Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

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DexterKane
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von DexterKane »

Ehrlich gesagt gehe ich bei Zimmerers Grundprämisse schon nicht mit.

Unabhängig davon, was irgendwelches Marketing Geblubber sagt, ist Anno KEINE historische Simulation, will das auch nicht sein und ich wundere mich sehr, dass es so wahrgenommen wird.

Anno ist vieles, ein Städtebaukasten für Schönbauer, ein Warenkreislaufoptimierungspuzzle, vor allem aber ein Spiel, wo ich mit Charakteren wie Willy Wibbelsocke darum konkurriere, unbewohnte fiktive Inseln zu besiedeln. Sorry, aber außer mit absichtlicher Ignoranz kann ich mir nicht erklären, wie jemand das für eine historische SIMULATION halten kann.

Werfe ich einem Siedler von Catan dann auch vor, dass der erfolreiche Spieler den anderen Völknern (Spielern) den nötigen Lebensraum nimmt, der imperiale, kolonialistische Arsch? Vielleicht bin ich einfach zu alt, aber ich finde diese ganze Diskussion so albern...
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DieTomate
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von DieTomate »

Sklaverei würde besser zu einem Survival-Strategie Spiel passen, sowas ähnliches wie Frostpunk, wo man ernsthaft wirtschaftlichen Vorteil gegen moralische Bedenken abwägen muss/kann. Das hat ein so hohes Gewicht, dass es, egal wie man es ins Spiel einbaut, automatisch zum zentralen Thema werden und alle anderen Mechaniken überschatten würde (muss).
Voigt
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Voigt »

Frostpunkt (Before the Storm) hat sogar quasi Skalverei. Wenn man dpen Ordnungspfad komplett durch geht, oder bei Before the Storm den Ingenieurspfad und damit die Arbeiter quasi versklavt.
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Terranigma
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Terranigma »

DexterKane hat geschrieben: 3. Sep 2020, 11:42Unabhängig davon, was irgendwelches Marketing Geblubber sagt, ist Anno KEINE historische Simulation, will das auch nicht sein und ich wundere mich sehr, dass es so wahrgenommen wird.
Ich empfand den Punkt in der Diskussion sehr spannend, und verstand Dom an der Stelle auch nicht so, dass er sagte, dass Anno auf die eine oder andere Art zu sehen sei - sondern lediglich, dass dies sein persönlicher Zugang zum Spiel ist. Eben sein Blick darauf. Und dieser Blick ist erst einmal ja nicht richtig oder falsch, sondern in seiner Existenz legitim. Unabhängig davon, ob man eben so auf Anno schaut, oder anders. Ich kann mich da durchaus mit beiden Perspektiven anfreuden.

Die einen sagen, Anno sei keine historische Simulation, sondern ein Schönbauspiel, das im Geiste der Reihe eben quer durch die Epochen springt, und die historische Epoche im Prinzip nur für seine Ästhetik verwendet, das darüber hinaus aber wenig Relevanz besitzt. Die anderen wiederum sagen, dass Anno aber eben dem Titel nach in genau dieser Epoche des Kolonialismus verortet ist und im Spiel ja selbst explizit - z.B. mit Weltausstellungen, o.Ä. - historische Sachverhalt ganz konkret referenziert, sodass die Perspektive, es wäre ja gar nicht in der Historie verortet, nicht zutreffend ist. Und in diesem Zusammenhang blendet Anno dann ein Wesensmerkmal - eher: das Wesensmerkmal - dieser Epoche aus. Im Zusammenhang mit der Weltausstellung existiert ja "Archäologie und Ethnografie" sogar als eigene Kategorie, wobei Anno hier ausklammert, auf welchem Wege die ethnografischen Funde eigentlich ihren Weg in die Weltausstellung fanden.


Ich will nun nicht sagen, dass man dies als Problem wahrnehmen muss, und dass man Anno nicht als historische Phantasie auf einer rein ästhetischen Ebene begreifen kann. Das tut man in allerlei anderen Spielen auch, wenn historische Kriege als unterhaltsame Action-Erfahrung präsentiert und inszeniert werden. Ich persönlich würde da auch keine grundlegende Aussage treffen, wie mit solchen Darstellungen von Geschichtskultur umgegangen werden soll. Viel wichtiger und interessanter finde ich vielmehr, dass so ein Diskurs nicht nur möglich ist, sondern etwa auch innerhalb des Journalismus geführt wird. Und sofern man Tests nicht als reine Kaufberatung alâ Stiftung Warentest begreift, sondern auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Medium wünscht - heißt: das Medium eben ernst nehmen - dann gehört für mich auch dazu, dass man ein Anno in einem Test aufgrund seiner (nicht-)Darstellung von Kolonialismus abwertet. Genauso wie ein Call of Duty für seinen "Hurrah, wir ziehen in den Krieg!"-Patriotismus abwerten kann. Oder eben auch nicht, je nachdem wie der Journalist sich dem Titel nähert.


