Runde #317: Cancel Culture?

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Hedeltrollo
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Hedeltrollo »

Juliosovic hat geschrieben: 2. Mai 2021, 08:02 Ich konnte Jochens Kritik an dem Anno-Beispiel aufgrund der ausführlichen Darlegung durchaus nachvollziehen, kann ihm allerdings nicht zustimmen. Gerade in einem Spiel wie Anno, das sich auf den Aufbau von Wirtschaftskreislaufen im 18./19. Jh. konzentriert, einem System, das nicht ohne die Arbeitskraft von Sklaven möglich gewesen wäre, finde ich die Aussparung dessen durchaus problematisch.
Super Punkt. Hatte genau den selben Gedanken. Am Ende kommt es wohl auf das Setting an, welche historischen Elemente aufgegriffen werden sollten. Ein 2. Weltkriegs-Shooter hat das wesentliche Element eines Krieges, der Kampf auf Leben und Tot, schon integriert und kommt dran auch nicht vorbei.
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Andre Peschke
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Andre Peschke »

ZiggyStardust hat geschrieben: 2. Mai 2021, 16:04
Warum gab es die Diskussion eigentlich nicht bei Age of Empires 3? Das blendet doch den Sklavenhandel genauso aus.
So gesehen ging es schon bei „Die Fugger“ los. :D

Aber das ist dann halt eher Whataboutism. Man kann das erstmal am Beispiel Anno 1800 diskutieren und den Befund dann auf andere Titel anwenden. Das die Diskussion früher an anderen Stellen versäumt wurde, würde Dom ja vermutlich bejahen.

André
Voigt
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Voigt »

Hedeltrollo hat geschrieben: 2. Mai 2021, 16:13
Juliosovic hat geschrieben: 2. Mai 2021, 08:02 Ich konnte Jochens Kritik an dem Anno-Beispiel aufgrund der ausführlichen Darlegung durchaus nachvollziehen, kann ihm allerdings nicht zustimmen. Gerade in einem Spiel wie Anno, das sich auf den Aufbau von Wirtschaftskreislaufen im 18./19. Jh. konzentriert, einem System, das nicht ohne die Arbeitskraft von Sklaven möglich gewesen wäre, finde ich die Aussparung dessen durchaus problematisch.
Super Punkt. Hatte genau den selben Gedanken. Am Ende kommt es wohl auf das Setting an, welche historischen Elemente aufgegriffen werden sollten. Ein 2. Weltkriegs-Shooter hat das wesentliche Element eines Krieges, der Kampf auf Leben und Tot, schon integriert und kommt dran auch nicht vorbei.
Es spielt aber nicht im 18. Jhr. sondern im 19. Jhr. und damit Zeitalter der aufkommenden industriellen Revolution in England. Und da ist deren Wirtschaft schon unabhängig von der Sklavenwirtschaft (immernoch abhängig vom Imperialismus, aber das ist seperat).
Anno 1602 und 1701 wäre viel passendere Kandidaten für die Sklavendiskussion, aber halt gerade Anno 1800 nicht.
error42
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von error42 »

Zur Causa Schott ./. Anno 1800:

Ich kann Doms Einwände gut nachvollziehen (auch wenn ich es selbst letztlich eher wie Jochen sehe) und denke es macht auch Sinn eine solche Frage mal an einem konkreten Spiel aufzuwerfen, auch wenn es vielleicht viele andere Spiele gäbe auf die es genauso zutreffen würde. Was mich aber wundert ist, daß Dom so stark darauf wert legt, daß die Entwickler sich persönlich und direkt ihm gegenüber erklären müssen. Ist das nicht ein wenig anmaßend? (ohne sagen zu wollen Dom sei sonst/insgesamt anmaßend; eher das Gegenteil trifft ja zu; aber gerade deshalb hat es mich ja so überrascht)

Ich denke es gibt neben dem im Podcast gesagten noch einen ganz anderen Grund warum große Firmen wie Ubisoft solche direkten Antworten vermeiden müssen. Eine solche Antwort bringt immer (zusätzliche) Aufmerksamkeit und wenn das zur Regel werden würde, wäre es eine sehr einfache Möglichkeit für Blogger etc. öffentliche Wahrnehmung und damit Werbung für sich zu generieren: einfach einen deftigen Post raushauen, in dem das neue Spiel einer großen Firma irgendwie in ein kontroverses Licht gerückt wird (und man finden ja immer was, wenn man sich ein wenig bemüht) und es gibt kostenlose Werbung vom Weltkonzern. Dann kämen Ubi, EA & Co. aus dem Rechtfertigen gar nicht mehr heraus.

