Asphyx hat geschrieben: ↑3. Jul 2020, 11:30 Mehr noch: ein Triple-A-Spiel. Es versucht trotz seines sperrigen Ansatzes, ein möglichst großes Publikum möglichst effektiv zu erreichen. Es muss das im Rahmen einer Erzählung und einer Spielzeit schaffen, die u.a. dir und Sebastian ohnehin schon zu lang ist. Und es wendet sich an ein Publikum, das nicht durch die Bank so medienerfahren, persönlich gereift und aufgeschlossen ist wie du oder ich.
Klar. Aber meine Beurteilung richtet sich an ein Publikum mit Anspruch oder zumindest ein Publikum, dass eine Rezension mit Anspruch hören will.
Das Netz ist ja voll von Rezensionen mit ziemlich niedrigen Messlatten - wer das sucht, findet es in Massen. Und das im Forum vorwiegend die Kritikpunkte hinterfragt werden führt natürlich auch hier dazu, dass ich in einer Tour nur über IMO weniger gelungene Anteile spreche und es nur noch mehr so wirkt, als wären diese Einzelpunkte gewichtig. Weswegen ich ja in einer Tour auf das Gesamtbild verweise und mir wünschen würde, dass dem dann eher eine ebensolange Liste von Momenten entgegengestellt würde, in denen das Spiel eben besonders originell ist.
Asphyx hat geschrieben: ↑3. Jul 2020, 11:30 Es hat schlicht nicht die Zeit, ich möchte fast sagen den Luxus, jede einzelne Figur und jeden Erzählstrang zu etwas völlig Neuem, bis ins Detail Auserzähltem zu formen, also nutzt es Abkürzungen. Das tut auch so gut wie jeder Film und jedes Buch. Wie du selbst im Review richtig sagst: viele Tropes werden ja deswegen verwendet, weil sie funktionieren. Sie sind sozusagen Shorthand für einen größeren Kontext (der Ex-Soldat mit Kriegstrauma, der Polizist, der seinen Partner verloren hat, oder auch - siehe TLOU1 - der Vater mit dem verstorbenen Kind und das Mädchen ohne Eltern, die sich zu einer neuen Behelfsfamilie zusammenfinden). Unter dieser Prämisse müsste man quasi jedes moderne Unterhaltungsprodukt mangelnder Originalität zeihen.
Ja, würde ich auch. Die meisten AAA-Spiele sind genauso schmerzhaft unoriginell, wie ein TLOU 2. Da wird halt nur nicht von allen Dächern "Meisterwerk" gerufen oder das Gegenteil behauptet und daher brauche ich es nicht weiter auszuführen. Mir ist ein "Death Stranding" lieber - so idiotisch verworren und ebenfalls unsubtil es sein mag. Es probiert wenigstens in vielerlei Hinsicht etwas neu oder anders zu machen.
Asphyx hat geschrieben: ↑3. Jul 2020, 11:30 Für mich persönlich wiegt halt im Gesamtkontext das Faktum, dass hier ein Entwicklerteam viele schwierige, emotional anspruchsvolle und oft auch unangenehme Themen (im Falle Lev sogar zumindest in einem Spiel dieser Größe erstmals) aufgreift und auf so konsequente Weise durchexerziert, schwerer als der Umstand, dass sie dabei nicht jedesmal das Rad neu erfinden.
Gut, aber dann kannst du doch einräumen, dass es unoriginell ist - das stört dich nur eben in dem Kontext nicht. Ich geb auch gern zu, dass es im Spielekontext zumindest "neu" ist, dass es die Figur überhaupt gibt. Ich will ja auch nicht behaupten, dass das Spiel bis in die letzten Kapillaren keine einzige originelle Idee hat (was ja Unfug wäre, denn der Grund, warum ich es letztlich empfehle IST ja gerade wegen einer originellen und mutigen Entscheidung). Die bloße Existenz von Lev wiegt nur eben nicht meinen Eindruck auf, dass es schmerzhaft unoriginell ist in dem was es erzählt. Und ich hab da wirklich viel aufgelistet. Erneut: Wie viel Zeit verbringt man mit dem Lesen von irgendwelchen "Survivor Stories" und wie kann es sein, dass davon nicht eine einzige eine wirklich originelle oder spannende Idee mitbringt? In einem "Planescape Torment" wartet an jeder Ecke etwas auf mich, dass eine neue, kreative Idee in diese Spielwelt einbringt. In einem "Sunless Sea" gibt es an jedem Hafen neue, interessante Figuren und Gedanken. Das ist auch nur Text. Wieso schafft es ein "The Martian", dass ich die ganze Zeit denke: "Oh, cool - das wusste ich nicht, aber jetzt wo ich das lese / sehe ergibt es extrem viel Sinn, dass dieses Problem existiert / so gelöst wurde! Wie clever!" und bei TLOU 2 scheint keiner zu keiner Zeit eine kluge Idee zu haben. "Pärchen ist lesbisch" ist halt keine kluge Idee in sich aus meiner Warte. Ein guter Ausgangspunkt für was neues in einem Spiel? Ja. Aber mach was draus.
