Runde #317: Cancel Culture?

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Andreas29

Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Andreas29 »

Jochen Gebauer hat geschrieben: 5. Mai 2021, 17:07 Zynisch finde ich eigentlich eher, dass es diese wirtschaftlichen Gründe heute gar nicht geben müsste, wenn nicht oft genau die Leute, die sich darüber beklagen, die ersten wären, die #boycottanno1800 twittern würden, sobald Anno den Deckel dieses Fasses auch nur anheben würde :mrgreen:
Danke dafür Jochen. Das Gefühl habe ich nämlich auch. Wenn Anno Sklaverei abbilden würde, hätten wir jetzt eine Debatte darüber, wie sie sich das als Computerspiel wagen können. Entweder ganz generell, weil es ja ein Medium ist, das vor allem als Unterhaltung wahrgenommen wird. Oder auch, weil man das dann nicht richtig oder umfassend genug dargestellt sehen würde.

Auch wenn es mir schwer fällt Großkonzerne in Schutz zu nehmen: Ubisoft kann hier wenig richtig machen.
Zuletzt geändert von Andreas29 am 5. Mai 2021, 17:54, insgesamt 4-mal geändert.
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echtschlecht165
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von echtschlecht165 »

Ich denke aber nicht, dass das dieselben Typen sind, ausser den Trollen.
Es gibt mehr als einen mob. Das machts ja auch so schwierig sich als öffentliche Person oder Firma heute zu positionieren.
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Felidae
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Felidae »

Bevor ich mich aus dem Thread verabschiede - doch, es gäbe IMMER NOCH die schon mehrfach genannte Möglichkeit, mit der Ubisoft es "richtig" machen könnte: Nicht so tun, als würde "Anno" die historische Realität abbilden. Denn Ihr könnt noch so oft schreiben, dass "Anno" das gar nicht wolle - Ubisofts Marketing sieht das offenkundig anders. :)
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echtschlecht165
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von echtschlecht165 »

Historische realität bedeutet für mich zumindest ansatzweise das vorkommen von realen ortsnamen, Ereignissen, oder Personen.
Nicht eines davon hat anno. Und das marketinggewäsch ist mir auch egal.
Zuletzt geändert von echtschlecht165 am 5. Mai 2021, 17:31, insgesamt 1-mal geändert.
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Jochen Gebauer
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Jochen Gebauer »

Wenn das deine Kritik ist: klar. Ubisofts Marketing sollte aufhören so zu tun, als bilde Anno historische Realität ab. Das ist nämlich so offensichtlich Gulasch, dass sich darauf alle hier Anwesenden wahrscheinlich in einer halben Sekunde einigen können.

Deshalb dürfte sich der Schaden dieser Webseitentexte auch gen Null bewegen.
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Felidae
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Felidae »

echtschlecht165 hat geschrieben: 5. Mai 2021, 17:29 Historische realität bedeutet für mich zumindest ansatzweise das vorkommen von realen ortsnamen, Ereignissen, oder Personen.
Nicht eines davon hat anno. Und das marketinggewäsch ist mir auch egal.
Absolut letzter Kommentar jetzt: Klar, man kann Firmen auch einfach mit ihrer irreführenden Werbung durchkommen lassen. Moment. Gabs nicht unter anderem bei Cyberpunk 2077 genau wegen irreführenden Marketingaussagen ein Riesengedöns?

Würdest Du auch auf das "Marketinggewäsch" pfeifen, wenn die Werbung Dir nen Oberklassewagen mit Niedrigverbrauch verkauft hat, Du aber nen Mittelklassespritfresser bekommen hast? :)

Und @Jochen: In meinen Augen ist das der Grund, DASS "Anno" für den Umgang mit der Thematik kritisiert wird. Wie Dom es auch im Podcast gesagt hat: So, wie "Anno 1800" das macht, ist es cherry-picking. Ich schrieb ja weiter vorn schon, dass die klassischen Siedler (also 2, 3, 4, NG) so Problematiken von vornherein dadurch umschifft haben, dass sie zwar reale Völkernamen nutzen, ansonsten aber völlig klar in einer Fantasy-Welt unterwegs sind. Zack, Problem gelöst.
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Jochen Gebauer
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Jochen Gebauer »

