Runde #280: Crunch

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Maliko
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Runde #280: Crunch

Beitrag von Maliko »

Eine wirklich sehr interessante Folge. Auch weil es interessant ist mal die Parallelen zur normalen Softwareentwicklung zu sehen. Ich selbst arbeite nicht in der Gamesbranche, aber die Gründe für Crunch sind fast exakt die selben, welche auch ich immer wieder erlebe.

Vor allem das Misstrauen der Firmenleitung gegenüber der eigenen Angestellten kann ich absolut unterschreiben. Unsere Firmenleitung gibt das sogar unumwunden zu und begründet damit dass es bei uns kein Homeoffice gibt ("dann können wir ja nicht mehr sicherstellen das Sie auch wirklich arbeiten").

Wobei bei uns der häufigste Grund für Crunch unser Chef ist. Das passiert in schöner Regelmäßigkeit wenn er mal wieder nen Auftrag an Land zieht ohne uns vorher zu fragen ob wir das überhaupt leisten können, geschweige denn überhaupt mal mit uns zu reden. Wir erfahren es immer erst wenn er den Vertrag schon unterschrieben hat und wir müssen dann mit den vollkommen unrealistischen Deadlines leben (z.B. nicht einmal einen Monat für eine komplette REST-Schnittstelle, wohlgemerkt entwickelt von einer Person).

Ich kann dazu wirklich nur sagen dass es wirklich interessant ist, dass es tatsächlich in der Gamesindustrie die selben Gründe sind wie in der normalen Softwareentwicklung.
Ingmar1981
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von Ingmar1981 »

Ich habe jetzt bei knapp 75 Minuten mal eben auf Pause gedrückt und muss mich Mailko bislang anschließen. Eine sehr interessante Folge mit hochspannenden Einblicken! :)

Ralf hatte freundlicherweise das Titelthema des neuen GAIN-Magazins angesprochen und den Artikel über Markus Stein erwähnt. Markus war Lead Programmierer von Max Payne 1 und 2 und arbeitet mittlerweile in einem medizinischen Beruf. Mit Markus über seine Zeit bei Remedy und Rockstar Vienna zu sprechen, war eine sehr interessante Erfahrung - zumal sich Markus als sehr angenehmen, offen und reflektiert erwies. Stichwort Rockstar Vienna: Markus hat damals in Wien bei den Konsolenportierungen von Max Payne 1 und 2 ausgeholfen. Besonders perfide fand ich ein Detail zum Thema Boni. Hier ein Mini-Auszug aus dem Artikel:
Ergänzend erfahre ich von einem weiteren einschneidenden Crunch-Erlebnis, das Markus bei Rockstar Vienna machte: »Ich glaube, die PC-Fassung von ›Max Payne 2‹ ist parallel fertig geworden, während ich wieder in Wien war. Dort haben wir an den Portierungen für die Xbox und die PlayStation 2 gearbeitet. Ich weiß, dass es in Wien einen Entwickler gab, der gut 40 Tage am Stück durchgearbeitet und zeitweise im Büro geschlafen hat. Ich hatte auch Phasen, in denen ich bis um 2 Uhr nachts im Büro war, zum Schlafen ins Hotel gegangen bin und dann direkt zurück ins Büro kam. Ich glaube, ich habe irgendwann mal an die 10 Tage am Stück gearbeitet. Danach war ich nur fertig. In dieser Zeit habe ich gemerkt, wie groß der Druck von einem Publisher sein kann. Diesen Druck haben wir bei Remedy nicht so gespürt, vielleicht weil uns der Publisher mehr oder weniger auf Augenhöhe gesehen hat. Aber Rockstar Vienna war eine Tochterfirma von Rockstar, und die haben den Druck mit allem was geht abgekriegt. Rockstar Vienna hat zu dieser gleichen Zeit an mehreren Projekten gleichzeitig gearbeitet, und alle Entwickler sollten am Ende einen Bonus erhalten, wenn die Spiele rechtzeitig zu Weihnachten auf den Markt kommen. Die anderen Projekte waren schließlich fertig - bis auf die Ports von ›Max Payne 2‹. Wir hatten technische Probleme insbesondere mit der Playstation 2-Version. Rockstar hat dann den Bonus aller anderen Projekte kassiert und mit der Fertigstellung der ›Max Payne 2‹-Ports verknüpft und somit den sozialen Druck innerhalb Rockstar Viennas immens erhöht. Für mich war das sehr enttäuschend und augenöffnend. Auch wenn die kreative Freiheit bei Remedy während ›Max Payne 2‹ eingeschränkt war und wir nach meinem Empfinden unterbezahlt waren, ist mir in Wien klargeworden, dass es auch ganz anders geht.


