Gänsehaut - Hexen

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Don Mchawi
Beiträge: 414
Registriert: 8. Nov 2017, 08:44

Gänsehaut - Hexen

Beitrag von Don Mchawi »

Moin,

schönes Thema. Da noch kein Thread offen ist, mache ich das mal... passend zu meinem Nickname.
Habe allerdings gerade erstmal nach der Hälfte ausgemacht, da ich Hagazussa zwar schon ewig auf meiner Netflixliste, aber noch immer nicht gesehen habe. Da ich bisher gar nix dazu weiß, außer dass es um Hexen geht und der Film glaube ich auch eher ruhiger erzählt, wollte ich die Chance nutzen, jungfräulich an ihn zu gehen.
Fand Hexen früher als Figur recht spannend (Märchen, Die Hexe und der Zauberer, okay, Bibi mochte ich auch), dann historisch und aus sozial-kultureller Perspektive, später und aktuell auch aus interkultureller Perspektive.

Den Hexenhammer habe ich seit über zehn Jahren im Regal stehen, teilweise unglaublich amüsant, was für anekdotische Charakterisierungen dort drin stehen. Von Schwundzaubern, mit denen das männliche Glied verschwindet, über die Gerichtsführung. Sehr merkwürdig das aus heutiger Perspektive zu lesen, aber auch stellenweise wirklich unterhaltsam. Und gruselig, mit dem Wissen, dass es tatsächlich zur Hochzeit der deutschen Hexenverfolgungen im 17. Jahrhundert als Prozessbuch diente. Habe den damals als Quelle für meine Facharbeit im Leistungskurs Geschichte in der Schule gekauft, die ich frei gewählt über die Hexenprozesse in Rheinbach (auch 17. Jhdt) geschrieben habe.

Später dann während einer mehrjährigen Lebensphase in Ostafrika hatte ich nochmal einen gänzlich anderen Bezug zu dem Thema. Da würde ich auch Dom widersprechen, der ja von modernen Zuschauern sprach, die wissen, dass es keine Hexen gebe. Das mag für den westlichen Kulturkreis zutreffen, aber Hexen und der Hexenglaube gehören in Ostafrika auch heute noch zur Gesellschaft. Das hat auch nichts mit Rückständigkeit o.ä. zutun, um das gleich mal abzuhaken. Die religiöse Prägung ist eben eine andere und hier, wie ich Dom widerum zustimme, ist es eben auch spannend, Hexen nicht nur als Antagonisten zu sehen. Während des Genozids in Ruanda 1994 beispielsweise gab es eine ältere Frau in dörflicher Umgebung, die sehr um Kräuter und Naturheilkunde bewandert war und von allen als Hexe gesehen, respektiert und sicher auch gefürchtet wurde. Sie hat ganz offen in ihrem Haus verfolgte Tutsi beherbergt und vor den Häschern bewahrt. Als die Mörder mit ihren Macheten und Knüppeln an der Tür standen, sagte sie ihnen ganz offen, sie können eintreten und ihr Werk verrichten. Stiegen sie aber über ihre Türschwelle, würde ein Zauber auf sie wirken, den sie selbst aussprach. Die Tutsi überlebten, die Mörder trauten sich nicht in das Haus.

Ansonsten gibt es aber auch in Ostafrika Hexerei als Angstmacher. Ich arbeitete eine Zeit lang an einer Sekundarschule im dörflichen Raum Westtansanias, von der eines Tages ein Mädchen verschwand. Spurlos - erst Wochen später meldete sich ein Priester aus einer tausenden Kilometer entfernten Stadt, er habe das Mädchen (das er selbst nicht zuvor kannte) in seinen Träumen gesehen, wie es in seiner Stadt in den Fängen von Hexen sei und es danach befreit. An die Schule kam das Mädchen dennoch nie zurück, aber wohl zu ihrer Familie.

