Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

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Timberfox13
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Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Timberfox13 »

Woran erkennt man einen tiefgründigen Podcast?

Daran, daß 1/3 der Zeit erst einmal zur Begriffdefinition genutzt wird!


Hochinteressanter Beitrag und Danke erst einmal an Wolfgang und Prof. Dr. Daniel M. Feige.
Ihr seid wirklich gut aufeinander eingegangen und man (ich) hatte immer den Eindruck, daß sich hier 2 Menschen unterhalten haben, die mit beiden Füßen im Thema stehen.
Ist zwar jetzt nicht unbedingt die Kost für 09-10 Uhr Morgens aber hat Spaß gemacht.

Alleine die oben angeführte Definition der Begrifflichkeiten war in einer Zeit, in der auch mal schnell mit sehr spezifischen Ausdrücken um sich geworfen wird extrem erhellend.

Ich werde mir das Ding aber auf jeden Fall nochmal bei Whiskey und Kerzenschein geben um zu sehen, ob ich das alles so richtig durchblickt hab.
CETERUM CENSEO BLASPHEMOUS II ESSE LUDENDAM
CarZ
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von CarZ »

Was für ein großartiger Podcast. Mein The Pod Highlight bislang. Vielen Dank!

Dass ein so tiefes Gespräch zwischen zwei Experten dennoch verständlich und bereichernd für den Zuhörer bleibt, ist echt eine Seltenheit.

Wolfgang ist auch der perfekte Host für diese Art von Auseinandersetzungen!
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Soulaire
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Soulaire »

grandiose Folge. :clap:
leider wird Kunst immer mehr als etwas Privilegiertes und Künstliches in der Gesellschaft gesehen, etwas was im Elfenbeinturm bestimmt wird und alles was es in ein Museum schafft ist dann auch automatisch Kunst. Kunst sollte aber wieder als etwas Positives besetzt werden. Ein Werk, was einem rein gar nichts gibt, kann in meinen Augen auch keine Kunst für diejenige Person sein.

Wenn es um die Kunst-Diskussion bei Videospielen geht, geht es meistens gar nicht um die Kunst an sich. Sie soll nur dem Zweck dienen, das Medium als Kulturgut in der Gesellschaft zu etablieren. Sei es aus persönlichen Gründen (um sich als spielende Person besser zu fühlen, Eitelkeit etc) oder aus wirtschaftlichem Interesse. Und das ist fatal für dieses Medium als Kunst-Form.
Wenn ich mir angucke welche Spiele als Kunst bezeichnet werden, muss ich einfach nur den Kopf schütteln. Ein artsy Art-Style reicht da schon aus damit die "Video-Spiele können auch Kunst sein"-Chöre in der Presse und anderswo ertönen. Oberflächlicher kann man dieses Medium wirklich nicht behandeln.
dadadave
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von dadadave »

Die Folge wurde ca. ab Mitte einiges besser, war mein Eindruck, der Einstieg war etwas umständlich und man hatte sich vielleicht im Gespräch auch noch nicht so gefunden. Danach hat's mir gut gefallen und einige wichtige Punkte kamen zur Sprache.

Wer Thief und Dishonored sowie Planescape Torment mag, hat bei mir eh schon einen Felsen im Brett :-)

Wolfgang, falls Du Planescape Torment nachholen möchtest: es gibt da diese Enhanced Edition: habe sie selber nicht ausprobiert, aber könnte ganz angenehm sein, Widescreen-Support, vielleicht besser lesbare Fonts (bei diesem Spiel sehr relevant) etc.
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Oliver Naujoks
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Oliver Naujoks »

Nur ein Einzelaspekt, aber mögt Ihr mal sagen (falls die beiden Sprecher hier mitlesen), warum Ihr Daggerfall mal so eben ohne Begründung als unspielbar erklärt habt?

Nur wegen der damals vielen Bugs (was ich noch verstehen könnte)?