Außerdem darf man nicht vergessen, daß heikle gesellschaftlich/politische Themen für Firmen ein absolutes Minenfeld sind und es auch nicht leicht für die Firmen ist, damit umzugehen. Als Influencer, Blogger etc. kann man ja leicht mal eine steile These raushauen, aber für Firmen kann das existenzbedrohend werden (siehe z.B. H&M neulich in China).
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Terranigma
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Terranigma »

Voigt hat geschrieben: 2. Mai 2021, 15:53 Was isn der Unterschied zwischen Vergangenheit und Geschichte?
Vergangenheit ist das, was war. Sie ist unverändlich verangen und somit der Erkenntnis entzogen. Wir können nicht in die Vergangenheit gehen, sondern sind in der Gegenwart gefangen. Wenn wir in die Vergangenheit blicken wollen, tun wir das etwa in Form von Erinnerungen. Aber meine Erinnerung ist eine Rekonstruktion dessen, was war. Sie ist nicht identisch damit. Wenn ich dich frage: "Wie war dein gestriger Tag?" wirst du mir darauf eine Antwort geben können. Du wirst wohl kurz überlegen und dann schreiben, was dir in den Sinn kommt. Aber eben auch nur das, was wir in den Sinn kommt. Und das auch im Vertrauen darauf, dass diese Erinnerung dem entspricht, was war. Geschichte ist in diesem Sinne eine (Re-)konstruktion von Vergangenheit. Das ist das Fundament von historischen Denken, sozusagen das ABC oder 1x1. Die konzeptionelle Unterscheidung von dem was war, und dem Erinnern an dem, was war.

Das klingt vielleicht nach einer Kleinigkeit, ist's in der Konsequenz jedoch nicht. Wenn man Geschichte als (Re-)Konstruktion von Vergangenheit begreift, so ergibt sich vieles daraus. Es ergibt sich, dass es nicht nur eine 'wahre' (Re-)Konstruktion geben kann. Eben weil wir Vergangenheit unterschiedlich interpretieren. Abhängig davon, mit welchem Blick wir aus unserer Gegenwart auf sie schauen. Wie wird Dinge einordnen, beurteilen und bewerten. Oder auch welche historischen Quellen uns zur Verfügung stehen, um ein Bild von der Vergangenheit zu zeichnen. Wenn ich das Fach in der 5. oder 6. Klasse einführe, erkläre ich's meist so: "Vergangenheit ist gestern. Geschichte ist, wenn wir uns heute - hier und jetzt - über gestern unterhalten." Dass das Reden über das gestern ist nicht identisch mit gestern. Und während gestern eindeutig ist, ist es das Reden darüber nicht: Wir könnten uns alle für eine Stunde in einen Raum setzen und wenn ich einen Tag später frage, was in dieser einen Stunde passierte, werde ich verschiedene Darstellungen der vergangenen Ereignisse hören. Und diese können jeweils für sich zutreffend sein.

