Runde #235: Eine Verteidigung des Eskapismus

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Phazonis
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Phazonis »

Giovanni hat geschrieben: 10. Okt 2019, 18:51
Stuttgarter hat geschrieben: 10. Okt 2019, 17:25
Giovanni hat geschrieben: 10. Okt 2019, 15:05

Selbstverständlich - Nur geschieht das dann zumeist mit ironischem Unterton und ohne geschichtspädagogischen Furor (Stichwort Nonchalance und Genrebewusstsein). Ansonsten sorge ich mich um die Journalisten deiner Zeitung.
Also zunächst eimmal sind es ganz normale Kritiken, die versuchen, dem besprochenen Werk gerecht zu werden. Das kann ins Ironische abgleiten - das kann es bei nem schlechten "Hamlet" aber genauso. In meiner Tageszeitung hat sich mittlerweile durchaus durchgesetzt, dass es nicht nur Hochkultur gibt. Der Leiter des Filmressorts weiß einen "Rogue One" sehr wohl zu schätzen (und einen "Solo" zu vermaledeien) und der Feuilleton-Chef selbst ist bekennender ABBA-, ESC- und Harry Potter-Fan. Und schreibt gleichzeitig auch glorreich-spritzige Essays über die aktuelle Theaterszene. Vielleicht bisschen weniger schwarzweiß-denken? Die Zeiten, in denen das Feuilleton tatsächlich nur Elfenbeinturm war, sind gottseidank vorbei.
Du weichst aus. Dein Feuilletonchef würde in seiner Theaterrezension nie die kollektive Verblödung der Theatergänger heraufbeschwören - und wäre das Stück noch so dumm. Oder gleich die ganz großen Geschütze auffahren, Solo zum Symbol des wiederaufflammenden Militarismus umdeuten und im Anschluß der geschichtswissenschaftlichen Fakultät die Türen einrennen. Außerdem würde ich Abba und Solo nicht mit einem Groschenroman vergleichen. Und darum ging es hier - Kulturkritik differenziert angemessen je nach Genre, egal ob Brecht oder Bohlen. Und sie schießt nicht mit Kanonen auf Spatzen.
Auch da würde ich mal das Vielfaltsargument reinschmeissen. Ja dort würde ein Feuilletonist nicht gleich bei Solo den wiederaufflammenden Militarismus beschwören, aber da gibt es auch ausreichend Gegendarstellungen, sodass dies vielleicht nicht passiert. Im Videospiel eher selten, das entwickelt sich so langsam erst. Nun kann es natürlich sein, dass dies aus mangelnder Kenntnis des Mediums geschehen kann, dass man mal etwas früher den Untergang des Abendlandes beschwört, aber im Großen und Ganzen läge man damit trotzdem nicht ganz falsch, denn wie gesagt viele Gegendarstellungen gibt es meist nicht. Ebenso müsste sich glaube eine Unterscheidung zwischen der hohen Kunst und der niederen im Videospiel auch erstmal bilden. Halt irgendwas analog zur Groschenromankategorie. Auch das ist noch nicht wirklich geschehen.
Peninsula
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Peninsula »