In seiner Hardcore-Art der prozeduralen Generierung einer unfassbar großen, weiten Welt ist es bis heute ein Faszinosum. Das war nun sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss und wurde ja nicht umsonst in dieser gigantischen Form nie wieder wiederholt, aber für mich ist das so faszinierend und interessant, dass ich immer noch ein Mal bis mehrfach im Jahr ein paar Stunden in diese Welt dort eintauche. Nach inzwischen fast 25 Jahren.
Spielt: Cricket 24, NHL 24, Cyberpunk 2077: Phantom Liberty, Carol Reed 14: The Fall of April, Sherlock (Melbourne House)
Liest: "Und sie rührten an den Schlaf der Welt", C.F. Mahrendorff // "Blue Giant Explorer", Shinichi Ishizuka
Wolfgang Walk
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Wolfgang Walk »

Die vielen Bugs und das eigentlich nicht kontrolliert steuerbare Kampfsystem waren's bei mir.
Strohhalm
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Strohhalm »

Hallo zusammen, vielen Dank für diese tolle Folge! Ich bin mal so frech und frage einfach mal nach:

Ich habe nicht ganz verstanden, warum nicht alle Spiele auch Kunst sind.
Wenn jemand eine digitale Figur modelliert, wo ist der Unterschied zu einer Figur aus Ton?
Wenn diese Figur dann im Spiel erscheint, dann ist es keine Kunst mehr?
Ist ein misslungenes Kunstwerk wirklich kein Kunstwerk? Lässt sich nicht besonders über ein misslungenes Kunstwerk nachdenken?
Was ist mit einem Screenshot? Ist das dann nicht ein eigenständiges Werk, das selbst auch wieder Kunst ist?
Falls ein einzelner Screenshot Kunst ist, wie kann dann das ganze Spiel, dass ja aus einer Aneinanderreihung von
Screenshots besteht, keine Kunst sein?
Wenn der Soundtrack eines Spiels Kunst ist, dann im Spiel dieser Soundtrack läuft, kann dann das Spiel keine Kunst sein?
Kann also das Gesamtwerk, wenn es kein Kunstwerk ist, einzelne Teile, die Kunst sind, dann auslöschen?

Für mich wird der Spieler nicht gebraucht, um aus einem Spiel ein Kunstwerk zu machen.
Der Quellcode ist für mich das Kunstwerk. Das braucht dann Strom und Eingabegeräte und den Spieler,
damit des konsumierbar ist. Aber das Kunstwerk ist doch schon da? Nur nicht konsumierbar realisiert?

Warum können Natur und Zufall keine Kunstwerke erschaffen? Weil dann irgendwann alles Kunst ist und
der Begriff seine Bedeutung verliert? Kunst muss etwas Besonderes haben? Also etwas Einzigartiges?
Etwas über das man Nachdenken kann? Warum hat Kunst etwas mit Nachdenken zu tun?
In jeder Sekunde bin ich jemand anderes als die Sekunde davor. Nämlich jemand älteres.
Das Alte hört doch immer auf zu existieren. Wozu brauche ich da Kunst um mich zu verändern?
Alles auf dieser Welt besitzt Eigenschaften der Einzigartigkeit. Und sei es nur der Standort.
Tut mir leid, aber ich finde es gefühlt eher richtig zu sagen, alles ist Kunst, als das da ist keine Kunst.

Es tut mir schrecklich leid, aber ich vermute, dass ich was Entscheidendes nicht verstanden habe.
Vielleicht muss ich das ganze nochmals anhören.

Eure Strohi
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Soulaire
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Registriert: 28. Mär 2016, 06:44

Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Soulaire »

Strohhalm hat geschrieben: 28. Mär 2020, 19:47 Hallo zusammen, vielen Dank für diese tolle Folge! Ich bin mal so frech und frage einfach mal nach:

Ich habe nicht ganz verstanden, warum nicht alle Spiele auch Kunst sind.
Wenn jemand eine digitale Figur modelliert, wo ist der Unterschied zu einer Figur aus Ton?
Wenn diese Figur dann im Spiel erscheint, dann ist es keine Kunst mehr?
wir reden ja über das eigenständige Medium "Videospiel" im Gesamten und nicht über dessen Einzelteile. Ein Film ist ja auch nicht schon Kunst wenn es ein Musikstück enthält, auch wenn Musik für alleine genommen als Kunst gilt. Ein Film benötigt auch eine visuelle Ebene. Und ein Spiel eben eine interaktive Ebene. Wenn ein Medium nur auf andere "Künste" referiert und nicht aus sich selbst heraus schon Kunst sein kann, ist das Medium dann eher eine Plattform und keine Kunst. Ein Museum ist eben auch keine Kunst, auch wenn es Kunstgegenstände ausstellt.
Herr Feige hat ja betont dass man das "Werk" an sich nicht aus den Augen verlieren sollte. Und ein Berg an sich ist noch kein geschaffenes Werk. Man muss es irgendwie greifen können, weswegen ein Gedanke oder ähnliches auch keine Kunst sein kann.
Strohhalm
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Strohhalm »