An der Stelle dann auch gesagt: ganz persönlich würde ich mit Dom da mitgehen. Ich habe mit Anno 1800 bis heute nicht gekauft, obwohl ich die Reihe an sich sehr mag. Weil der ganze Themenkomplex um's lange 19. Jhd. - Nationalismus, Kolonialismus, Imperialismus - etwas ist, das mich seit dem Studium und nun in der Schule umtreibt, und auf das ich einen Schwerpunkt lege, weil es ein derartiges Nachbeben bis in die Gegenwart hinterließ. Ich kann bei solchen Spielen nicht ausblenden, dass ich auch das Elend dieser Epoche im Bewusstsein habe, und es als "Schönbauspiel" wahrnehmen. Dieser Zugang ist mit schlicht nicht möglich. Hier, blöde Analogie: das ist so, gäbe es ein Anno 1933 (Ja, ich weiß, Quersumme ist nicht 9!) in dem ich total schöne Autobahnen und Monumentalbauten erreichten mit der Ästhetik der Zeit. Völlig entrückt und dekontextualisiert vom historischen Ausgangsmaterial mit dem Hinweis, "Aber es geht ja nur darum schön zu bauen." Man mag die Analogie nun deplaziert finden, weil man sagt, das eine sei nicht vergleichbar mit dem anderen. Da halte ich gegen und sage: ich will es auch nicht vergleichen, sondern nur illustrieren, dass es allerlei historische Epochen gibt, in deren Zusammenhang wir ein "Schönbauspiel" sehr problematisch empfänden.

Ob man nun die Zeit des europ. Kolonialismus dazu zählt, oder ob man dies als Spielplatz akzeptabel findet, das muss man mit sich selbst ausmachen. Mich persönlich stößt es ab und Anno 1800 ist für mich damit verbrannt. Ich erwarte aber nicht, dass ein Test dies abbildet, aber ich würde es sehr begrüßen, würden der Journalismus in der Breite auch derartige Zugänge in einem Test - und nicht nur in einer Kolumne, o.Ä. - ermöglichen.
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DexterKane
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von DexterKane »

Terranigma hat geschrieben: 3. Sep 2020, 13:33 An der Stelle dann auch gesagt: ganz persönlich würde ich mit Dom da mitgehen. Ich habe mit Anno 1800 bis heute nicht gekauft, obwohl ich die Reihe an sich sehr mag. Weil der ganze Themenkomplex um's lange 19. Jhd. - Nationalismus, Kolonialismus, Imperialismus - etwas ist, das mich seit dem Studium und nun in der Schule umtreibt, und auf das ich einen Schwerpunkt lege, weil es ein derartiges Nachbeben bis in die Gegenwart hinterließ. Ich kann bei solchen Spielen nicht ausblenden, dass ich auch das Elend dieser Epoche im Bewusstsein habe, und es als "Schönbauspiel" wahrnehmen. Dieser Zugang ist mit schlicht nicht möglich. Hier, blöde Analogie: das ist so, gäbe es ein Anno 1933 (Ja, ich weiß, Quersumme ist nicht 9!) in dem ich total schöne Autobahnen und Monumentalbauten erreichten mit der Ästhetik der Zeit. Völlig entrückt und dekontextualisiert vom historischen Ausgangsmaterial mit dem Hinweis, "Aber es geht ja nur darum schön zu bauen." Man mag die Analogie nun deplaziert finden, weil man sagt, das eine sei nicht vergleichbar mit dem anderen. Da halte ich gegen und sage: ich will es auch nicht vergleichen, sondern nur illustrieren, dass es allerlei historische Epochen gibt, in deren Zusammenhang wir ein "Schönbauspiel" sehr problematisch empfänden.

Ob man nun die Zeit des europ. Kolonialismus dazu zählt, oder ob man dies als Spielplatz akzeptabel findet, das muss man mit sich selbst ausmachen. Mich persönlich stößt es ab und Anno 1800 ist für mich damit verbrannt. Ich erwarte aber nicht, dass ein Test dies abbildet, aber ich würde es sehr begrüßen, würden der Journalismus in der Breite auch derartige Zugänge in einem Test - und nicht nur in einer Kolumne, o.Ä. - ermöglichen.
Ok, ich glaub, ich verstehe, worauf Du hinauswillst.
Das hab ich so tatsächlich nicht, aber könnte es andererseits vielleicht sein, dass dir das Leid dieser Epoche präsenter ist, weil es besser dokumentiert ist? Sklaverei ist ja nun keine Erfindung des 19. Jahrhundert, sondern existiert seit Urzeiten.

Ich bin ja selbst, nennen wir es mal geschichtsinteressiert, auch wenn ich nie was in die Richtung studiert habe, und man kann durchaus drüber streiten ob ein Leibeigener 1602 nicht nur ein anders benannter Sklave war. Das wurde da aber nie angemahnt. Ich könnte mich auch nicht dran erinnern, dass andere Dinge wie dier fortwährenden Religionskriege im im 16./17. Jahrhundert oder die unzählichen Seuchen, die ganze Landstriche entvölkerten, jemals bei Anno thematisiert wurden.

Wie auch? Da bau ich 15 Stunden an meiner Stadt und dann, schwupps, Pest! 8 Stunden Fortschritt dahin. Das Spiel würde sofort und unwiederbringlich von der Platte fliegen. :)

Am ehesten hatte 1404 noch die Kinderkreuzzüge, aber die Geschichte war auch völlig Banane, wo 2 ERzschurken die Frau im religiösen Wahn ausnutzen, und eigentlich wollen ja Christen und Muslime Freunde sein, man muss sich nur aussprechen.

Danke, für den Einblick. Sehe ich trotzdem anders, aber zuminest verstehe ich Euren Punkt besser.
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echtschlecht165
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von echtschlecht165 »

ich finde Terranigmas Posting hervorragend.
So argumentiert setze ich mich mit dem Thema auch gleich viel lieber auseinander als wenn ich von einem "Experten" lesen muss, dass es hochproblematisch sei, wenn ich als Nichtgeschichtestudent oder Geschichtelehrer sowas wie Anno1800 spiele. (Bemerke: es ist nicht nur Problematisch, es ist HOCHproblematisch :-) )

Bis auf die Tatsache, dass es mich selber wenig stört, bzw. ich die Annoserie vor dieser Diskussion nicht als Historiensimulator (durch das völlige fehlen von realen Namen, Ländern oder Ereignissen wird es das auch niemals sein für mich) gesehen hätte, gehe ich mit dem Text 100%ig mit.