Ich glaube, dass Eskapismus eher ein Rezeptionsmodus ist, als eine Eigenschaft eines Werks. Jemand der sich als Liebhaber sogenannter "anspruchsvoller Kost" einen als sperrig geltenden Film nach dem anderen reinzieht, kann sich unter Umständen in dieser "Genre-Parallelwelt" genauso zuhause fühlen, wie der stereotype Nerd in seinen Fantasywelten - und daher diese "anspruchsvollen" Filme auch genauso zu einer "bloßen" Flucht aus dem Alltag nutzen, wenn ihm danach ist. In einer anderen Stimmung kann dieselbe Person aber möglicherweise im selben Film ganz viel entdecken. Das Gleiche gilt imo auch für die Fantasywelten. Man sieht ja auch in der Kunst, wie angeblich "Anspruchloses" als Camp sogar in der "Hochkultur" landen und zum Gegenstand akademischer Debatten werden kann.
Wie hier schon mehrfach geschrieben, ist die Unterteilung in inhaltlich "anspruchsvoll" und "-los" bei Spielen noch nicht so ausdifferenziert wie in anderen Medien (und diese Unterteilung geschieht imo durch die Rezipienten). Das bringt den interessanten Aspekt mit sich, dass bei Spielen sowohl "Mainstream"-Publikationen, als auch kleinere - sich oft als "anspruchsvoller" begreifende - Formate häufig noch über dieselben Spiele reden - da dann aber jeweils ganz andere Dinge wichtig finden. Bei Filmen ist das vielleicht noch ein bisschen so, bei Literatur und Musik sind in meiner Wahrnehmung die unzähligen Nischen und der Mainstream deutlich stärker von einander getrennt.
Ich kann aber schon verstehen, wieso man "reinen Eskapismus" im Rahmen einer feuilletonistischen Spielerezension eher ablehnt. Damit bestreitet man aber nicht -wie im Podcast mitschwang - dass ein Spiel möglicherweise für einzelne als psychohygienische Wunderwaffe funktionieren kann ("einfach mal abschalten", "Bestätigung finden" etc.). Vielmehr ordnet man es ja in Diskurse ein, man legt aus, was das Spiel (in einem sehr weit gefassten Sinne) "Relevantes zu einer oder mehreren Diskussion beizutragen hat" - das kann sehr plakativ über die "Story" laufen, aber eben auch über Ästhetik, Mechaniken uvm. - das kann ein "Beitrag" zur Entwicklung des Mediums sein, das kann ein "Beitrag" zu gesellschaftlichen/politischen Debatten sein usw. - Diskurse gibt es wie Sand am Meer :)
Aber wenn ich sage, "bei Spiel XY vergesse ich die Welt um mich herum und das ist wichtig, weil ich mal abschalten muss", dann bin ich beim Produkttest und nicht mehr bei einer Rezension im genannten Sinne. Und was auf den einen entspannend wirkt, ist u.U. für den nächsten die reinste Folter - deshalb ist es imo deutlich schwieriger hier Aussagen zu treffen, die für irgendjemanden außer mir irgendeine Relevanz haben. Damit behaupte ich aber nicht, dass "einfach nur Abschalten" irgendwie schlimm wäre.
Stuttgarter
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Stuttgarter »

Was ich vor allem nicht verstehe - eine Frage, die schon weiter vorn aufgetaucht ist: Warum soll dieses Abschalten und Versinken nicht mehr möglich sein, wenn ich weiß, dass das Spiel in mancherlei Hinsicht problematisch ist?

Axel hat ja weiter vorn die Frage gestellt, ob "wir" denn überhaupt noch bei irgendwas Spaß haben können, wenn wir doch überall Politik sehen. Lustigerweise scheint es genau umgekehrt zu sein - ich hab überhaupt kein Problem damit, massenhaft Zeug zu konsumieren, bei dem ich genau weiß, dass es problematisch ist - und ich bin mittlerweile ja sowas wie der Vorzeige-SJW des Forums. ;) Genausowenig wie ich Probleme habe, in meinem persönlichen Umfeld absolut unkorrekte Witze zu erzählen, die stellenweise rassistisch und frauenfeindlich bis zum geht nicht mehr sind. Und ich hab an der ganzen Tropico-Serie tierisch Spaß.

Insofern - mein Eskapismus funktioniert auch in "Anno" hervorragend. Und ich hab dazu noch das Glück, dass ich nicht dauernd Gefahr laufe, dass mir jemand was unschönes über mein Lieblingsspiel erzählt, was ich nicht eh schon weiß. :ugly:
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Soulaire
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Soulaire »

Peninsula hat geschrieben: 10. Okt 2019, 21:14 Ich glaube, dass Eskapismus eher ein Rezeptionsmodus ist, als eine Eigenschaft eines Werks.
danke, exakt meine Meinung :D
Giovanni
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Giovanni »

