuellen Signifikanz kann somit (in dieser Diskussion) alles zu Kunst erklärt werden.

Was fehlt ist die Intention des Schaffenden. z.B. Paper please ist eine klare und vom Autpr gewünschte politische Botschaft innerhalb des interaktiven Mediums Spiel. Kann diese Intention alleine nicht bereits Kunst schaffend sein, unabhängig der anderen Aspekte?
Stuttgarter
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Stuttgarter »

Heretic hat geschrieben: 19. Jun 2019, 20:18

Aber warum sollen sich Kunst und Kommerz automatisch ausschließen? Wenn ich ein extrem eingängiges Lied komponiere, und das dann tatsächlich auch ein Hit wird - ist es dann keine Kunst mehr? Selbst wenn ich beim Komponieren den größtmöglichen finanziellen Erfolg im Hinterkopf habe, so muss das Endprodukt eine gewisse Qualität bieten. Eventuell mit Beteiligung anderer Leute, die ihre eigenen Kunstfertigkeiten mit einbringen (in diesem Beispiel Sänger oder Musiker). Auch ein Mainstream-Unterhaltungsprodukt kann künstlerisch wertvoll sein, und sei es nur auf handwerklicher Ebene.
Ich hab dann ein Problem, wenn nicht durch Zufall und Glück ein künstlerischer Schöpfungsakt kommerziell erfolgreich wird, sondern ein Produkt aus dem Kunsthandwerk von vorn herein auf Erfolg getrimmt wird.

Um mal ausnahmsweise nicht über Spiele zu reden ;) - man kann das wohl kaum besser verdeutlichen als an der beispielhaften Gegenüberstellung Clapton/"Tears in heaven" und der jungen Britney Spears. Das eine die künstlerische Verarbeitung eines Schicksalschlags, die zufälligerweise wohl zur richtigen Zeit erschienen ist und zu Claptons vermutlich größtem Hit wurde. Das andere eine Marketingpuppe, deren erste beiden Alben nach Marktforschungsergebnissen konzipiert wurden. Claptons Song dürfte definitiv unter "Kunst" laufen - ein Musiker, der seinen Schmerz auf die ihm zur Verfügung stehende Art verarbeitet. Das andere ist musikalischer Fast Food. Man kann Fast Food ja mögen - aber es würden sich nicht viele ernsthaft hinstellen und McDonalds zur Haute cuisine erklären.

Meine persönliche Lieblingsstory zum Thema "zynische Hitproduktion" betrifft allerdings Lloyd Webber und "Cats". Paar Tage vor der Premiere haben sie irgendwie bei den Endproben festgestellt, dass ihnen noch der eine große Hit, das "Don't cry for me Argentina" dieser Produktion fehlte. Er geht abends heim mit der Aussage, "morgen hab ich was..." - und kommt am nächsten Morgen mit dem meistgecoverten und in Bars am meistgespielten Song der 80er zurück: "Memory".
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Sebastian Solidwork
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Ich bin etwas beunruhigt, weil ich denke, dass diese Kunstbegriffdiskussion an dem vorbei geht was Wolfgang aussagen und anregen wollte.
(Ich denke hier wird öfter die reine Tätigkeit/Handwerk mit einem Qualitätsmaßstab vermischt. Gerade für ersteres gibt es sogar rechtliche Definitionen)

Unabhängig davon wie jetzt hier die genaue Definitionen sind, geht es im Wortreich doch darum, dass es hilfreicher wäre, wenn sich alle mehr mit den Eigenheiten des Mediums auseinandersetzen? Damit die Produktion wieder unter menschenwürdigeren Bedingungen passiert. Und nicht Menschen am doch leider fast realen "kreativen" Fließband ausgebrannt werden.
Vor allem Entwicklungsstudios, aber genau so auch Journalisten/"Influencer"/Berichterstatter und zu guter letzt auch wir Spieler und Endkunden.
Wie wäre es darauf zurück zu kommen? War das nicht der Kern?
Stört sich daran keiner?
Und spricht es nicht auch direkt unsere Podcaster an? (auch wenn das der vergleichsweise falscheste Baum ist den es gibt. Hier gibt es Fortschritt in der Rezeption, den ich anders wo nicht sehe).
@Andre, Jochen, Sebastian, Nina, Dom, Dennis: Was sagt ihr dazu (oder hören wir bald was )?



Im Detail ist auch mir Wolfgangs Unterscheidung nach den Denkrichtungen eher unangenehm und wenig intuitiv, da bin ich hier nicht der Erste. Und kann nachvollziehen, dass deswegen die Notwendigkeit zur Unterscheidung nicht so einfach nachvollziehbar ist. Wem geht es so?
Um mich zu wiederholen: Ich denke zu verstehen woher diese Unterscheidung in Denkrichtungen kommt - aus der Produktion bisheriger Spiele. Das sehe ich als valide Beschreibung eines IST-Zustandes (den wohl auch so manche Studios noch nicht mal haben). Schon allein dafür mein Respekt an Wolfgang!