Vielleicht sollte eher "Terranigma" als dieser Zimmerer als nächster Experte aufscheinen :-)

Langer Rede kurzer Sinn: Die Diskussionen zu diesem Thema finde ich super und auch nicht unwichtig. Im Konkreten Fall würde ich eine Abwertung des Spiels aus diesem Grund aber unfair finden.
Da hat Dexter Kane schon gut dargelegt, dass es ausser Marketinggeblubber niemals ein Geschichtssimulator ist, nicht sein will und IMO auch nicht sein muss.
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Terranigma
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Terranigma »

DexterKane hat geschrieben: 3. Sep 2020, 14:02Das hab ich so tatsächlich nicht, aber könnte es andererseits vielleicht sein, dass dir das Leid dieser Epoche präsenter ist, weil es besser dokumentiert ist?
Ja, sicherlich ist's das. Weil insb. diese Phase der Geschichte massive Nachwirkungen bis in die Gegenwart hat. Oder ich sage es so: Ich behaupte mal, dass man die gegenwärtige Welt nicht verstehen kann, insb. gegenwärtige Konflikte, ohne die Entwicklungen des langen 19. Jhd. bewusst zu haben. Das meine ich nicht belehrend, aber es ist nur so'n Thema, das mir sehr präsent und ein persönliches Anliegen ist, und weshalb ich diesen Blick darauf habe. Andere Leute beschäftigt halt anderes Gedönse. Diesen Blick habe ich bei Titeln in der Antike und dem Mittelalter nicht, auch alleine deshalb, weil diese Epochen zeitlich sehr weit in der Vergangenheit liegen und für mich emotional entrückt sind. Ich kann sehr sachlich und nüchtern die Sachsenkriege von Karl d. Großen referieren, aber würde bei einer Darstellung der Schlacht(en) um Ypres während des 1. Weltkrieges eine ganz andere Sprache wählen, obwohl man sagen kann: "Beides war grausam. War halt Krieg." Aber das eine ist mir fern, das andere nahe.

Andere mögen das anders beurteilen. Umgekehrt kann ich Weltkriegsshooter recht schmerzbefreit als reine Actionbuden daddeln, während andere wiederum beim unterhaltsamen Nachspielen von realen Kriegen ein Problem hätten. Für den einen mag der Vietnam-Krieg ein No Go sein, für den anderen der 2. Weltkrieg und wiederum andere könnten sagen, sie wollen den Afghanistankrieg nicht auf Seite von Al-Qaida spielen. Mich berührt das nicht allzu sehr. Will daher gar nicht sagen, dass man da irgendwelche Befindlichkeiten haben sollte, oder dass es da einen Konsens geben soll. Denke ich nicht. Ich würde nur mit Dom mitgehen, dass auch solche Perspektiven nicht nur in einer Kolumne, sondern auch einem Test mit Wertung ihren Platz haben sollten. Gerade wenn allerorts beschworen wird, Videospiele sollen als Medium ernst genommen werden. Dazu gehört dann für mich, dass man sie nicht wie eine Waschmaschine testet, sondern wie einen Film oder Roman auch kritisiert - eben auch inhaltlich. Wenn man das als Journalist in einem Test tun will. Videospiele sind halt Geschichtskultur, und mehr als im schulischen Geschichtsunterricht eignen sich Heranwachsende - und auch Erwachsene! - historische Vorstellungen in der Auseinandersetzung mit populärer Geschichtskultur an. Wenn's da Kolonialismus-Spiele ohne Kolonialismus und Mittelalter-Spiele ohne Juden und Zweite Weltkriegsshooter ohne Holocaust wie Sand am Meer gibt, ... nun.

Nur kleine Anekdote, von gestern: ich habe eine Einführungsstunde zum 1. Weltkrieg gehalten und so'n recht bekanntes Bild aus Ypres von 1917 gezeigt. Eine der ersten Schülerreaktionen: "Geil, das sieht aus wie Battlefield One." Danach habe ich als Kontrast einen Auszug aus "Im Westen nichts Neues vorgelesen." Njo, so kam man dann ins Gespräch. :D
DexterKane hat geschrieben: 3. Sep 2020, 14:02Agree to disgree. :)
Yep! :)
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echtschlecht165
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von echtschlecht165 »

ich habe diese Ablehnung tatsächlich bei Weltkriegsshootern. (Die sicher genauso wenig eine Simulation sein wollen wie es Anno eine sein will).
Alleine von Vorschauen und Videos von solchen, habe ich ähnliche Gedanken, wie Dom sie bei Anno hat und mir vergeht komplett die Lust aufs Spiel.

So wirklich weiss ich aber grade nicht warum das so ist. :-)
Ich bin zwar kein Geschichtestudent, aber sehr Interessiert in diese Richtung, und weder Kolonialismus und Industrialisierung , noch 2. Weltkrieg sind weisse Flecken für mich.
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Schroffer Reinhold
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Schroffer Reinhold »

In der Tat ein schönes Posting von Terranigma.
BlackSun84 hat geschrieben: 2. Sep 2020, 09:14 Welche Geschichtsverfälschung?
Es wurde ja schon angesprochen: Sklaverei war ein essentieller Bestandteil für die Produktionsabläufe zur Zeit des Kolonialismus und zu der Zeit, in der Anno 1800 spielt. Diesen kommentarlos wegzulassen ist eine verfälschte Darstellung der historischen Abläufe.