In der Oberstufe erkläre ich's dann eher hiermit:
„Geschichte“ tritt uns entgegen als ein (…) gestützter Vorstellungskomplex von Vergangenheit, der durch das gegenwärtige Selbstverständnis und durch Zukunftserwartungen strukturiert und gedeutet wird. Nur in dieser Form haben wir Geschichte in unserer Vorstellung; sie ist eben nicht die reale Vergangenheit selbst oder ihr Abbild, sondern ein Bewusstseinskonstrukt, das von einfachen Slogans bis zu elaborierten [ausgearbeiteten], mit wissenschaftlichen Methoden gestützten Rekonstruktionen reicht."
Geschichte ist nicht die Gegenwart der Vergangenheit, wie sie an sich oder wie sie eigentlich war. In dieser Bedeutung ist Geschichte vergangen und unwiederbringlich verloren. Vergangenes Geschehen ist uns in einer anderen Form gegenwärtig:
Geschichte ist die jeweils gegenwärtige, symbolisch vermittelte Rekonstruktion vergangenen Geschehens. Dieser Gegenwartsbezug ist wesentlich. Geschichte ist Reflexion1 der Gegenwart in Bezug auf vergangenes Geschehen.
BlackSun84 hat geschrieben: 2. Mai 2021, 15:58Sähe das in anderen Bereichen so viel anders aus? Die selbe Aufgabe mit Römern und du bekommst Römer und Gallier wie in Asterix vorgelegt, bei Japanern erhältst du Samurai und Ninja. Am Ende sieht es nur mal so aus, dass sich eine große Mehrheit für Geschichte in etwa so viel interessiert wie für Chemie, Musik oder Kunst.
Habe nicht behauptet, dass es anders sei. Das Beispiel diente nur der Illustration, dass medial-vermittelte Geschichtsbilder das Geschichtsbild von Heranwachsenden prägen. Stimme dir weiterhin zu: Wir alle werden in allerlei Bereichen der Lebenswelt allerlei verquere Falschvorstellungen im Kopf haben, die uns nicht bewusst sind. Anwesende eingeschlossen. Niemand kann Experte in allem sein, sondern man sucht sich seine Nische. Hier sehe ich dann auch den Mehrwert von guten Journalismus, der sich auch solchen Themen widmet.
Zuletzt geändert von Terranigma am 2. Mai 2021, 16:18, insgesamt 2-mal geändert.
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Maniac11
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Maniac11 »

Neben Anno könnte man auch noch zig andere Spiele nennen. Civ, Colonization, Age3 usw usw.

Selbst in Spielen wie Batman gibt es in der ganzen Stadt keine Zivilisten, es könnte ja einer zu schaden kommen. Da ging mir die Angst des Publishers schon fast zu weit fand das extrem unrealistisch!

Es sind nunmal Unterhaltsungsprodukte da bin ich bereit zu abstrahieren und ich glaube auch das 99% der Leute wissen das Anno kein realistisches Bild von dieser Zeitperiode liefert. Das tut aber auch kein moderner Ego-Shooter vom Gräul des Krieges und was weiß ich nicht noch. Bei Fifa regt sich doch auch keiner Auf das die Trikots und Schuhe von Kinder in der 3. Welt zusammengenäht werden.

Diese moralische Position ist irgendwie honorig aber halt auch völlig weltfremd.

Finde das ist auch kein "WhatAboutism" es ist erstmal eine Ferststellung des Status wie dieses Medium solche prekären Themen die letzten 40 Jahre mindestens behandelt hat. Ich kenne nunmal kein Medium wo der Begriff Kunst und Mut schwierige Themen anzugreifen so gering ist wie in der Spieleindustrie.
Zuletzt geändert von Maniac11 am 2. Mai 2021, 16:20, insgesamt 1-mal geändert.
SunshineBob
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von SunshineBob »

Fährmann hat geschrieben: 2. Mai 2021, 16:01 Ich bin ganz ehrlich: Ich hadere sehr mit mir, ob ich die Folge anhören soll oder nicht. Andere hier haben ja schon ihre Skepsis ausgedrückt, die sie durch den Titel der Folge empfunden haben. An dem Punkt bin ich auch gerade.

Ich wehre mich sehr gegen eine Normalisierung des Begriffes Cancel Culture, der in meinen Augen ein ziemlich rechtskonservativer Kampfbegriff ist.
Ich stimme deiner Einschätzung zwar nicht zu, aber selbst wenn, dürfte denn eine Auseinandersetzung über das Phänomen der sog. Cancel Culture dann gar nicht stattfinden? Also nicht mal in der Form, ob es dieses Phänomen überhaupt gibt?

Außerdem (siehe mein Post von gerade) geht es in der Folge eigentlich hauptsächlich nur um Doms Artikel, der Folgentitel ist daher imho ohnehin falsch gewählt.
cassikov
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von cassikov »

Ich möchte mich inhaltlich gar nicht zur Folge äußern, da ich sonst einen ganzen Roman schreiben könnte. Vielmehr möchte ich mich für diese Folge bei Jochen und Dom bedanken. Ich wünschte mir, dass die journalistische Aufarbeitung solcher Themen immer so ruhig, differenziert und sachlich aussieht. Eine Diskussion mit Argumenten, auf denen es sich aufbauen lässt. Großartig.
Zuletzt geändert von cassikov am 2. Mai 2021, 16:26, insgesamt 1-mal geändert.
Dr_Hasenbein
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Dr_Hasenbein »