Hilfreicher halt ich hier die erwähnte andere Unterscheidung, die Ludonarrative Synthese von Fabian (von ihm verfasst und mir mitgedacht und ging seinem Kunstform-Artikel voraus). Bei dieser geht es um Fokus und nicht Denk- bzw. Produktionsrichtung.
Auf welche Erfahrung/Aesthetic wollen Entwickler ihre Spiele ausrichten und welche suchen Spieler. Ich sehe vor allem die (unbewusste) Überladung einzelner Spiele mit zu vielen davon als Ursache für die aktuellen, angeklagten Arbeitsbedingungen. Fokussierung als ein nützliches Werkzeug.

Zuerst ist es eine zwischen Mechanik (die Regeln im PC) und Narration (grundlegend alle audiovisuellen Effekte (Cutszenen, aber auch Grafik und UI) und damit deutlich breiter als das Zitat von L. Rust Hills). Das eine sollte führen, dass andere unterstützen. Zum einen ist den meisten Spielen nicht klar festgelegt wer führt und dann streiten sich diese Elemente (beispielsweiße SoulsLike's und klassisches RTS, so ziemlich jedes AAA). Oder sie passen auch überhaupt einfach nicht zueinander (z.B. Heavy Rain). Zum anderen sind auch noch gerne verschiedenste Varianten beider ordentlich vermischt. Das erzeugt (unterschiedlich intensive) Dissonanzen bei Spieler erzeugen (mancher mag sie bereits gewohnt sein) und uneindeutige Entwicklungsvorgaben bei den Studios bzw. Streit unterschiedlicher Personen und Teams.
- Mechanik-Spiele legen wert auf ein Meistern des Systems und jeglichen Darstellungen sollen nur dabei unterstützen. Hierbei lässt sich weiter zwischen Reflexion, dem gedanklichen Meistern, und Reaktion, dem "muskulären" Meistern unterscheiden.
- Narrativ-Spiele wollen Emotionen erfahrbar machen. Dies kann vom direkten Erfahren durch Nachahmung audiovisueller Effekte eines WhatRemainsOfEdithFinch bis zum nachdenklichen Erforschen eines grafikarmen ReturnOfTheObraDinn reichen. Wie Wolfgang definiert sind Rätsel und Mechaniken hier nicht als Hindernis gedacht, sondern als empathische Brücke.
Das sind weitere Unterscheidungen unterhalb der ersten beiden.

Oft genug ist die Mechanik Eintrittshürde um eine gewisse Narration bzw. konkrete Story zu erfahren. Wer ein Hindernis nicht schafft, erfährt nicht wie es weiter geht. Egal ob emergent oder aufgesetzt erzählt. Und gleichzeitig interessierten den Mechanik-Interessierten kaum die Story. Für was brauche ich in Portal die Story genau (außer als verkaufszahlen-erhöhenden Schaueffekt) ? Warum kann die nicht extra erfahrbar sein und ich löse einfach die Rätsel? Wie in Tetris.

Ich erfreue mich gerne an meine schönen Erinnerungen an Die Siedler 2. Aber heute frage ich mich was die Gesichte großartig sollte, ich genoss die mechanische Herausforderung jeden Levels (und auch den davon manchmal ablenkenden Wuselfaktor). Und gleichzeitig warum ich die Geschichte von Octavius nicht noch tiefer, in anderer, passender Form erfahren konnte. Hätte mich auch interessiert. Eine größere Nähe zu den Charakteren und ihren Erlebnissen.

Wie sehr wird hiermit besser deutlich warum Unterscheidungen Not tut und Veränderungen bewirken können? Warum ohne Schaden für Entwickler, der Kunstformen (selbst wenn sie nur eine sein sollten), Spiele und Kunden entsteht?
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Wolfgang Walk
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Wolfgang Walk »

Sebastian Solidwork hat geschrieben: 21. Jun 2019, 10:24 Ich erfreue mich gerne an meine schönen Erinnerungen an Die Siedler 2. Aber heute frage ich mich was die Gesichte großartig sollte, ich genoss die mechanische Herausforderung jeden Levels (und auch den davon manchmal ablenkenden Wuselfaktor). Und gleichzeitig warum ich die Geschichte von Octavius nicht noch tiefer, in anderer, passender Form erfahren konnte. Hätte mich auch interessiert. Eine größere Nähe zu den Charakteren und ihren Erlebnissen.
Das Spiel war fertig. Wir brauchten einen Grund, warum eine Serie schwerer werdender Maps hintereinander gespielt, als aufsteigende Level verstanden werden konnten. Dafür wurde eine Rahmenstory benötigt, die wirklich keine andere Aufgabe hatte, als die im Römersetting angesiedelte Mechanik in eine lineare Dramaturgie zu bringen - und diese Dramaturgie ein wenig narrativ auszustatten.