Dies ist Teil der romantischen Verklärung der Kolonialzeit mit Fokus auf die weiße Perspektive ist- Anno 1800 ist hier natürlich nur ein Puzzlestück von vielen - in den Medien leider recht stark verbreitet. Dies kann dann insgesamt durchaus die Wahrnehmung der Kolonialzeit beeinflussen. Mal sehr weit gedacht: So etwas kann dann eventuell sogar eine öffentliche Debatte beeinflussen, wenn es etwa um eine mögliche Entschädigung der Herero und Nama für den Völkermord geht. Nach dem Motto "so schlimm war das damals doch gar nicht, lief doch alles super, als die Weißen endlich da waren".
Verfälscht AC-Odyssey die Geschichte, weil man dort nicht, wie im realen Krieg, Frauen missbrauchen kann?
Man kann herausfordernde Themen auch effektiv ansprechen ohne den Spieler direkt in die Täterrolle zu bringen.
Anno 1800 ist ein Unterhaltungsprodukt, das gar nicht die reale Geschichte wiedergeben will. Es ist quasi eine Eisenbahnplatte, die Spielern heimelig werden lässt. Diese Spieler wollen auch mehrheitlich gar nicht die negativen Dinge zwischen 1800 und 1900 sehen.

Einfach immer daran denken: Spiele sind ein Unterhaltungsprodukt und die Spieler wollen nach neun Stunden im Büro oder auf dem Bau nur 1-2 Stunden abends zwischen Kindern und Ehefrau entspannen. Und für diese Leute entwickelt Ubisoft ein Anno, nicht für den Dom, der eine realistische Sicht einer historischen Zeit erwartet, weil er den halben Tag Zeit hat, um über ein Spiel nachzusinnen.
Es gibt genügend Unterhaltungsprodukte (Spiele, Filme, Bücher,...), die beispielsweise den Zweiten Weltkrieg zum Thema haben, und auf wundersame Weise unterhalten und den Holocaust thematisieren können. Der Holocaust ist ja ebenfalls eines dieser nervigen "negativen Dinge". Dieser Spagat sollte bei der Kolonialzeit dann auch möglich sein. Und zwar ohne immer realistisch zu sein oder die Realität wiedergeben zu wollen, beispielhaft seien hier die neuen Wolfensteine und Inglorious Basterds genannt.
Heretic hat geschrieben: Ich frage mich ja nach wie vor, wie genau man Sklaverei in einem Aufbauspiel unterbringen soll. Eigentlich müssten Sklaven dann eine Ressource sein, die der Spieler nutzen muss, wenn er effizient sein will. Schwierig. Oder soll man Sklaverei nur "nebenbei" in Texttafeln erwähnen? So in der Art "Das gab's damals auch!"? Ebenso schwierig. In der Kampagne könnte man eine Sklavenbefreiungs-Story einbauen, aber was macht man im Endlosspiel? Wieder einfach weglassen?

Ich kann die Entscheidung der Entwickler durchaus verstehen. Zumal ihr Spiel ja in der Tat nicht für den Geschichtsunterricht gemacht wurde.
Sicherlich ist das keine leichte Aufgabe. Wenn jedoch historische Produktionsabläufe ein Kernthema des Spiels sind und Sklaven essentieller Bestandteil dieser Kreisläufe waren, kann man sich mal Gedanken darüber machen. Oder es eben komplett ignorieren, damit sich die weiße Zielgruppe nicht auf den Schlips getreten fühlt.

Ein paar spontan aus der Hüfte geschossene Ideen:

a) Im Spiel einbauen
Das Nutzen von Sklaverei erlaubt es einem Waren mit höherem Profit zu verkaufen / herzustellen. Nutzt man Sklaverei, erhöht sich jedoch auch die Gefahr für den Spieler, die Kolonie durch einen Aufstand zu verlieren.
Der historische Erkenntnisgewinn (verstärkt, weil man die Abläufe selber steuert) kann dann sein, dass das damalige System ohne Sklaverei eben nicht funktionierte.
Dies setzt natürlich ein gewisses Maß an Feingefühl für Framing und Inszenierung voraus, damit es nicht zum Traumspiel für Faschos wird, die schon immer mal Sklavenherr spielen wollten.

b) Anno 1800: Discovery Tour
Ähnlich wie bei Assassin's Creed könnte man einen Extramodus anbieten. Hier kann man dann eine vorgefertigte Map erkunden und durch Klicken auf bestimmte Highlights mehr über die historischen Hintergründe / Vorbilder erfahren. Ich klicke dann zum Beispiel auf eine Fabrik und erfahre etwas über das harte Leben der Fabrikarbeiter. Und in den Kolonien kann man dann die Sklaverei-Aspekte beleuchten (Herkunft, Leben, Arbeit, ...).

c) Alternativer Spielmodus - Ehemalige Kolonie
Man spielt eine ehemalige Kolonie sein, die versucht sich wirtschaftlich zu behaupten, und mit den Gängelungen der Kolonialmächte umgehen muss (Strafzölle, Angriffe, ...). Die Abläufe wären dann natürlich etwas anders, da man andere Waren importiert und exportiert. Insgesamt also eine Möglichkeit für einen Hardcore-Modus. Immerhin könnte man so den für den historischen Erkenntnisgewinn so wichtigen Perspektivwechsel vollziehen.
Grobes Vorbild könnte hier Haiti sein, die 1804 ihre Unabhängigkeit erkämpft haben.
Stefan H.
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Stefan H. »