Felidae hat geschrieben: 5. Mai 2021, 17:40Und @Jochen: In meinen Augen ist das der Grund, DASS "Anno" für den Umgang mit der Thematik kritisiert wird. Wie Dom es auch im Podcast gesagt hat: So, wie "Anno 1800" das macht, ist es cherry-picking. Ich schrieb ja weiter vorn schon, dass die klassischen Siedler (also 2, 3, 4, NG) so Problematiken von vornherein dadurch umschifft haben, dass sie zwar reale Völkernamen nutzen, ansonsten aber völlig klar in einer Fantasy-Welt unterwegs sind. Zack, Problem gelöst.
Das stimmt. Ich sage ja auch nicht, dass Ubisoft hier keine cherries pickt. Das tun sie sicherlich. Ich halte dieses Problem aber für ein theoretisches und konstruiertes. Denn ich sehe weiterhin kein gutes Argument dafür, dass irgendwer ernsthaft auf die Idee kommen könnte, es habe keine Sklaverei gegeben, bloß weil Anno 1800 sie nicht thematisiert. Und darum geht's doch in der ganzen Diskussion - und eben nicht darum, dass das Marketing tut, was Marketing halt oft tut, nämlich, nun ja, lügen. Weil wenn's darum ginge, dann sind wir uns bestimmt auch wieder schnell alle einig.
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echtschlecht165
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von echtschlecht165 »

Felidae hat geschrieben: 5. Mai 2021, 17:40
echtschlecht165 hat geschrieben: 5. Mai 2021, 17:29 Historische realität bedeutet für mich zumindest ansatzweise das vorkommen von realen ortsnamen, Ereignissen, oder Personen.
Nicht eines davon hat anno. Und das marketinggewäsch ist mir auch egal.
Absolut letzter Kommentar jetzt: Klar, man kann Firmen auch einfach mit ihrer irreführenden Werbung durchkommen lassen. Moment. Gabs nicht unter anderem bei Cyberpunk 2077 genau wegen irreführenden Marketingaussagen ein Riesengedöns?

Würdest Du auch auf das "Marketinggewäsch" pfeifen, wenn die Werbung Dir nen Oberklassewagen mit Niedrigverbrauch verkauft hat, Du aber nen Mittelklassespritfresser bekommen hast? :)

Und @Jochen: In meinen Augen ist das der Grund, DASS "Anno" für den Umgang mit der Thematik kritisiert wird. Wie Dom es auch im Podcast gesagt hat: So, wie "Anno 1800" das macht, ist es cherry-picking. Ich schrieb ja weiter vorn schon, dass die klassischen Siedler (also 2, 3, 4, NG) so Problematiken von vornherein dadurch umschifft haben, dass sie zwar reale Völkernamen nutzen, ansonsten aber völlig klar in einer Fantasy-Welt unterwegs sind. Zack, Problem gelöst.
Der annoartikel lautet im Wortlaut "Anno 1800 schreibt die Geschichte um" und du drehst jetzt das Gespräch auf Marketing und dass werbung nicht immer die Wahrheit sagt.
Sorry, das machts anstrengend.....bin da auch raus.
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nachtgiger
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von nachtgiger »

Ich finde, Terranigmas ausführliches Posting auf Seite drei wurde in dieser ganzen Diskussion viel zu oft überlesen/missachtet... und nein, es wird nach dem Spielen von Anno vermutlich niemand denken es hätte nie in irgendeiner Form zu irgendeinem Zeitpunkt Sklaverei gegeben. Aber derlei Wissen ist oft nur fragmentarisch in unseren Köpfen gespeichert, oft fehlen Zusammenhänge, und wenn man dann Anno spielt, kann ein unbedarfter / naiver / junger Spieler sehr wohl falsche Geschichtsbilder aufbauen und die Annahme entwickeln, Sklaverei und beginnende Industrialisierung hätten miteinander wenig am Hut. Überhaupt, die Diskussion un den Wortlaut des Professors finde ich müßig - das war ein mündliches Interview und keine Monographie, die von zig Peers gegengelesen wird. Der zugrundeliegenden Mechanismus wurde ernannt (und dass Medien unser Geschichtsbild beeinflussen steht ja soweit ich sehe hier nicht mehr zur Debatte?) Würde man den Wortlaut streng auslegen, dann wären weibliche Spielerinnen nach Ansicht des Professors gegenüber Anno vollständig immun. Dass das so nicht gemeint ist, ist eh selbstverständlich.