Der Glaube an Hexerei hat stellenweise auch furchtbare Auswüchse. Relativ bekannt sind etwa die Morde an Albinos in Tansania und Malawi, deren Gliedmaßen als magisch und mächtig gelten. Auch hier, kurz um es einzuordnen, dieser krasse Glaube ist ein Minderheitsglaube und gegen ihn wird gesellschaftlich und juristisch hart vorgegangen. Aber er existiert. Genauso wie eine Mordserie in Nordwesttansania, in der um die zwanzig Männer ermordet wurden, ihre Leichen blutleet zurückgelassen. Als nach Monaten die Täter gefasst wurden, kam raus: Eine Gruppe Jugendlicher, die das Blut an Hexen für ihre Rituale und Zauber verkauft hatten. Das ist übrigens keine übertriebene Story, die Morde passierten zum Teil wenige hundert Meter von meinem Haus, in dem ich damals wohnte.

Gut, das waren jetzt natürlich die krassesten Beispiele. Die meisten Einsätze für Hexen sind dann Potenz- und Liebeszauber, natürlich :ugly:
Jedenfalls wenn ich mit ostafrikanischen Freunden über Hexerei spreche und frage, ob sie an die Existenz selbiger glauben, antworten die meisten (auch hier natürlich nicht alle): "Ich glaube nicht daran, ich weiß dass es sie gibt. Wir wissen, dass es sie in Europa nicht gibt, hier aber schon".
Einer Hexe selbst bin ich noch nicht begegnet, aber dadurch viel mit dem Glauben an sie in Kontakt gekommen. Bei Exorzismen, in denen Dämonen ausgetrieben wurden, war ich passiv selbst dabei. Der Glaube an Pakte mit dem Teufel, Bessesenheiten und Hexerei ist ja eng miteinader verbunden.
Und, um die Klammer zu schließen für jene, die noch immer mitlesen, mein Nickname hier, Mchawi, ist Swahili und bedeutet (geschlechterneutral)- Hexe(r).

In diesem Sinne gucke ich mir vlt heute Abend mal Hagazussa an und freue mich auf die zweite Hälfte des Casts. :mrgreen:
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bluttrinker13
Beiträge: 4897
Registriert: 4. Jun 2016, 22:44

Re: Gänsehaut - Hexen

Beitrag von bluttrinker13 »

Cooler Post, vor allem cool auch dass du am Ende das Rätsel um deinen Nick aufklärst!
:D :clap:

Erinnert mich an den Beitrag den ich mal für eine Kinderuni recherchiert habe, was Zombies angeht (wen es interessiert: Wade Davis wäre hier der Suchnukleus). Der zentrale und meines Erachtens interessante Punkt war eben auch klarzumachen: Klar gibt (oder gab, not sure) es Zombis. Aber eben nicht so wie im Film als Untote die andere beißen etc, vielmehr als kulturelles und echtes Phänomen das viel mit Macht, Glaube und Emotionen zu tun hat, und ein klein wenig mit Tetrodoxin. ;)
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Dom Schott
Beiträge: 494
Registriert: 7. Mai 2018, 13:18

Re: Gänsehaut - Hexen

Beitrag von Dom Schott »

Don Mchawi hat geschrieben: 1. Mär 2020, 11:39 Später dann während einer mehrjährigen Lebensphase in Ostafrika hatte ich nochmal einen gänzlich anderen Bezug zu dem Thema. Da würde ich auch Dom widersprechen, der ja von modernen Zuschauern sprach, die wissen, dass es keine Hexen gebe. Das mag für den westlichen Kulturkreis zutreffen, aber Hexen und der Hexenglaube gehören in Ostafrika auch heute noch zur Gesellschaft. Das hat auch nichts mit Rückständigkeit o.ä. zutun, um das gleich mal abzuhaken. Die religiöse Prägung ist eben eine andere und hier, wie ich Dom widerum zustimme, ist es eben auch spannend, Hexen nicht nur als Antagonisten zu sehen.
Danke für deinen ausführlichen Kommentar - und sehr gute Anmerkung hier, das ist mir natürlich bewusst, aber trotz aller Umsichtigkeit rutsche ich manchmal, wenn mich wie in diesem Fall mein eigener Monolog ganz besonders packt, wieder zurück auf meinen westlichen Tellerrand und verschlucke diese Infos. Pardon und danke! Dazu fällt mir auch ein, was ich im Podcast ganz vergessen habe anzusprechen: In meinem Freundeskreis gibt es eine Person, die sich selbst als Hexe beschreibt, magische Rituale durchführt und sich generell extrem viel mit diesem Thema beschäftigt. Moderne Hexen sind auch in unserer westlichen Gesellschaft ein großes Thema, ich erinnere mich da zB an die Flüche gegen Trump: https://www.theguardian.com/lifeandstyl ... st-witches sehr spannend alles!
Katzen sind super, Zitronenlimo auch und Archäologie ebenfalls.
https://okcool.space/
Sanity Assassin
Beiträge: 315
Registriert: 4. Feb 2017, 14:23

