Andreas29 hat geschrieben: ↑3. Sep 2021, 04:55Gerne kann jeder schreiben, was er will. Das ist nicht das Problem und gehört zur freien Meinungsäußerung und das muss man halt aushalten. Das Problem ist, dass Künstler (wo ich auch die Entwickler eines Videospiels zuzähle), Publisher und andere Verantwortliche vermehrt darauf reagieren, um Shitstorms aus dem Weg zu gehen und eine Schere im Kopf haben.
Wäre dann halt erstmal zu erheben, ob Werkschaffende nun in Scharen ihren Output selbstzensieren, obwohl sie eigentlich gerne lauter anstößige Inhalte drin hätten. Und ich streite gar nicht ab, dass so etwas vorkommt. Vielleicht wird man aber durch den öffentlichen Diskurs auch einfach nur für bestimmte Dinge sensibilisiert. Zudem wird gerade in der Unterhaltungsindutrie so stark "Massenmarkttauglichkeitstrimming" betrieben, oft über den Kopf der Künstler hinweg, dass es mir etwas befremdlich vorkommt, ausgerechnet bei Themen, die andere verletzen könnten oder anderweitig schwierig sind, zu sagen: "Bis hierhin und nicht weiter, Eure Kritik beeinflusst evtl. den Künstler in seinem Schaffen." Zudem ist wie man auf Kritik reagiert letztlich nicht Schuld der Kritik, sondern liegt in der Verantwortung der Werkschaffenden selber; es wird niemand gezwungen, irgendetwas anzupassen, um keine unangenehmen Artikel zu ernten.
Um bei New World zu bleiben, hier wurde doch gerade kritisiert, dass, um "keinen Ärger zu kriegen", das Setting so angepasst wurde, dass möglichst keine Bezüge zu den Schattenseiten der Kolonialisierung aufkommen. Müsstest Du Deinen Ausführungen nach diese Kritik nicht eigentlich begrüßen, da sie sich letztlich genau gegen diese von Dir angekreidete Beeinflussung ausspricht?
Da ist nicht nur der Predator dran, sondern auch das Alien u.A. mit folgendem Abschnitt:
Ridley Scott’s Alien franchise, with its vicious and endlessly breeding carbon black alien mother, came at the height of neoliberal experiment and in the U.S. especially, an all-out assault on Black people. In the context of anti-Black culture, the film signifies the Black woman as an unkillable and ceaselessly breeding alien who threatened the body politic.
Ich war mal so frei, einen anderen Teil des Satzes hervorzuheben ...
Und ich finde die Interpretation des Predators überhaupt nicht an den Haaren herbei gezogen. (Ja, das war ein Wortspiel wegen der Dreadlocks.
) Das Alien als unkaputtbare, schwarze Zuchtmutti ist übertrieben, da hier lediglich die Farbe des Aliens Anhaltspunkt wäre, es ist aber trotzdem eine interessante Parallele, die aufgezeigt wurde.
Was der Artikel nicht macht: Behaupten, diese Parallelen wären in irgendeiner Form absichtlich (was beim Predator, soweit ich weiß, sogar sein könnte, wenn auch vermutlich nicht in böser Absicht), die intendierte Lesart oder gar versteckte Botschaften, die die Regisseure/Filmteams in die Filme gebaut hätten, um das Publikum gezielt Richtung antiblack zu beeinflussen. Verlangen, dass diese Filme abgeschafft, Sequels künftig nicht mehr produziert oder zumindest die Designs der Monster geändert werden. Die Macher in irgendeiner Form anklagen.
Am Ende hat die Autorin des Artikels drei Vorschläge (nicht mal Forderungen), was getan werden könnte. Von diesen betrifft nur eine einzige die Filmindustrie und es wird auch dort nicht vorgeschlagen, was an Filmen geändert werden soll, sondern lediglich, dass man sich eingestehen könnte, dass die Darstellung von Schwarzen durch die Medien zu wünschen übrig lässt und negative Auswirkungen hat.
Das ist halt richtiger herbeifantasierter Dreck. Seine eigenen ideologischen Vorstellungen in irgendetwas, was gerade populär ist reinzuprojizieren, um Aufmerksamkeit zu bekommen, empfinde ich als den grundfalschen Weg. Das ist dann auch keine Kulturkritik mehr, sondern einfach (kunst- und kulturfeindlicher) Aktivismus.