Neben Crunch-Gastbeiträgen von Ralf Adam, Kai Bodensiek, Bob Bates und Indie-Entwicklerin Tanya X. Short gibt es in der aktuellen Ausgabe einen mehrseitigen Auszug aus dem Buch "Significant Zero: Heroes, Villains, and the Fight for Art and Soul in Video Games" von Narrative Designer Walt Williams (Spec Ops: The Line), der seine "Crunch-Sucht" beschreibt.

https://www.amazon.com/Significant-Zero ... 1501129953

Im Gegensatz zu meinem Kollegen Giacomo habe ich das Buch leider noch nicht selbst gelesen, möchte das aber unbedingt demnächst ändern. Den Crunch-Abschnitt fand ich zumindest großartig geschrieben. Hat von euch schon jemand das gesamte Buch gelesen und kann etwas dazu sagen?
Aktuelle Spiele: Cyberpunk 2077 (Replay)
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Desotho
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von Desotho »

Maliko hat geschrieben: 16. Aug 2020, 12:14 Wobei bei uns der häufigste Grund für Crunch unser Chef ist. Das passiert in schöner Regelmäßigkeit wenn er mal wieder nen Auftrag an Land zieht ohne uns vorher zu fragen ob wir das überhaupt leisten können, geschweige denn überhaupt mal mit uns zu reden.
Ist bei mir länger her, aber immer wieder schön wenn jemand ein Produkt verkauft (als bereits vorhanden), welches aber noch gar nicht existiert und dann aus dem Boden gestampft werden muss ^^
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Voigt
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von Voigt »

Zu dem Thema eine ganz passende Serie aus dem Land der "professionellen Cruncher", Japan.
"Watashi, Teiji de Kaerimasu", bzw. "I Will Not Work Overtime, Period!"

Ist ein japanisches 10 Episoden Drama (kein Anime) dass den Alltag in einer Webseitenprogarmmier Firma zeigt, der Twist ist dabei, dass die Hauptfigur pünktlich mit der Arbeit Schluss macht, was insbesondere zu Anfang bei den Kollegen für viel Verwirrung sorgt.

Dazu sei gesagt dass mit diesem Twist in den ersten und den letzten Episoden stark gearbeitet wird, der Mittelteil aber eher von dramatypischen Interpersonellen Komplikationen zum Thema hat.

Soweit ich weiß wurde die Serie nirgends offiziell lokalisiert, daher gibt es nur FanSubs, ich habe von Irozuku Untertitel genutzt.
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mrz
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von mrz »

Ich crunche, meine Mitarbeiter nicht.
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XfrogX
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von XfrogX »

Das ganze passt aber halt genauso gut auf z.b. Handwerk. Auch da werden Überstunden aus dem selben Grund geleistet, gibts Druck von oben weil ja sonst die Leute nicht arbeiten würden ...
Daher würde ich nicht darauf bauen das ja die Games Branche neu ist und das halt lernt und sich bessert, sondern eher auf Gewerkschaften Betriebsräte usw bauen.
Jochen B.
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von Jochen B. »

Passenderweise hat die neue Gain als Titelthema: Spielebranche im Fokus - Crunch Culture & Alternative Arbeitsweisen. Walt Williams liefert das Geständnis eines Crunch-Süchtigen:"Ihr seid alle Heuchler – und wir sind es auch". Und von Daniel Ziegener stammt der Artikel über "Alternative Arbeitsweisen".

