Open World als Bühne: Warum WatchDogs mehr erzählen könnte

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Skizzenbildner
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Open World als Bühne: Warum WatchDogs mehr erzählen könnte

Beitrag von Skizzenbildner »

Hallo liebe Bier-Community,

nachdem ich heute morgen - mit aktuellem Podcast im Ohr - ein wenig WatchDogs gespielt hatte, kamen mir unwillkürlich zwei meiner Lieblingsfilme in den Sinn, die ich vor allem wegen ihres abgeklärten Looks und ihres personenzentrierten Storytellings mag: Heat (1995) und Collateral (2004) von Michael Mann.

Den Look finde ich dabei nahezu perfekt getroffen in Watch Dogs wieder, das personenzentrierte Storytelling leider (noch) nicht. Tätsächlich spiele ich die Kampagne gerade eher nebenbei und habe viel mehr Spaß daran, die offene Welt zu erkunden und zum Beispiel einfach nur die verschiedenen Sehenswürdigkeiten abzufahren oder NPCs beim Flanieren zu beobachten. Kurz: Die Story in WatchDogs ist leider so spannend wie ein nasser Hund, weil sie vor allem ihren Hauptcharakter nicht genügend ausarbeitet und nicht genau weiß, was sie eigentlich erzählen will.

Was mich zum Kern meiner kleinen Diskussionsangregung bringt: Im Gegensatz zu GTA5 halte ich WatchDogs für die viel bessere Bühne, um gute personenzentrierte Geschichten zu erzählen. In grauen und kühlen Farben gehalten, könnten Menschen und ihre Handlungen hier eine so viel bessere Präsenz haben, als auf dem riesigen Spielplatz von GTA5, der vor allem der Befriedigung hedonistischer Bedürfnisse dient und dabei zum eigentlichen Kern des Spiels verkommt.

Anders gesagt: WatchDogs mit einem guten Autor könnte als Spiel tatsächlich das schaffen, was die Filme von Michael Mann vermögen: Geschichten über Menschen erzählen und erfahrbar machen. Meinungen?
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Dostoyesque
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Re: Open World als Bühne: Warum WatchDogs mehr erzählen könn

Beitrag von Dostoyesque »

Skizzenbildner hat geschrieben: Was mich zum Kern meiner kleinen Diskussionsangregung bringt: Im Gegensatz zu GTA5 halte ich WatchDogs für die viel bessere Bühne, um gute personenzentrierte Geschichten zu erzählen. In grauen und kühlen Farben gehalten, könnten Menschen und ihre Handlungen hier eine so viel bessere Präsenz haben, als auf dem riesigen Spielplatz von GTA5, der vor allem der Befriedigung hedonistischer Bedürfnisse dient und dabei zum eigentlichen Kern des Spiels verkommt.

Anders gesagt: WatchDogs mit einem guten Autor könnte als Spiel tatsächlich das schaffen, was die Filme von Michael Mann vermögen: Geschichten über Menschen erzählen und erfahrbar machen. Meinungen?
Halte die erwähnten Filme jetzt nicht unbedingt für großartige Charakterstudien, aber ich geb dir insofern recht, dass das writing in Watchdogs viele Probleme hatte, die vor allem die Charaktere betreffen.

Weiß nicht unbedingt, warum eine personenzentrierte Geschichte besser funktioniert, wenn alles in grauen und kühlen Farben gehalten ist. Bitte nicht, imo! Hab genug von den Post-Dark Knight Filmen und Spielen, die alle versuchen, wie The Dark Knight auszusehen. Watchdogs schlägt leider genau in die Kerbe und hat mit Chicago sogar dieselbe Stadt ausgesucht. Das ganze Zeug mit dem Hacken wirkt auch so, als ob sie das direkt aus dem Teil mit der Sonarspionage in The Dark Knight herausgenommen haben. Insgesamt fühlt sich Watchdogs sehr kühl und nahezu fantasielos an, was nicht nur an den Charakteren liegt. Ein einfach Gegenbeispiel wär hierbei Quentin Tarantino, dessen Filme seit 20 Jahren eben vor allem deswegen funktionieren, weil er Charaktere so gut schreiben kann. Dafür muss er aber nicht alles kühl und grau werden lassen. Charlie Kaufman wär auch ein Beispiel. Ein guter Autor kann Charaktere hervorstechen lassen, auch wenn viel um sie rum passiert.