Jede Spielmechanisch irgendwie sinnvolle Darstellung von Sklaverei kann und wird als Verharmlosung oder gar als Glorifizierung verstanden werden. Weil viele Aspekte im Scope einer Anno Simulation nicht dargestellt werden können. Es gibt einfach keine Menschlichen Schicksale in Anno. Jeder Aspekt der Sklaverei Simulation der dem Spieler irgendwelche Vorteile bringt, wird sicherlich als Glorifizierung verstanden. Wenn Sklaverei keine Vorteile bringt, werden Spieler diese nicht nutzen - außer er will sich als Herrenmensch fühlen. Also wieder Glorifizierung.
Dem Spieler den Abbau von Sklaverei als lösbare Aufgabe zu stellen, verharmlost das Problem ...
Egal was der Entwickler macht, er kann in diesem Spiel mit dem Sklaverei Thema nicht gewinnen.

Im übrigen:
Kein anderes künstlerisches Werk wird dafür kritisiert nicht alle Aspekte eines Themas all umfassend behandelt zu haben. Ganz im Gegenteil liegt Kunst eher darin sich eher auf einen einzelnen interessanten Aspekt zu konzentrieren.l und diesen herauszuarbeiten.

Einem kommerziellen Werk kann man dagegen kaum vorwerfen für seine Kunden unangenehme Themen auszublenden.
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nachtgiger
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von nachtgiger »

Stefan H. hat geschrieben: 3. Sep 2020, 19:53 Jede Spielmechanisch irgendwie sinnvolle Darstellung von Sklaverei kann und wird als Verharmlosung oder gar als Glorifizierung verstanden werden. Weil viele Aspekte im Scope einer Anno Simulation nicht dargestellt werden können. Es gibt einfach keine Menschlichen Schicksale in Anno. Jeder Aspekt der Sklaverei Simulation der dem Spieler irgendwelche Vorteile bringt, wird sicherlich als Glorifizierung verstanden. Wenn Sklaverei keine Vorteile bringt, werden Spieler diese nicht nutzen - außer er will sich als Herrenmensch fühlen. Also wieder Glorifizierung.
Dem Spieler den Abbau von Sklaverei als lösbare Aufgabe zu stellen, verharmlost das Problem ...
Egal was der Entwickler macht, er kann in diesem Spiel mit dem Sklaverei Thema nicht gewinnen.

Im übrigen:
Kein anderes künstlerisches Werk wird dafür kritisiert nicht alle Aspekte eines Themas all umfassend behandelt zu haben. Ganz im Gegenteil liegt Kunst eher darin sich eher auf einen einzelnen interessanten Aspekt zu konzentrieren.l und diesen herauszuarbeiten.

Einem kommerziellen Werk kann man dagegen kaum vorwerfen für seine Kunden unangenehme Themen auszublenden.
Du machst da imo einen sehr validen, und einen weniger validen Punkt auf. Zu letzterem: Für mich steht völlig außer Frage, dass bei Anno 1800 zu einem gewissen Grad historisches whitewashing betreibt. Es geht nun einmal neben der Aufbau- auch um eine Wirtschaftssimulation, die sich das 19. Jahrhundert zum Setting gemacht hat. Sklaverei war damals eben ein sehr großer Wirtschaftsfaktor (wie einige Forenmitglieder schon angeführt haben), wenn das bei Anno nicht abgebildet wird, dann ist das keinesfalls "ein kleiner Aspekt unter vielen", der fehlt. Der Baumwollhandel wäre ohne Sklaven schlicht nicht denkbar gewesen - in Anno 1800 gibt es Baumwollplantagen, aber keine Sklaven. Das ist nicht nur historisch unsauber, sondern irreführend. Aus dieser Ecke muss sich Anno darum zurecht Vorwürfe machen lassen. Ich gehe da übrigens auch mit dem Argument Zimmerers mit. Was die Sklaverei zudem noch von anderen "Missständen", die etwa in mittelalterlichen Spielen womöglich nicht abgebildet werden, trennt, ist neben der Zeitlichen Distanz die Tatsache, dass die Nachfahren der unter der Sklaverei Leidenden heute noch leben und unter den indirekten Auswirkungen der Sklaverei immer noch leiden.

Die andere Frage ist dann, wie die Entwickler das Thema angehen sollen. Da habe ich leider auch keine Antworten und sehe die selben Probleme wie du - das ist dann aber die Aufgabe der Entwickler. In der Konsequenz müsste man eigentlich sagen: keine Sklaven, dann halt kein Anno im 19. Jahrhundert.
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Stefan H. »

nachtgiger hat geschrieben: 3. Sep 2020, 20:33
Stefan H. hat geschrieben: 3. Sep 2020, 19:53 Jede Spielmechanisch irgendwie sinnvolle Darstellung von Sklaverei kann und wird als Verharmlosung oder gar als Glorifizierung verstanden werden. Weil viele Aspekte im Scope einer Anno Simulation nicht dargestellt werden können. Es gibt einfach keine Menschlichen Schicksale in Anno. Jeder Aspekt der Sklaverei Simulation der dem Spieler irgendwelche Vorteile bringt, wird sicherlich als Glorifizierung verstanden. Wenn Sklaverei keine Vorteile bringt, werden Spieler diese nicht nutzen - außer er will sich als Herrenmensch fühlen. Also wieder Glorifizierung.
Dem Spieler den Abbau von Sklaverei als lösbare Aufgabe zu stellen, verharmlost das Problem ...
Egal was der Entwickler macht, er kann in diesem Spiel mit dem Sklaverei Thema nicht gewinnen.