(Quelle: GAIN Magazin #14)
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whitespace
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von whitespace »

Spieleentwicklung als "das schwierigste in der Branche" hinzustellen halte ich für sehr sehr gewagt. Ich würde eher sagen es sind mit die größten Projekte wo gerade bei Triple-A Titel am Meisten an Leuten mitarbeiten (Vom Grafiker bis zum Programmierer).

Aber schwierig? Da schwenke ich meinen Blick mal nur zu Spezial Softwarelösungen wo zum Teil die Programmiersprache dazu erst entwickelt werden muss oder "Deep Learning" abseits von "convenient" Lösungen. Da sind die Teams vllt. nicht mal Ansatzweise so groß, aber von der Komplexität her um längen vor Spieleprojekten, da du erstmal Monate oder gar Jahre in der Planung sitzen kannst, bevor überhaupt eine Zeile Code geschrieben wird.
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Andre Peschke
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von Andre Peschke »

whitespace hat geschrieben: 17. Aug 2020, 09:23 Spieleentwicklung als "das schwierigste in der Branche" hinzustellen halte ich für sehr sehr gewagt.
IIRC sind die Herren doch dann schon ein wenig zurückgerudert und haben ganz spezielle Dinge wie Raketensteuerung und Atomkraftwerke ausgeklammert. Ich vermute, sie meinen "alltägliche" Software-Großprojekte.

Aber hey, Spielejournalismus ist auch die schwierigste Form des... [prust], nein, ok, das kann ich nicht... :D

Andre
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whitespace
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von whitespace »

Andre Peschke hat geschrieben: 17. Aug 2020, 09:48
IIRC sind die Herren doch dann schon ein wenig zurückgerudert und haben ganz spezielle Dinge wie Raketensteuerung und Atomkraftwerke ausgeklammert. Ich vermute, sie meinen "alltägliche" Software-Großprojekte.
Hui, fände ich halt neben Video Schnitt Software und Grafik Software noch immer eine gewagte Aussage. Wenn ich dran denke mit was für unfassbaren Mengen an Daten die stabil umgehen können müssen (8k Schnittbereit und Live abspielen können), sehen die meisten Spiele auch alt dagegen aus. Oder was so ein Komprimierungsalgorithmus mit großer Farbechtheit an Aufwand sein muss. CAD Software oder 3D Printer Software kommt mir da auch noch in den Sinn. Es gibt da schon recht vieles was hoch komplex ist bei großen Projekten.

Aber ich würde mal sagen alles was eher in die Web oder Enterprise Entwicklung geht, da haben die 2 dann schon recht. Überhaupt wenn es um SAP oder Web Applikationen geht und das ist dann immerhin schon der größte Teil der Software Entwicklung.
Andre Peschke hat geschrieben: 17. Aug 2020, 09:48 Aber hey, Spielejournalismus ist auch die schwierigste Form des... [prust], nein, ok, das kann ich nicht... :D

Andre
:D :D :D
skade
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von skade »