Aber was solls, wir drehen uns hier eh im Kreis. Gibts nicht irgendwo eine Abstimmungsfunktion, damit hier klare Tatsachen geschaffen werden können? :ugly:
Voigt
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Voigt »

Und ich merke wie oft auch meine Postings überlesen wurde, wo ich klarstelle dass: "Sklaverei und beginnende Industrialisierung" wirklich weniger miteinander am Hut haben. Industrialisierung und Kolonialismus ja, aber nicht Sklaverei, das nur im geringen Maße.
viewtopic.php?p=172266#p172266
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nachtgiger
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von nachtgiger »

Die Baumwolle für die Spinning Jenny muss wohl mit Luft und Liebe gemacht worden sein :whistle:

Im Ernst, das war unscharf formuliert. Sklaverei, beginnende Industrialisierung und Kolonialismus.
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Smutje187
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Smutje187 »

Felidae hat geschrieben: 5. Mai 2021, 17:01 Och mir ging es nur darum, dass ich es bemerkenswert finde, dass hier im Forum (NICHT von Ubisoft!) gerechtfertigt wird, dass heutzutage die wirtschaftlich motivierte menschenverachtende Ausbeutung der Vergangenheit aus ebenfalls wirtschaftlichen Gründen der Gegenwart halt nunmal unter den Tisch fallen muss. Ich wollte wissen, ob außer mir noch jemand das zynisch findet. Anscheinend nicht, also Frage beantwortet.
Man könnte jetzt argumentieren, dass das ja der normale Gang des modernen Kapitalismus sei, aber dann ist man bestimmt auch wieder „woke“ :ugly:

Sebastian hat sich aber zum Beispiel damals zum Glück bei Modern Warfare darüber aufgeregt, dass Activision die „Sniper Alley“ den Russen angedichtet hat, was nichts mit der geschichtlichen Realität zu tun hatte.
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Terranigma
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Terranigma »

Ich wollte mich ja eigentlich raushalten, aber ach, ... ich habe in den letzten Tagen mehrmals ganze Posts geschrieben und wieder gelöscht weil ich mir dachte: "Das bringt's nicht." Aber dann eben doch mal wieder. Ich find's Thema halt doch zu spannend! :D


(1) Dr. Zimmerer hat nicht behauptet, dass man durch Anno 1800 lernen würde, dass es Sklaverei nicht gab. Er sagte:
Und wenn dann so ein entscheidender Faktor, der zum Wohlstand und zur Industrialisierung beigetragen hat, wie die transatlantische Sklaverei und die Sklavenwirtschaft fehlt, dann „lernen“ sie daraus, dass es das nicht gab.
Das Prononomen 'das' kann sich nicht auf das Nomen 'Skalverei' beziehen, weil es sonst 'sie' heißen müsste. Diese Passage ist dem Interview entnommen, in welchem er zuvor über die Sklaverei als Faktor für die Industrialisierung sprach. Die Problematik besteht darin, dass Anno 1800 ein Narrativ bedient, welches es in der Gesellschaft gibt, und welches u.a. auch durch den schulischen Geschichtsunterricht durchaus befördert wird. Das Narrativ lautet, dass die Industrialisierung maßgeblich auf dem schöpferischen Genie einzelner Personen sowie ökonomischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen in Englands aufbaut. Diese Faktoren sind zutreffend. Wie @nachtgiger allerdings zutreffend sagt, basiert der wirtschaftliche Durchbruch der Ersten Industriellen Revolution auf dem großen Angebot preiswerter Baumwolle, weil die Erste Industrielle Revolution - vereinfacht gesagt - mit der Textilindustrie zusammenfällt. Und der Rohstoff, welcher in den Manufakturen verarbeitet wurden, war Baumwolle. Diese Baumwolle stammte zu einem erheblichen Anteil aus den Vereinigten Staaten und wurde bis in die Mitte des 19. Jhds. von Sklaven geerntet.

Dr. Zimmerer spricht über diesen Zusammenhang, und dass Anno 1800 den Eindruck erhärten könnte, dass es diesen Zusammenhang nicht gab. Dies ist insofern plausibel, weil dieser Zusammenhang - je nach Schulbuch - auch in der Schule überhaupt nicht hergestellt wird, und die Industrielle Revolution, welche typischerweise in der 7. oder 8. Kl. behandelt wird, nur mit groben Pinselstrichen umrissen und selten über das Niveau von "tolle Männer entwickeln tolle Maschinen" hinausgeht. Wer weiß, dass es Sklaverei gab, der wird dies durch das Spielen von Anno 1800 nicht verlernen. Das behauptet auch Dr. Zimmerer nicht. Wer allerdings den Zusammenhang zwischen Sklaverei (Rohstoff) und Industrialisierung (Verarbeitung) nicht auf dem Schirm hat - und das dürften sehr viele sein, weil dieses Thema im schulischen Unterricht typischerweise unter'n Tisch fällt - den bestätigt Anno 1800 in diesem Geschichtsbild.


