Diesmal hab ich alles spielzeitstreckende beiseite gelassen (New Game Plus unterstützt dabei) und bin mit der Absicht ran gegangen, ruhig auch einiges kritisch zu hinterfragen. Mein Fazit ist, dass das Spiel sicher nicht fehlerfrei ist. Man kann an einigen Stellen immer wieder Designentscheidungen kritisieren. An manchen Stellen kann man auch durchaus handwerkliche Fehler wie Logiklöcher oder einfach nicht optimal gestaltete Quests finden. Es ist aber auch kein Problem, kleinere generisch wirkende Nebenquests völlig beiseite zu lassen. Man bekommt dennoch ein rundes Erlebnis und mehr als genug Content.
Der Gesamteindruck überragt die Kritik für mich absolut. Die Inszenierung und Präsentation der Story ist so verdammt gut. Für jeden Kritikpunkt am Gamedesign findet man mehrere Dinge, die einfach großartig sind. Jede generisch wirkende Nebenquest wird durch eine andere top gestaltete Quests aus den Gedanken verabannt. Quests, die in Erinnerung bleiben. Die Geschichte und die Lore dahinter (dabei hilft sicher Kenntnis der Vorgänger), ihre Charaktere, ihr Pacing - All das funktioniert bei mir fantastisch. Wie man im Laufe immer mehr von Ciri und ihrer Beziehung zu Gerald erfährt. Wie man ihre Erlebnisse aus ihrer Perspektive nachspielt, ohne sie blos erzählt zu bekommen. Ich habe das Gefühl im Laufe der Geschichte eine Beziehung zu den Charakteren aufzubauen und sie immer besser kennen zu lernen. Es gibt genügend spannende Charaktere und einigen wird auch Zeit gelassen, sich zu entfalten. Überhaupt nimmt sich das Spiel an den richtigen Stellen Zeit, um eine gewisse Wirkung zu erzielen.
Und auch die Coremechaniken machen Spaß, der Kampf ist flüssig, fordernd und macht Spaß. Das Trefferfeedback ist gut und ich habe immer das Gefühl, selbst die Kontrolle zu haben. Die Kampfmechanik wirkt gepolished. Da verzeihe ich das Crafting locker.
Bei aller möglichen Kritik ist Witcher 3 für mich nicht überbewertet. Ich habe schon wieder geschätzte 30 erstklassige Stunden versenkt (nur die allerwichtigsten Nebenquests gemacht, kein Crafting, keine Suche nach Witcher-Gear etc.), bin noch nicht mit der Hauptgeschichte durch und es warten noch die Addons auf mich. Die übrigens beide noch besser sind als das Hauptspiel. Heart of Stone wegen der Hauptstory und insbesondere des Bösewichts. Blood and Wine wegen der wahnsinnigen Qualität der Nebenquests. Das Spiel bliebt für mich ein absoluter Ausnahmetitel, der Dinge tut, die ich noch in keinem anderen Spiel - in dieser Kombination - gesehen habe. Und der mich emotional mehr berührt als die meisten anderen.
Es ist ein bisschen wie Apple: Einzelne Komponenten machen andere vielleicht besser. Aber das Gesamtpaket kriegt so keiner hin.