Im übrigen:
Kein anderes künstlerisches Werk wird dafür kritisiert nicht alle Aspekte eines Themas all umfassend behandelt zu haben. Ganz im Gegenteil liegt Kunst eher darin sich eher auf einen einzelnen interessanten Aspekt zu konzentrieren.l und diesen herauszuarbeiten.

Einem kommerziellen Werk kann man dagegen kaum vorwerfen für seine Kunden unangenehme Themen auszublenden.
Du machst da imo einen sehr validen, und einen weniger validen Punkt auf. Zu letzterem: Für mich steht völlig außer Frage, dass bei Anno 1800 zu einem gewissen Grad historisches whitewashing betreibt. Es geht nun einmal neben der Aufbau- auch um eine Wirtschaftssimulation, die sich das 19. Jahrhundert zum Setting gemacht hat. Sklaverei war damals eben ein sehr großer Wirtschaftsfaktor (wie einige Forenmitglieder schon angeführt haben), wenn das bei Anno nicht abgebildet wird, dann ist das keinesfalls "ein kleiner Aspekt unter vielen", der fehlt. Der Baumwollhandel wäre ohne Sklaven schlicht nicht denkbar gewesen - in Anno 1800 gibt es Baumwollplantagen, aber keine Sklaven. Das ist nicht nur historisch unsauber, sondern irreführend. Aus dieser Ecke muss sich Anno darum zurecht Vorwürfe machen lassen. Ich gehe da übrigens auch mit dem Argument Zimmerers mit. Was die Sklaverei zudem noch von anderen "Missständen", die etwa in mittelalterlichen Spielen womöglich nicht abgebildet werden, trennt, ist neben der Zeitlichen Distanz die Tatsache, dass die Nachfahren der unter der Sklaverei Leidenden heute noch leben und unter den indirekten Auswirkungen der Sklaverei immer noch leiden.

Die andere Frage ist dann, wie die Entwickler das Thema angehen sollen. Da habe ich leider auch keine Antworten und sehe die selben Probleme wie du - das ist dann aber die Aufgabe der Entwickler. In der Konsequenz müsste man eigentlich sagen: keine Sklaven, dann halt kein Anno im 19. Jahrhundert.
Wie bedeutend die Sklaverei im 19. Jahrhundert war und wie sie bis heute nachstrahlt ist doch unwiedersprochen. Aber Anno ist keine umfassende historische Abbildung des 19. Jahrhunderts und muss damit nicht historisch sauber sein. Oder waren damals die Welt in kleine Inselstaaten aufgeteilt, regiert von einem absolutistischem, ewigen Herrscher der selbst jedes Gebäude platziert und die Zeitung redigiert? Das Anno Szenario ist eine künstlerische Alternativrealität zum 19. Jahrhundert und darf sich deswegen die künstlerische Freiheit(!) nehmen, sich jener Aspekte der Realität zu bedienen, die seine Autoren möchten. Einem impressionistischem Kunstwerk wirft man doch nicht vor keine zerfetzten Kriegstoten zu zeigen, obwohl zur Hochzeit des Impressionismus viele Kriege stattfanden.
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Maestro84 »

Das Problem ist wohl, dass in Spielen jeder Spieler etwas Anderes sieht. Der Eine erwartet eine akkurate Darstellung der Geschichte anhand heutiger Sichtweisen, der Andere nur ein Unterhaltungsprodukt. Der Vergleich mit Bildern, die Kriege verherrlichen, kam mir auch schon in die Gedanken. Und schauen wir uns alte Filme an, die natürlich für die Zeit unschöne Dinge ausgeblendet haben. Aber wir werden den Konflikt wohl nicht auflösen. Für mich sind Spiele am Ende nicht einmal Kunst, sondern ein Konsumprodukt. Es steht aber jedem Entwickler auch frei, eine Art Anno auf ernst zu entwickeln. Wenn der Markt groß genug ist, stimmt dann auch der Umsatz.
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Domi-Wan Kenobi »

Die einzige Frage die sich mir am Ende des Podcast stellt, wie viel Geld müssten wir monatlich springen lassen, um Dimi dauerhaft zu THE POD zu holen??? :D
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Andre Peschke »

Domi-Wan Kenobi hat geschrieben: 4. Sep 2020, 12:06 Die einzige Frage die sich mir am Ende des Podcast stellt, wie viel Geld müssten wir monatlich springen lassen, um Dimi dauerhaft zu THE POD zu holen??? :D
Keine Ahnung - bewerft uns mit Geld und dann sehen wir ja! #fürdiewissenschaft

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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Terranigma »

BlackSun84 hat geschrieben: 4. Sep 2020, 11:36Das Problem ist wohl, dass in Spielen jeder Spieler etwas Anderes sieht.
Genau das wäre mein Punkt: das ist kein Problem, sondern eine Bereichung - eben Multiperspektivität. Gerade deshalb wäre es wünschenswert, würden Tests auch im Hinblick auf die Wertung diesbezüglich weniger wie Stiftung Warentest vorgehen, sondern vielfältige Perspektiven auch im Test erlauben. Call of Duty mögen spielmechanisch tolle Shooter sein, aber ich kann den Hurrah!-Patriotismus persönlich nicht ertragen, d.h. für mich ist's schlichtweg kein spaßiges Spiel und müsste ich das mit einer Zahl versehen, so würde da keine 70 oder höher stehen. Umgekehrt verstehe ich aber vollkommen, wenn einen dieser Aspekt überhaupt nicht tangiert, und man das griffe Movement und Gunplay zu schätzen weiß und es daher insb. im Multiplayer für gute Titel erachtet.
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Rigolax »