Andre Peschke hat geschrieben: 17. Aug 2020, 09:48
whitespace hat geschrieben: 17. Aug 2020, 09:23 Spieleentwicklung als "das schwierigste in der Branche" hinzustellen halte ich für sehr sehr gewagt.
IIRC sind die Herren doch dann schon ein wenig zurückgerudert und haben ganz spezielle Dinge wie Raketensteuerung und Atomkraftwerke ausgeklammert. Ich vermute, sie meinen "alltägliche" Software-Großprojekte.
Ich finde das immernoch schwierig, aber finde den Punkt müßig: es ist ja ausser Frage, das Spieleprojekte kompliziert und stark interdisziplinär sind. Wer jetzt noch alles will, geht am Kern der Folge vorbei. Wer da aber ein wenig tiefer will, dem kann ich einen sehr tollen Vortrag zu dem Thema empfehlen: A short history of Software Engineering von Paolo Perrotta, der mal zusammenfasst, seit wann wir diese Probleme haben: seit den 60ern, man nannte das mal "die Softwarekrise" - und hat sie behoben, indem man es nicht mehr "Krise" nannte. Seit Schluss deckt sich mit dem aus dem Podcast: wer was _neues_ probiert - und das sind alle Softwareprojekte dieser Größe - muss mit massiven Unschärfen rechnen und mit Methoden dran gehen, die der Forschung gleichen.

Persönlich fand ich die Folge super interessant, vor allem Michaels hin und her, wo er mehrfach zurückrudern musste, um den Crunch bei CryTek als schlecht zu markieren. Ich hab mich gerade in der Erzählung stark wiederfinden können! Ich hab ne Weile als Programmierer in einer Agentur 12-13 Stunden-Schichten geschoben und hab eine sehr ähnliche Erfahrung: mit den Kollegen, mit denen ich das damals gemacht habe, bin ich häufig noch befreuendet und es ist ein gemeinsames Erlebnis. Wir haben das Ziel erreicht, was auch irgendwie ein Achievement ist. Ich glaube, da hängt auch ein Teil des Problems: es ist schwer, Schuldige zu finden und man will nicht die belasten, die mit drin hingen. Ich stimme Michael da zu, dass der Kern der Sache häufig nicht Boswillen ist, sondern die gefühlte Auswegslosigkeit auf allen Ebenen. In Agenturen ist der Preiskampf so hart, dass gerade das, was Ralf anspricht - unrealistisches Anbieten unter Realpreis - eine Weile als notwendig empfunden wurde. Es freut mich allerdings zu hören, dass CryTek immerhin Ausgleich gegeben hat, das ist in Agenturen häufig nicht so.
Zuletzt geändert von skade am 17. Aug 2020, 14:49, insgesamt 1-mal geändert.
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Guthwulf
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von Guthwulf »

Wollte nur kurz sagen: Gute Folge! Sehr viel besser gelungen als die Firmenkultur Folge! Danke dafür
guthwulf04 (Steam), dreosan (PSN), Guthwulf06 (Xbox), Guthwulf16 (Switch: SW-7403-8257-5609)
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mrz
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von mrz »

Zitiere mich mal selbst aus dem Discord.

André is so süß
"Ja, die Beweislage is doch klar. Wieso crunchen die Studios denn trotzdem noch, wenn es nachweislich die Produktivität senkt. Sind doch nicht alle dümmer als ich."
Ja, doch.
Menschen sind dumm.
Is wie bei meinen athleten und anderen Leistungssportlern.
Die gehen auch zu den Programmen, wo "mehr" drin is, obwohl sie das gar nicht regenerieren können und dann Ermüdungsverletzungen erleiden, die sie zurückwerfen.
Weil VIEL HILFT VIEL
Du bekommst aus den Köpfen nicht raus "weniger ist mehr"
vllt auf einer rationalen Ebene im Gespräch. Aber anwenden werden es die wenigsten
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chromax
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Re: Runde #280 – Crunch

Beitrag von chromax »

Maliko hat geschrieben: 16. Aug 2020, 12:14 Eine wirklich sehr interessante Folge. Auch weil es interessant ist mal die Parallelen zur normalen Softwareentwicklung zu sehen. Ich selbst arbeite nicht in der Gamesbranche, aber die Gründe für Crunch sind fast exakt die selben, welche auch ich immer wieder erlebe.