Danke für deine Antwort Soulaire.
Über den Kunstbegriff lässt sich vorzüglich streiten. :D
"Ist das Kunst, oder darf das weg?" Ich komme mit dem Gesamtwerkkunstbegriff trotzdem nicht ganz klar.
Ich verstehe schon, dass man das "Medium", was auch immer das Medium beim Videospiel ist,
als Ganzes betrachten kann.
Trotzdem. Das bedeutet, ich sage dem Orchester: Ihr macht hier Kunst. Aber sobald das in einem
langweiligen Spiel läuft, bei dem ich nix denken muss oder sonst iwi keinen Mehrwert sehe,
dann ist das keine Kunst mehr, sondern... was genau? Trivial? Ohne Bedeutung?
Wie oft gibt man Dingen keine Bedeutung und ein paar Generationen später wird es ausgestellt?
Ein Museum wäre doch Architektur? Und die Anordnung von Kunstgegenständen ist doch nicht trivial?
Das Gemälde eines Berges ist Kunst, der Berg an sich aber nicht?
Danke, dass du es versucht hast zu erklären, Soulaire. Aber ich fürchte, dafür reicht mein Grips nicht...
Ich akzeptiere das jetzt einfach... das da ist Kunst, das da ist keine und fertig. XD
Wolfgang Walk
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Wolfgang Walk »

Kunst entsteht immer im Betrachter, indem sie Fragen aufwirft, die sich nicht so ohne weiteres beantworten lassen, und die ohne Einwirkung des Kunstwerkes vorher nicht auch schon entstanden sind.

-> Kunst ist, wenn einer was so formuliert, dass ich endlich begreife, was ich eigentlich immer schon gedacht habe (oder ab dann glaube gedacht zu haben)
-> Kunst ist, wenn mir ein Gefühl offenbart wird, dass ich so vorher noch nie hatte (beispielsweise beim ersten Anhören des zweiten Satzes von Beethovens 7. Symphonie)
-> Kunst ist, beim Lesen von Goethes Faust zu begreifen, dass ich dem Thema "Wissen" bislang sehr naiv gegenüber stand
-> Kunst verändert mich durch intellektuelle und/oder emotionelle Herausforderung dessen, was ich bis dahin war

Aus all dem ergibt sich, dass nichts für sich selbst Kunst sein kann. Wenn die Welt etwas als Kunst allgemein anerkennt, dann wird ihm damit eigentlich nur eine große verändernde Wirksamkeit auf Menschen bestätigt. Aber eben längst nicht auf alle Menschen. Ich kann Goethe lesen, Beethoven hören, ein Bild von Picasso betrachten oder meinetwegen auch Papers, please spielen, ohne dass das in mir irgendetwas bewirkt. Dann ist das für MICH in dem Augenblick keine Kunst - kann es aber vielleicht früher mal gewesen sein. Oder später noch werden, wenn ich offener und reifer für die Erfahrung geworden bin. In unterschiedlichen Lebensphasen kann ein Kunstwerk auch sehr unterschiedliche und sogar einander widersprechende Kunsterfahrungen auslösen.

Wenn aber viele Menschen der Ansicht sind, DASS es etwas bewirkt hat - und dies über mehrere Generationen hinweg - dann wird es in den allgemeinen Kunstkanon übernommen. Und deshalb stehen die oben erwähnten Werke zurecht in diesem und sind Teil unseres kulturellen Werdens als Individuen und Gesellschaft.