Stuttgarter hat geschrieben: 10. Okt 2019, 19:24 Was Du alles über "mein" Feuilleton weißt, was das tun würde und was nicht. :o Ich weiß dass alles nicht. Aber ich bin mir ziemlich sicher: Würde ein Bestseller-Roman oder ein Kinoblockbuster in historischem Kontext bestimmte negative Elemente einfach totschweigen, wäre das meiner Zeitung entweder mindestens einen Absatz in der eigentlichen Rezension oder gar einen eigenen Artikel wert. Wie eben den von Dom. Vergleichbares kam in der Vergangenheit nämlich schon vor. Das ist die berühmte "Meta-Ebene" - und im Feuilleton ganz normal.
Und das ist auch der Vergleichspunkt: Ein Machwerk, das ein Millionenpublikum anspricht. Völlig gleich, ob Groschenroman oder Houellebecq.
Da muss ich widersprechen. Der Groschenroman kommt trotz Millionenpublikum im Feuilleton so gut wie nie in Betracht. Und natürlich gibt es qualitative Unterschiede zwischen verschiedenen Machwerken. Wenn ein Historiker unter dem Deckmantel der Wissenschaft den Sklavenhandel relativiert hat ist das problematischer als bei der Südstaatenschmonzette. Denn das Verschweigen negativer Elemente ist fester, inhärenter Bestandteil dieser Literaturgattung, das ist keinen Artikel wert. Nun erscheinen natürlich nicht jede Woche 50 neue Annos, daher kann man Anno gerne mal als Beispiel nehmen, um bei Spielen an sich eine kritischere Auseinandersetzung mit der Geschichte einzufordern. Aber die Feststellung, dass Anno Geschichte unwahrheitsgemäß abbildet, ist und bleibt banal.
Denn Anno 1800 ist ein dummes spiel, ein wirklich unfassbar dummes Spiel. Jedes Pappbilderbuch für Zweijährige hat ausdifferenziertere Charaktere und erzählt ausgefeiltere Geschichten. Wäre Anno 1800 ein Buch oder Film, würde nicht nur Deine Zeitung das Rezensionsexemplar flugs und ungelesen in der Mülltonne entsorgen. Und um die Metaebene in einem Spiel, in dem ein Antagonist Willie Wibblesock heißt in all seiner unheimlichen Tiefe zu entschlüsseln, braucht es mit Sicherheit keinen Experten für (post)koloniales Erbe.
Phazonis hat geschrieben: 10. Okt 2019, 19:31 Auch da würde ich mal das Vielfaltsargument reinschmeissen. Ja dort würde ein Feuilletonist nicht gleich bei Solo den wiederaufflammenden Militarismus beschwören, aber da gibt es auch ausreichend Gegendarstellungen, sodass dies vielleicht nicht passiert. Im Videospiel eher selten, das entwickelt sich so langsam erst. Nun kann es natürlich sein, dass dies aus mangelnder Kenntnis des Mediums geschehen kann, dass man mal etwas früher den Untergang des Abendlandes beschwört, aber im Großen und Ganzen läge man damit trotzdem nicht ganz falsch, denn wie gesagt viele Gegendarstellungen gibt es meist nicht. Ebenso müsste sich glaube eine Unterscheidung zwischen der hohen Kunst und der niederen im Videospiel auch erstmal bilden. Halt irgendwas analog zur Groschenromankategorie. Auch das ist noch nicht wirklich geschehen.
Ja, die Menge an Spielen, die den Kolonialismus behandeln, ist überschaubar. Ob es aber angemessen ist mangels kritischer Gesamtmasse an „Gegendarstellungen“ am ersten und besten Spiel, das einem zufällig vor die Flinte läuft, stellvertretend die gesamte Wucht der Auslassungssünden zu entladen, sei mal dahingestellt.
Zuletzt geändert von Giovanni am 11. Okt 2019, 09:42, insgesamt 1-mal geändert.
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Nachtfischer
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Nachtfischer »

Peninsula hat geschrieben: 10. Okt 2019, 17:04 Ich würde einfach mal The Curious Expedition als Gegenbeispiel zu Anno in den Raum werfen. Ist natürlich ein völlig anderes Spiel, aber ich finde, dass TCE imo die Gratwanderung ziemlich gut gelingt, die Schattenseiten des Kolonialismus miteinzubeziehen. Und zwar in ein Spiel, dass weder ein pädagogisch daherkommendes Serious Game noch von der Atmosphäre her besonders düster ist.
(Ich selbst kenne das Spiel vor allem aus dem Early Access, habe diese Diskussion zum Anlass genommen, mir das fertige Spiel bald mal genauer anzusehen)
An Axel (und gerne auch andere Eskapisten hier): Hast du das gespielt und wird dir da der eskapistische Spaß verdorben?
Ich wurde zwar nicht adressiert, aber damit mal irgendjemand darauf antwortet: Ja, The Curious Expedition ist super! Für mich wahrscheinlich eines der stärksten Spiele aus Deutschland überhaupt. Auch vorbildlich wie lange (und stets sinnvoll!) die Entwickler ihr Spiel nach Release noch erweitert und verbessert haben. Mittlerweile ist ein Sequel in der Mache. Der Ton ist wie du sagst nicht total ernst oder bedrückend, aber es sorgt immer wieder für Momente, in denen man als Spieler zumindest kurz stockt: "Hm, dieses Verhalten war jetzt wohl nicht so okay?"
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Mrs »