(2) Der Begriff "historische Realität" ergibt keinen Sinn, weil Historie (Geschichte) per Definition eine Konstruktion ist, d.h. eine Darstellung von Vergangenheit. Diese Darstellung ist per se real, weil es sie gibt. Die Frage ist, wie diese Darstellung die Vergangenheit abbildet. Wenn man von einer "historischen Realität" spricht, so legt man nahe, dass diese für uns greifbar ist. Das ist sie nicht. Vergangenheit ist nicht greifbar, sondern nur (re-)konstruierbar. Das ist das epistemologische Fundament der Geschichte als Wissenschaft, diese kategorische Unterscheidung von 'Vergangenheit' und 'Geschichte'. Auch Historiker bilden keine 'historische Realität' in dem Sinne ab, dass sie die Vergangenheit als solche sichtbar machen könnten. Das können sie nicht. Sie (re-)konstruieren Vergangenheit anhand von historischen Quellen. Diese Darstellungen sind mehr oder minder fundiert, aber sie sie nicht identisch zu dem, was war. Auch Anno 1800 ist eine Interpretation von Vergangenheit.
Darstellungen

Bei Materialien, die zu einem späteren Zeitpunkt hergestellt worden sind und die zu untersuchende Zeit daher nur darstellen können, handelt es sich nicht um Quellen, sondern um so genannte Geschichtsdarstellungen. Diese sind das Ergebnis der historischen Forschung und geben wieder, was früher passiert ist. Darstellungen sind Erzählungen, bei denen aus Quellen die Vergangenheit rekonstruiert wird. Es gibt Darstellungen, die vergangene Ereignisse möglichst realitätsnahe wiedergeben (z.B. Dokumentationen) und solche, die diese frei interpretieren (z.B. PC-Spiele).
Wikiversity


(3) Anno 1800 ist eine historische Darstellung, d.h. bildet Geschichte ab. Eine historische Darstellung ist nicht darüber definiert, ob sie (a) den Anspruch erhebt eine zu sein. Der Herr der Ringe erhebt keinen expliziten Anspruch ein Fantasy-Roman zu sein, aber er ist aufgrund seiner literarischen Merkmale eben jenes. Eine historische Darstellung ist (b) ebenfalls nicht darüber definiert, ob sie historische Eigennamen von Personen, Orte, Ereignissen, o.Ä. verwendet. Anno 1800 datiert sich bereits über seinen Namen in der Geschichte, die Inszenierung - Warenketten, Technologiestand, Architektur, u.Ä. - zielt auf die Schaffung einer historischen Atmosphäre ab. Es ist kein Fantasy- oder SciFi-Titel. Ebenso ist eine historische Darstellung (c) nicht darüber definiert, dass sie einen wissenschaftlichen oder edukativen Anspruch erhebt. Mittelaltermärkte, Fernsehserien und Kinofilme mit historischen Thematiken sind historische Darstellungen in der Gestalt, dass sie Vergangenheit interpretieren und (re-)konstruiert abbilden. Dass Anno 1800, wie die Anno-Reihe insgesamt, eine historische Darstellung ist, erkennt man doch ganz banal an folgender Probe: Wenn ich Anno 1404 mit Anno 1800 vergleiche, erkenne ich Unterschiede in der Darstellung der Spielwelt. Diese Unterschiede ergeben sich aus den unterschiedlichen Epochen, d.h. Anno 1404 ist anhand bestimmter Elemente - kulturelle Unterscheidung in (christlichen) Okzident und (islamischen) Orient, Kreuzzug, Sarazenen, u.Ä. - erkennbar im Mittelalter verortet und zeitlich von Anno 1800 getrennt.

Dass wir in der Anno-Reihe überhaupt historische Epochen wiedererkennen können - bei Warcraft oder Starcraft kann ich dies nicht - liegt darin begründet, dass wir die in den Spielen dargestellten Epochen als solche erkennen. Eben weil sie Geschichte abbilden. Dass dies keinen wissenschaftliche Ansprüchen genügt und dies auch nicht tun möchte - auch ein Mittelaltermarkt will kein "Mittelaltersimulator" sein, und ist dennoch eine Darstellung des Mittelalters - ist für den Umstand, dass es Geschichte abbildet, nicht relevant. Es sind freie Interpretationen von Vergangenheit, aber eben doch Interpretationen.