Quintessenz für mich ist die Tatsache, dass gute Charaktere in jeder Geschichte funktionieren und vorkommen können, da ist Watchdogs mMn jetzt nicht extra gut dafür geeignet. Auch die GTAs können tolle Charaktere beinhalten und sie erinnern stilistisch mMn an Filme wie Pulp Fiction, wobei sie natürlich nie an die Qualität heranreichen, weil die Autoren nicht gut sind. Die Lösung ist recht einfach: Gute Autoren einstellen, die gute Charaktere schreiben können und das möglichst früh machen, damit die Designer das schön hinkriegen. Gute Autoren sind in der Branche aber leider rar gesät. Der momentane Serienboom machts wahrscheinlich noch schlimmer, weil der writing staff für eine Serie noch umfangreicher ist als für einen Film und man hört sehr selten, dass ein Spieleentwickler einen head writer o.ä. von irgendwoher loseisen konnte. Jemand wie Joss Whedon, David Simon o.ä. wird so schnell nicht bei Ubi anheuern. Desweiteren hab ich das Gefühl, dass wenige Spiele diesen einen kreativen Kopf/Producer hinter sich haben, der dann den kompletten staff für das Projekt organisiert. Das haben Filme wie die von Michael Mann (der sowohl schreibt als auch Regie führt) Spielen nämlich immer noch voraus.
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Dostoyesque
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Re: Open World als Bühne: Warum WatchDogs mehr erzählen könn

Beitrag von Dostoyesque »

Kleines addendum: Ich find persönlich diese ganzen modernen Spionagegeschichten relativ langweilig, sogar in Filmen. Die Technologie ist mittlerweile so weit, dass man sehr viel erreichen kann, indem man vor einem Computermonitor sitzt und das ist einfach nicht unbedingt spannendes Material für eine Spionagegeschichte. Homeland macht irgendwann z.B. den Fehler, dass man zum Großteil Leute in meeting rooms und vor Computern zusieht, wie sie so dahindiskutieren und tippen. Was dann manchmal als Gegenmaßnahme gemacht wird ist eine übertriebene, sehr überspitzte Darstellung der Hackercharaktere. Dann hat der Hacker auf einmal einen verrückten Akzent, ist auf Drogen, ist ein Rasta, etc. Michael Bay hat das so auch in den Transformers Filmen gemacht, als er gemerkt hat, wie langweilig Computer in Filmen sind. Bei guten Autoren kann das funktionieren, bei schlechten nicht (siehe M. Bay und Watchdogs).
Eine Serie wie The Americans hat den Vorteil, dass sie historisch (und damit technologisch) in die Vergangenheit geht und noch richtige hand-to-hand Spionagearbeit darstellen kann. Das wär ein Spiel, das mich eher interessieren würde als eins zu einem Superhacker in Chicago: Ein Spionagethriller während des kalten Krieges. Alpha Protocol ist das einzige Computerspiel, das relativ moderne, hochtechnologische Spionage noch verdammt spannend gemacht hat. XIII war auch noch verdammt cool. Watchdogs ist im Vergleich zu diesen Spielen gesichtslos und lahm. Kann aber auch an meinem persönlichen Geschmack liegen. Ich persönlich brauch aber diese verrückten, unechten Hackercharaktere aus Michael Bay Filmen nicht mehr. Watchdogs fehlt es grundlegend an Stil und einer Stimme, den Filme wie Heat durchaus hatten. Es sind nicht nur die Charaktere.
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Re: Open World als Bühne: Warum WatchDogs mehr erzählen könn

Beitrag von Skizzenbildner »

Dostoyesque hat geschrieben:Halte die erwähnten Filme jetzt nicht unbedingt für großartige Charakterstudien
Das hatte ich im Kern auch nicht gemeint. Tatsächlich halte ich die Figuren in Heat und Collateral eher für interessante aber auch vergleichsweise austauschbare Vehikel, die erzählerische Dynamik erst aus ihrem Zusammenspiel erzeugen. Dabei geht es nicht um die Figuren selbst (Charakterstudie) sondern um übergeordnete Themen, die viele Menschen auf ähnliche Art und Weise betreffen (Sozialstudie).

So haben beide Filme jeweils zwei gegenübergestellte Hauptfiguren, die durch andere Figuren im Hintergrund in Dynamik gebracht werden und dabei selbst in einer spannenden Beziehung stehen.

In Heat sind es Gangster Neil McCauley (Robert De Niro) und Polizist Vincent Hanna (Al Pacino), die jeweils in ihrem Wunsch nach einem erfüllten (Beziehungs-)Leben letztendlich in der Leidenschaft für ihre Berufung gefangen sind. In Collateral wiederum treffen sich Auftragskiller Vincent (Tom Cruise) und Taxifahrer Max Durocher (Jamie Foxx) und konrastieren dabei in vielerei Hinsicht die Lebensentwürfe von Freiberuflern und Angestellten wobei sie auch hier wieder im Streben nach einem sinnerfüllten Leben verbunden sind.