Fährmann hat geschrieben: 2. Mai 2021, 16:01
Ich wehre mich sehr gegen eine Normalisierung des Begriffes Cancel Culture, der in meinen Augen ein ziemlich rechtskonservativer Kampfbegriff ist.
Das ist nicht korrekt. Der Begriff kommt aus der linken Strömung. Es wird zwar so getan, als hätte der Betroffene noch die Möglichkeit ein breites Publikum zu erreichen, das ist allerdings häufig nicht zutreffend. Er wird häufig in die jeweilige politische Bubble gedrückt, egal ob Links oder Rechts. Wenn Bernd Lucke als Professor seine Vorlesung nicht halten kann, weil Menschen mit politisch anderen Ansichten ihn daran aktiv hindern, obwohl das schlicht nichts mit seiner Politik zu tun hat und er als Politiker nicht mehr tätig ist, dann ist das Cancel Culture. Oder wenn der Film der ehemaligen Feministin Cassie Jaye nicht ausgestrahlt wird, weil die Company bedroht wurde, dann ist auch das Cancel Culture.
ZiggyStardust
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von ZiggyStardust »

Fährmann hat geschrieben: 2. Mai 2021, 16:01 Ich bin ganz ehrlich: Ich hadere sehr mit mir, ob ich die Folge anhören soll oder nicht. Andere hier haben ja schon ihre Skepsis ausgedrückt, die sie durch den Titel der Folge empfunden haben. An dem Punkt bin ich auch gerade.

Ich wehre mich sehr gegen eine Normalisierung des Begriffes Cancel Culture, der in meinen Augen ein ziemlich rechtskonservativer Kampfbegriff ist.

Ignorieren wir mal, dass 90% aller Menschen, die behaupten, gecancelt zu werden, gar nicht wirklich gecancelt werden, weil sie allein durch diese Behauptung eine enorme Medienreichweite bekommen. Und ignorieren wir auch, dass der Begriff zu 90% aus der rechten Richtung kommt. Zumindest habe ich noch keinen Linken gehört, der von sich behauptet, gecancelt zu werden. (Die Prozentzahlen habe ich mir übrigens gerade ausgedacht.)
Wenn ein Politiker, der sich für Geflüchtete engagiert, wegen Morddrohungen sein Amt aufgibt, kann man schon davon sprechen, dass er "gecancelt" wurde. Ebenso bei einem Geflüchteten, der aus Sorge um Bekannte und Familie jetzt doch nicht für die Grünen für ein Direktmandat kandidiert. Für manch prominente Schauspieler mögen Shitstorms ein willkommener Aufmerksamkeitsmultiplikator sein, aber wenn der Preis dafür ist von irgendwelchen Fremden Morddrohungen zu bekommen oder von diesen gestalkt zu werden, wird durch die sozialen Medien schon eine Art Cancel Culture geschaffen, die dazu führt, dass manche lieber gar nichts mehr sagen zu bestimmten Themen.
Voigt
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Voigt »

@Terranigma, ok dachte ich mir schon so, wollte aber nochma klar gestellt haben. ^^
Ist halt mehr Philosophischer Unterschied zwischen "Der Wahrheit / Die Realität" und dem menschlichen Konstrukt davon um die Welt zu erklären.
Sei es "die reale Vergangenheit" mit dem Konstrukt der Geschichte, oder "die Realität" mit physikalischen Theorien.
Maniac11
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Maniac11 »

Glaubt ihr denn , dass Spiele jemals sowas wie einen moralischen Kompass entwickeln werden? Aus dem Medium heraus hab ich da keinerlei Strömungen vernommen. Ich verfolge Videospiele jetzt seit den 90er aktiv.

Ein modernes Anno hat das Medium keinen cm weiter gebraucht als ein Siedler II
Ein modernes COD ist genau so eine Schießbude wie es damals Wolfenstein oder Doom war.