Re: Gänsehaut - Hexen

Beitrag von Sanity Assassin »

War eine tolle Folge mit vielen spannenden Gedanken und Infos.
Allerdings dachte ich die ganze Zeit, dass das hier ja eigentlich mehr als alle anderen Themen eines ist, bei dem eine Frau in der Diskussion hilfreich gewesen wäre. Denn um eines kommt man bei dem Thema nicht herum (wurde ja auch angerissen): die Hexenverfolgung war reiner, kondensierter Frauenhass unter religiösem Deckmantel, insbesondere gegen unabhängige Frauen (Stichworte allein leben, sexuelle Selbstbestimmung, beruflich kompetent...). Das sprengt wahrscheinlich in seiner Gesamtheit auch den Rahmen des Formats bzw. des Podcasts generell, aber ich merke gerade, dass ich sehr gern ganz allgemein einen coolen Podcast zu dem ganzen historischen Hintergrund hören würde. :D
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Ironic Maiden
Beiträge: 798
Registriert: 6. Apr 2016, 22:06

Re: Gänsehaut - Hexen

Beitrag von Ironic Maiden »

Sanity Assassin hat geschrieben: 9. Mär 2020, 15:44 die Hexenverfolgung war reiner, kondensierter Frauenhass unter religiösem Deckmantel, insbesondere gegen unabhängige Frauen (Stichworte allein leben, sexuelle Selbstbestimmung, beruflich kompetent...).
Daher finde ich das auch ganz faszinierend, wie unterschiedlich die Figur der Hexe bewertet wird. Ich z.B. habe überhaupt keine Angst vor Hexen in Filmen und Büchern. Ich bin mit der Hexe als positive Figur aufgewachsen. Bibi Blocksberg und die kleine Hexe sind natürlich die simpelsten Beispiele. Aber auch in den meisten Jugendbüchern, die ich gelesen habe, waren Hexen positiv besetzt. In historischen Romanen über Hexenverfolgung wird dieser Hass gegen unabhängige Frauen ja oft thematisiert und die Vermischung aus Aberglauben und persönlichen Motiven als Ursache für die Verbrennungen dargestellt. Aber auch in der Fantasy gib es doch eher selten den tapferen Inquisitor, der die rechtschaffene Dorfbevölkerung vor der bösen Hexe bewahrt, indem er die fiese Kuh anklagt und verbrennt (außer vielleicht bei sowas wie Warhammer, aber das ist nochmal eine ganz andere Richtung).
Ich wurde letztendlich damit erzogen, die Hexe als positives Vorbild zu sehen.

Umso verblüffter war ich dann, als ich vor ein paar Jahren an einer Schule im ländlichen Raum erlebt habe, dass über eine Kollegin "Frau XY ist eine Hexe" an die Wand geschmiert wurde, und die verantwortlichen Schüler das tatsächlich als böse Beleidigung gesehen haben. Für mich war das als Aussage eher "Frau XY ist eine unabhängige Frau mit einer starken Meinung, die mehr weiß als andere und das auch zeigt" und ich habe das intuitiv erst mal als Kompliment gesehen. (Die betroffene Kollegin übrigens auch. :) )