Vor allem das Misstrauen der Firmenleitung gegenüber der eigenen Angestellten kann ich absolut unterschreiben. Unsere Firmenleitung gibt das sogar unumwunden zu und begründet damit dass es bei uns kein Homeoffice gibt ("dann können wir ja nicht mehr sicherstellen das Sie auch wirklich arbeiten").

Wobei bei uns der häufigste Grund für Crunch unser Chef ist. Das passiert in schöner Regelmäßigkeit wenn er mal wieder nen Auftrag an Land zieht ohne uns vorher zu fragen ob wir das überhaupt leisten können, geschweige denn überhaupt mal mit uns zu reden. Wir erfahren es immer erst wenn er den Vertrag schon unterschrieben hat und wir müssen dann mit den vollkommen unrealistischen Deadlines leben (z.B. nicht einmal einen Monat für eine komplette REST-Schnittstelle, wohlgemerkt entwickelt von einer Person).

Ich kann dazu wirklich nur sagen dass es wirklich interessant ist, dass es tatsächlich in der Gamesindustrie die selben Gründe sind wie in der normalen Softwareentwicklung.
Ist in der Agentur-Welt absoluter Standard. Da kreative Produkte noch schwerer zeitlich zu fassen sind (kreativ = 2 Tage, sehr kreativ = 4 Tage :D ) ist Crunch der Normalfall. Zudem ist jeder Kunde ja ein Designer und seine Projektmanager auch, alle wollen dran teilhaben. Bei Software quatscht dir nur in der UI einer rein.

Ich glaube das die Branche (Software) auch leider leider nur so funktioniert. Das ist ähnlich wie in der großen Architektur, da werden immer unrealistische Schätzungen gemacht und wenn der Prozess erst mal läuft zieht man es durch. Realistische Preise wären nicht akzeptiert worden.
Khaelekar
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Re: Runde #280: Crunch

Beitrag von Khaelekar »

Lieber Andre, Ralf und Michael. Danke für diese interessante Folge. Ich habe mich in mein eigenes Berufsleben versetzt gefühlt, auch wenn es eine komplett andere Branche ist (Architektur). Die Architektur/Baubrache hat sich was Projektmanagement angeht viel von der Softwareentwicklung abgeschaut. Die Konzepte stimmen in vielen Punkten überein… scheinbar auch darin, wenn es darum geht Überstunden zu leisten…

Als kurzer Hintergrund zu der Erfahrung, die ich machte: als ich nach dem Studium in das Berufsleben eingestiegen bin, war es mir wichtig in ein Büro zu kommen, dass gute Architektur und bereits einen Namen in der Architekturszene hat. Schlussendlich führte es dazu, dass ich anderthalb Jahre lang fast komplett durchgängig in einer Phase der Dauerbelastung arbeitete. Die Überstunden waren im Vertrag natürlich inkludiert… sprich keine Kompensation oder Auszahlung. Ich habe extra noch mal nachgeschaut, es waren im Schnitt über die 18 Monate über 80 Stunden mehr pro Monat. Aber ich weiss noch genau, dass ich damals dachte, meine Arbeit macht den Unterschied… ICH mache den Unterschied… aber im Endeffekt ist es scheissegal wer die Arbeit macht… es hat – scheinbar ähnliche wie in der Spielebranche – genug Menschen, die die leere Stelle füllen können.

Immer wieder fällt mir auf, dass sich Projektverantwortliche mit knappen Terminierungen nach oben hin besser darstellen wollen… leider spielen hier das Ego, Misstrauen gegenüber dem Team, oder auch eigene Vorteile eine grosse Rolle. In Weiterbildungen/Studium zum Thema Projektmanagement und Kommunikation werden diese Problematiken als toxische, gar Projekt gefährdend dargestellt, Kommunikation mit und unterhalb der Betroffenen als Lösungsweg angeboten… Aber seien wir mal ehrlich… bei den engen Terminplänen und wenn man eh schon in der Phase der Überstunden ist, ist dafür keine Zeit oder man sieht als Team gar nicht diese Möglichkeit.
Was mich aber am meisten stört, ist die Tatsache das am Schluss nach Vollendung, nur wenige im «Rampenlicht» stehen. Diese Personen haben auch meistens gut daran verdient. Aber auf der Strecke sind die jungen Menschen geblieben, die sich quasi dafür haben ausbrennen lassen…