Hätten wir tatsächlich zuerst die Story von Octavius erzählen wollen, hätten wir ein anderes Spiel gemacht.

Aus meiner Sicht zählt meine Story für die Siedler 2 zu meinen 5 am wenigsten misslungenen innerhalb dieser Kunstform bis heute - genau WEIL ich mich da als Autor vollkommen zurückgenommen habe. Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich das Spiel an sich dafür respektiert habe, bereits eine eigene Story zu erzählen. Ohne, dass ich das damals so hätte formulieren können.
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HerrReineke
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von HerrReineke »

Für mich war es erneut eine schöne Folge Wortreich, gerade auch, weil es so passend zu Wolfgangs Vortrag war, den ich mir vorher angehört hatte, und diesen für mich damit ein wenig "komplettiert" hat.
Wolfgang Walk hat geschrieben: 21. Jun 2019, 10:58 Aus meiner Sicht zählt meine Story für die Siedler 2 zu meinen 5 am wenigsten misslungenen innerhalb dieser Kunstform bis heute
Verrätst du uns die anderen vier auch? ;) Kannst ja, falls es das hergibt (interessante Anekdoten, wie du da jeweils rangegangen bist und warum du retrospektiv glaubst, warum es dir so gelungen ist etc.), mit Jochen eine eigene Walkthrough-Folge drauß machen. Gerne dann auch, mit deinen fünf schlechtestens Werken :ugly:
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Blaight
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Blaight »

Ich speedrunne Siedler 2 übrigens 2-3 mal pro Jahr und kenne alle Texte aus dem Kopf.
Voigt
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Voigt »

Ich habe Siedler 2 ja im Rahmen des Rerleases bei Ubisoft in den Remastered Varianten nochmal gespielt.

Die ersten 5 Missionen oder so waren ziemlich cool, da gab es auch noch Story von Octavius, wie er sich durch die fremde Welt durchkämpft, und immer neue Sachen entdeckt.

Dann ziemlich schlagartig, nach der Ödland-Chinesen Mission hört das auf, und es gibt keine wirklich Rahmung mehr, das fand ich sehr schade. Habe dann auch nurnoch wenige Misisonen gespielt (glaube bis Mitte von Misson 8, die aber nicht abgeschlossen). Die Story von Octavius hat mir dann doch stark gefehlt.
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sleepnt
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von sleepnt »

Sebastian Solidwork hat geschrieben: 21. Jun 2019, 10:24 Ich bin etwas beunruhigt, weil ich denke, dass diese Kunstbegriffdiskussion an dem vorbei geht was Wolfgang aussagen und anregen wollte.
Mag sein, dass es etwas ausartete - das stimmt wohl (war aber spannend). Aber ein gemeinsames Kunstverständnis kann es nicht geben. Gerade an der verlinkten Definition lässt sich schön lesen, dass Kunst nahezu alles sein kann, womit der (gefühlt) Kunstbegriff hinfällig ist. Wenn alle Spiele per Definition Kunst sind, ist es egal, dass ein einzelnes Spiel Kunst ist.

Im Hinblick auf die Eigenheiten des Mediums finde ich Narration oft fehlverstanden - z.B. im Podcast von Wolfgang und Jochen stellen sie eine Dramaturgie durch die Mechanik heraus. Und auch werden Narration durch Mechanik benannt - den Fachbegriff habe ich vergessen.

Und hier liegt für mich die Besonderheit des Mediums - durch die Interaktion erfahrbare Geschichten. Und wenn diese sogar individuell und nicht für jeden gleich ist, dann finde ich das nochmals spannender. Cutscenes reißen mich meist (nahezu konsequent) aus dem Spiel und das sogar sprichwörtlich.
Red Dead Redemption 2 ist so ein Spiel: Es erzählt eine tolle Geschichte mit tollen Charakteren. Aber dafür ist es eher ein Film (Cutscenes, lineare Missionen) denn ein Spiel, da für die durch choreographiert Geschichte Interaktion zunehmend beschnitten wurde. Red Dead Redemption 2 ist somit für mich eine äußerst unterhaltsames Erlebnis gewesen, aber als Spiel insbesobdere hat es für mich versagt. Schlechte Spiele können also durchaus toll sein.