Ich will mich gar nicht in die Schlangengrube hier begeben, aber eines würde mich doch interessieren: Stuttgarter, da für dich "dein" Feuilleton und was es angeblich tun würde der Maßstab für die Spielepresse ist (und wir jetzt sogar die Vorlieben einiger Redakteure kennen): Verrätst du uns bitte auch noch, um welche Zeitung es sich handelt?
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Stuttgarter »

Mrs hat geschrieben: 11. Okt 2019, 09:25 Ich will mich gar nicht in die Schlangengrube hier begeben, aber eines würde mich doch interessieren: Stuttgarter, da für dich "dein" Feuilleton und was es angeblich tun würde der Maßstab für die Spielepresse ist (und wir jetzt sogar die Vorlieben einiger Redakteure kennen): Verrätst du uns bitte auch noch, um welche Zeitung es sich handelt?
Nein, es ist mitnichten der Maßstab für die Spielepresse - nur ein Beispiel dafür, was Kulturkritik eben auch macht, nachdem Du so kategorisch alles mögliche ausgeschlossen hast.

Edit: Sorry, hab Dich verwechselt. Du warst nicht derjenige, der was kategorisch ausgeschlossen hat. Mein Fehler.
Zuletzt geändert von Stuttgarter am 11. Okt 2019, 10:41, insgesamt 1-mal geändert.
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Axel
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Axel »

@Stuttgarter: Warum gehst Du denn jetzt Mrs so an? Sie hat gerade das erste Mal in den Thread geschrieben. Und: Wieder weichet Du einer direkten Nachfrage aus...
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Stuttgarter »

Giovanni hat geschrieben: 11. Okt 2019, 08:37
Da muss ich widersprechen. Der Groschenroman kommt trotz Millionenpublikum im Feuilleton so gut wie nie in Betracht. Und natürlich gibt es qualitative Unterschiede zwischen verschiedenen Machwerken. Wenn ein Historiker unter dem Deckmantel der Wissenschaft den Sklavenhandel relativiert hat ist das problematischer als bei der Südstaatenschmonzette. Denn das Verschweigen negativer Elemente ist fester, inhärenter Bestandteil dieser Literaturgattung, das ist keinen Artikel wert. Nun erscheinen natürlich nicht jede Woche 50 neue Annos, daher kann man Anno gerne mal als Beispiel nehmen, um bei Spielen an sich eine kritischere Auseinandersetzung mit der Geschichte einzufordern. Aber die Feststellung, dass Anno Geschichte unwahrheitsgemäß abbildet, ist und bleibt banal.
Denn Anno 1800 ist ein dummes spiel, ein wirklich unfassbar dummes Spiel. Jedes Pappbilderbuch für Zweijährige hat ausdifferenziertere Charaktere und erzählt ausgefeiltere Geschichten. Wäre Anno 1800 ein Buch oder Film, würde nicht nur Deine Zeitung das Rezensionsexemplar flugs und ungelesen in der Mülltonne entsorgen. Und um die Metaebene in einem Spiel, in dem ein Antagonist Willie Wibblesock heißt in all seiner unheimlichen Tiefe zu entschlüsseln, braucht es mit Sicherheit keinen Experten für (post)koloniales Erbe.
Der Groschenroman wird mit Sicherheit nie eine eigene Rezension bekommen - das hab ich aber auch nirgends geschrieben. Sondern nur, dass er durchaus im Feuilleton von der Kulturkritik thematisiert werden kann. Natürlich nicht das einzelne Heft - aber spätestens bei Jubiläen einer erfolgreichen Marke ist das eine Betrachtung wert. "Jerry Cotton" dürfte mit Sicherheit schon paar Artikel verursacht haben. (Und vermutlich auch die eine oder andere Arbeit an Universitäten.)