Ich habe im Podcast die Position von Michael nicht recht fassen können. Er sagte zwar immer wieder, dass er es falsch findet wenn man über länger Zeit viel arbeiten muss. Aber bei mir hat sich zwischen den Zeilen das Gefühl vermittelt, dass er es als ein Mittel sieht, das man schon mal einsetzt und um das es nicht herum geht… Wenn es so ist… schade.
Ich stelle mir die Frage, ob es bei den vielen und grossen Spieleprojekten keine Erfahrungen gibt, auf denen man aufbauen kann. Schlussfolgerungen ziehen kann, Fehler vermeiden kann. Gibt es nach der Veröffentlichung keine Phase der Analyse? Was war gut, was war schlecht, was müssen wir verbessern.

Das mal in aller Kürze… über dieses Thema könnte man wirklich viel schreiben… leider.
Voigt
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Wohnort: Jena

Re: Runde #280: Crunch

Beitrag von Voigt »

Zur anfänglichen Crunch Definition, denke es gibt Crunch und schädlichen Crunch.

Crunch selbst ist für mich erstmal nur viele Überstunden und über sein Limit arbeiten und sich damit verausgaben. Wenn man das nur 2 Wochen macht geht das schon. Es wird erst schädlicher Crunch wenn man sich halt länger als 2 Wochen verausgibt und über sein Limit arbeitet, wenn man halt dauerhadt cruncht.

Kann aver verstehen dass man das eher kurz halten möchte, und das Wort Crunch nur für das schädliche Dauercrunchen nutzt. Das wurde in der Diskussion ja zum Glück früh klar gemacht.

Zur Nötigkeit von Dauercrunch, denke am ehsten bei Indies die trotzdem irgendein Finanzierer haben. Daher ein Banished oder Stardew Valley kann man durchaus in der Freizeit über Jahre entwickeln und releast es halt irgendwann.
Sobald man aber doch ein kleines 4 Leute Team hat, von Freunden/Eltern gestützt wird oder gar ein Kickstarter oder so machte, kann es schon sein dass dann Leute sich 3 Monate in Crunch stürzen um das Ding endlich fertig zu haben.

Bei größeren Studios die halt auch planen mehrere Projekte zu releasen und daher Leute halten müssen, sehe ich keine Rechtfertigung für Crunch mehr.

Von Daedalic hört man ja öfter noch was aus der Richtung auch mit der Arbeit von unterbezahlten Praktikanten, aber dann soll die Firma halt sterben, wenn die keine längere Entwicklungszeit finanzieren kann mit ihren Verkäufen.
DerPixler
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Re: Runde #280: Crunch

Beitrag von DerPixler »

Moin Leute, ich bin schon eine kleine Weile stiller Zuhörer des Podcasts und fand die aktuelle Folge außerordentlich spannend und wollte mal ein paar Gedanken dazu äußern.

Insbesondere in den Podcasts, wo es um Entwicklung geht, kommen immer wieder die Vergleiche zur Filmproduktion und ich wollte hier mal ein paar Einblicke geben, wo aus meiner persönlichen Sicht Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede liegen. Ich arbeite seit ca. 15 Jahren beim Film, habe am Set angefangen und bin dann mit ein paar Zwischenstationen bei der Postproduktion gelandet und arbeite seit einigen Jahren fast nur noch am Schreibtisch, was wohl am ehesten mit Spieleentwicklung vergleichbar ist. Da ich inzwischen nur noch manchmal am Set bin, ist mein Erfahrungshorizont diesbezüglich nicht ganz aktuell bzw. nur ausschnitthaft.

