Runde #238: Der Anschlag von Halle und die Videospiele (ft. Christian Schiffer)

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Phazonis
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Re: Runde 238: Der Anschlag von Halle und die Videospiele (ft. Christian Schiffer)

Beitrag von Phazonis »

monieu hat geschrieben: 29. Okt 2019, 15:54 3) Den Anknüpfungspunkt gamification halte ich tatsächlich für irrelevant. Hauptsächlich, weil gamification meines Erachtens eigentlich für die meisten Anwendungen der falsche Begriff ist. Vielleicht auch der Grund, warum Christian von nudging sprechen wollte. Gamification impliziert, dass man aus einer Alltags-/Ausbildungs-/Berufssituation ein Spiel macht. Meistens geht es aber darum Anreiz für ein bestimmtes definiertes Verhalten zu geben. Die "gamification" am Urinal soll dazu führen, dass der Urinstrahl einen Punkt möglichst genau trifft, es soll keine Einladung sein spielerisch Figuren zu zeichnen oder so. Aber nicht nur freies Spiel sondern auch games, also formalisierte Spiele, eröffnen einen Möglichkeitsraum oder variieren zumindestens die Art der Herausforderung. Tatsächlich steht eine spielerische Aufbereitung also oft dem Ziel entgegen zu -einem- optimalem Verhalten zu animieren. Es mag im gamification-Bereich ein paar Beispiele geben, wo man wirklich ein Spiel erzeugt, also etwa alle Lernspiele. Aber meistens ist gamification eigentlich der Verkauf von simplen feedback-Mechanismen als "real life"-Spiel und das lässt sich in der Tat besser verkaufen als etwa nudging, was doch recht stark mit Manipulation assoziiert ist. Sportification oder Feedbackifizierung wären zutreffender.
Ich denke das kommt sehr drauf an wie eng man Defintionen anlegt, ab wann etwas wirklich gamifiziert ist. Um mal ein glas klares Beispiel zu liefern: https://www.youtube.com/watch?v=0mTWZvd5V3c hier werden richtige kleine Spiele desgint, in dennen du dadurch bestehst, dass gewünschte Verhalten auszuführen, also wenn das nicht Gamification ist, dann ist gar nichts Gamification. Der Streitpunkt sind dann die Randbereiche, wie Ranglisten oder wie in unserem Beispiel Achievements. Diese werden gerne häufiger eingesetzt, weil es einfacher ist zu einzubauen. Nur jedem ist klar, dass ein Spiel ja nicht nur aus diesen Mechanismen besteht. Ob man also eine Arbeitssituation, in dennen du für bestimmte abgeschlossene Aufgaben EXP bekommst, und dann eventuell im Level aufsteigst, schon als Gamifizierung bezeichnen darf, oder man eher der Meinung ist das reicht nicht, weil es die Arbeit ja nicht wirklich in ein Spiel verwandelt, kann man sicherlich bis ans Ende der Zeit diskutieren. Das Thema denke ich ist aber schon relevant egal ob man es nun unter dem Dachbegriff Gamification macht oder einem anderen, weil man glaubt das dieser präziser ist tut da wenig zur Sache.
monieu
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Re: Runde 238: Der Anschlag von Halle und die Videospiele (ft. Christian Schiffer)

Beitrag von monieu »

Eine gamification-Begriffsdebatte gehört dann aber auch in einen eigenen thread, deswegen ganz kurz: Dein Beispiel ist zwar eine gamifizierte Toilette aber wenn ich das richtig sehe, ist das Ziel dabei einen Toiletten-Spielautomaten zu haben. Es ist kein Beispiel, wo ein anderer Nutzen über ein Spiel erzielt werden soll, wie etwa bei einem Lernspiel. Und damit sprechen wir von einer anderen Form von gamification. Sprich man verwandelt einen Alltagsgegenstand in ein Spielzeug, statt ein zu bewältigendes Alltagsproblem in ein Spiel umzuwandeln.
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DickHorner
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Re: Runde 238: Der Anschlag von Halle und die Videospiele (ft. Christian Schiffer)

Beitrag von DickHorner »

Danke für diesen Podcast, wirklich differenziert und vielschichtig aufgearbeitet. Richtig saubere Arbeit. Das sind wirklich die Sternstunden, die Euch herausstehen lassen. Danke!
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Andre Peschke
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Re: Runde 238: Der Anschlag von Halle und die Videospiele (ft. Christian Schiffer)

Beitrag von Andre Peschke »