Die beiden Filme werden lediglich als extreme Beispiele für allgemeine Stereotype herangezogen, die nicht herbeifantasiert sind und denen im Artikel weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als den beiden Beispielen. Dass zumindest das Alien da bisschen sehr zurecht gebogen wirkt, find ich nicht weiter dramatisch, zumal ... nun ja, die Königin nun mal eine dunkel"häutige" (Exoskelett, wayne), nahezu unbesiegbare, sich massenhaft reproduzierende, fremdartige Kreatur
ist, die andere Spezies gefährdet. Das in Verbindung zu setzen mit dem existierenden (!) rassistischen Klischee von der schwarzen, unausrottbaren, kinderkriegenden Fremden, die die weiße Rasse gefährdet, finde ich jetzt erstmal nicht verwerflich. Ich meine, wenn eine schwarze Frau, die mit solchen Vorurteilen womöglich schon konfrontiert wurde, beim Sehen des Films solch eine Parallele auffällt, werde ich als weißer Mann, der damit nie auch nur ansatzweise Berührungspunkte hatte, nicht sagen, ihre Ausführungen wären Dreck.
Glaubst Du denn wirklich, dass solche Artikel im Shitstorm-Zeitalter wirklich gar keinen Einfluss auf Entwickler und Publisher haben Spiele in Zukunft so zu gestalten, dass diese "Problematik" erst gar nicht aufkommt?
Wie gesagt, eine Beeinflussung durch Publisher (Produzenten, Verlage, bla), um Spiele (Filme, Romane, bla) möglichst kantenfrei und massentauglich zu kneten, findet ohnehin statt, ob da ein Shitstorm kommt oder nicht. Ich sehe das auch nicht ausschließlich negativ. Immerhin verdanken wir dem öffentlich Diskurs und nicht zuletzt auch deftiger Kritik, dass Homosexuelle nicht mehr hauptsächlich als Witzfiguren dargestellt werden, der Schwarze nicht mehr zwangsläufig zuerst stirbt und Frauen in Filmen Hosen tragen dürfen.
Deiner Befürchtung, wenn jeder sich alles mögliche an Kritik ausdenken darf, behindere das die Spieleentwickler im freien künstlerischen Ausdruck, halte ich entgegen, dass Du der einzelnen Kritik damit viel zu Macht zugestehst. Und wie schon gesagt, der Druck der öffentliche Meinung ist nicht zwangsläufig was schlechtes.
Natürlich stört mich die Art solcher Artikel sonst würde ich sie nicht kritisieren. "Unerwünscht" impliziert wieder ich würde solche Artikel verbieten wollen, was ich schlicht nie gefordert habe.
Was willst Du denn dann? Du hast sehr verständlich gemacht, dass und warum Du diese Form oder diesen Grad der Kritik für ein Problem hältst. Wie sähe Deine Lösung aus?
Otis hat geschrieben: ↑2. Sep 2021, 11:45Hinter Forderungen sehe ich in diesem Zusammenhang eine gewisse Autorität, die Erfüllung dieser Forderungen auch zu erzwingen.
Die gibt es. Natürlich kein Konzil oder irgendein Gesetzgeber, aber es gibt einen gesellschaftlichen moralischen Druck, den Du ja aber auch verneinst.
Der von Dir zitierte Satz bezog sich aber schon ausschließlich auf den einzelnen Kritiker, nicht die Gesellschaft als ganzes. Habe ich nicht explizit dazu gesagt. Den gesellschaftlichen Druck verneine ich nicht, habe ihn ja ganz im Gegenteil schon angesprochen, halte ihn aber nicht für so direkt und unmittelbar, wie suggeriert, und eben auch nicht für inhärent schlecht.
Die Vorwürfe gegen "New World" sind ziemlich heftig - gerade im aktuellen politischen Klima.
Findst? Ich nicht.
Natürlich ist das auch eine Wertung über das Spiel insgesamt. Einfach durch die gesellschaftliche Relevanz des Themas, das zur Problematik erklärt wird. Ich kann jetzt sagen eine Spielmechanik ist geil, aber dann kommt eben der Trumpf, dass das unerheblich ist, weil das Spiel eben diesen Aspekt des Kolonialismus vernachlässigt.
Sehe ich auch überhaupt nicht so. Wo ist denn ein Aspekt des Spiels maßgeblich für alles? Was für jemanden unerheblich ist oder nicht, kann gar nicht allgemein behauptet werden. Manch einen stört das so, dass er kein Interesse mehr am Spiel hat, der nächste sagt: "Mir doch egal, ich will Mobs kloppen", und der nächste findet es sogar gut, dass solche Themen im Spiel nicht vorkommen.
Eine ideologische Wertung ist auch eine qualitative Wertung.