Animationsfilme mal ausgeklammert ist ein großer Unterschied, dass sich bei der Filmherstellung Arbeit und Ausgaben fast komplett auf die recht kurze Phase der Dreharbeiten (also principal photography) konzentrieren, wo die Burn-Rates ins absurde steigen. Selbst eine kleine deutsche Produktionen bringt locker fünfstellige Beträge an einem typischen Drehtag durch und je nachdem was gemacht wird geht das auch schnell in die Hunderttausende oder Millionen, etwa wenn man sich für den Tag einen Weltstar leistet. Erfahrungsgemäß gibt es fast immer irgendwelche Zwänge, dass ein Drehpensum an einem Tag durchgebracht werden muss: Das Motiv steht nur an wenigen Tagen im Jahr zu Verfügung, der Tiertrainer mit seinem seltenen Fuchs ist ab morgen ausgebucht, es muss eine Schnellstraße oder Zugstrecke gesperrt werden und man bekommt so schnell keine Genehmigung mehr, jeden Tag gibt es einen neuen Anlass. Das alles gepaart mit den Unwägbarkeiten der Welt da draußen: neben deinem Motiv wird die Straße aufgerissen? Dann fragst du nach ob sie aufhören zu arbeiten (ja wirklich!) und drehst ansonsten in deren Pausen und wenn sie fertig sind. Mitten im Dialog zieht sich der Himmel zu und du hast nicht genug Lichttechnik auf Standby? Dann drehst du den halben Tag nochmal neu.

Bei meinem ersten Job als Set-Runner waren die Arbeitstage für mich typischerweise 12-14h lang (mitunter +2h Arbeitsweg), mit einigen Ausreißern nach oben und nach unten, über einen Zeitraum von ca. zwei Monaten. Besonders heikel ist dabei, dass die langen Arbeitszeiten nicht nur langfristige psychische Folgen für den Einzelnen bedeuten können, sondern auch unmittelbares Verletzungsrisiko für die Beteiligten aber auch Außenstehende, insofern im öffentlichen Raum gedreht wird. Immerhin wird hier mit tonnenschwerem Equipment und Starkstrom-Anlagen hantiert, ständig müssen Straßen geblockt und wieder-geöffnet werden, Fahranfänger kutschieren unter Zeitdruck einen Fuhrpark an Spiel- und Technikfahrzeugen durch die Gegend, mit dem sie nicht die geringste Fahrpraxis haben. Wenn da Erschöpfung und Übermüdung mit in den Mix kommen, kann man sich leicht ausmalen, was alles passieren kann.

Einiges davon hat sich mittlerweile soweit ich es beurteilen kann zum besseren gewandelt, auch weil die Gewerkschaften immer mehr darauf schauen, zumindest bei etablierten Fernseh-(bzw. heute vermehrt Streaming-) und Kinoproduktionen. Daneben entwickelt sich aber ein immer größer werdender Bereich von Produktionsfirmen für Musikvideos und sonstige Web-Formate wo es schlimmer ist als je zuvor. Ich glaube, dass es für ein umfassendes Umdenken den Druck, also Regeln und deren Durchsetzung von Außen braucht. Wie in der Spieleentwicklung auch, gibt es einen ständigen Strom an jungen Leuten, deren Enthusiasmus sie dazu verführt, sich verheizen zu lassen und diese Form der Aufopferung wird einem auch von den Größen der Branche vorgespielt ("Pain is Temporary, Film is Forever").

Ich wollte noch einiges zur Postproduktion schreiben, allerdings ist dieser Teil wohl weniger spannend, da er sich in größeren Teilen mit der Spieleentwicklung überschneidet und der Text ist jetzt schon länger geworden als ich gedacht hätte.