Und dabei kann ich auch nochmal auf Wolfgang eingehen und seine dargestellten Herangehensweisen zur Spieleentwicklung: Was kommt zuerst? Und hier können durchaus Aspekte Hand ind Hand gehen und nicht priorisiert werden. Z.B. Skyrim: ist das individuell Erlebte Priorität (Narration) oder die Mechanik. Dabei bedingt das eine das andere. Ohne das eine, kann das andere nicht sein - und dabei finde ich die Frage nach Huhn oder Ei hinfällig.
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Heretic
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Heretic »

Stuttgarter hat geschrieben: 20. Jun 2019, 20:49 Um mal ausnahmsweise nicht über Spiele zu reden ;) - man kann das wohl kaum besser verdeutlichen als an der beispielhaften Gegenüberstellung Clapton/"Tears in heaven" und der jungen Britney Spears. Das eine die künstlerische Verarbeitung eines Schicksalschlags, die zufälligerweise wohl zur richtigen Zeit erschienen ist und zu Claptons vermutlich größtem Hit wurde. Das andere eine Marketingpuppe, deren erste beiden Alben nach Marktforschungsergebnissen konzipiert wurden. Claptons Song dürfte definitiv unter "Kunst" laufen - ein Musiker, der seinen Schmerz auf die ihm zur Verfügung stehende Art verarbeitet. Das andere ist musikalischer Fast Food. Man kann Fast Food ja mögen - aber es würden sich nicht viele ernsthaft hinstellen und McDonalds zur Haute cuisine erklären.
Auch aus einem Britney Spears-Song kann im richtigen Kontext Kunst werden:
https://www.youtube.com/watch?v=KnJU4pigeIc

Und nein, das ist kein Witz. Der Film ist großartig. :mrgreen:
Lars Kalthoff
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Lars Kalthoff »

Ich bin etwas beunruhigt, weil ich denke, dass diese Kunstbegriffdiskussion an dem vorbei geht was Wolfgang aussagen und anregen wollte.
Wieso das denn? Warum ist es "beunruhigend", wenn sich Leute bei einer Folge zu Kunstformen erstmal über ihre Definition von Kunst austauschen?
Wie wäre es darauf zurück zu kommen? War das nicht der Kern?
Stört sich daran keiner?
An den Arbeitsbedingungen in der Gaming-Industrie soll sich keiner stören? Ich lese da fast jeden Tag neue Artikel zu, im Podcast wird das Thema zu Recht oft angesprochen und auch unter Entwicklern halte ich das jetzt für kein Tabu-Thema.
Und kann nachvollziehen, dass deswegen die Notwendigkeit zur Unterscheidung nicht so einfach nachvollziehbar ist. Wem geht es so?
Ich finde sie gar nicht mal so unintuitiv. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Spiele oft so entstehen. Jede Idee hat in irgendeinem Bereich ihren Anfang. Man darf das mit der Denkrichtung aber meiner Meinung nach nicht übertreiben. Es ist oft nicht so, dass z.B. die Mechanik zu 100% fertig ist und dann der Rest dazu geschrieben wird. Man hat eine Idee für die Mechanik, die gibt einem eine Idee für das Setting, das beeinflusst wiederum die Mechanik, und immer so weiter. Trotz der gegenseitigen Wechselwirkung hatte das Spiel in einem Bereich seinen Anfang und ich halte es für sehr sinnvoll, sich als Entwickler bewusst zu sein, wo dieser liegt.
Ich sehe vor allem die (unbewusste) Überladung einzelner Spiele mit zu vielen davon als Ursache für die aktuellen, angeklagten Arbeitsbedingungen. Fokussierung als ein nützliches Werkzeug.
Da gehe ich komplett mit. Zumindest eine Teil-Ursache. Man muss sich hier aber auch mal fragen, woher dieser Wunsch nach Überladung überhaupt kommt. "Das Spiel hat X Mal mehr Kontent als Y" ist offenbar immernoch ein nützliches Verkaufsargument. Wenn der Wunsch nach Fokus nicht bei einer Mehrheit der Kunden vorhanden ist, muss man die Reduzierung weitherhin im Indie-Segment oder bei Nintendo suchen. "Es hat nur eine Mechanik, aber die ist echt gut" zündet glaube ich viel stärker bei einer ganz speziellen Spieler-Gruppe, als bei der Mehrzahl der Kunden populärer Titel.
Oft genug ist die Mechanik Eintrittshürde um eine gewisse Narration bzw. konkrete Story zu erfahren. Wer ein Hindernis nicht schafft, erfährt nicht wie es weiter geht. Egal ob emergent oder aufgesetzt erzählt. Und gleichzeitig interessierten den Mechanik-Interessierten kaum die Story. Für was brauche ich in Portal die Story genau (außer als verkaufszahlen-erhöhenden Schaueffekt) ? Warum kann die nicht extra erfahrbar sein und ich löse einfach die Rätsel? Wie in Tetris
Sorry, aber da klingt für mich die alte Ludologist vs. Narratologist Debatte raus. Entweder ist man im einen Lager, oder im anderen. Ich kann natürlich nur für mich sprechen: Ich finde mich auf keiner der Seiten wieder. Ich halte es das mit Wolfgangs Meinung, dass bei den besten Spielen beide in absoluter Harmonie zusammenklingen (wie auch der Großteil der Entwickler, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe). Zu behaupten, Portal wäre ohne Story besser halte ich für Quatsch. Die Story erklärt die Mechaniken und das Spielziel, sie motiviert mich, alle Rätsel zu lösen und bietet auch mal Abwechslung zum reinen Gameplay. Ich kenne einige Leute, die sagen, Portal erzähle ihre Lieblingsgeschichte im Medium Videospiel. Die gleichen Leute würde aber nicht sagen, dass sie das Gameplay gestört hat, oder das Portal ohne Rätsel besser wäre.
Stuttgarter
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Stuttgarter »