Aber da ich da zugegebenermaßen mich nur dunkel erinnere, sowas schon im Feuilleton gesehen zu haben, mal die Gegenfrage - wie kommt man eigentlich auf die verwegene Idee, "Anno" sei ein Groschenroman? Die Story, okay - aber die ist grade bei nem "Anno" doch nur ein kleiner Teil des ganzen. (Laut Axel weiter vorn im Thread will Anno nichtmal eine Geschichte erzählen. ;) ) Ansonsten reden wir hier von einem Hochglanzprodukt mit hohem Entwicklungsbudget - das nun wirklich in keinster Weise mit einem Groschenroman gleichzusetzen ist.

Oder ist hier irgendjemand der Meinung, dass "Pulp Fiction" tatsächlich "Schund" ist? Die Story ist es definitiv. Aber der Film als ganzes eher nicht, hm?
Zuletzt geändert von Stuttgarter am 11. Okt 2019, 10:52, insgesamt 1-mal geändert.
Stuttgarter
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Stuttgarter »

Axel hat geschrieben: 11. Okt 2019, 10:23 @Stuttgarter: Warum gehst Du denn jetzt Mrs so an? Sie hat gerade das erste Mal in den Thread geschrieben. Und: Wieder weichet Du einer direkten Nachfrage aus...
Wie editiert - da hab ich mich vergallopiert. Und da Du von "direkten Fragen ausweichen" redest - Du hast auch noch einige offen, beispielsweise zum Thema "Moral/Ethik in Spielen ohne Story". ;)

Die Zeitung ist übrigens ganz banal die "Stuttgarter". Das tut aber nicht wirklich was zur Sache. Denn meine allgemeinen Aussagen treffen genauso auch auf die Süddeutsche zu, was ich von denen online schon so gesehen habe. Und selbst die ZEIT thematisiert mittlerweile nicht mehr nur Hochkultur.

Edit: Und gleich vorbeugend: Die "Stuttgarter" stellt nicht alles (kostenlos) online. Grad das Feuilleton ist online eher schwach vertreten.
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Mrs »

Stuttgarter hat geschrieben: 11. Okt 2019, 10:45 Die Zeitung ist übrigens ganz banal die "Stuttgarter". Das tut aber nicht wirklich was zur Sache. Denn meine allgemeinen Aussagen treffen genauso auch auf die Süddeutsche zu, was ich von denen online schon so gesehen habe. Und selbst die ZEIT thematisiert mittlerweile nicht mehr nur Hochkultur.
Alles gut, ich war nur neugierig. Ich habe die Stuttgarter Zeitung selbst jahrelang in Papierform gelesen und kenne sie daher ziemlich gut.
Ich habe ja durchaus Sympathie für eine "feuilletonistische" Betrachtung von Spielen, wie vermutlich die allermeisten hier im Forum, auch wenn es mir persönlich vollkommen ausreicht, das im Zeitungs-Feuilleton zu haben, wo mittlerweile ja durchaus über Spiele geschrieben wird. Die Fachpresse hat eine andere Perspektive und andere Schwerpunkte, die Redakteure größtenteils vermutlich auch einen anderen Bildungshintergrund und schreiben für eine andere Leserschaft als die Redakteure von Kulturteilen. Meines Erachtens haben beide Herangehensweisen ihre Berechtigung und ergänzen sich gut.
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whitespace
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von whitespace »

Ich muss dem Jochen bei dem Thema geschichtliche Darstellung ein wenig widersprechen. Es muss meiner Meinung nach schon eine klare Trennung erkennbar sein zwischen historischer Abbildung und historischer Abbildung wo man dann einfach unbeliebte Themen einfach ausklammert. Es geht hier auch nicht darum, Sklaverei im Bezu auf Anno jetzt historisch abzuarbeiten, aufzuarbeiten oder diesem einen hohen Stellenwert zu zu schreiben. Es geht rein darum, dass man dieses Thema einfach komplett ausklammert, als hätte es das einfach nicht gegeben. Das ist kein Angriff auf den Intellekt wie ich finde und auch keine Ignoranz dem Thema gegenüber. Aber es zeigt halt doch, dass man sich davor scheut sich damit auseinanderzusetzen.

