Als jemand, der sowohl beim Produzieren als auch Konsumieren schon lange von Text zu Video übergangen ist (wobei ich bei den meisten Videos weiterhin Skripte schreibe), habe ich natürlich meinen Bias, aber für mich war die Besprechung ein klassischer "Old man yells at cloud"-Moment. Generell gab es mir den Eindruck, dass - wohl basierend auf persönlichen Präferenzen - schlicht die Erfahrung mit dem Medium aber auch dessen Entwicklung fehlt. Ich habe mir mal ein paar Punkte herausgesucht, zu denen ich daher etwas Feedback geben wollte.
Suchen von Lösungen
Bitte korrigiert mich, aber es hört sich so an als würde Jochen bei kleinen Problemfragen direkt zu Google gehen, was leider nicht immer der beste Ansatz ist. Vor allem, wenn man auf Seiten von irgendwelchen Magazinen mit deren grausigen Video-Playern konfrontiert wird. Am besten immer direkt bei YouTube (und
immer auf Englisch) selbst suchen. Bei Collectibles haben die guten Kanäle (die auch zuerst auftauchen) alles praktisch in einem Video, das keine Zeit verschwendet und jedes Collectible numeriert und mit TimeStamps markiert ist. Zudem kann man im YouTube-Player angenehm vor- und zurückspulen. Ich weiß nicht, wie schlimm es hier mit Werbung momentan ist, aber dafür habe ich YouTube-Premium, wobei zumindest auf Desktop mit Adblocker geholfen werden kann.
Wenn man lieber einen Text Guide will, ist GameFAQ auch heute noch die beste Hilfe. Da hier das gesamte Dokument auf einer Seite ist, kann man wunderbar mit der Suche an den richtigen Punkt gelangen. Generell empfehle ich, immer auf Englisch nach Lösungen zu suchen und nie direkt Google anzusteuern, da man so weniger mit den hilfreichsten Lösungen konfrontiert wirst, sondern denen mit dem besten Google-Ranking.
Monetarisierung
Hier kommt es immer darauf an, ob die jeweilige Website ihren eigenen Player nutzt oder zum Beispiel bei einem großen Publisher im Netzwerk ist. Über YouTube ist der TKP (tausender Kontaktpreis) wesentlich geringer als Einnahmen über die Website. Worum so viele auf Video gewechselt sind, liegt vor allem daran, dass in der Werbeindustrie (Aus Agenturzeiten kenne ich das leider nur zu gut) jahrelang Video als das bessere Medium propagiert wurde und auch noch Dinge hinzukommen wie Facebook, die jahrelang die Aufrufzahlen ihrer Videos gefälscht und dadurch sehr stark den Wechsel vorangetrieben haben.
Dennoch gibt das Video, wenn es auf der eigenen Seite eingebunden ist, eine zusätzliche Möglichkeit der Monetarisierung neben den bereits erzielten Kontakten über diverse Banner Ads. Zudem kann die Retention durch ein längeres Verweilen gesteigert werden. Da es mittlerweile aber auch genügend technische Möglichkeiten gibt, automatisierte Videos oder animierte Banner beim Scrollen in den Text einzufügen, ist die Monetarisierung nicht der alleinige Faktor. Es wird aus meiner Erfahrung auch oft gemacht, um es zu machen und sich darüber hoffentlich ein weiteres Standbein aufzubauen oder neue Zielgruppen zu erschließen. Was im deutschen Raum aber auch nur wirklich der GameStar geglückt ist, da sie früh genug auf den Zug aufgestiegen sind.
Testvideos
Auch hier kann ich nur spekulieren, aber basierend auf der Aussage, dass Testvideos für Jochen im Vergleich zu einem Text weniger wertvoll sind, basiert die Erfahrung wohl auf den klassisch alten Videos, bei denen nur ein gewisser Teil des Textes genommen oder etwas anderes eingesprochen wurde. Denn wenn wir uns von den Videos der etablierten Magazine entfernen (und ich frage mich, warum überhaupt noch darauf Wert gelegt wird), sind Reviews auf YouTube exakt dasselbe wie ein geschriebener Text, nur das dieser eingesprochen und bebildert wurde. Wie das nicht als Mehrwert angesehen werden kann, ist mir ehrlich gesagt unerklärlich in einem audiovisuellen Medium. Denn wenn man bestimmte Segmente überspringen will, ist für mich der Text ohnehin schlecht und ich würde ihn abseits vom Fazit gar nicht erst lesen/ansehen.
