Ich will mich nicht an irgendwelchen ad hominems beteiligen, aber dieser [edit: erste] Absatz hat mich ehrlich gesagt doch etwas stutzig gemacht. In diesem Sinne: In defendam of Mafia 2Jochen hat geschrieben:Selbstverständlich ist das Wort respektlos - und zwar nicht nur, wenn es um Unterhaltungsmedien geht. Aber warum sollte ich vor einem Werk wie Mafia 2 Respekt zeigen, das (fast) jeden künstlerischen Anspruch und Wert für schnöde Massenmarkttauglichkeit über Bord wirft? Dieses Spiel verdient - im Gegensatz zum großartigen Vorgänger - keinen Respekt, sondern Respektlosigkeit, weil es die Erstgeburt für ein Linsengericht verkauft. Es ist Schund. Aufwändig produzierter Schund vielleicht, Schund der einigen Leuten Spaß macht (als ob das je ein Qualitätsmerkmal gewesen wäre) und den man streckenweise sogar loben müsste, wenn man sich dem Medium immer noch nähert als wären es Nähmaschinen und keine Werke von (hoffentlich) Belang, aber dennoch ... Schund.Axel hat geschrieben:Ich bin aber auch der Meinung, dass Wörter wie "scheiße" respektlos ist, wenn es um die Bewertung von Unterhaltungsmedien geht
Jetzt könnte man freilich einwenden: Jochen, das ist Quatsch, hier sind fünf gute Gründe, warum Mafia 2 ein relevantes Werk ist. Das würde ich gerne diskutieren. Ich müsste Mafia 2 wahrscheinlich nochmal spielen, um darauf angemessen zu antworten, aber diese Diskussion wäre spannend, ja lohnend. Warum manche Leute stattdessen lieber ungefragt meinen Schnabel pflegen oder unsere vermeintliche Arroganz nachweisen wollen, ist mir offen gestanden ein Rätsel. Das kann doch keine Freude bereiten.
Edit: Bevor vielleicht jemand Schnappatmung bekommt - der Begriff "Schund" ist im Kontext dieser Diskussion bewusst provokant gewählt. Und je nach Leseweise (ich beispielsweise konsumiere gerne Schund) auch längst nicht so negativ besetzt wie man möglicherweise annehmen könnte.
Spiele, wie Film und Musik und auch Literatur, wie du ja eh weißt, sind nicht nur (manchmal) eine Kunstform mit künstlerischem Anspruch, sondern eben auch sehr oft ein relativ dummes Unterhaltungsmedium, das es (überspitztes Beispiel incoming) nach 8 Stunden Nachtdienst auf der Couch im semikomatösen Zustand noch schafft, mich zu unterhalten. Das hat durchaus seinen Wert und ist für das was es sein will, nämlich leicht verdauliche Unterhaltung, auch kein Schund. Und Mafia 2 ist ein gutes Produkt für diese Sparte unserer Entertainmentkultur. Vor allem im Vergleich zum Vorgänger ist mir deine Form der Empörung bzgl M2 schon sehr fremd. Mafia 1 hat im wesentlichen eine sehr ähnliche Erfahrung geboten. Es war etwas weniger komot, ja, was dem Spiel aber sehr, sehr oft geschadet hat, da es an manchen Stellen fast schon unterträglich unzugänglich ist. Mafia 1 würde ich heute nie durchspielen, das Missionsdesign ist indiskutabel. Manche Missionen wie der Diebstahl des Rennautos, das Rennen oder die unzähligen escort missions waren einfach brutal designed, die balance war total im Eimer. Mafia 1 ist in vielerlei Hinsicht spielmechanisch ein ziemlicher clusterfuck. Und einzelne dürftige Elemente in M1 wie z.B. das gunplay wurden in M2 mMn merklich verbessert. Mafia 1 war insgesamt zwar trotzdem für seine Zeit (!) die bessere Erfahrung, aber Mafia 2 ist nichtsdestotrotz ein absolut "respektables" Spiel in all seinen Elementen und ein großer Unterschied in der Spielphilosophie und künstlerischer Ambition ist mMn überhaupt nicht erkennbar. Mafia 2 (wie auch M1) ist in keiner Sache wirklich erstklassig, aber eben auch nirgends schrecklich. Es ist, wie M1, nicht wirklich originell in seiner Erzählung, aber das will es auch sehr offensichtlich nicht sein. Manche Szenen wie das Verkaufen von Zigarettenkisten sind direkt aus GoodFellas, der Hauptcharakter ist der perfekte Mix aus einem jungen Brando und Pacino, etc. Mir kann aber keiner ernsthaft erzählen, dass man Abermillionen von Spielekopien mit Referenzen zum jungen