Heretic hat geschrieben: 21. Jun 2019, 18:39
Stuttgarter hat geschrieben: 20. Jun 2019, 20:49 Um mal ausnahmsweise nicht über Spiele zu reden ;) - man kann das wohl kaum besser verdeutlichen als an der beispielhaften Gegenüberstellung Clapton/"Tears in heaven" und der jungen Britney Spears. Das eine die künstlerische Verarbeitung eines Schicksalschlags, die zufälligerweise wohl zur richtigen Zeit erschienen ist und zu Claptons vermutlich größtem Hit wurde. Das andere eine Marketingpuppe, deren erste beiden Alben nach Marktforschungsergebnissen konzipiert wurden. Claptons Song dürfte definitiv unter "Kunst" laufen - ein Musiker, der seinen Schmerz auf die ihm zur Verfügung stehende Art verarbeitet. Das andere ist musikalischer Fast Food. Man kann Fast Food ja mögen - aber es würden sich nicht viele ernsthaft hinstellen und McDonalds zur Haute cuisine erklären.
Auch aus einem Britney Spears-Song kann im richtigen Kontext Kunst werden:
https://www.youtube.com/watch?v=KnJU4pigeIc

Und nein, das ist kein Witz. Der Film ist großartig. :mrgreen:
Nur hat dieser Filmausschnitt in keinster Weise was mit dem zu tun, was ich geschrieben habe. :)

Erstens ist der Song nicht von einem der ersten beiden Alben, sondern vom vierten. Ich hab bewusst die ersten beiden genannt, da sie damals noch recht "pflegeleicht" war und gemacht hat, was ihr die Produzenten gesagt haben. Zum zweiten ist in dem Fall allerhöchstens die Filmszene als ganzes Kunst - dadurch wird aber nicht der Song, der darunter liegt, auch automatisch zum Kunstwerk.
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Heretic
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Heretic »

Stuttgarter hat geschrieben: 21. Jun 2019, 22:41 Nur hat dieser Filmausschnitt in keinster Weise was mit dem zu tun, was ich geschrieben habe. :)
Schon klar. Diese Filmsequenz ist mir nur direkt eingefallen, als du Britney Spears erwähnt hast.
Stuttgarter hat geschrieben: 21. Jun 2019, 22:41Erstens ist der Song nicht von einem der ersten beiden Alben, sondern vom vierten. Ich hab bewusst die ersten beiden genannt, da sie damals noch recht "pflegeleicht" war und gemacht hat, was ihr die Produzenten gesagt haben.
Bin leider kein Experte auf diesem Gebiet. ;)
Stuttgarter hat geschrieben: 21. Jun 2019, 22:41Zum zweiten ist in dem Fall allerhöchstens die Filmszene als ganzes Kunst - dadurch wird aber nicht der Song, der darunter liegt, auch automatisch zum Kunstwerk.
Aber er macht die Szene erst komplett. Gerade weil ein naives, zuckersüßes Britney Spears-Liedchen geträllert wird, wirkt die Szenerie so absurd.

Ich weiß schon, was du ursprünglich meintest. Clapton macht Songs mit Herz und Inhalt, während Spears hauptsächlich Kohle einfahren soll. In einer gerechten Welt hätte Clapton einen Hit nach dem anderen verdient, während Spears schnell in der Versenkung verschwinden würde. So läuft's aber nicht mit den Hits. Black Sabbath hatten in ihrer fünfzigjährigen Karriere genau einen Hit, nämlich "Paranoid". Eine Nummer, die in zehn Minuten zusammengeschustert wurde, weil noch ein Song fürs Album fehlte.