Vielen Dank für den Podcast und ein schönes Wochenende allerseits.
lnhh
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Re: Runde #280: Crunch

Beitrag von lnhh »

DerPixler hat geschrieben: 22. Aug 2020, 13:38 Ich wollte noch einiges zur Postproduktion schreiben, allerdings ist dieser Teil wohl weniger spannend, da er sich in größeren Teilen mit der Spieleentwicklung überschneidet und der Text ist jetzt schon länger geworden als ich gedacht hätte.

Vielen Dank für den Podcast und ein schönes Wochenende allerseits.
Da sich der Bruder meiner Frau aktuell sehr fuer diesen Bereich interessiert, wuerde ich mich freuen, wenn du doch noch 2-3 Saetze dazu verfassen koenntest. Vielen Dank :)
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DerPixler
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Re: Runde #280: Crunch

Beitrag von DerPixler »

lnhh hat geschrieben: 22. Aug 2020, 14:18 Da sich der Bruder meiner Frau aktuell sehr fuer diesen Bereich interessiert, wuerde ich mich freuen, wenn du doch noch 2-3 Saetze dazu verfassen koenntest. Vielen Dank :)
Klar, gerne. Was den Schwerpunkt meiner Arbeit (VFX) angeht, kam mir wie angedeutet einiges aus dem Podcast bekannt vor. Großes Problem auch hier ist, dass zu dem Zeitpunkt, wo auf die Shows geboten wird, also meist noch vor Drehbeginn, der Arbeitsaufwand noch unkalkulierbar ist, aber fast immer mit Pauschalen gearbeitet wird. Und auch hier sind die eingeplanten Puffer oft zu klein, weil man sich im ständigen Konkurenzkampf sieht - ob das eher gefühlt oder tatsächlich so ist, sei mal dahin gestellt.

Wie im Spielebereich ist die Tendenz zur Selbstausbeutung gerade bei den prestigeträchtigen, internationalen Projekten (z.B. für Disney und HBO) am größten und da gibt es dann auch den heftigsten Crunch. Auf die Frage von Andre hin, dass hier auf Management-Ebene nicht eingelenkt wird, wo das ganze für die Produktivität doch eher kontraproduktiv ist, hat meiner Einschätzung nach viel mit der engen Taktung von Deadlines zu tun (auch hier Stichwort Salami-Taktik). Teilweise müssen im Tagesrythmus Shots an die Auftraggeber rausgeschickt werden und so hetzt man irgendwann nur noch von einer Abgabe zur nächsten und poliert andauernd Zwischenstände, die am Ende sowieso wieder verworfen werden, weil man ansonsten die Sorge hat, auf der anderen Seite irgendwen nervös zu machen. Der Hang zur Selbstausbeutung besteht hier auf allen Ebenen: Die Firmen machen zum Teil sehenden Auges Verlust mit den Shows, damit sie die als Aushängeschild verwenden können und versuchen die Kohle an anderer Stelle wieder reinzuholen, was selbst wenn es im Einzelfall funktioniert am Ende den kompletten Preisverfall für die Branche bedeutet.

Die Situation ist aber vielschichtig und je nachdem wo und für wen man arbeitet können die Probleme und deren Gründe ganz andere sein. Ein großer Punkt in dem Geflecht sind noch Förderungen und Subventionen, was bei einem internationalen Geschäft zu noch größeren Marktverwerfungen führt. Eine recht interessante Dokumentation in dem Kontext ist "Life after Pi", die sich mit dem Konkurs des VFX-Zulieferers für Life of Pi - dem Film mit dem Tiger auf dem Boot - beschäftigt und dabei auch mit den Auswirkungen des kanadischen Föderungswesens auf dessen Produktion: https://www.youtube.com/watch?v=9lcB9u-9mVE
lnhh
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Re: Runde #280: Crunch

Beitrag von lnhh »

Danke dir, ich reiche das mal weiter :)
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