Klar beeinflusst die Ideologie eines Spiels oder von Teilen davon auch, was ich insgesamt davon halte, aber das ist doch ganz normal und hat nichts mit etwaigen kritischen Artikeln o.ä. zu tun. Ich find's halt auch fast schon übertrieben, überhaupt von einer ideologischen Wertung des Spiels zu sprechen, wenn sich ein Artikel einen Aspekt eines Spiels herausnimmt und bespricht, was der Autor daran problematisch findet.
Allgemein: Auch, wenn in solchen Artikeln weder konkrete Forderungen des Handelns (z.B. Zensur) oder von Verboten noch Aussagen über Konsumenten ("wer das spielt ist Rassist") stehen, ergeben sich solche Implikationen trotzdem aus dem Subtext.
In den Subtext kann man allerhand hineinlesen, ganz ähnlich wie man halt auch in Aliens und den Predator allerhand hineininterpretieren kann.
Wenn ein Artikel z.B. rassistisch lesbare Aspekte eines Spiels anspricht und ein Leser, der das Spiel mag, gleich meint, er würde als Rassist beschimpft, ist das eindeutig ein Problem des Lesers, denn man kann so ein Spiel ja aus allerhand Gründen mögen, nicht nur, weil man auf die rassistische Message abfährt, so man sie denn überhaupt wahrgenommen hat. Zensur und Verbot impliziert sehe ich da genauso wenig, höchstens Hinweise, was man beim nächsten Mal besser machen könnte. (Denen man auch nicht zustimmen muss.)
Andreas29 hat geschrieben: ↑3. Sep 2021, 13:08Der Vorwurf bewusst insensitiv mit der Kolonialgeschichte umzugehen ist kein netter Denkanstoß für die Zukunft, sondern ein schwerer Vorwurf gegen das konkrete Spiel. Solche dicken Keulen - und ja, da passt es das Wort rauszuholen - und dann so zu tun als würde das (bewusst oder unterbewusst) keine Konsequenzen für das Spiel fordern ist das Äquivalent von "Ich stelle nur fragen...".
Den Begriff Keule hatte ich verwendet. Und zwar als Umschreibung für ein breitflächiges, "one-size-fits-all" Totschlagargument. Von daher war er in diesem Zusammenhang passend. Du hingegen beziehst ihn auf die Schwere eines Angriffs. Was jedenfalls ich in diesem speziellen Fall übrigens nicht für passend halte, da ich die Vorwürfe in dem Artikel für nicht besonders schwerwiegend halte.
Auch solche Formulierungen wie "Wir haben den Entwickler angefragt, aber keine Antwort erhalten" sollen ihn in einem zwielichtigen Bereich rücken. Ein ganz alter Trick der journalistischen Schule, der insinuiert: Der antwortet nicht, der hat was zu verbergen. Framing eben.
Das ist 'ne Standardfloskel, um zu zeigen, dass man dem Gegenüber Gelegenheit gegeben hat, im Artikel auch zu Wort zu kommen. Wer da rein liest, Amazon hätte was zu verbergen, kann kurz darüber nachdenken, dass es allerhand ziemlich harmlose Gründe geben kann, auf so etwas nicht zu antworten. Ist ja nicht so, als hätte man ein Recht auf eine Antwort, nur weil man einen Artikel schreibt. Da hätten die Leute ja viel zu tun.
Natürlich wünscht man sich Konsequenzen, wenn man solche Artikel schreibt, denn sonst würde man sie nicht schreiben.
Und ist das denn schlimm, dass Dom sich wünscht, Spiele mit Kolonial- oder meinetwegen auch nur davon inspiriertem Setting würden die im Artikel genannten Themen nicht aussparen? Ich meine, der Artikel von Dom hat jetzt etwa 180 Kommentare, die allerallermeisten davon machen Sich über den Artikel lustig, greifen Dom persönlich an oder erklären, warum das Thema unwichtig sei. Was für Konsequenzen befürchtest Du denn konkret?
Der "gesellschaftliche Konsens" auf den reagiert wird und der reale Konsequenzen für Kunst- und Kultur hat, besteht aber leider heutzutage immer öfter aus einem Blogger und 240 Likes bei Twitter. Wer oder wie viele sich empören scheint mittlerweile doch auch keine Rolle mehr zu spielen. Ein Vorwurf reicht.
Fehlen mir Statistiken, wo Empörungen welchen Ausmaßes wie starke Auswirkungen haben, aber nehmen wir das mal so hin: ist das dann nicht eher ein gesellschaftliches Problem im Umgang mit sozialen Netzwerken und modenrer Kommunikation, anstatt ein Problem mit der Kritik an sich?