Brando oder Scorsesefilmen verkauft, weiß demnach nicht, wieso Mafia 2 seine Seele verkauft haben soll für Markttauglichkeit, im Gegenteil: Es wurde (und wird immer noch) primär dafür kritisiert, nicht wie die GTA Spiele zu sein! Die eigene Identität wurde der Mafia Franchise zum Verhängnis, nicht das kompromisslose Beugen vor der GTA franchise. Mafia 2 ist in mancherlei Hinsicht für Mafia 1 was Fallout 2 für Fallout 1 war: Im wesentlichen dieselbe Erfahrung, spielmechanisch runder, aber etwas weniger ernsthaft und mit einem großen Haufen Popkulturreferenzen. Das Spiel will mit einer wiedererkennbaren, interaktiven Mobster Erfahrung, einer glaubwürdigen Welt und mit *Unmengen* an Anspielungen an die bekannten Filmwerke, unterhalten. Die Geschichte ist im wesentlichen ein gut geschriebenes best of aus allen bisherigen Mobster Filmen (ist nicht schwer zu schreiben, aber immerhin) und wenn wir beginnen, Geschichten basierend auf ihrer Originalität zu bewerten, dann sollten wir nochmal ernsthaft über Bioshock reden, das im Gegensatz zu Mafia 2 nur ein source material hat, nämlich SS2, und dieses auch noch frech und mMn sogar relativ peinlich kopiert, da manche Elemente in der Übertragung nicht mehr besonders viel Sinn machen, wie z.B. die audiologs.
Ich finde es schon etwas überraschend, dass Mafia 2 eine solch leidenschaftliche Reaktion in dir auslöst. Mafia 2 ist sehr ehrlich im Bezug auf die Erfahrung, die es bieten will, es versteckt seine Wurzeln nicht und lässt einen einfach selbst ein seichtes best of bekannter Mafiawerke spielen. Nothing wrong about that. Mir hats Spaß gemacht. Ich brauchs nicht nochmal spielen, lieber mach ich ein screening von der Hochzeitsszene in The Godfather mit ein paar Freunden, was für mich nach wie vor eine absolute Filmlehrstunde ist in Sachen Charaktereinführung (von 10+ Charakteren), aber es ist wirklich nichts in Mafia 2, das Respektlosigkeit unabdingbar macht. Es ist weniger Kunstwerk als The Godfather, ja, aber es weiß zu unterhalten. Wenn man die Sache etwas nüchterner betrachtet stellt sich meiner Meinung nach wirklich weniger die Frage ob das Kunstwerk selbst "Respekt verdient", im Endeffekt ist ein Kunstwerk auch "nur" ein Kunstwerk, sondern ob die Künstler (bzw Programmierer wenn man Mafia 2 wirklich jede künstlerische Ambition abspricht) Respekt verdienen. Hier haben definitiv Leute daran gearbeitet, die kleine Freuden in die Spielwelt eingebaut haben, die Fans vom Genre für einen kleinen Moment in Erinnerungen schwelgen lassen. In Mafia 2 steckt ehrliche Arbeit und viel zeitlicher Aufwand, es steckt Seele im Spiel, es gibt keinen Grund, hier respektlos zu werden. Ist finde ich nicht nur wahr im Bezug auf Spiele, sondern auch andere Bereiche. Ist vielleicht eine recht persönliche Sache bei mir, weil ich im Gesundheitswesen dieses Verhalten sehr häufig beobachten kann, obs von Patienten kommt oder von Oberärzten (der Pflegebereich ist so weit ich es beobachten kann auch nicht besser), aber mir spucken heutzutage zu viele Menschen auf anderer Leute Arbeit.
Es ist kein Schund. Es ist nicht besonders intelligent, aber auch nicht einfältig. Letzten Endes ist es erfolgreich in seiner Ambition und ein ehrliches Mafiaspiel, das einfach nur unterhalten will. Mehr war Mafia 1 (das du ja magst iirc) auch nicht. Ist künstlerisch nicht wertvoller. Ist aber nicht schlimm. Unterhaltungsmedium sein ist auch respektabel. Und das ist Mafia 2 für mich im wesentlichen: Solide, respektabel, unterhaltend, angenehm einfach und dennoch minimal intellektuell stimulierend aufgrund der zahlreichen Referenzen, demnach perfekt für einen Tag nach 8 Stunden Nachtdienst. Ein schönes Stück escapist fun.
Hier ein 15 minütiges review eines Freundes (kann verstehen, wenn du dir nicht so viel Zeit nimmst, aber das Video triffts eigentlich relativ gut, auch wenn ich nicht mit jedem einzelnen Punkt übereinstimme):
https://www.youtube.com/watch?v=W5IEv8ArRno