Ich bezeichne sowohl einen Eric Clapton als auch eine Britney Spears als Künstler/Künstlerin. Letztere muss ihre Songs schließlich zumindest unfallfrei einquaken können (oder gab's damals schon Autotune? :D ). Und auch ein einfaches Radionümmerchen muss komponiert und eingespielt werden. Die Intention dahinter tut bei dieser Einordnung nichts zur Sache. Auch nicht, ob das Ergebnis mir gefällt oder nicht.
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Sebastian Solidwork
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Wolfgang Walk hat geschrieben: 21. Jun 2019, 10:58
Sebastian Solidwork hat geschrieben: 21. Jun 2019, 10:24 Ich erfreue mich gerne an meine schönen Erinnerungen an Die Siedler 2. Aber heute frage ich mich was die Gesichte großartig sollte, ich genoss die mechanische Herausforderung jeden Levels (und auch den davon manchmal ablenkenden Wuselfaktor). Und gleichzeitig warum ich die Geschichte von Octavius nicht noch tiefer, in anderer, passender Form erfahren konnte. Hätte mich auch interessiert. Eine größere Nähe zu den Charakteren und ihren Erlebnissen.
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Hätten wir tatsächlich zuerst die Story von Octavius erzählen wollen, hätten wir ein anderes Spiel gemacht.

Aus meiner Sicht zählt meine Story für die Siedler 2 zu meinen 5 am wenigsten misslungenen innerhalb dieser Kunstform bis heute - genau WEIL ich mich da als Autor vollkommen zurückgenommen habe. Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich das Spiel an sich dafür respektiert habe, bereits eine eigene Story zu erzählen. Ohne, dass ich das damals so hätte formulieren können.
Hallo Wolfgang,

ich habe den Eindruck dich verärgert zu haben und das verunsichert mich. Ich respektiere deine Arbeit und wollte sie keinen Falls diskreditieren.
In der Tat ist die Story bei Die Siedler 2 sehr dezent. Andere Spiele wie die Command & Conquer im gleichen Zeitraum protzen da viel mehr.
Bei diesem Absatz war ich mir sehr unsicher ob ich ihn so schreiben sollte und sehe es jetzt als Bestätigung, dass es ein Fehler war. Wenn wäre er mit einem anderen Spiel besser gewesen.

Wie sehr habe ich dir näher bringen können warum ich die Unterscheidung nach Mechanik und (der speziell differierten) "Narration" (nicht das gleiche wie deine Story) bevorzuge? Ich vermute überzeugen konnte ich dich damit nicht? Dafür bräuchte es wohl wenn ein längeres persönliches Gespräch.
Wie siehst du insgesamt meinen Kommentar?

Sebastian
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Lars Kalthoff hat geschrieben: 21. Jun 2019, 22:37 Sorry, aber da klingt für mich die alte Ludologist vs. Narratologist Debatte raus. Entweder ist man im einen Lager, oder im anderen. Ich kann natürlich nur für mich sprechen: Ich finde mich auf keiner der Seiten wieder.
Mal auf die Schnelle, weil meine Zeit gerade knapp ist:
Auf gewisse Weiße ist es die alte Debatte, aber mit einem anderen Verständnis: Beide Lager haben ihre Daseinsberechtigung, gleichzeitig. Nicht eines von beiden ist das einzig wahr und das andere hat unrecht. Es kann beides geben.
Jedes Spiel/interaktive Medium kann und sollte sich klar in eines von beiden einordnen. Wir sollten Spiele/interaktive Medien entsprechend der Lager aufteilen. Mechanik-Spiele und Narrations-Spiele, das halt ich für hilfreich. Spiele/Games sind von mir aus alle, die Frage ist welcher Art sie im Detail sind.
Wie gut ist das nachvollziehbar?

Ich sehe mich auch auf keiner von beiden Seiten fest sondern abwechselnd auf beiden, weil es beide Lager gleichzeitig geben darf. Jeder nach seiner persönlichen Vorliebe. Ich mag sowohl mechanische Herausforderungen wie auch narrative Erlebnisse. Nur jeweils getrennt.
Wir verlangen ja auch nicht von Büchern global, dass in ihnen nur Belletristik enthalten ist oder sie nur Sachbücher sind. Das wäre mMn nach das Gegenstück.
Spiele/interaktive Medien sehe ich als ein Medium, dass die zwei Dinge, Mechanik und (audiovisuelle) Narration, potentiell kann. Aber pro Produkt soll eines führen.

Bei Gelegenheit will ich noch mehr kommentieren. Soviel erstmal jetzt.