Ich sehe da einfach keine Entwicklung, außer in der absoluten Nische. Wenn ich schon diesen Ubisoft Claim am Anfang ihrer Spiele sehe, boah da muss ich immer mit den Augen rollen...
Ja es gibt mittlerweile Shitstorms die Firmen manchmal zum handeln zwingen aber aus der Branche selbst entsteht da gar nix.
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Fährmann
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Fährmann »

ZiggyStardust hat geschrieben: 2. Mai 2021, 16:23 Wenn ein Politiker, der sich für Geflüchtete engagiert, wegen Morddrohungen sein Amt aufgibt, kann man schon davon sprechen, dass er "gecancelt" wurde. Ebenso bei einem Geflüchteten, der aus Sorge um Bekannte und Familie jetzt doch nicht für die Grünen für ein Direktmandat kandidiert. Für manch prominente Schauspieler mögen Shitstorms ein willkommener Aufmerksamkeitsmultiplikator sein, aber wenn der Preis dafür ist von irgendwelchen Fremden Morddrohungen zu bekommen oder von diesen gestalkt zu werden, wird durch die sozialen Medien schon eine Art Cancel Culture geschaffen, die dazu führt, dass manche lieber gar nichts mehr sagen zu bestimmten Themen.
Aber der Unterschied ist: Ich hab noch nie einen Politiker, der sich für Geflüchtete engagiert sagen hören, dass er "gecancelt" wurde. Ich habe auch noch nie einen Politiker, der sich für Geflüchtete engagiert, auf der Titelseite einer Zeitung gesehen, mit einer Überschrift, die etwas mit Cancel Culture zu tun hatte. Ich stimme dir insofern zu, dass es Fälle im linken oder progressiven Spektrum gibt, in der Menschen "gecancelt" werden. Aber nach meinem Empfinden vermeiden sie diesen Begriff aufgrund von dessen Konnotation.
SunshineBob hat geschrieben: 2. Mai 2021, 16:18 Ich stimme deiner Einschätzung zwar nicht zu, aber selbst wenn, dürfte denn eine Auseinandersetzung über das Phänomen der sog. Cancel Culture dann gar nicht stattfinden? Also nicht mal in der Form, ob es dieses Phänomen überhaupt gibt?
Eine Auseinandersetzung wie: "Was ist Cancel Culture?" ist natürlich in Ordnung. Der Begriff wird ja von vielen Leuten verwendet. Eine Aufarbeitung macht also Sinn.

Probleme habe ich mit: "Ist Genshin Impact ein Opfer der Cancel Culture?" Denn diese Fragestellung impliziert, dass es Cancel Culture überhaupt gibt und normalisiert den Begriff durch seine Verwendung.
Maestro84
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Maestro84 »

Colonization
Ein Titel wie Colo wäre heute Selbstmord für Publisher, quasi ein Ritt auf der Rasierklinge über einem dicken, alle Atomsprengsätze zündenden, roten Knopf. Was aber auch schade ist, denn zumindest das originale Colo hab ich echt gemocht.
Ich sehe da einfach keine Entwicklung, außer in der absoluten Nische. Wenn ich schon diesen Ubisoft Claim am Anfang ihrer Spiele sehe, boah da muss ich immer mit den Augen rollen...Ja es gibt mittlerweile Shitstorms die Firmen manchmal zum handeln zwingen aber aus der Branche selbst entsteht da gar nix.
Medien entwickeln sich halt langsam weiter, was auch daran liegt, dass erst einmal nach und nach die Alten weichen und Junge in die Branche kommen müssen. Ein Actionfion mit Willis auf 1985 und einer mit Statham aus 2021 unterscheiden sich ja auch wenig. Man sollte medial nicht mehr Entwicklungen erwarten als auch gesellschaftlich.
Wenn ein Politiker, der sich für Geflüchtete engagiert, wegen Morddrohungen sein Amt aufgibt, kann man schon davon sprechen, dass er "gecancelt" wurde.
Lübke wurde komplett gecancelt. Wobei Themen wie Gewalt gegen Politiker aufgrund einer Meinung x und Unterhaltsgüter wie Videospiele nun wirklich ganz unterschiedliche Sonnensysteme sind. CC ist ja eher nur ein Zeichen für fehlenden Diskurs untereinander. Wenn sich beide Seiten (Nazi, du verharmlost Sklaverei vs Linker Spinner, du willst unsere Geschichte und Art zu leben umdeuten) treffen, dann kann es nur Mord und Totschlag geben. Und dabei sind die wirklich schlechten Zeiten noch lange nicht bei uns. Das wird noch amüsant.
Dr_Hasenbein
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Dr_Hasenbein »

