Walks Kolumne: Der Thread

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Flo
Beiträge: 426
Registriert: 5. Jun 2016, 11:57
Wohnort: Leipzig

Re: Walks Kolumne: Der Thread

Beitrag von Flo »

:-D Für mich war das eindeutig eine der besten Episoden von Wolfgangs Kolumne, die ich bisher vernehmen durfte.

Ich meine, inzwischen habe ich genug von ihm gehört, um ihn seine emotionalen Attacken (in dem Fall gegen Trump und andere Faschisten) nicht mehr direkt krumm zu nehmen. Könnte ich das nicht aushalten, dann sollte ich überhaupt keine Walk Betrachtungen anhören. Ich meine, ich höre mir seine Sachen auch nur an, wenn ich in der richtigen Stimmung an.

Als jemand, der in online Diskussionen mit sogenannten Rechten, stets penibel auf einen respektvollen Umgang miteinander achtet, konnte ich es sehr genießen, Wolfgangs Gift und Galle zu lauschen. Er stellte den Proxy dar, durch den sich meine Gefühle auch mal ausformuliert fühlen durften. Ich musste mitunter Schallend lachen.

Davon abgesehen, habe ich bisher noch nie von der ästhetische Dimension der Gewalt gehört, oder selbst gar darüber reflektiert, die Wolfgang hier aufdeckt. Und das hat für mich eine unerwartete neue art von Faszination für Gewalt in Spielen eröffnet. Noch während des Hörens entwickelte der Spieledesignteil meines Gehirns ein Third Person social violence Game.



Hier mein Pitch:

Spielavatar ist ein Teenager, die neu auf eine Schule kommt. Über sie gibt es keine weiteren Hintergründe zu erfahren. Die Lehrer auf der Schule wirken wie Zombies. In der Klasse gibt es zwei drei irritierend entstellte Kinder, welche von den Kameraden bösartig gemoppt werden. Die Klasse ist die relevante Spielwelt. Also nicht das Klassenzimmer, sondern der Ort, an dem eben gerade die Mitschülerinnen sind.

Die Avatarin wird Zeuge, wie ein Mitschüler einer anderen Mitschülerin, aus einem zuvor selbst live miterlebten, total gut nachvollziehbaren Grund, ultraböse anguckt. Und da passiert es: Kleine Wurfmesser zischen aus seinen Augen, fliegen der Mitschülerin ins Gesicht, und hinterlassen Schnitte, aus denen sich sogleich Blut entläuft. Niemand in der Spielwelt reagiert auf diesen Vorfall.

Zeit zum Punkt zu kommen. Das Spiel ist die soziale Simulation einer Klassengemeinschaft. Aber um die mitunter gewaltvollen und/oder sterbensverzweifelten sozialen Interaktionen angemessen zu kommunizieren, werden sie mit großer Geste als physische Gewaltdarstellung artikuliert.

Selbstverständlich muss das Milieu in dem so eine Darstellungsform präsentiert wird, eines mit Kindern sein. Eine einziger Fehltritt der Peinlichkeit, kann das Leben in der Schule in eine Hölle verwandeln. Und da die Zeit für Kinder erheblich langsamer verläuft, würden jedes noch kommende Schuljahre einer weiteren Ewigkeit gleich kommen. Der Kampf um soziale Anerkennung ist grundlegend existenzieller Kampf.

... um den Abstraktions-, sowie Glaubhaftigkeitsgrad zu erhöhen würde ich das Spiel nicht unbedingt in einer modernen Montessori Schule ansiedeln, sondern ... sagen wir mal, auf einer Pariser Schule in den 1920er. Genau! Und bei der Entwicklung der Spielwelt und der Story orientiert kann man sich dann direkt an Jean Cocteaus 'Kinder der Nacht' orientieren. ... oh mein Gott, das Buch ist so gut geeignet um ein ästhetische Sprache für soziale Interaktionen daraus abzuleiten ... jetzt habe ich den Faden verloren. Sorry, der Pitch kommt aus der Hüfte.


»Er [der Hof] ist ihr Spiel- und Richtplatz. Eine Art mittelalterlicher Platz, ein Liebeshof, ein Bettelmarkt, eine Briefmarken- und Schusserbörse, ein Fehmegericht, wo man die Schuldigen verurteilt und das Urteil an ihnen vollstreckt, wo von langer Hand jene Streiche vorbereitet werden, die während des Unterrichts ausbrechen und deren Zurüstungen die Verwunderung der Lehrer erregen. Denn die Jugend der fünften Klasse ist schrecklich.«

»In der fünften Klasse aber sind die erwachenden Kräfte noch den dunklen Instinkten der Kindheit unterworfen: tierhaften, pflanzenhaften Instinkten, deren Regungen sich der Beobachtung entziehen, weil das Gedächtnis sie ebensowenig bewahrt wie die Erinnerung an gewisse Schmerzen und weil die Kinder verstummen, sobald ein Erwachsener sich nähert.«