Gerade in einer Zeit von alternativen Fakten und verleunung historischer Tatsachen (Erde ist flach, den Holocaust hat es nicht gegeben usw.). Ich finde es gehört für den historischen Aspekt einfach nicht dazu nur den positiven Aspekt darzustellen, sonder auch zu vermitteln wie es sich in einem 18 Jhdt. abgespielt hat und da gab es nunmal Kinderarbeit, Sklaverei, es war Dreckig und korrupt bis in alle Ebenen. Ich kann in diesem Schluss ja auch kein Spiel aus den 50ern bis 70ern machen und so tun als hätte es keinen Rassismus gegen Schwarze gegeben.

Als kleinen, ähnlichen Vergleich: Ich kann in einem Game of Thrones starke Frauen Charaktere einbauen, weil es ein fiktives Szenario ist. Da wird sich keiner darüber aufregen, wenn ein kleines Mädchen zur Killermaschine von einem Geheimbund ausgebildet wird.
Battlefield war da wie ich finde auch ein guter Vergleich. Ich würde, wie viele andere auch, Battlefield als geschichtlich nicht mal im Ansatz als akkurrat bezeichnen. Da kannst du Frauen in den Krieg auch rein werfen.
Auf der anderen Seite ist es aber dann ziemlich plump und dämlich, wenn ich in einer Serie wie Peaky Blinders, die in einem England der 20er und 30er spielt und dieses versucht historisch auch abzuzeichnen, heregehe und eine "Company" habe, deren Vorstand zu mehr als der Hälfte aus Frauen besteht, was man damit bergündet mit "ja wir sind halt ein fortschrittliches Unternehmen". Das ist einfach ein dummer Satz den es in dieser Zeit so nie und nimmer gegeben hätte. Zu der Zeit hat man Feminismus und Emanzipation einfach nicht als Frotschritt bezeichnet.

So funktioniert das nicht, ich muss mich halt eben entscheiden ob ich einen historische Kontext haben will oder ob ich einen völlig fiktiven haben möchte. Auch wie Andre das richtig gesagt hat, wenn ich es eben überall durchziehe und das passiert gerade beim progressiven Feminismus, dann glauben viele dann halt wirklich es hätte nie Emanzipationsprobleme gegeben. Das ist aber genauso eine Verleugnung von Tatsachen wie den Holocaust zu leugnen.
Ich finde nicht, dass political correctness und Emanzipation ein Freihfahrtsschein dafür sind eine "Feel Good" Welt aufzubauen. Gerade als Fan von Serien mit gewissen Kontroversen, finde ich diesen grundsätzlichen Positivity gedanken eher störend. Überhaupt wenn das Setting sonst alles andere ungeschont darstellt wie es eigentlich war.
Zuletzt geändert von whitespace am 11. Okt 2019, 17:05, insgesamt 1-mal geändert.
Giovanni
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Giovanni »

whitespace hat geschrieben: 11. Okt 2019, 16:35
Auf der anderen Seite ist es aber dann ziemlich plump und dämlich, wenn ich in einer Serie wie Peaky Blinders, die in einem England der 20er und 30er spielt und dieses versucht historisch auch abzuzeichnen, heregehe und eine "Company" habe, deren Vorstand zu mehr als der Hälfte aus Frauen besteht, was man damit bergündet mit "ja wir sind halt ein fortschrittliches Unternehmen". Das ist einfach ein dummer Satz den es in dieser Zeit so nie und nimmer gegeben hätte. Zu der Zeit hat man Feminismus und Emanzipation einfach nicht als Frotschritt [...] Auch wie Andre das richtig gesagt hat, wenn ich es eben überall durchziehe und das passiert gerade beim progressiven Feminismus, dann glauben viele dann halt wirklich es hätte nie Emanzipationsprobleme gegeben. Das ist aber genauso eine Verleugnung von Tatsachen wie den Holocaust zu leugnen.
Heißes Pflaster, die positive Hervorhebung von starken Frauenrollen in einer fiktiven Serien (ganz egal ob es im England der 20er spielt - ist und bleibt fiktiv) mit so etwas menschenverachtendem und durchweg Negativen wie der Holocastverleugnung gleichzusetzen.
Wer sagt denn außerdem, dass es diese starken Frauen nicht gab und sie in der zumeist männlichen Geschichstschreibung nur keinen Platz fanden? Ist doch schön mit neuen Perspektiven. Holocaustverleugnung ist dagegen einfach nur verabscheuungswürdig.
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whitespace
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von whitespace »