Es kommt also bei der Kunstfrage nicht auf die kunstHANDWERLICHEN Fähigkeiten an, darauf, ob etwas handwerklich gut gemacht ist. Sondern rein auf das, was es bewirkt - und den einigermaßen demokratischen Konsens darüber. Ein schlecht gemachtes Spiel kann immer noch ein Kunstwerk für viele werden, ein gut gemachtes Game kann einfach ein gut gemachtes Game bleiben, ohne jemals für irgendjemanden in Kunstnähe zu rücken. Handwerkliche Qualität ist kein hinreichender oder auch nur notwendiger Faktor für ein Kunstwerk. Siehe auch => Punk.

Etwas was für dich keine Kunst ist, kann es für die allermeisten anderen sein. Etwas was für dich Kunst ist, kann es für die allermeisten anderen nicht sein. Das eine wie das andere falsifiziert deine persönliche Erfahrung mit dem Werk nicht.

Allerdings - würde Daniel einwerfen (und ich gäbe ihm Recht) - gibt es objektive Kriterien. Das wäre jetzt hier zu viel, und deshalb empfehle ich die Lektüre seiner Abhandlung zum Thema.
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Terranigma
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Terranigma »

Wolfgang Walk hat geschrieben: 3. Apr 2020, 11:18Wenn aber viele Menschen der Ansicht sind, DASS es etwas bewirkt hat - und dies über mehrere Generationen hinweg - dann wird es in den allgemeinen Kunstkanon übernommen. Und deshalb stehen die oben erwähnten Werke zurecht in diesem und sind Teil unseres kulturellen Werdens als Individuen und Gesellschaft.
Das stelle ich in Frage. Zumindest müsste man den Prozess der Kanonisierung genau betrachten. Du machst an der Stelle das Argument auf, dass es auf die Anzahl - "viele Menschen" - ankäme, ob etwas in den Kunstkanon übernommen wird. Im Hinblick auf die lange Tradition der Trennung etwa von "Literatur" und "Schund" würde ich sagen, dass es hierbei weniger um die Anerkennung der Kunsthaftigkeit über die Anzahl an Personen geht, sondern um ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft. Nehmen wir etwa Ausstellungen: die Exponate in Ausstellungen werden nicht durch demokratische Verfahren ermittelt, sondern durch einzelne Personen in verantwortlichen Positionen. Solche Ausstellungen wiederum sind vergleichsweise nischige Veranstaltungen, die auch nur von einer begrenzten - und bestimmten - Personengruppe besucht werden. Entscheidend erscheint mir insofern nicht, was allgemein als Kunst wahrgenommen wird oder was viele Menschen als Kunst wahrnehmen, sondern was bestimmte Personen in höheren Gesellschaftsschichten als Kunst wahrnehmen, insb. Personen die als Multiplikatoren auftreten und deren Kunstverständnis in die Gesellschaft wirkt, z.B.: Lehrer, Universitätsprofessoren, Museumsleiter, Ministerien, u.Ä. Dies sind ja die Orte, wo der Literatur-, Kunst- und Bildungskanon verfasst wird - nicht innerhalb der Gesellschaft.

Die Kunsthaftigkeit eines Werkes über dessen Verankerung in einem Kanon zu begründen erscheint mir insofern wie ein Zirkelschluss, denn ich würde es mal in Frage stellen: Gilt Goethe auch heute noch als hohe Kunst und ist deshalb im schulischen Literaturkanon enthalten, oder gilt Goethe noch heute als hohe Kunst weil er im schulischen Literaturkanon enthalten ist? Würde man Menschen auf der Straße etwa eine Auswahl an kanonischen Gedichten (z.B. Schiller, Goethe) und nicht-kanonischen Gedichten (x-beliebige andere, zeitgenössische Autoren) vorlegen, ich würde die Wette eingehen, dass sie nicht unterscheiden können, welche diese Werke Teil des Kanons sind und auch nicht begründen könnten, warum.