Terranigma hat geschrieben: 4. Sep 2020, 12:12
BlackSun84 hat geschrieben: 4. Sep 2020, 11:36Das Problem ist wohl, dass in Spielen jeder Spieler etwas Anderes sieht.
Genau das wäre mein Punkt: das ist kein Problem, sondern eine Bereichung - eben Multiperspektivität. Gerade deshalb wäre es wünschenswert, würden Tests auch im Hinblick auf die Wertung diesbezüglich weniger wie Stiftung Warentest vorgehen, sondern vielfältige Perspektiven auch im Test erlauben. (...)
Ich stimme da auch zu, dass so etwas in Tests/Reviews seinen Platz haben sollte, und fände ein Review/einen Test, der Anno 1800s Nicht-Thematisierung von Sklaverei/Sklavenhandel bespricht, tendenziell auch interessanter als einen, der das weglässt.

Das Ding ist ja aber, dass ein Kritiker (in der Regel) mit seiner Meinung doch die Spielelandschaft, wenn nicht die Welt, etwas besser machen will. Wer ein Spiel niedrig oder hoch bewertet, möchte damit doch, zumindest implizit, tendenziell erreichen, dass entweder mehr oder weniger solcher Inhalte künftig produziert werden. Dies gilt noch viel mehr, wenn etwas abgestraft werden würde, weil es regelrecht für gesellschaftlich problematisch erachtet wird, sei es wegen transportierter Geschichtsbilder, (unterstellter) Sexismen, Rassismen, Militarismen, Patriotismen etc. (und die Begriffe werden, auch wegen eines gewissen Concept Creeps, vielleicht ja auch nicht unbedingt immer sparsam verwendet).

Dahingehend wäre es doch in gewisser Weise nachvollziehbar, wenn Fans von Anno so-wie-es-ist dann eben derartige Besprechungen ablehnen, weil sie den aus ihrer Sicht negativen Einfluss auf ihr Spiel nicht wollen. Kann man als intolerant, reaktionär oder (nur) konservativ ja ablehnen, aber daher kommt vermutlich eine solche Anti-Haltung in Bezug auf eine, aus solcher Sicht dann halt nicht bereichernde, Multiperspektivität. Das ist ja wohl auch nichts groß anderes als das "no politics in games". -- Daher wohl auch manche Ablehnung von Trigger/Content-Warnungen, weil diese immer auch eine gewisse Ächtung mittransportieren, was bewirken könnte, dass vor entsprechend gewarnte Inhalte dann halt (wirtschaftlich effizienter Weise) einfach gar nicht mehr produziert werden. Etwaige Morddrohungen für Leute, die diese Warnungen zumindest als Option in den Raum stellen, sind und bleiben natürlich dennoch verachtenswert und vielleicht überwiegen ja dennoch auch die Vorteile.

Oder anders gesagt: Die eine Sicht, weil sie die soziale Gerechtigkeit mutmaßlich hinter sich hat, verdrängt doch möglicherweise die Sicht, die "nur" die eskapistische/künstlerische Betrachtung hinter sich hat, alleine dadurch, weil es ihr aktiv an Gerechtigkeit/Egalität liegt, was an sich das "bessere" Ziel sein könnte und doch auch leichter argumentativ zu vertreten ist. Mit diesem Bewusstsein wäre es dann vielleicht besser, wenn etwaige Kritiker etwas weniger mit -Ismen oder "hochproblematisch" um sich werfen könnten, weniger Gefährlichkeit/Problematik unterstellen.

Man kann da ja wohl auch Parallelen zur Debatte um die Rolle und Funktion von Journalismus an sich ziehen. Da gibt es einerseits die Seite, die Arbeit eher deskriptiv und wertfrei verstehen (im Spielbereich der Waschmaschinentest), die sich "auch nicht mit einer guten Sache gemein machen" wollen, und andererseits eben solche, denen es an sogenannter Haltung liegt und vermeintliche Neutralität kein Kriterium mehr sein soll. In gewisser Weise ist das sogar ein Generationenkonflikt.
Stefan H. hat geschrieben: 3. Sep 2020, 19:53 Jede Spielmechanisch irgendwie sinnvolle Darstellung von Sklaverei kann und wird als Verharmlosung oder gar als Glorifizierung verstanden werden. Weil viele Aspekte im Scope einer Anno Simulation nicht dargestellt werden können. Es gibt einfach keine Menschlichen Schicksale in Anno. Jeder Aspekt der Sklaverei Simulation der dem Spieler irgendwelche Vorteile bringt, wird sicherlich als Glorifizierung verstanden. Wenn Sklaverei keine Vorteile bringt, werden Spieler diese nicht nutzen - außer er will sich als Herrenmensch fühlen. Also wieder Glorifizierung.
Dem Spieler den Abbau von Sklaverei als lösbare Aufgabe zu stellen, verharmlost das Problem ...
Egal was der Entwickler macht, er kann in diesem Spiel mit dem Sklaverei Thema nicht gewinnen.
Dahingehend ist vielleicht auch Prison Architect interessant. Da kann man Gefängniszwangsarbeit "for profit" einsetzen, und auch Todesstrafen ausführen. Das Spiel bildet diese Aspekte auch ohne erhobenen Zeigefinger ab. Ich finde es ja nicht verherrlichend/verharmlosend/bagatellisierend, aber man könnte es wohl so sehen. Kurioser Weise ist mein Eindruck vom Spiel auch, dass es spielmechanisch besser ist, auf solche menschenverachtenden Maßnahmen zu verzichten und stattdessen ein Gefängnis skandinavischem Vorbilds zu betreiben; auch vielleicht eine interessante Botschaft.
real Troll
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von real Troll »

Ich möchte einen fachlichen Widerspruch zu Doms Meinung anmelden. Anno 1800 kann es sich von allen "historischen" Annos am ehesten leisten, die Sklaverei nicht als integralen Bestandteil der Pixelgesellschaft darzustellen, denn die welthistorische Unerhörtheit, dass ein altes soziales Institut wie eben die Sklaverei heute fast weltweit als nahezu abgeschafft oder zumindest in die Unsichtbarkeit abgedrängt gilt, sattelt auf eben jenen Prozessen der im letzten Anno-Teil dargestellten Epoche.