Daher tue ich mich auch schwer damit, mich in Horrorfilmen vor Hexen zu gruseln, bzw. die Aussage "Da steckt eine Hexe dahinter" ist für mich erstmal nichts beängstigendes. "The VVitch" (den ich für sehr überschätzt halte) habe ich daher auch erstmal als Emanzipationsgeschichte aus repressivenn patriarchalen Strukturen gelesen, und weniger als Horrorfilm.
Aber spannend zu sehen, dass die Hexe teilweise so anders gesehen wird.
In Wirklichkeit bin ich Janna und podcaste hier ab und zu. Und in echt bin ich auch nicht so grün und flauschig wie auf dem Profilbild. Man kann mich auch auf Bluesky finden.
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Heretic
Beiträge: 4998
Registriert: 20. Mai 2016, 13:30

Re: Gänsehaut - Hexen

Beitrag von Heretic »

Mir hat "The VVitch" sehr gut gefallen, aber als Horrorfilm habe ich ihn auch eher weniger wahrgenommen. Im Filmbereich fallen mir auf Anhieb nur zwei Beispiele für richtig böse Hexen ein: "The Blair Witch Project" und die 3 Mütter-Trilogie von Argento. Interessanterweise bleiben die Hexen die meiste Zeit im Dunkeln bzw. im Fall der Blair-Hexe sogar ein unsichtbarer Mythos. Es gibt sicherlich noch diverse Horrorschinken mit bösen Hexen, aber meist kommen die Hexenjäger bzw. die Kirche ebenfalls nicht gut weg.

Ich bin übrigens mit der klassischen, kinderfressenden Hexe aus Grimms Märchen großgeworden. Angst hatte ich vor der aber nie so wirklich. Keine Ahnung, woran das liegt. :D
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Nyarly362
Beiträge: 112
Registriert: 9. Sep 2019, 18:03

Re: Gänsehaut - Hexen

Beitrag von Nyarly362 »

Noch eine kleine Buchempfehlung (heroisch geklaut aus dem Forum von "Kapitel Eins"):
Hex von Thomas Olde Heuvelt. Der User beschreibt en Anfixen durch die ersten Sätze. Das ging mir auch so, hab das Buch dann auch recht fix durchgelesen und bin wirklich begeistert. Spielt in der internationalen Ausgabe in Neuengland (ehemalig Niederländisches Territorium), in der niederländischen aber wohl in den Niederlanden (und hat dort auch einen anderen Schluss). Die deutsche Übersetzung war sehr gut und flüssig lesbar und der Horror der Hexe wirkt auch in der modernen Zeit, der Autor hat sich einen eleganten Kniff überlegt, wie die Öffentlichkeit draußen bleiben muss obwohl jeder Internet hat.
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tyr
Beiträge: 24
Registriert: 12. Sep 2017, 12:50

Re: Gänsehaut - Hexen

Beitrag von tyr »

Guter Podcast!
Aber Dom tut mir schon sehr leid, ich bin ebenfalls in einem kleinen Dorf in Bayern (na gut... Franken) aufgewachsen, aber solche Erziehungsmethoden/lokale Geschichten die Kinder vor Schaden bewahren sollen gab es bei uns nicht. Ich musst hier beim hören wirklich laut "WTF" sagen...

Zum Thema Hexenverbrennung empfehle ich mal sehr die Geschichte der Familie des Kanzlers Haan in Bamberg, siehe http://www.hexen-franken.de/hinrichtung ... t-bamberg/ (runterscrollen). Als jemand der in Bamberg zur Schule ging, war das schon irgenwie... sonderbar, vor allem weil es da eine Bäckerei gibt, die sich im Winter in ein "Lebkuchen-Hexehaus" umdekoriert, und dabei realtiv nahe an dem Ort liegt, an dem damals das Malefizhaus lag.

In Massen, zum Teil ungezählt und ungenannt, wurden Frauen und hier auch bis zu 25 % Männer dem Feuer übergeben wegen Hexerei und Zauberei oder einfach weil sie den Fürstbischöfen im Wege standen. Weit über 300 namentlich bekannte und mindestens 100 weitere Opfer sind zu beklagen, die in einem eigens erbauten Hexenhaus eingekerkert wurden und von einem eigens angestellten Scharfrichter und drei Hexenkommissaren gefoltert und hingerichtet wurden
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