Die Auseinandersetzung mit kanonischen Kunstwerken - sei es Film, Literatur, bildende Kunst, o.Ä. - verläuft ja typischerweise vor dem Hintergrund, dass die Rezipienten bereits wissen, dass das Kunst sein soll und sie daher auch gut beraten wären es auch selbst als Kunst anzusehen. Der Ort, an denen das Gros der Menschen mit Kunst konfrontiert wird, dürfte die Schule sein. Und dies wiederum ist kein Ort an dem man ernsthaft die Diskussion führen kann, ob Goethe oder Picasso denn nun eigentlich Kunst sei. Die Setzung ist: das ist Kunst, deshalb ist's auch im Kanon. Ich teile daher nicht die Ansicht, dass es so ist, dass größere Menschengruppen über Generationen hinweg quasi stets für sich neu aushandeln, was sie als Kunst begreifen, und dabei wiederholt zum Ergebnis kommen, dass z.B. bestimmte Künstler oder Kunstwerke eben Kunst seien. Mir scheint da vielmeher Gewohnheit, Sozialisierung und Tradition eine Rolle zu spielen, als eine ernsthafte Auseindersetzung und Aushandlung des Kunstverständnis über Generationen hinweg, so alâ: "Mein Opa hat Faust in der Schule gelesen, mein Vater hat Faust in der Schule gelesen, ich habe Faust in der Schule gelesen also sollen die heutigen Jugendlichen aus Faust in der Schule lesen." Was die Kanonisierung von Kunst angeht sehe ich insofern weniger egalitär.


Ansonsten stimme ich allerdings völllig zu, dass Kunst nicht im Werk selbst, sondern in der Rezeption liegt. Schönes Beispiel dafür ist die japanische Malerei, nämlich das Ukiyo-e. Etwa die "Große Welle vor Kanagawa" hat bestimmt jeder schon einmal gesehen. In Japan galten Ukiyo-e bis zur Landesöffnung und engeren Beziehungen zum Westen nicht als Kunst, sondern als schlichte Handwerkserzeugnisse, insb. auf Flyern, Werbetafeln, Aushängen, u.Ä. würden Ukiyo-e für dekorative Zwecke angebracht. Es waren Gebrauchsgüter. Europäer allerdings nahmen diese Werke als Kunst wahr und - zur Freude der japanischen Handwerker! - waren auch bereit sehr hohe Preise dafür zu zahlen. Durch diese neue Perspektive hat sich seinerseits auch die japanische Perspektive auf die Ukiyo-e geändert, sodass diese heute tatsächlich als Kunst gelten. Als Analogie: das ist in etwa so, als kämen Japaner nach Deutschland und würden horrende Preise für ein Spellforce-Wandposter bezahlen, dies als "hohe Kunst" bezeichnen, es in Gallerien aushängen und selbst anerkannte Künstler zu Imitationen inspirieren.

PS: Nichts gegen Spellforce-Wandposter, aber ich bekam beim Cover zu Spellforce 1 schon damals so gewisse Victoria Francés-Vibes. :D
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Heretic
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Heretic »

Wolfgang Walk hat geschrieben: 3. Apr 2020, 11:18 Es kommt also bei der Kunstfrage nicht auf die kunstHANDWERLICHEN Fähigkeiten an, darauf, ob etwas handwerklich gut gemacht ist. Sondern rein auf das, was es bewirkt - und den einigermaßen demokratischen Konsens darüber. Ein schlecht gemachtes Spiel kann immer noch ein Kunstwerk für viele werden, ein gut gemachtes Game kann einfach ein gut gemachtes Game bleiben, ohne jemals für irgendjemanden in Kunstnähe zu rücken. Handwerkliche Qualität ist kein hinreichender oder auch nur notwendiger Faktor für ein Kunstwerk. Siehe auch => Punk.
Aber ist eine gewisse Handwerkskunst nicht Grundvoraussetzung für die Erschaffung eines Kunstwerks? Auch für einen Punk-Song muss man zumindest Grundkenntnisse auf diversen Instrumenten und etwas kompositorische Begabung mitbringen, sonst kommt nur Krach dabei raus. Wenn überhaupt keine kunsthandwerklichen Fähigkeiten vorhanden sind, kann doch maximal ein einmaliger "Glückstreffer" entstehen. Wenn aber z. b. ein extrem talentierter Musiker einen gut arrangierten und perfekt eingespielten, für meinen Geschmack aber total belanglosen Song fabriziert, würde ich diesen Song trotzdem unter Kunst einordnen. Weil er handwerklich gut gemacht ist.
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Sebastian Solidwork
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Kann sein sein, dass in der Folge und hier "Kunst" als Medium und Kunst als "Qualitätssiegel" etwas vermischt wurden?
Bzw. scheint es wohl vor allem um letzteres zu gehen ohne genauer geklärt zu sein.
Das empfand ich auch als Defizit an der Folge, die sonst interessant war.