ZiggyStardust hat geschrieben: 29. Okt 2019, 14:13 Ist das bei einem so kontroversen Thema nicht absehbar, dass man es nicht allen Recht machen kann? Bei 99% der Podcasts fällt das Feedback ja überwiegend positiv aus.
Klar. Das macht aber die Wortmeldungen von denjenigen, denen es gefallen hat, nicht weniger wertvoll. Der Prozess ist zudem ja so, dass der zufriedene Hörer erstens weniger oft ins Forum hüpft um das einfach mitzuteilen. Und wenn er es tut, dann kriegt er darauf meistens auch keine Antwort, weil man das liest, sich freut, aber darauf eben nichts zu entgegnen hat, dass die Diskussion im Thread weiterbringen würde. Daher wollte ich an der Stelle mal wenigstens von meiner Seite aus hier mal ein Signal zurücksenden, dass das gelesen wird und emotional sehr wünschenswert ist. :)
DickHorner hat geschrieben: 29. Okt 2019, 18:13 Danke für diesen Podcast, wirklich differenziert und vielschichtig aufgearbeitet. Richtig saubere Arbeit. Das sind wirklich die Sternstunden, die Euch herausstehen lassen. Danke!
In diesem Sinne: Danke! :)
monieu hat geschrieben: 29. Okt 2019, 16:46 Sprich man verwandelt einen Alltagsgegenstand in ein Spielzeug, statt ein zu bewältigendes Alltagsproblem in ein Spiel umzuwandeln.
Finde, das ist schon ähnlich gelagert. Im Grunde geht es ja darum, durch die Spielelemente eine Kooperation zu befördern. Der Arbeitgeber hofft, dass die Gamification dabei hilft, dass der Mitarbeiter sich willfähriger mit vielleicht unliebsamen Arbeiten befasst. Der Toilettenaufsteller möchte, dass der Gast sich beim Pinkeln anstrengt, keine Sauerei zu hinterlassen. In beiden Fällen soll die Gamification die Motivation erhöhen, Zielvorgaben zu erfüllen.

Die meisten Gamification-Modelle, die mir bislang begegnet sind, waren auf eine solche Motivationssteigerung aus, waren im Grunde eine moderne Version von Anreizsystemen. Deswegen sind sie ja auch erstmal so "hype" gewesen, IMO, weil Arbeitgeber hofften, dass sie im Grunde die klassische leistungsgebundene Bezahlung wie zB eine Zielvereinbarung mit Bonus durch ein effektiveres System ersetzen können, dass auch noch nix kostet (nach der Einführung) und vllt. sogar durch Wettbewerbscharakter die Mitarbeiter gegeneinander wetteifern lässt, wer die fleißigste Arbeitsbiene mit den meisten Punkten wird.

Andre
monieu
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Re: Runde 238: Der Anschlag von Halle und die Videospiele (ft. Christian Schiffer)

Beitrag von monieu »

Andre Peschke hat geschrieben: 29. Okt 2019, 18:15Finde, das ist schon ähnlich gelagert. Im Grunde geht es ja darum, durch die Spielelemente eine Kooperation zu befördern. Der Arbeitgeber hofft, dass die Gamification dabei hilft, dass der Mitarbeiter sich willfähriger mit vielleicht unliebsamen Arbeiten befasst. Der Toilettenaufsteller möchte, dass der Gast sich beim Pinkeln anstrengt, keine Sauerei zu hinterlassen. In beiden Fällen soll die Gamification die Motivation erhöhen, Zielvorgaben zu erfüllen.
Für die Standardausführung eines Urinals mit kleinem Zielpunkt trifft das sicherlich zu. Wie im ersten Beitrag ausgeführt, würde ich das aber nicht als game sehen. Ich habe mal nachgeguckt. Das von Phazonis verlinkte Beispiel:
Phazonis hat geschrieben: 29. Okt 2019, 16:27Um mal ein glas klares Beispiel zu liefern: https://www.youtube.com/watch?v=0mTWZvd5V3c hier werden richtige kleine Spiele desgint, in dennen du dadurch bestehst, dass gewünschte Verhalten auszuführen, also wenn das nicht Gamification ist, dann ist gar nichts Gamification.
wird tatsächlich mit dieser Funktionalität beworben: http://toylets.sega.jp/products.html Diese Produktseite verspricht unter anderem クリンネス also "cleanness". Aber es befindet sich, wenn ich was im Video gesagt wird richtig verstehe in einem "game theatre" und ich denke in dieser Elaboriertheit ist es dann schon eher ein gimmick. Man braucht ja auch länger an der Toilette und auf den Bildschirm zu schauen, ist im Zweifelsfall vielleicht doch weniger wirksam als der direkte Blick auf das visuelle Feedback, wo man sich hin entleeren soll. Leider genügt mein Japanisch dann doch nicht, um zu verstehen, wie sich dieses Produkt platziert.