Analysen
Gerade wenn es um die tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Medium geht, ist YouTube längst die beste Anlaufstelle neben Podcasts. Vielleicht fehlt euch hier die Erfahrung, vielleicht ist es eine unbegründete Abgneigung gegenüber allem, was nicht die Fachpresse ist (wobei ihr diese ja auch zurecht kritisiert und mich gerade deshalb die fehlende Auseinandersetzung mit dem wachsenden Spielediskurs auf YouTube so überrascht). Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wo ich mit den Empfehlungen anfangen soll und könnte direkt einen historischen Überblick der gesamten Plattform geben, wie sie sich von einfachen Retro Reviews in 2006/2007 zum momentan beliebten Essay-Format entwickelt hat. Der im Podcast erwähnte hbomberguy ist da nur die Spitze des Eisberges von über Hundert lohnenswerten Kanälen allein im Gaming Bereich.
Nur mal ein paar Beispiele:
Gerade, wenn sich über zu stark deskriptive Reviews aufgeregt wird, ist die
Review zu Cruelty Squad von SuperBunnyHop das genaue Gegenteil.
Innuendo Studios (auch sehr guter Kanal für seine Analysen zu konservativer Rhetorik) spricht
in diesem Video über die Definition von Adventure Games, was der Zweck von Genre-Definition sind und warum es so schwierig ist, überhaupt eine passende zu finden.
Tiefe Gameplay-Analysen findet man in Textform eher selten, auf YouTube empfehle ich als Einstieg immer den Beitrag von
Turbo Button zu God Hand, das Tiefgang in Kampfsystem erklärt und wie dieses vor allem durch vorhersehbare Reaktionen der Feinde entsteht.
Einen eher akademischen Ansatz gibt es bei Jeremy Parish, der mit seiner
NEW oder SNES Works Reihe chronologisch alle Spiele des jeweiligen Systems bespricht und sie in den historischen Kontext einordnet. Diese erscheinen in Textform auch unregelmäßig als schön illustrierte Bücher.
Mittlerweile fokussiert er sich auf Spieleentwicklung, doch die Videos von Matthewmatosis gehören zum Besten, was es im Internet zu finden gibt. Seine mehrstündigen Videos zu Devil May Cry, Viewtiful Joe und Dark Souls sind so vollgestopft mit interessanten Gedankengängen, dass man sie zum vollen Verständnis mehrfach hören muss. Als Einstieg empfehle ich aber die Case Study zu
God of War 2018, in der das Problem des fehlenden Fokus moderner AAA-Entwicklung beklagt.
Fighting Games haben eine große Barriere was den Einstieg betrifft. Die mechanischen Konzepte sind aber auch interessant, selbst wenn man sie nicht spielt. Core-A-Gaming ist da der perfekte Kanal, da hier verschiedene Elemente sehr leicht vermittelt werden. Der Beitrag zur
kognitiven Einteilung des Gehirns in System 1 und System 2 Funktionen ist dabei so allgemeingültig, dass es für jede Person interessant sein sollte.
Für Videos, die sich mehr an einer Literatur-Kritik orientieren, empfehle ich zum Beispiel Curio. Deren aktuelles
Video zu Alan Wake hat mir viele DInge gezeigt, über die ich selbst noch nie so nachgedacht habe und eine noch größere Wertschätzung für das Spiel geschaffen hat.
Dann gibt es auch Kanäle wie New Game Plus, bei dem sich ein professioneller Animator zum Beispiel mit den
Animationen von Sonic in all seinen Spielen befasst.
Oder auch Leute wie Jacob Geller, bei dem man nie weiß, was einen als nächstes erwartet oder wie er seine Faszination für diverse Kunstformen in die Videos einfließen lässt. Zum Beispiel dem hier zu
Rollercoaster Tycoon, das mit der Besprechung einer tödlichen Achterbahn beginnt, die nur als Kunstobjekt in Modellform existiert.
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Ich hoffe, der Text liest sich nicht allzu frustiert, aber da ich mich sehr intensiv mit der Entwicklung der Spielebrechung in allen Medien beschäftige und auch selbst aufwendige Video-Inhalte produziere, trifft mich eine oftmals herablassende Auseinandersetzung gerade bei fehlender Erfahrung eben etwas stärker. Eigentlich will ich nur eine größere Wertschätzung für diese Beiträge schaffen, da ich finde, dass es dem allgemeinen Diskurs nur helfen kann, je mehr Perspektiven man betrachtet und je mehr Wissen man sich dazu aneignet