Dass es Cancel Culture gibt, daran besteht kein Zweifel. Es lässt sich nicht leugnen, dass es politisch motivierte Gruppen sich zum Ziel gesetzt haben andere Menschen über das Netz ausfindig machen und sie bei Arbeitgeber, Vermieter oder ähnliches anschwärzen, um ihnen zu Schaden. Und dass es da dutzende Beispiele gibt, ist ebenfalls kaum wegzudiskutieren.
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Andre Peschke
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Andre Peschke »

Maniac11 hat geschrieben: 2. Mai 2021, 16:37 Glaubt ihr denn , dass Spiele jemals sowas wie einen moralischen Kompass entwickeln werden? Aus dem Medium heraus hab ich da keinerlei Strömungen vernommen. Ich verfolge Videospiele jetzt seit den 90er aktiv.

[...]


Ich sehe da einfach keine Entwicklung, außer in der absoluten Nische.
Die Existenz in der Nische ist aber doch bereits eine Weiterentwicklung. Die Palette von "This War of Mine", "Through the Darkest of Times", "My Child Lebensborn" etc ist heute so breit, wie nie zuvor, würde ich aus dem Bauch raus behaupten. Das ist eine Weiterentwicklung.

Das da auf dem Blockbuster-Level wenig passiert, verwundert nicht, weil dort überall die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners gefahren wird. Eine richtige Arthouse-Szene wie im Film existiert per se nicht, ist aber IMO auch dabei sich auszubilden. Gibt ja schon viele Menschen, die auf AAA verzichten und ausschließlich in verschiedenen Nischen unterwegs sind. Bei Spielen ist die Bandbreite dort naturgemäß noch größer, weil es eben auch Gameplay-Interessen zu berücksichtigen gilt und auch die Erzählform anders ist und weiter an ihrer Ausdifferenzierung arbeiten muss.

Zudem beobachten wir ja auch bei AAA zumindest eine Entwicklung hin zu mehr Diversität (weibliche Avatare, neue Optionen bei der Charaktererstellung). Auch hier steht das Medium also nicht komplett still.

Am Ende wird es wie bei anderen Kunstformen auch sein: In der Nische wird es alles geben. Professionelle Entwickler werden aber vor allem Geld verdienen wollen und Spieler werden in der Breite eher nach nicht allzu herausfordernder Unterhaltung suchen.

Andre
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Dr_Hasenbein »

Oh ja, und Valiant Hearts nicht zu vergessen
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Fährmann
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Fährmann »

Dr_Hasenbein hat geschrieben: 2. Mai 2021, 17:00 Dass es Cancel Culture gibt, daran besteht kein Zweifel. Es lässt sich nicht leugnen, dass es politisch motivierte Gruppen sich zum Ziel gesetzt haben andere Menschen über das Netz ausfindig machen und sie bei Arbeitgeber, Vermieter oder ähnliches anschwärzen, um ihnen zu Schaden. Und dass es da dutzende Beispiele gibt, ist ebenfalls kaum wegzudiskutieren.
Okay, lass es mich anders erklären.

Dass Menschen mundtot gemacht und angeschwärzt werden, existiert seitdem es Menschen gibt, einverstanden.

Der Begriff "Cancel Culture" tut so, als würde er dasselbe meinen, funktioniert durch sein Framing aber komplett anders. Er wird von Rechten verstärkt verwendet und ist in meinen Augen ein rechter Begriff, weil er Rechten extrem hilft. Ich versuche das durch ein Beispiel deutlich zu machen:

Angenommen, jemand benutzt das N-Wort in der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit reagiert darauf empört, weil es gegen den gesellschaftlichen Wertekodex verstößt. Dieser Jemand hat nun die Möglichkeit, den Begriff "Cancel Culture" zu verwenden. Er erreicht damit folgendes:

- Cancel Culture impliziert eine kulturelle Bewegung. Das impliziert, dass nicht die Mehrheitsgesellschaft gegen die Verwendung des N-Wortes ist, sondern nur eine gewisse Bewegung in einem politischen Spektrum der Mehrheitsgesellschaft
- Man kann sich als Opfer stilisieren: Eine ganze politisch gefärbte Kulturbewegung habe sich gegen einen verschworen.
- Man kann sich als Streiter der Meinungsfreiheit stilisieren: Trotz des kulturellen Gegenwinds werde man sich nicht den Mund verbieten lassen
- Damit kann man "Normies" empören. Leute, die an sich die Problematik hinter dem N-Wort nachvollziehen können, werden durch die Angst eines Verlustes von Meinungsfreiheit agitiert
- Damit verschiebt sich die Grenze des Sagbaren nach Rechts.
- Damit wird außerdem ein gesellschaftlicher Raum genommen, indem man unaufgeregt aushandeln kann, was man als richtig und falsch empfindet
- Und was das Schlimmste ist: Der Typ, der ursprünglich mal das N-Wort gesagt hat, ist fein aus der Sache raus, weil darüber niemand mehr redet.

Der Begriff "Cancel Culture" ist damit ein extrem wichtiges Zahnrad rechter Rhetorik. Linke verwenden den Begriff selten, weil er ihnen nichts bringt. Wenn jetzt Leute aus der Mehrheitsgesellschaft anfangen, den Begriff auch zu verwenden, legitimieren sie ihn. Sie implizieren: Der Prozess, der durch den Begriff "Cancel Culture" beschrieben wird, existiert wirklich. Ich halte das für extrem problematisch. Es sorgt dafür, dass ich andere Leute diskriminierend beleidigen könnte, um mich anschließend aus der Rechenschaft zu ziehen mit einer Argumentation wie: "Verdammt sei die Cancel Culture und dieser Mob, der andere Meinungen sofort niederbrüllt!"
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Inkognito »

Terranigma hat geschrieben: 2. Mai 2021, 15:41 Ich erachte es somit als sehr unwahrscheinlich, dass sich das historische Denken von Erwachsenen nach ihrer Schulzeit quasi von alleine derart entwickelt, dass sie zu einer differenzierten Auseinandersetzung fähig sind, zu welcher Schulabsolventen es nicht sind.
Vielen Dank für den ausführlichen Post Terranigma.
Hätte mich stark erstaunt, wenn es dazu keine Forschung geben würde. Und da wird es naturgemäß viel mehr geben als du aufgezeigt hast.

Wir hier im Forum habe da eine stark verzerrte Wahrnehmung.

Wenn man 10 - sogar gebildete - Personen in Deutschland zu Operation Overlord befragt, dann würden 9 die sehr verzerrte Saving Private Ryan Version wiedergeben, nur 1 würde der tatsächlichen Geschichte nahekommen. (Bezüglich US Patriotismus, Anteil der anderen Allierten, Kompetenz und Organisation der US Truppen, Anzahl der gegnerischen Truppen und dessen Widerstandskraft, eigene Tote, usw.)

Oder:
Wer kann denn hier den Hauptgrund - ohne Nachzusehen - für die japanische Kapitulation in WW2 nennen?
Von Menschen in den USA oder Japan wollen wir gar nicht anfangen...🙈
Zuletzt geändert von Inkognito am 2. Mai 2021, 17:51, insgesamt 1-mal geändert.
Dr_Hasenbein
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Dr_Hasenbein »

Fährmann hat geschrieben: 2. Mai 2021, 17:29
Dr_Hasenbein hat geschrieben: 2. Mai 2021, 17:00 Dass es Cancel Culture gibt, daran besteht kein Zweifel. Es lässt sich nicht leugnen, dass es politisch motivierte Gruppen sich zum Ziel gesetzt haben andere Menschen über das Netz ausfindig machen und sie bei Arbeitgeber, Vermieter oder ähnliches anschwärzen, um ihnen zu Schaden. Und dass es da dutzende Beispiele gibt, ist ebenfalls kaum wegzudiskutieren.
Okay, lass es mich anders erklären.

Dass Menschen mundtot gemacht und angeschwärzt werden, existiert seitdem es Menschen gibt, einverstanden.