(4) Schlimm finde ich das dennoch nicht. Anno 1800 will naiver Eskapismus sein. Das finde ich okay. "JoJo Rabbit" will eine Komödie im Kontext der Hitlerjugend und des Holocausts sein. Finde ich auch okay. Kann man geschmacklos finden oder problematisch, tue ich persönlich aber nicht.
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Jochen Gebauer
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Beitrag von Jochen Gebauer »

Das kann auch ganz profan die in vielen Sprachräumen gängige Verkürzung von das alles sein. Occam's Razor und so ;)
Wer weiß, dass es Sklaverei gab, der wird dies durch das Spielen von Anno 1800 nicht verlernen. Das behauptet auch Dr. Zimmerer nicht. Wer allerdings den Zusammenhang zwischen Sklaverei (Rohstoff) und Industrialisierung (Verarbeitung) nicht auf dem Schirm hat - und das dürften sehr viele sein, weil dieses Thema im schulischen Unterricht typischerweise unter'n Tisch fällt - den bestätigt Anno 1800 in diesem Geschichtsbild
Endlich! Ich hatte schon befürchtet, ich müsste Teufels Advokat spielen - auf dieses Argument warte ich schon die ganze Zeit :mrgreen:

Denn wenn wir einmal annehmen, das stimmt. Wenn wir annehmen, Professor Zimmerer habe Recht und die Menschen sind diesbezüglich tatsächlich so ungebildet wie er und du denken ... dann ist es ja noch viel hanebüchener, diese Diskussion an einem Aufbaustrategiespiel abzuarbeiten, anstatt sie dort zu führen, wo das eigentliche Problem liegt: bei den Bildungseinrichtungen. Wenn die einen so fundamentalen historischen Baustein der modernen Welt wirklich so schlecht vermitteln, wie du das beschreibst, dann sind Spiele garantiert nicht der erste (oder der zweite oder der dritte ...) Baum, den man anbellen sollte. Im Gegenteil: sie sind vielleicht das viel leichtere Ziel, aber eben auch das, bei dem man garantiert zur Problemlösung kein bisschen beiträgt.

Ich weiß, das meiste davon hast du auch gar nicht behauptet. Aber das eignet sich gerade so schön, um darzulegen, dass selbst wenn diese Seite der Diskussion in allem Recht hätte, sie nicht Recht hätte :D
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Heretic
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Heretic »

Ich würde ja behaupten, wenn ein Anno-Spieler aufgrund seines Spielerlebnisses anfängt, sich für Geschichte zu interessieren, hat das Spiel seinen Beitrag geleistet. Mehr kann ein Aufbauspiel kaum schaffen, wenn es unterhaltsam bleiben will. Man könnte aber innerhalb des Spiels eine Art Nachschlagewerk integrieren, dass Infos über die wahren geschichtlichen Begebenheiten damals bereitstellt.

Und andersherum: Wenn ich mich für Geschichte so überhaupt nicht interessiere - spiele ich dann überhaupt ein Anno? Und falls doch: Nehme ich dann wirklich für bare Münze, was mir ein paar klischeehafte Comic-Charaktere erzählen? Ich vermute, das tut nichtmal der unbedarfteste Geschichts-Laie.
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Terranigma
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Terranigma »

Jau, da hast du sicherlich Recht. Wäre das jetzt Stein-Schere-Papier würde ich sagen, mein hermeneutisches Wohlwollen sticht dein Rasiermesser. Oder auch umgekehrt. :D
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Heretic
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Heretic »

Terranigma hat geschrieben: 5. Mai 2021, 19:28 Jau, da hast du sicherlich Recht. Wäre das jetzt Stein-Schere-Papier würde ich sagen, mein hermeneutisches Wohlwollen sticht dein Rasiermesser. Oder auch umgekehrt. :D
Damit kenne ich mich nicht aus. Ich spiele weder Echtzeitstrategie- noch Aufbauspiele. :D
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von rammmses »

Ah, die neueste Ausgabe von "Neues aus dem Elfenbeinturm". ;)
Das ist so ein Diskurs, der weder von Entwicklern noch von Spielern und auch nicht von der Spielepresse geführt wird (also zu 99% nicht). Und zwar zu recht.