»...niemals fürchtete sie, ihre Freunde könnten auch auf Rauschgifte verfallen, denn sie handelten unter dem Einfluß einer eifersüchtigen, natürlichen Droge, und hätten sie Rauschgift genommen, so wäre dies so viel gewesen, als wolle man weiß auf weiß, schwarz auf schwarz malen.«

Also der Witz an der Erzählung ist, dass alle diese furchtbaren Verletzungen, welche Kinder in einem wilden sozialen System erleiden müssen, nicht einfach nur seelischer Natur sind, sondern in der Spielwelt als physische Gewalt dargestellt wird. Und im Verlauf des Spieles/Schuljahres verwandeln sich, die einst so niedlichen kleinen Kindergestallten peu à peu in mehr oder weniger entstellte Ghule. ... vielleicht, mit zumindest der Hoffnung, am Ende nicht als vollständiges Monster raus zu kommen. Aber der Grundrahmen ist, dass ein Kind nicht durch die Schule kommt, ohne schwere traumatisch Verletzungen davon zu tragen, und ohne in Situationen zu kommen, andere Kinder prägende Verletzungen zuzuführen.

Oh yeah!




Sehr inspirierende Folge für mich. Vielleicht sogar tatsächlich auch die erste, in welcher ich Wolfgang an keiner stelle widersprechen wollte.

5/5 Sterne


_
Edit: Da fällt mir ein, die Aussage, dass Groschenromane auf ästhetischer Ebene Schrott sind (oder so in der Art), ist natürlich ganz offensichtlich vollkommen falsch. Ästhetik ist etwas, was man erfahren kann, nicht etwas was ein Person (z.B. Wolfgang) Kraft ihrer selbst eingebildeten Autorität einem Werk zuspricht. Es ist auch nichts, was produziert werden muss, damit es existiert. Als Künsterlin kann man lediglich darum bemüht sein, eine ästhetische Erfahrung bei der Rezipientin vorzubereiten. So etwas wie eine Werksinterne quantifizierbare Ästhetik gibt es überhaupt nicht.

Aber dass Wolfgang das behauptet hat finde ich nicht schlimm, immerhin provoziert er mein Gehirn mit solchen Idee immer dazu, zu reflektieren warum er falsch liegt. Und das schätze ich als eine Qualität diesen Formates. Und damit wird auch die schöne Tradition aufrecht erhalten, dass ich bisher bei jeder Kolumnen Folge mindestens einmal entsetzt aufstöhnen musste. :D
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DickHorner
Beiträge: 958
Registriert: 30. Aug 2018, 10:26

Re: Walks Kolumne: Der Thread

Beitrag von DickHorner »

Wolfgang Walk hat geschrieben: 27. Aug 2019, 20:30
DickHorner hat geschrieben: 27. Aug 2019, 19:36
Wolfgang Walk hat geschrieben: 27. Aug 2019, 17:56 Die ästhetische Integrität ist dann ein Maßstab für die Aufrichtigkeit, mit der die Designer die Mittel der Darstellung und Konstruktion der Spielmechaniken betreiben.
Ist halt nur schwer zu beurteilen, wenn man keine Gedanken lesen kann, ne?
Nur bedingt. Denn ästhetische Integrität zeigt sich in der Folgerichtigkeit der getroffenen Design-Entscheidungen. Da können durchaus Logik und Psychologie als Entscheidungsgrundlagen gelten.
Bissle spät, aber dennoch: ok, da sind wir dann aber interpretatorisch unterwegs und ein Maßstab, der eine subjektive Deutung zu Grundlage hat, taugt außerhalb des intrapersonellen Erlebnisraumes nicht viel.
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Tattus
Beiträge: 80
Registriert: 14. Nov 2017, 08:40

Re: Walks Kolumne: Der Thread

Beitrag von Tattus »

DickHorner hat geschrieben: 11. Sep 2019, 18:51
Wolfgang Walk hat geschrieben: 27. Aug 2019, 20:30
DickHorner hat geschrieben: 27. Aug 2019, 19:36
Ist halt nur schwer zu beurteilen, wenn man keine Gedanken lesen kann, ne?
Nur bedingt. Denn ästhetische Integrität zeigt sich in der Folgerichtigkeit der getroffenen Design-Entscheidungen. Da können durchaus Logik und Psychologie als Entscheidungsgrundlagen gelten.
Bissle spät, aber dennoch: ok, da sind wir dann aber interpretatorisch unterwegs und ein Maßstab, der eine subjektive Deutung zu Grundlage hat, taugt außerhalb des intrapersonellen Erlebnisraumes nicht viel.
Das wird jetzt ein bisschen wissenschaftstheoretisch, aber deine Aussage entkräftet sich selbst, wenn sie Gültigkeit über den intrapersonellen Erlebnisraum hinaus beanspruchen will, weil sie selbst subjektiv ist.
In einer Diskussion über Ästhetik ist das "nicht viel" halt alles, was wir haben. Ohne Wertung kannst du dort keine Aussagen treffen.
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