Der Begriff "Cancel Culture" tut so, als würde er dasselbe meinen, funktioniert durch sein Framing aber komplett anders. Er wird von Rechten verstärkt verwendet und ist in meinen Augen ein rechter Begriff, weil er Rechten extrem hilft. Ich versuche das durch ein Beispiel deutlich zu machen:

Angenommen, jemand benutzt das N-Wort in der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit reagiert darauf empört, weil es gegen den gesellschaftlichen Wertekodex verstößt. Dieser Jemand hat nun die Möglichkeit, den Begriff "Cancel Culture" zu verwenden. Er erreicht damit folgendes:

- Cancel Culture impliziert eine kulturelle Bewegung. Das impliziert, dass nicht die Mehrheitsgesellschaft gegen die Verwendung des N-Wortes ist, sondern nur eine gewisse Bewegung in einem politischen Spektrum der Mehrheitsgesellschaft
- Man kann sich als Opfer stilisieren: Eine ganze politisch gefärbte Kulturbewegung habe sich gegen einen verschworen.
- Man kann sich als Streiter der Meinungsfreiheit stilisieren: Trotz des kulturellen Gegenwinds werde man sich nicht den Mund verbieten lassen
- Damit kann man "Normies" empören. Leute, die an sich die Problematik hinter dem N-Wort nachvollziehen können, werden durch die Angst eines Verlustes von Meinungsfreiheit agitiert
- Damit verschiebt sich die Grenze des Sagbaren nach Rechts.
- Damit wird außerdem ein gesellschaftlicher Raum genommen, indem man unaufgeregt aushandeln kann, was man als richtig und falsch empfindet
- Und was das Schlimmste ist: Der Typ, der ursprünglich mal das N-Wort gesagt hat, ist fein aus der Sache raus, weil darüber niemand mehr redet.

Der Begriff "Cancel Culture" ist damit ein extrem wichtiges Zahnrad rechter Rhetorik. Linke verwenden den Begriff selten, weil er ihnen nichts bringt. Wenn jetzt Leute aus der Mehrheitsgesellschaft anfangen, den Begriff auch zu verwenden, legitimieren sie ihn. Sie implizieren: Der Prozess, der durch den Begriff "Cancel Culture" beschrieben wird, existiert wirklich. Ich halte das für extrem problematisch. Es sorgt dafür, dass ich andere Leute diskriminierend beleidigen könnte, um mich anschließend aus der Rechenschaft zu ziehen mit einer Argumentation wie: "Verdammt sei die Cancel Culture und dieser Mob, der andere Meinungen sofort niederbrüllt!"
Das überrascht mich wenig, weil die häufiger Opfer genau dessen werden. Dass Menschen aus dem Job ausgegrenzt werden oder Publikationen verhindert werden beruht ja auf öffentlichen Druck bis hin zu Drohungen. Das betrifft aber eben nicht ausschließlich Rechte, wenngleich diese sicherlich öfter betroffen sind. Einfach indem man diese denunziert. In den USA ist das natürlich noch einmal besonders verstärkt zu beobachten.

Ich finde es auch absurd das immer auf das N-Wort zu reduzieren. Inwiefern hat die Arbeit von Bernd Lucke an der Universität irgendwas mit dem N-Wort zu tun? Du beklagst Framing, bedienst dich aber des gleichen Stilmittels. Auch Cassie Jaye hat keine radikalen Äußerungen getätigt und wurde Opfer der Cancel Culture. Die Cancel Culture selbst sorgt für eine Radikalisierung. Nachdem Menschen aus ihrem Job gedrängt wurden, bedienen sie nun jene, die deutlich radikaler sind als der Mainstream. Das ist insbesondere deshalb erstaunlich, als dass sich der ÖRR daran beteiligt der meines Erachtens nach zwanglos alle politischen Strömungen abbilden sollte, und das tut er sukzessive immer weniger.

Der Prozess, der durch Cancel Culture beschrieben wird existiert ja auch. Es gibt dutzende Beispiele, in denen Menschen aus dem Job gefeuert wurden oder Shitstorms zu kleinen Unternehmen betreffend vermeintlich kultureller Aneignung etc. Auch das Niederschreien einer Grünen Politikerin, die als Kind (Gott bewahre) Indianerhäuptling sein wollte, sind Cancel Culture.

Ich halte genau diese Bewegung für extrem problematisch, die sich in "sozialen" Netzwerken Personen raussuchen und diese aufgrund ihrer Meinung niedermachen, Ihre Arbeitgeber raussuchen und diese dort anschwärzen. Oder beim Vermieter und Druck aufbauen, um eine Entlassung zu erzwingen.
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