Edit: Das alles ist ein Wunsch vor allem für zukünftige Spiele. Die meisten der bisherigen Spiele entscheiden sich nicht klar und stehen mit je einem Bein auf jeder Seite. Und haben den entsprechend ihre Probleme sowohl in der Entwicklung wie auch in der Rezeption.
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Lars Kalthoff »

Jedes Spiel/interaktive Medium kann und sollte sich klar in eines von beiden einordnen. Wir sollten Spiele/interaktive Medien entsprechend der Lager aufteilen. Mechanik-Spiele und Narrations-Spiele, das halt ich für hilfreich. Spiele/Games sind von mir aus alle, die Frage ist welcher Art sie im Detail sind.
Wie gut ist das nachvollziehbar?
Ich kann es auf der einen Seite schon irgendwie nachvollziehen und auf der anderen nicht ganz. Ich würde nicht bestreiten, dass es einige Spiele gibt, die sich sehr klar in eins der zwei Lagern einteilen lassen. Sagen wir mal Tetris auf der einen Seite und Telltale-Spiele auf der anderen. Ich würde auch zustimmen, dass es Sinn macht, andere Maßstäbe anzulegen, je nachdem, welche Form vorliegt.
Jedes Spiel/interaktive Medium kann und sollte sich klar in eines von beiden einordnen.
Ich mag sowohl mechanische Herausforderungen wie auch narrative Erlebnisse. Nur jeweils getrennt.
Hiermit hab ich dann meine Probleme, weil ich es für einigermaßen eindeutig halte, dass es auch das dritte Lager gibt, bei dem Mechanik Narration und Narration Mechanik stützt. Das sind dann auch die Spiele, die mir wirklich im Gedächtnis bleiben. Trotzdem mag ich auch Spiele die rein-narrativ oder rein-mechanisch sind, nur nicht ganz so sehr, wie die, die beides kombinieren.

Ich fand es ganz interessant, dass du What Remains of Edith Finch in das narrative Lager eingeordnet hast. Meiner Meinung nach gibt es wenige Spiele, bei denen Mechanik und Narration so gut zusammenpassen wie bei WRoEF (um mal eine Abkürzung zu etablieren^^). Das merkt man übrigens auch auch an dem Entwicklungsprozess von WRoEF, mal kam eine Idee für eine Mechanik zuerst und die passende Kurzgeschichte wurde darauf zugeschnitten und mal hatte man eine Geschichte im Kopf und diese dann in Mechanik übersetzt. Dass keine fixe Priorisierung von Mechanik oder Narration vorlag, hat dem Spiel recht gut getan finde ich.
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Re: Wortreich: "Zu viel Kunst"

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Lars Kalthoff hat geschrieben: 23. Jun 2019, 16:33
Jedes Spiel/interaktive Medium kann und sollte sich klar in eines von beiden einordnen. Wir sollten Spiele/interaktive Medien entsprechend der Lager aufteilen. Mechanik-Spiele und Narrations-Spiele, das halt ich für hilfreich. Spiele/Games sind von mir aus alle, die Frage ist welcher Art sie im Detail sind.
Wie gut ist das nachvollziehbar?
Ich kann es auf der einen Seite schon irgendwie nachvollziehen und auf der anderen nicht ganz. Ich würde nicht bestreiten, dass es einige Spiele gibt, die sich sehr klar in eins der zwei Lagern einteilen lassen. Sagen wir mal Tetris auf der einen Seite und Telltale-Spiele auf der anderen. Ich würde auch zustimmen, dass es Sinn macht, andere Maßstäbe anzulegen, je nachdem, welche Form vorliegt.
Jedes Spiel/interaktive Medium kann und sollte sich klar in eines von beiden einordnen.
Ich mag sowohl mechanische Herausforderungen wie auch narrative Erlebnisse. Nur jeweils getrennt.
Hiermit hab ich dann meine Probleme, weil ich es für einigermaßen eindeutig halte, dass es auch das dritte Lager gibt, bei dem Mechanik Narration und Narration Mechanik stützt. Das sind dann auch die Spiele, die mir wirklich im Gedächtnis bleiben. Trotzdem mag ich auch Spiele die rein-narrativ oder rein-mechanisch sind, nur nicht ganz so sehr, wie die, die beides kombinieren.