In beiden Filmen geht es damit letztendlich um das Leben in einer von Zwängen und Existenzfragen geprägten Gesellschaft, wobei ihre Figuren und vor allem ihr Zusammenspiel zum Nachdenken über größere Themen anregen soll... womit ich im Übrigen auch Deiner These zustimmen würde, dass es zum Beispiel Quentin Tarantino sehr viel stärker um die Zeichnung spannender Charaktere geht, die über ihre bloße Funktion in einer Geschichte hinausgehen.
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lipt00n
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Re: Open World als Bühne: Warum WatchDogs mehr erzählen könn

Beitrag von lipt00n »

Ich finde mich in manchen Belangen im Eingangspost wieder.

Achtung, Polemik: WatchDogs ist so ein bisschen so, wie früher das schöne Mädchen aus der Parallelklasse, auf die man zwar irgendwie stand, von der man leider aber auch wusste, dass sie ein bisschen farblos und vielleicht auch hohl ist. Technisch war das Spiel okay, im Gameplay gab es jetzt auch keine groben Schnitzer, das ging schon alles ganz locker von der Hand und mir sind jetzt, Jahre danach, auch keine Aufreger mehr bekannt. Woran ich mich aber durchaus erinnere, ist das ziemlich große "nichts" in meinem Kopf, dass das Spiel hinterlassen hat.
Das ganze Hackerfeature fand ich so unglaublich ätzend aufgesetzt und unnötig. In den ganzen Trailern und Vorankündigungen sind viele (ich auch ein bisschen) auf dieses Hackerfeature angesprungen, es wurde etwas neuartiges versprochen. Und das ganze hätte auch irgendwie funktionieren können. Erwartet habe ich eine Art von Handlungsfreiheit die mir offen lässt, wie ich an Missionen herangehe. Die mir vielleicht Hirnschmalz abverlangt, wenn es darum geht, Informationen zu sammeln und zu kombinieren. Aber nein, das mögliche Gesamtkonzept wurde so "ver-Tripel-A-t", dass da leider nichts von übrig geblieben ist. Alles was bleibt ist ein aufgeflanschtes Feature das immer künstlich bleibt und im späteren Spielverlauf durch seinen repetitiven Charakter auch schlichtweg nur noch nervt.
Gekrönt wird dieses Spiel von einem Charakter der nicht nur farblos ist, nein, er ist -entschuldigt bitte die Wortwahl- einfach ein blöder Pisskopf. Ich hasse den Typ von der ersten bis zur letzten Minute. Und ich hasse ihn so sehr, dass ich ihn nicht mal mehr mit einer Art von voyeuristischer Neugier steuern kann (was einen mMn beispielsweise bei Manhunt am Anfang irgendwie antreibt), nein, ich muss mich durch das Spiel durchquälen. Und als wäre sein Dasein als Unsympath der ersten Güteklasse noch nicht schlimm genug, nein, unser "Held" Aiden vereint auch noch alle Rick Grimes und Jack Shephards dieser Welt in seiner Naivität, seinen manischen Fehlentscheidungen und seiner fehlgeleiteten Intuition. Garniert wird das noch mit einer Portion gekünstelter Coolness, die beim Spieler eigentlich nur noch Fremdscham auslöst. Aiden Pearce, du bist für mich ein heißer Anwärter für den Platz des schlechtesten Videospielcharakters aller Zeiten.

So, Rant over. Um mal auf das Thema zurückzukommen: WatchDogs hätte so viel mehr erzählen können, mir hat der Rahmen dafür ziemlich gut gefallen. Auch die Abwechslung zum dauerübertriebenen Kaugummi-Amerika in GTA (so gern ich es, im Gegensatz zu Jochen, manchmal habe) war mir ziemlich willkommen. Was im Endeffekt auf meiner Festplatte ankam, wurde aber nichts von alledem und nicht mal seiner eigenen Spielwelt irgendwie gerecht.
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Re: Open World als Bühne: Warum WatchDogs mehr erzählen könn

Beitrag von Skizzenbildner »

lipt00n hat geschrieben: WatchDogs hätte so viel mehr erzählen können, mir hat der Rahmen dafür ziemlich gut gefallen. Auch die Abwechslung zum dauerübertriebenen Kaugummi-Amerika in GTA (so gern ich es, im Gegensatz zu Jochen, manchmal habe) war mir ziemlich willkommen. Was im Endeffekt auf meiner Festplatte ankam, wurde aber nichts von alledem und nicht mal seiner eigenen Spielwelt irgendwie gerecht.
Villeicht kommt das ja noch. Watch Dogs befindet sich offziell in der Entwicklung und ist für April 2017 angekündigt. Hängt natürlich ganz davon ab, ob die Entwickler am Ende die richtigen Schlüsse aus ihrem durchaus beachtlichen Erstling ziehen.
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