Giovanni hat geschrieben: 11. Okt 2019, 17:00 Heißes Pflaster, die positive Hervorhebung von starken Frauenrollen in einer fiktiven Serien (ganz egal ob es im England der 20er spielt - ist und bleibt fiktiv) mit so etwas menschenverachtendem und durchweg Negativen wie der Holocastverleugnung gleichzusetzen.
Wer sagt denn außerdem, dass es diese starken Frauen nicht gab und sie in der zumeist männlichen Geschichstschreibung nur keinen Platz fanden? Ist doch schön mit neuen Perspektiven. Holocaustverleugnung ist dagegen einfach nur verabscheuungswürdig.
Ja, und wer sagt denn außerdem, dass die zu der Zeit nicht auf Wölfen geritten sind.
Etwas mit "wer sagt denn..." einzuleiten ist kein Argument. Es ist auch keine "positive Hervorhebung" wenn du sie gleichgestellt behandelst in einer Zeit die extrem stark vom Chauvinismus geprägt war und das dann eben mit virtue signaling und phrasen aus der heutigen Zeit untermauerst um dein Statement anzubringen.
Sich darauf auszureden etwas sei "fiktiv" ist übrigens außerhalb des Kontexts einer Dokumentation oder Biografie die billigste Ausrede vor einer Auseinandersetzung zu flüchten. Fiktiv ist letztlich alles; Trotzdem gibt es einen Immersionsbruch.
REDDF1VE
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von REDDF1VE »

Ich habe die Folge jetzt erst gehört.

Ich finde Jochen's Argumentation zum Thema Anno und den Sklaven nicht ganz nachvollziehbar nach dem Motto "Was glaubst du, dass ich vergesse, dass es in 1800 Sklavenarbeit gab? Ich habe da mehrere Bücher im Schrank. Wie viele hast du? Für wie dumm hältst du mich? Willst du mich beleidigen?"

Ich denke, es ist eben schon ein Problem, wenn historische Spiele Geschichte schief darstellen. Und im Vergleich zu Wolfenstein ist Anno 1800 aus meiner Sicht schon ein historisches Spiel. Ein beliebtes Beispiel sind ja auch die Spataner, die jetzt für viele so aussehen wie in "300". Und der "Sparta-Kick" wird dann auch in Assassins Creed Odyssey verwendet. So bilden eskapistische Spiele und Filme ein verzerrtes Geschichtsbild in der Gesellschaft. Ist das nicht schon ein Problem, das man zumindest ansprechen kann?

Andre war ja das beste Beispiel, als er sagte, dass die echten Fotos, die er von der Normandie sah, für ihn erstmal falsch aussahen. Weil das Bild u.a. durch Hollywood-Filme und Ego-Shooter erschaffen wurde.

Da könnte man schon fragen: Wenn man Geschichte als Setting wählt, sollte man sie dann so sehr verschönern? Oder sollte man dann nicht eben ein Fantasie-Szenario wählen? Oder zumindest den von Andre erwähnten Spruch "Dieses Spiel spielt in einer glorifizierten Vergangenheit", den fand ich ganz gut.
Rigolax
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Rigolax »

REDDF1VE hat geschrieben: 13. Okt 2019, 18:21Ich denke, es ist eben schon ein Problem, wenn historische Spiele Geschichte schief darstellen. Und im Vergleich zu Wolfenstein ist Anno 1800 aus meiner Sicht schon ein historisches Spiel. Ein beliebtes Beispiel sind ja auch die Spataner, die jetzt für viele so aussehen wie in "300". Und der "Sparta-Kick" wird dann auch in Assassins Creed Odyssey verwendet. So bilden eskapistische Spiele und Filme ein verzerrtes Geschichtsbild in der Gesellschaft. Ist das nicht schon ein Problem, das man zumindest ansprechen kann?