Ich fand es ganz interessant, dass du What Remains of Edith Finch in das narrative Lager eingeordnet hast. Meiner Meinung nach gibt es wenige Spiele, bei denen Mechanik und Narration so gut zusammenpassen wie bei WRoEF (um mal eine Abkürzung zu etablieren^^). Das merkt man übrigens auch auch an dem Entwicklungsprozess von WRoEF, mal kam eine Idee für eine Mechanik zuerst und die passende Kurzgeschichte wurde darauf zugeschnitten und mal hatte man eine Geschichte im Kopf und diese dann in Mechanik übersetzt. Dass keine fixe Priorisierung von Mechanik oder Narration vorlag, hat dem Spiel recht gut getan finde ich.
Für mich ist die Grundlage, dass es bei Spielen um ein interaktives Medium geht, eines das den Konsumenten aktiv einbindet. Film und Bücher sind passiv erfahrbar.
Narrativ-interaktive Spiele zeugen mit ihrerer Interaktivität eine empathische Brücke. Sie lassen den Spieler in eine Rolle schlüpfen und aus ihr heraus handeln. Was auch bedeutet, dass jede Aktivität in der Spielwelt logisch/plausibel sein muss.
Wolfgang beschreibt es im Wortreich mit: Es geht weniger darum, dass man sie löst als wie man sie löst. Egal, welche Lösung man wählt, die Lösung selbst stellt keine Herausforderung dar.
Frictional Games, die Macher von SOMA, beschreiben das auch ausführlicher. Ihre fünf Grundprinzipien sind:
1) The focus is on storytelling.
2) The bulk of the gameplay time is spent playing.
3) The interactions make narrative sense.
4) There's no repetition.
5) There are no major progression blocks.


Aus dieser Perspektive sehe ich Telltale-Spiele als schlechte narrativ interaktive Medien. Sie gehören nicht in das narrative Lager, dass ich meine. Ihre Narration besteht hauptsächlich aus dem Zeigen von Filmen. Die in ihnen enthaltenen Interaktionen leist einen nur ein sehr mäßigen Beitrag um die Geschichte empathisch zu erfahren.
Die Dialoge dienen vor allem der Auswahl des nächsten Filmes. Sie bringen mich kaum näher an die Figur.
Die Action-Szenen sogar brechen mit ihren Wiederholungen mit der Narration - "Wie wird innerhalb der Spielwelt erklärt, dass ich diese Szene jetzt mehrfach exakt gleich erfahren habe?".

- Narrativ-Spiele machen die Geschichte aus der Interaktion/Mechanik heraus erfahrbar
- Mechanik-Spiele stellen das Meistern eines Systems in der Vordergrund. Das bedeutet regelmäßig zu verlieren um aus den Fehlern zu lernen - das verträgt sich in der Art selten mit einer Story. Hier soll Narration, als audiovisuelle Effekte, nur das System verständlicher machen. Wie die unterschiedlichen Farben und Figuren bei Schach.

Diese Unterscheidung/Fokussierung nehmen die wenigsten aktuellen Spiele vor. Bei ihnen wird vieles bunt gemischt.
Hiermit lässt sich besser verstehen warum die meisten aktuellen Spiele und ihre Entwicklung Probleme haben. Und wie man zukünftige Spiele ohne diese Probleme gestalten könnte.


Deswegen ordne ich WRoEF (Ich nutze die Abkürzung auch selbst ^^) bei interaktiver Narration ein. In der Argumentation, warum es so gut ist bin ich bei dir - hier passen Mechanik und Narration gut zusammen. Aber deswegen weil sich die Mechanik einer interaktiven Narration "unterwirft" bzw. sie unterstütz und "erzeugt".
Hier stützen sich NICHT gleichzeitig Mechanik und Narration gegenseitig!
Telltale ist mehr ein Film zum Klicken, passive Narration. Und auch auch noch Elemente eines Mechanik-Spieles - klicke mit dem passenden Timing die Buttons (Guitar Hero ohne Musik).

Während der Entwicklung von WRoEF mag es vor gekommen sein, man vor dem Festlegen der eigentliche Narration/Story, dem was audiovisuell passiert, zuerst die Mechanik "whiteboxed" hatte. Aber als fertig Produkt steht klar eine interaktive Narration im Vordergrund.
In seiner Mechanik ist es nicht Ziel in etwas besser zu werden, Herausforderungen zu meistern und ein Ziel zu meistern.

Bei dieser Art von digitalen interaktiven Medien stehen wir noch noch ziemlich am Anfang, sie etablieren sich gerade erst.
Mechanische Herausforderungen kennen wir schon länger. Vor allem auch ihre analogen Gegenstücke, die klassischen Brettspiele (bzw. Karten).

TL;DR:
- die Besonderheiten von Spielen ist die Interaktivität. Diese sollte entweder auf das meistern mechanischer Herausforderungen oder empathische Erfahren von Erfahrungen und Emotionen fokussiert sein.
- Spiele mit Narration/Story ohne Interaktivität sind mit Ludonarrative Synthese nicht gemeint. Ihre Schauwerte haben mehr mit Filmen gemeinsam.

Ich hoffe, dass ist einigermaßen verständlich. Ich habe das mit einer gewissen Müdigkeit in den Knochen geschrieben.
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