rammmses hat geschrieben: ↑31. Dez 2020, 14:55
Den Podcast fand ich jetzt in weiten Teilen unfair, einige Kritikpunkte sind nachvollziehbar, aber das ist alles "Nitpicking".
Was bei mir zu negativ rüberkam, war die zu klare Empfehlung das Spiel nicht jetzt zu spielen und die viel zu träumerischen Einschätzungen bzgl. der gestrichenen und rudimentär vorhandenen Spielelemente, die einen viel unfertigeren Eindruck vermittelt haben, als das IMO tatsächlich der Fall ist.
Zum einen werden die Elemente sicher nicht alle nachgeliefert und zum anderen wäre ein Großteil davon auch bei einem Release mit mehr Feinschliff nicht im erträumten Umfang integriert worden. Wer ein bisschen Erfahrung mit Open World Spielen hat, sollte doch eigentlich wissen, dass da immer an allen Ecken und Enden ungenutztes Potential brachliegt und auch nicht jedes angedeutete Spielelement realistisch eine Chance auf eine vollständige Ausarbeitung hatte.
Beispiele wären RDR2 mit seinen oberflächlichen RPG-Elementen, bei denen wohl auch irgendwann mal mehr geplant war und auch viel Potential brachliegt und AC:OD mit den beiden Kriegsparteien, bei denen man vollkommen sinnlos und ohne weitere Auswirkungen Gebiete für die beiden Seiten übernehmen kann. Da könnte man auch jeweils sagen, dass da viel mehr geplant war - trotzdem waren diese Elemente im finalen Spiel eben nicht ausgearbeitet und es kam trotz GaaS-Ansatz (bei RDR2 über die Online-Komponente) auch nie etwas entsprechendes nach. Und dennoch waren beide Spiele GOTY-Kandidaten und bei vielen Spielern auf den Plätzen 1-3 vertreten.
Im Gegensatz dazu kamen die ganzen Vorzüge und Stärken von Cyberpunk zu wenig zur Sprache. Klar wurde mal angedeutet, dass bestimmte Elemente herausragend sind, aber immer mit dem Hinweis, dass das in den Problemen untergeht oder doch noch der Feinschliff fehlt. Und das sehe ich vollkommen anders. Für mich hat das Spiel auch in der aktuellen Form GOTY-Qualität - und das nicht wegen seines Potentials, sondern weil ich damit in der vorliegenden Form bereits mehr Spaß als mit allen anderen in diesem Jahr erschienen Spielen hatte.
Ghost of Tsushima (der einzige ernsthafte Konkurrent aus dem Open World Bereich) scheitert für mich z.B. an seiner Nähe zu Ubisoft-Titeln und den damit verbundenen Ermüdungserscheinungen nach bereits ca. 20 Stunden - also sogar noch weit früher als bei den meisten Spielen der AC-Reihe. Interessante Elemente des Skilltrees sind dort viel zu früh aufgebraucht und in der zweiten Spielhälfte muss die Story das Spiel quasi alleine tragen, da selbst das anfangs interessante Kampfsystem sich zu weit abgenutzt hat. Dieser Effekt hat sich bei Cyberpunk bei mir auch nach 50 Stunden noch nicht eingestellt, was einerseits an der Detailverliebtheit der Entwickler liegt, aber eben auch daran, dass das Spiel ein komplett frisches Gameplay und Setting bietet, bei dem man nicht ständig die Nähe zu anderen Open World Spielen spürt.
TLOU2 scheitert an seiner Technik - die 30fps finde ich einfach durchgehend störend, während Cyberpunk nur dann nervt, wenn gerade wieder ein Grafikfehler auftritt, in den restlichen 95% der Spielzeit aber beeindruckende Grafik bietet, in einer Qualität und Detailverliebtheit, die ich noch nicht für möglich gehalten hätte und die jedes andere Spiel weit hinter sich lässt.
Ein Jahr abwarten würde ich bei so einem solchen Ausnahme-Titel sicher nicht - wenn es danach ginge, könnte man das bei jedem Spiel empfehlen, da sich ein GoT jetzt in 60fps auf der PS5 auch viel toller spielt als die PS4 Version oder generell am PC alles besser wird, wenn man eine Generation abwartet und dann die Ultimate-Edition mit DLCs für €20 im Sale abgreift und diese mit höherer Auflösung und Framerate spielen kann. So überlegt vorzugehen, hat für mich aber nichts mehr mit einer Leidenschaft für Videospiele zu tun. Wer jederzeit ein großes Zeitfenster für solche Titel übrig hat, kann sicher noch 2 Monate warten, aber wer sein größtes Zeitfenster über die Weihnachtstage hat, kann zumindest am leistungsstarken PC IMO jetzt schon problemlos zuschlagen.
Statt Leidenschaft spüre ich hier (aber auch an anderen Stellen) eher eine zwanghaften Drang, besonders seriösen Spielejournalismus zu betreiben und sich dabei hinreichend vom hypenden Mainstream abzusetzen. Grundsätzlich auch ein erfreulicher Ansatz, der aber IMO immer mal wieder über das Ziel hinausschießt und die Leidenschaft für das Hobby untergräbt. Hier würde ich mir oft einen etwas ausgewogeneren Ansatz wünschen.
Auch wenn es als unprofessionell dargestellt wurde, kann ich aus einer subjektiven 10er Wertung von Jörg Langer mehr für mich ableiten als aus einer Detailanalyse jeder Spielmechanik und jedes Mangels, die dabei IMO den Blick auf das Ganze verliert und es durch die Heransgehensweise auch dem Tester schwer macht, das Spiel und dessen Atmosphäre unbeschwert auf sich wirken zu lassen. Beim Review und im Spieleveteranen-Podcast merkt man bei Jörg Langer, dass ihn das Spiel und Setting wirklich abgeholt haben und dass das Spiel unter gewissen Voraussetzungen und für bestimmte Spielertypen tatsächlich bereits jetzt extrem gut funktionieren kann. Gerade bei Cyberpunk fehlt es im Netz sicher nicht an Informationen über Bugs und Meta-Diskussionen, sondern an Eindrücken zum eigentlichen Spielerlebnis.