Dein Punkt scheint zu sein: "Das ist ja nicht schlimm, weil es sind alle (Spiele) so" bzw "Es wurde mit zweierlei Maß gemessen, sonst seid ihr nicht so streng". Da kommen wir halt nicht auf einen Nenner, weil ich sage: Nein, wir erklären es sonst nur nicht so ausführlich (siehe auch unten).
Und selbst wenn dem so wäre, dann würde ich dieses systemische Argument halt ablehnen: Dann sind andere Spiele bei mir eben zu gut weggekommen oder ich habe mich als Kritiker eben verändert - aber zur Beurteilung von TLOU 2 stehe ich. Sie entspricht zu 100% meiner Erfahrung mit dem Spiel und ich finde, sie ist in sich sauber argumentiert. Wir haben hier im Podcast immer gesagt, dass wir keine Vergleiche zwischen Wertung A und Wertung B haben wollen, weil das immer Äpfel und Birnen sind und genau der Grund ist, warum woanders Wertungsinflation einkehr hielt. "Wir haben Prey eine 90 gegeben, dann muss TLOU 2 wohl eine 97 kriegen" - das lehnen wir ja schon seit dem ersten Moment ab. Genau auch deswegen, weil diese Diskussion einfach nicht zu führen ist. Aus dem Bauch raus würde ich sagen: "Red Dead 2 steckt TLOU 2 in die Tasche, mit seiner Erzählung, was die reine handwerkliche Qualität angeht". Aber das ist SO lange her, dass ich das nie und nimmer gut und anschaulich begründen könnte. Und es könnte auch einfach falsch sein - ich weiß nichtmal mehr genau, wie mein damaliges Urteil lautete, in dieser Hinsicht.
Daher - erneut - lass uns Argumente austauschen: Was sind für dich die klugen oder interessanten Ideen, die ein TLOU 2 liefert und damit belegt, dass es eben originell ist? An welchen Stellen im Spiel hast du denn gedacht: "Das habe ich nicht kommen sehen!", "Oh, interessant!" etc.
Asphyx hat geschrieben: ↑3. Jul 2020, 11:30
Und jetzt mal im Ernst, wie willst du denn bitte Transsexualität im Gameplay verankern?
Keine Ahnung, das war doch gar nicht mein Punkt. Ich habe nur gesagt: "Wenn sie das Klischee in einer Art umsetzen (Gameplay) die es noch nicht gab, dann finde ich es natürlich wieder originell".
Asphyx hat geschrieben: ↑3. Jul 2020, 11:30
Expositionsmaschinen und Guides (allenfalls noch Questgeber) sind doch die allermeisten Nebencharaktere in den allermeisten anderen Spielen genauso.
Und bei denen diskutieren wir dann auch nicht, ob das jetzt wertvolle oder originelle Charaktere sind.
Asphyx hat geschrieben: ↑3. Jul 2020, 11:30
Und die Szene mit dem Plüsch-Hai fand ich z.B. richtig schwach.
Es ist die eine Szene (an die ich mich erinnern kann), in der es nicht um Exposition oder Identität geht, war mein Punkt. Das sie nichtmal besonders toll ist, unterstreicht das ja nur weiter.
Asphyx hat geschrieben: ↑3. Jul 2020, 11:30
Übrigens war für mich in der Charakterentwicklung tatsächlich Tommy die Figur, die ich am Wenigsten nachvollziehen konnte. Er war derjenige, der sich tatsächlich ein neues Leben aufgebaut hatte, der wirklich etwas zu verlieren hatte (das er schon im ersten Teil nicht gefährden wollte), der nach der Ermordung seines Bruders erstmal nicht zum Rachefeldzug aufbrechen wollte,
IMO tut er nur so, als wolle er nicht, weil er allein gehen will. Das kommt im Dialog mit Maria IMO deutlich raus. Kann man aber auch andersrum lesen: Er will eigentlich nicht, geht aber dann doch, um Ellie zuvor zu kommen. In beiden Lesarten finde ich es aber jetzt nicht absurd.