Auch bei Filmen, Bücher, Bildern, etc. umfasst Kunst als Medium erstmal alle geschaffenen Werke. In diesem Sinne sind auch Spiele Kunst. Es geht quasi um das Handwerk selbst, das Schaffen der Werke.
Das ist imo was nach Art. 5 III GG der formeller und der materieller Kunstbegriff abdecken.

Im Sinne einer Qualitätsbewertung werden schon bei den etablierten Medien nicht alle Werke als hochwertige Kunst bewertet.
Das ist überall.


Sind Spiele Kunst als Medium? Ja.

Ist jedes Spiel hochwertige Kunst? Nein. 1. Ist das subjektiv. 2. Ist das bei anderen auch so.
„Schönheit ist auch immer ethisches Empfinden.“

Umweltschutz beginnt im Geldsystem.
Fix the system!

Der Sinn des Lebens ist, dass Menschen voller Sinn das niemals wissen müssen. - Gunter Dueck in Omnisophie
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Wolfgang Walk »

Sebastian Solidwork hat geschrieben: 3. Apr 2020, 13:58 Kann sein sein, dass in der Folge und hier "Kunst" als Medium und Kunst als "Qualitätssiegel" etwas vermischt wurden?
Bzw. scheint es wohl vor allem um letzteres zu gehen ohne genauer geklärt zu sein.
Das empfand ich auch als Defizit an der Folge, die sonst interessant war.
Das Gespräch ist ja jetzt schon ne Weile her, aber ich erinner mich eigentlich, dass wir genau diesen Punkt sehr konkret besprochen haben.
Wolfgang Walk
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Wolfgang Walk »

Heretic hat geschrieben: 3. Apr 2020, 13:25
Wolfgang Walk hat geschrieben: 3. Apr 2020, 11:18 Es kommt also bei der Kunstfrage nicht auf die kunstHANDWERLICHEN Fähigkeiten an, darauf, ob etwas handwerklich gut gemacht ist. Sondern rein auf das, was es bewirkt - und den einigermaßen demokratischen Konsens darüber. Ein schlecht gemachtes Spiel kann immer noch ein Kunstwerk für viele werden, ein gut gemachtes Game kann einfach ein gut gemachtes Game bleiben, ohne jemals für irgendjemanden in Kunstnähe zu rücken. Handwerkliche Qualität ist kein hinreichender oder auch nur notwendiger Faktor für ein Kunstwerk. Siehe auch => Punk.
Aber ist eine gewisse Handwerkskunst nicht Grundvoraussetzung für die Erschaffung eines Kunstwerks? Auch für einen Punk-Song muss man zumindest Grundkenntnisse auf diversen Instrumenten und etwas kompositorische Begabung mitbringen, sonst kommt nur Krach dabei raus. Wenn überhaupt keine kunsthandwerklichen Fähigkeiten vorhanden sind, kann doch maximal ein einmaliger "Glückstreffer" entstehen. Wenn aber z. b. ein extrem talentierter Musiker einen gut arrangierten und perfekt eingespielten, für meinen Geschmack aber total belanglosen Song fabriziert, würde ich diesen Song trotzdem unter Kunst einordnen. Weil er handwerklich gut gemacht ist.
Und genau das ist der Fehler im Kunstbegriff. Wenn etwas belanglos ist, ist es keine Kunst. Du musst verändert aus der Kunsterfahrung hervorgehen. Das ist Teil der Definition. Ansonsten ist das Werk maximal gutes Kunsthandwerk. Das sind aber zwei völlig verschiedene Dinge.

Die drei Akkorde für nen Punksong kann ich an einem Nachmittag lernen. Wenn ich dann einen Song schreibe, der in einer großen Menge Menschen in irgendeiner Form eine Veränderung hervorruft, dann hab ich ein Kunstwerk geschaffen. Obwohl es handwerklich so schlecht ist, dass niemand mich als Musiker bezeichnen dürfte, ohne alle anderen wirklichen Musiker damit zu beleidigen. Das gilt aber nur für ihre handwerklichen Qualitäten.