Um auf den eigentlich Punkt zurückzukommen: Gamification ist für die Spieleindustrie ein consulting-Nebengeschäft, wo sie meist reine Spielmechaniken anpreisen. Umso weniger sehe ich einen ideologischen Transfer oder eine Art inhärente Verrohung, die man vielleicht einer "Gamer-Szene" unterstellt und die auf dem Wege der gamification jetzt Terrorismus wahrscheinlicher oder schlimmer macht. Den tieferen Bezug kann man einfach nicht herstellen. Insofern ist das, wenn es sich denn um bewusste gamification handelt, nur die Integration teils vermeintlicher Innovation in den Gewaltaktivismus und/oder eine Amokkultur. Wie ihr in der Folge meine ich auch ähnlich gesagt habt. Oberflächlich hat man über den Begriff eine Assoziation zu game. Aber die halte ich wie gesagt nicht mal für gerechtfertigt.
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Andre Peschke
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Re: Runde 238: Der Anschlag von Halle und die Videospiele (ft. Christian Schiffer)

Beitrag von Andre Peschke »

monieu hat geschrieben: 29. Okt 2019, 19:16 Um auf den eigentlich Punkt zurückzukommen: Gamification ist für die Spieleindustrie ein consulting-Nebengeschäft,
Wenn überhaupt.
monieu hat geschrieben: 29. Okt 2019, 19:16 wo sie meist reine Spielmechaniken anpreisen. Umso weniger sehe ich einen ideologischen Transfer oder eine Art inhärente Verrohung, die man vielleicht einer "Gamer-Szene" unterstellt und die auf dem Wege der gamification jetzt Terrorismus wahrscheinlicher oder schlimmer macht. Den tieferen Bezug kann man einfach nicht herstellen.
Agree. Sagte ich ja bereits im Podcast: Die Dinge, die da aufgefürt werden, sind auch in Summe nicht wirklich neu und werden jetzt nur unter einem neuen Buzzword repackaged.

Andre
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Kesselflicken
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Re: Runde 238: Der Anschlag von Halle und die Videospiele (ft. Christian Schiffer)

Beitrag von Kesselflicken »

Die Folge habe ich zwar schon Sonntag gehört, aber kam erst jetzt dazu mal den Thread komplett zu überfliegen.

Kann die Ablehnung gegenüber der Diskussion über die Ästhetik des Videos glaube nachvollziehen. Ich fand es auch erst mal unangenehm und befremdlich zu hören, dass Ihr euch das wirklich angeschaut habt. Aber wie andere im Thread schon gut beschrieben haben: Nachdem ich diesen ersten Impuls überwunden habe, fand ich diese Meinungen aus erster Hand auch sehr wichtig und gewinnbringend. Danke dafür! Ich könnte mir sowas nicht ansehen.

Inhaltlich habe ich zur Diskussion nicht mehr viel beizutragen, aber wollte nochmal loswerden, dass ich die Folge echt gelungen fand. Gerade in Anbetracht des sensiblen Themas.
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Hegelkant
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Re: Runde 238: Der Anschlag von Halle und die Videospiele (ft. Christian Schiffer)

Beitrag von Hegelkant »

Ich habe bei der Folge häufiger an Wolfgangs Kolumne vom August(?) denken müssen, wo er erzählte, dass die Studien in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Games (insb. Shootern) und Gewaltbereitschaft aus einer Zeit stammen, wo die technische Qualität der Spiele noch bei Weitem nicht so weit war wie heute. Und dass heute, in einer Zeit, wo wir immer mehr in Richtung Fotorealismus schreiten, eine solche Untersuchung vielleicht anders aussehen würde.
Ein zweites Thema in dem Zusammenhang ist für mich die Immersion. Wenn Immersion bedeutet, kurzzeitig (also für die Dauer, in der die Immersion anhält) die Fähigkeit zur Selbstreflexion zu verlieren, sollte man über "Immersion in Shootern" nochmal nachdenken. Vielleicht reicht ja bei gewissen Spielen nicht einfach ein frühes Geburtsdatum auf dem Personalausweis, das zwar das Alter, aber nicht die Reife nachweist, um das Spiel spielen zu können. Vielleicht braucht man in Zukunft auch für gewisse Spiele einen wie-auch-immer-gearteten Nachweis, dass man psychisch gefestigt genug ist, dieses Spiel zu spielen?
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