Terranigma hat völlig zu Recht auf die Bedeutung dieses Schlüsseljahrhunderts hingewiesen, das eben nicht nur Mobilität (räumlich wie sozial), Kommunikation, Herrschaft oder Partizipation intensivierte, sondern eben auch die Abschaffung der Sklaverei als breite Bewegung in fast allen europäischen und später auch amerikanischen Staaten verankerte (Abolitionismus). Wenn Dom ausgerechnet dem Jahrhundert, das den wirkungsmächtigen Schritt bei der Abschaffung der Sklaverei ging, die Sklaverei als essentielles Merkmal anheften möchte, negiert er bis heute wirkende historische Abläufe.

Gab es etwa im 19. Jh. gar keine Sklaven mehr? Wenn man Geschichte als Prozess und nicht als Abfolge von klar getrennten Modulen versteht, modifiziert sich eine solche Frage. Es gibt keine Zäsur, vielmehr schwindet die Sklavendichte über die Zeit. Damit sind zwei konträr wirkende Perspektiven möglich. Entweder fragt man nach den Bedingungen für die einsetzende Abschaffung und sieht auf die Veränderung. Oder man guckt auf die Restbestände des sich ablösenden Alten. Kann man beides machen und genauso funktioniert ja auch Geschichtswissenschaft, indem man Perspektiven verargumentiert und in den fruchtbaren Abgleich bringt.

Nur gibt es bei Dom eben kein Kann, vielmehr - und das hat mich gestört - pocht er auf seine Interpretation und wünscht sich ausdrücklich eine Bestrafungsmacht, wenn ein Autor eine davon abweichende (und sachlich eben gerechtfertigte) Sichtweise platzieren möchte. Ich bin dann regelrecht froh über die offenbar mäßigend wirkenden Strukturen des klassischen Produkttests, der in seiner leisetreterischen Langweiligkeit derart hochfahrende Verdammungsurteile zu vermeiden in der Lage ist.
Das fiel mir bereits in der Diskussion um "Kingdom Come: Deliverance" auf: Kühler Test bei der Presse, dagegen Action im Speichel bei vielen Bloggern, weil die spätmittelalterliche Gesellschaft nicht mit den Repräsentanten ihrer heutigen identitätspolitischen Wünsche aufwartete. So fade mir der reine Produkttest aus dem Verlagshaus oftmals erscheint, so lieb ist er mir mittlerweile bei Themen, die mehr als nur einen weltanschaulichen Zugang gestatten, weil er eine Aufgeräumtheit sichert (oder erzwingt), die der ungebundene Kritiker immer schwerlicher aufzubringen vermag.
Stefan H.
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Stefan H. »

real Troll hat geschrieben: 4. Sep 2020, 13:44
Nur gibt es bei Dom eben kein Kann, vielmehr - und das hat mich gestört - pocht er auf seine Interpretation und wünscht sich ausdrücklich eine Bestrafungsmacht, wenn ein Autor eine davon abweichende (und sachlich eben gerechtfertigte) Sichtweise platzieren möchte. Ich bin dann regelrecht froh über die offenbar mäßigend wirkenden Strukturen des klassischen Produkttests, der in seiner leisetreterischen Langweiligkeit derart hochfahrende Verdammungsurteile zu vermeiden in der Lage ist.
Das fiel mir bereits in der Diskussion um "Kingdom Come: Deliverance" auf: Kühler Test bei der Presse, dagegen Action im Speichel bei vielen Bloggern, weil die spätmittelalterliche Gesellschaft nicht mit den Repräsentanten ihrer heutigen identitätspolitischen Wünsche aufwartete. So fade mir der reine Produkttest aus dem Verlagshaus oftmals erscheint, so lieb ist er mir mittlerweile bei Themen, die mehr als nur einen weltanschaulichen Zugang gestatten, weil er eine Aufgeräumtheit sichert (oder erzwingt), die der ungebundene Kritiker immer schwerlicher aufzubringen vermag.
Wenn ich mich richtig entsinne hat Dom sinngemäß gesagt: Mal richtig abwerten und dann schauen wie Ubisoft reagiert. Das hat meines Erachtens mit Journalismus einfach gar nichts mehr zu tun. Egal wie edel die Motive sein mögen, das ist kaum besser als die reaktionären Spieler die ein Battlefield abwerten weil es weibliche Soldaten zeigt.
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Andre Peschke
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Re: Runde #282: Fallstricke des Spielejournalismus

Beitrag von Andre Peschke »

Stefan H. hat geschrieben: 4. Sep 2020, 16:05 Wenn ich mich richtig entsinne hat Dom sinngemäß gesagt: Mal richtig abwerten und dann schauen wie Ubisoft reagiert.
Hmmmm...das hab ich null in Erinnerung. Gut, es war spät... ist schon eine Weile her für mich... aber... sicher?

Andre
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