Eigentlich ist es einfach.
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Heretic
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Heretic »

Wolfgang Walk hat geschrieben: 3. Apr 2020, 14:31 Und genau das ist der Fehler im Kunstbegriff. Wenn etwas belanglos ist, ist es keine Kunst. Du musst verändert aus der Kunsterfahrung hervorgehen. Das ist Teil der Definition. Ansonsten ist das Werk maximal gutes Kunsthandwerk. Das sind aber zwei völlig verschiedene Dinge.
Okay, das kann ich nachvollziehen. Demnach kann ich jetzt guten Gewissens sagen, falls mich mal jemand zum Schaffen einer Helene Fischer befragen sollte: Die macht gutes Kunsthandwerk. :mrgreen:
Wolfgang Walk
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Wolfgang Walk »

Heretic hat geschrieben: 3. Apr 2020, 15:15
Wolfgang Walk hat geschrieben: 3. Apr 2020, 14:31 Und genau das ist der Fehler im Kunstbegriff. Wenn etwas belanglos ist, ist es keine Kunst. Du musst verändert aus der Kunsterfahrung hervorgehen. Das ist Teil der Definition. Ansonsten ist das Werk maximal gutes Kunsthandwerk. Das sind aber zwei völlig verschiedene Dinge.
Okay, das kann ich nachvollziehen. Demnach kann ich jetzt guten Gewissens sagen, falls mich mal jemand zum Schaffen einer Helene Fischer befragen sollte: Die macht gutes Kunsthandwerk. :mrgreen:
Ja, kannst Du. Das stimmt ganz sicher. Ändert nichts an der Belanglosigkeit.
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Filusi
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Re: Ästhetik & Kunst des Computerspiels (feat. Prof. Dr. Daniel M. Feige)

Beitrag von Filusi »

Schöne Folge, Danke!

Wenn ich euch recht verstanden habe, so ist jener Kunstbegriff, wie er mir in der Schule immer über Gedichtsinterpretationen "bei gebracht" wurde, um einiges veraltet. Dort wurde ja meist nach der Intention des Autoren gefragt ...

Oder ich hab's damals einfach nicht verstanden.
War in diesen Fächern eh nie gut, was dann wohl auch meiner zugehörigen Motivation nicht zuträglich war...

Naja, aber worauf ich eigentlich hinaus wollte, ist, dass ich jetzt auch allg. "Schund" für mich persönlich als Kunst deklarieren darf, wenn er auf mich nach eurer Interpretation künstlerisch gewirkt hat?

Bspw. habe ich vieles, von dem ihr gesprochen habt, für mich persönlich in einem lt. Jochen (und er hat von Literatur ja Ahnung und meine große Tochter spricht ihm bei diesem Beispiel in Bezug auf die Schreibe [, welche ich persönlich ja großartig finde und nach ähnlichem weiterhin Suche] sogar noch zu und auch sie ließt viel und war in oben gestreiften Fächern eher andersrum als ich und studiert jetzt auch in Richtung Gesellschaftswissenschaften, ich spreche ihr da also ebenso wie Jochen gewisse Kenntnisse zu) als Groschenroman tituliertem Werk erlebt.

Ich spreche von der Geralt Saga samt Kurzgeschichten von Sapkowski.

Dort wurden mir in Themen wie Familie, Freundschaft und Weltanschaung viele Perspektiven offenbart, denen ich instinktiv zustimmte, ohne sie je zuvor selbst gedacht zu haben.

In einer gewissen Gefühlsebene beeinflusst/e mich dieses Werk damals und auch heute, so dass ich meine Denkweise teils verändert bzw. auch angepasst habe.

Ich kann es mittlerweile schwerlich noch an konkreten Beispielen festmachen, weiß aber wie heute, dass es mich emotional regelrecht beeintrugt hat und immer noch tut.

Es hat etwas mit mir gemacht oder auch etwas in mir ausgelöst/verändert.
Und wenn ich es heute wieder lesen würde (habe ich zuletzt vor 2-3 Jahren gemacht), entsteht so ein Gefühl von Heimkehr, Wohlbefinden und Verständnis.

Ist es nun, wenn ich euch recht verstehe, in diesem Kontext Kunst im Sinne des Betrachters also mir bzw. Kunst, persönlich auf mich bezogen?
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