Grundsätzlich ist es natürlich immer gut, Medien und ihre Darstellung zu hinterfragen, aber in der Form finde ich es einfach nur müßig. Jede/r mit etwas Medienkompetenz weiß doch, dass alle Unterhaltungsmedien grundsätzlich nicht den Anspruch haben, die Realität abzubilden, damit ist das Thema im Grunde erledigt. So ein Spiel oder Film oder Buch, das in erster Linie zur Unterhaltung gedacht ist, muss überhaupt nicht auf korrekte Darstellungen von Kultur oder Historie achten, das wird auch von den Konsumenten nicht erwartet.

Wenn man einen höheren Anspruch an sein Werk stellt, ist das auch in Ordnung und kann spannend sein, aber um Gottes Willen; ein Anno oder ein Genshin Impact müssen überhaupt keinerlei Rücksicht darauf nehmen, das ist eine absurde Forderung. Das ist doch das gleiche Niveau wie bei Fast & Furious zu kritisieren, dass Autos aber sich gar nicht so verhalten und das Bild der Leute von Fahrphysik negativ beeinflusst...
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Terranigma
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Re: Runde #317: Cancel Culture?

Beitrag von Terranigma »

rammmses hat geschrieben: 5. Mai 2021, 19:42Jede/r mit etwas Medienkompetenz weiß doch, dass alle Unterhaltungsmedien grundsätzlich nicht den Anspruch haben, die Realität abzubilden, damit ist das Thema im Grunde erledigt.[...]
Den Anspruch müssen sie auch nicht erheben, um einen Effekt zu haben. Werbung erhebt auch nicht den Anspruch wahrheitsgemäß zu informieren - und das weiß auch jeder mit etwas Medienkompetenz - und dennoch ist Tabakwerbung sehr stark reglementiert. Weil's einen Effekt hat. ;)
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Jon Zen
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Re:

Beitrag von Jon Zen »

Jochen Gebauer hat geschrieben: 5. Mai 2021, 19:16 Das kann auch ganz profan die in vielen Sprachräumen gängige Verkürzung von das alles sein. Occam's Razor und so ;)
Wer weiß, dass es Sklaverei gab, der wird dies durch das Spielen von Anno 1800 nicht verlernen. Das behauptet auch Dr. Zimmerer nicht. Wer allerdings den Zusammenhang zwischen Sklaverei (Rohstoff) und Industrialisierung (Verarbeitung) nicht auf dem Schirm hat - und das dürften sehr viele sein, weil dieses Thema im schulischen Unterricht typischerweise unter'n Tisch fällt - den bestätigt Anno 1800 in diesem Geschichtsbild
Endlich! Ich hatte schon befürchtet, ich müsste Teufels Advokat spielen - auf dieses Argument warte ich schon die ganze Zeit :mrgreen:

Denn wenn wir einmal annehmen, das stimmt. Wenn wir annehmen, Professor Zimmerer habe Recht und die Menschen sind diesbezüglich tatsächlich so ungebildet wie er und du denken ... dann ist es ja noch viel hanebüchener, diese Diskussion an einem Aufbaustrategiespiel abzuarbeiten, anstatt sie dort zu führen, wo das eigentliche Problem liegt: bei den Bildungseinrichtungen. Wenn die einen so fundamentalen historischen Baustein der modernen Welt wirklich so schlecht vermitteln, wie du das beschreibst, dann sind Spiele garantiert nicht der erste (oder der zweite oder der dritte ...) Baum, den man anbellen sollte. Im Gegenteil: sie sind vielleicht das viel leichtere Ziel, aber eben auch das, bei dem man garantiert zur Problemlösung kein bisschen beiträgt.
Sklaverei in der Schule:
Wir hatten das Thema: in der Grundschule, Sachunterricht: Römer; 6. Klasse Geschichte (Ägypter, Römer, Griechen), 9. oder 10. Klasse Geschichte, 11. Klasse Geschichte, 11. oder 12. Klasse Englisch (Thema: Amerika --> war sehr amüsant, weil ich als "Sklavenhalter" für die Sklavenhaltung argumentieren durfte :ugly: ) und bestimmt nochmal in der 12. oder 13. Klasse Geschichte und irgendwann im Deutschunterricht auch.

Auch das naheliegendere "Problem" bei Anno 1800, die Kinderarbeit, nimmt man mehrmals in der Schule durch.

Wenn Menschen nun an schulischer Demenz leiden, ist das nicht nur die Schuld der Schulen. :) Ich bin aber ebenfalls kein Fan davon, dass man vielen Menschen pauschal "Dummheit" unterstellt.

Die ganze Diskussion dreht sich um eine Problematik, in der wir anderen Menschen unterstellen, sie seien ungebildeter und unreflektierter als "wir".
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