Andre war ja das beste Beispiel, als er sagte, dass die echten Fotos, die er von der Normandie sah, für ihn erstmal falsch aussahen. Weil das Bild u.a. durch Hollywood-Filme und Ego-Shooter erschaffen wurde.
Mal ketzerisch gefragt: Ist es wirklich so schlimm, wenn derartige Details sich durch Medien ungenau/inkorrekt in den Köpfen festsetzen? Dass sind imho nicht entscheidende historische Details, aus denen die Durchschnittsperson verheerenden Schlüsse ziehen könnte.

Fraglich wäre eher, wenn jemand etwa durch Anno 1800 auf die Idee käme, dass diese Kolonialisierungszeit Friede, Freude, Eierkuchen gewesen wäre oder falls z. B. jemand Bethesdas Wolfenstein dahingehend interpretiert, dass der Nationalsozialismus als Regierungsform überlegen wäre, weil die Nazis das super Sci-Fi-Regime in wenigen Jahren nach Kriegsgewinn errichten konnten. Aber solche Schlüsse ziehen Menschen dann doch eher nicht.

Oder anders gesagt: Je krasser die potentielle Fehlvorstellung, desto unwahrscheinlicher setzt sie sich imho fest. Ich will nicht ausschließen, dass das passieren kann, vor allem bei jüngeren Rezipienten, aber es ist doch weniger wahrscheinlich. Man muss dann auch abwägen: Wie problematisch ist es, wenn sich Details falsch festsetzen und leichte Mythen entstehen (könnten), inwiefern lohnt es sich dafür, Kreativität zu beschneiden?
RogueMike
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von RogueMike »

Musikalischer Eskapismus mit Videospiel-Bezug in Reinform, spielend in den neonerleuchteten 80ern, die bekanntlich mindestens bis 1991 (vielleicht sogar bis heute) andauern:

https://www.youtube.com/watch?v=DDtaDWel5bs
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Naitomea
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Naitomea »

Andre Peschke hat geschrieben: 9. Okt 2019, 14:45 Kritik, deren Gegenstand letztlich unwichtig ist, ist falsch. Nicht inhaltlich falsch vielleicht, aber es ist falsch sie zu äußern
Na dann könnt ihr den Laden hier ja dicht machen :ugly:

Mal im ernst. Ich weiss nicht, wie man das zusammenkriegen kann. Hier haben etliche Leute erklärt, dass sie die Kritik von Dom relevant und spannend fanden. Und jetzt soll es gleichzeitig ok sein, Kritik an Kritik falsch zu finden und damit implizit weg haben zu wollen, aber ein Spiel anders haben zu wollen ist ein so eindeutiges NoGo, dass es einen 60minütigen Rant rechtfertigt?

Weiterhin war ich etwas verwundert, wie ihr mit den Begründungen, mit denen ihr die Kritik an Anno abschmettert, jemals die Sarkeesian-Folge machen konntet, bei der meiner Erinnerung nach die femfreq-Videos (die jetzt auch nicht gerade viel Empathie mit den Leuten zeigen, die halt Sexismus in Spielen gewohnt sind) ja tendenziell sogar positiv weggekommen sind.
Stuttgarter
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Re: Runde 235: Eskapismus

Beitrag von Stuttgarter »

Naitomea hat geschrieben: 14. Okt 2019, 17:45
Na dann könnt ihr den Laden hier ja dicht machen :ugly:

Mal im ernst. Ich weiss nicht, wie man das zusammenkriegen kann. Hier haben etliche Leute erklärt, dass sie die Kritik von Dom relevant und spannend fanden. Und jetzt soll es gleichzeitig ok sein, Kritik an Kritik falsch zu finden und damit implizit weg haben zu wollen, aber ein Spiel anders haben zu wollen ist ein so eindeutiges NoGo, dass es einen 60minütigen Rant rechtfertigt?

Weiterhin war ich etwas verwundert, wie ihr mit den Begründungen, mit denen ihr die Kritik an Anno abschmettert, jemals die Sarkeesian-Folge machen konntet, bei der meiner Erinnerung nach die femfreq-Videos (die jetzt auch nicht gerade viel Empathie mit den Leuten zeigen, die halt Sexismus in Spielen gewohnt sind) ja tendenziell sogar positiv weggekommen sind.
<3
Danke.
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