Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Alles, was nicht in ein anderes Forum gehört: Hier rein
Forumsregeln
Datenschutzerklärung: https://www.gamespodcast.de/datenschutzerklaerung/
Impressum: https://www.gamespodcast.de/impressum/

Forenregeln und zukünftige Weltverfassung
ART 1: Behandle andere Nutzer mit Respekt.
ART 2: Do NOT piss off the Podcasters

Lies bitte weitere Hinweise hier: viewtopic.php?f=4&t=2789
Benutzeravatar
CybernetikFrozone
Beiträge: 681
Registriert: 3. Jun 2021, 18:11

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von CybernetikFrozone »

Ich bin dafür in Spielen, Daten zu versklaven,habe auf der PS1 eine Demo von einem Volk dessen Gott ich gespielt habe und die töten konnte wie ich lustig war. Sowas sollte auch ab und zu in heutigen Spielen vorkommen.
Voigt
Beiträge: 5711
Registriert: 14. Jun 2016, 14:43
Wohnort: Jena

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Voigt »

@Rince81 Als Gegenargument, die Werbeschrift von Age of Mythology:
The game that transports players to a time when heroes did battle with monsters of legend and the gods intervened in the affairs of mortals.
(Zitat von der offiziellen Age of Empires Webseite)

Es ist halt die Frage wie man eine Zeitepoche wie das 19.Jhr/Zeit der Industriellen Revolution betrachtet.

Sobald eine reale Zeit genannt wurde, spielt es in der historisch realen Welt.
Oder isses nur der Bausatz aus dem sich das Spiel mit Elementen bedient, wie etwa bei Age of Mythology.

Vielleicht kommt die Meinungsverschiedenheiten zur Bewerbung des Spieles daher, simpel was unter dem Wortsinn der Werbebotschaft verstanden wird?

Selber finde ich aber eh das Argument, wie das Spiel nun vermarktet wurde, eher schwach. Mir isses wichtig wie es einfach nur ist.
Benutzeravatar
lolaldanee
Beiträge: 2102
Registriert: 2. Jun 2016, 14:05

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von lolaldanee »

Age of Empires ist ein super Beispiel, da hat sich Bruce Shelly und Konsorten ja bekanntlich ganz bewusst an einem Kinderbuch für antike Geschichte orientiert. Mit diesem berühmten Zitat von ihm "In Age of Empires scheint immer die Sonne"
Sie haben ganz bewusst die Schattenseiten alle weggelassen, weil die einen schönen Spiel nur im Weg stünden. Und Age of Empires stellt sich mal 1000 mal mehr als historisch dar als das offensichtliche Fantasyspiel Anno. Und auch noch in einer Epoche in der Sklaverei ein vielfaches wichtiger war als im 19. Jahrhundert. Wenn schon ein Anno für fehlende Sklaverei kritisieren, dann bitte 1701 ;)
Zuletzt geändert von lolaldanee am 25. Mai 2022, 14:12, insgesamt 1-mal geändert.
Rigolax
Beiträge: 2188
Registriert: 20. Feb 2018, 15:53

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Rigolax »

Rince81 hat geschrieben: 25. Mai 2022, 10:38
Axel hat geschrieben: 25. Mai 2022, 08:29 Wurde Anno denn so verkauft? Also als realistisches Serious Game wo man was lernen kann? [...]
[diverse Links]
Daraus geht doch aber nicht hervor, dass Anno als "realistisches Serious Game [verkauft wird,] wo man was lernen kann"? Es wird eine gewisse Authentizität suggeriert, aber keine historische Korrektheit oder ein Lerngewinn behauptet, würde ich sagen. Analog wird ein Call of Duty oder Battlefield beworben mit etwa "erlebe moderne Kriegsführung/den Zweiten Weltkrieg etc. wie noch nie zuvor" (fiktives Zitat).

Wobei ich mich an ein paar Sätze auf der Homepage des Spiels erinnere, die eher fragwürdig waren, müsste ich nochmal gucken. Bei den verlinkten Artikeln bzw. den Zitaten fand ich kursorisch nichts, was ich wirklich verwerflich fände.
Lurtz hat geschrieben: 25. Mai 2022, 10:12 Dom legt auch noch mal nach, was das Thema angeht, ist bei Gamestar allerdings hinter der Paywall:
https://www.gamestar.de/artikel/sklaver ... 80926.html
Ich habe aktuell kein GS-Abo, was ist dort genau die Kritik?: "Spielmechanisch erfüllen diese »Goody Huts« [in Civilization 6] eine sinnvolle und wichtige Funktion: Sie motivieren dazu, die Weltkarte frühzeitig zu erkunden, und halten durch das zufällig ermittelte »Goody« das sonst immergleiche Early Game des Strategiespiels frisch. Der Wiederspielwert steigt, eine gute Sache. Das Problem allerdings liegt in der Darstellung dieser »Goodie Huts« in der Spielwelt - denn die ist zutiefst rassistisch. [...] [Bildunterschrift:] Problematisch daran: ihre Darstellung, die an afrikanische Rundhausarchitektur angelehnt ist."

Warum sollte denn diese Darstellung nicht nur rassistisch, sondern "zutiefst rassistisch" sein? Das klingt für mich eher (nur) sogenannt orientalistisch bzw. das afrikanische Äquivalent zu "orientalistisch", also sich auf gewisse Bilder-Klischees des kollektiven Gedächtnisses beziehend. Ich vermute, das ist analog wie die "geglätteten" Darstellungen von Native Americans im Remaster von Age of Empires 3? Erinnert mich aber auch an Cuphead, bei dem ja teils vorgebracht wurde, dass es scheinbar ethisch verwerflich gewisse Ästhetiken reproduziert.

--

Der Kern der Diskussion ist doch eh wieder: was müssen/sollten Spiele (im Kapitalismus) leisten, müssen/sollten sie eine Funktion haben, die Menschen/Menschheit "besser" machen oder zumindest nicht "schlechter", also sollen sie im Sinne Schillers eine "moralische Anstalt" sein mit erzieherischer Funktion, gilt dies insbesondere bei sensiblen Themen, haben westliche Entwickler ggf. noch eine historisch bedingte besondere Verantwortung bei bestimmten Darstellungen. Und halt was für Lernhypothesen legt man der Kritik zu Grunde, damit verbunden auch sicherlich Menschenbilder.

EDIT: Paar Tippfehler. ;)
Zuletzt geändert von Rigolax am 25. Mai 2022, 14:55, insgesamt 1-mal geändert.
meieiro
Beiträge: 1170
Registriert: 12. Jan 2018, 07:48
Wohnort: Niederbayern

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von meieiro »

lolaldanee hat geschrieben: 25. Mai 2022, 14:10 Age of Empires ist ein super Beispiel, da hat sich Bruce Shelly und Konsorten ja bekanntlich ganz bewusst an einem Kinderbuch für antike Geschichte orientiert. Mit diesem berühmten Zitat von ihm "In Age of Empires scheint immer die Sonne"
Sie haben ganz bewusst die Schattenseiten alle weggelassen, weil die einen schönen Spiel nur im Weg stünden. Und Age of Empires stellt sich mal 1000 mal mehr als historisch dar als das offensichtliche Fantasyspiel Anno. Und auch noch in einer Epoche in der Sklaverei ein vielfaches wichtiger war als im 19. Jahrhundert. Wenn schon ein Anno für fehlende Sklaverei kritisieren, dann bitte 1701 ;)
Naja ich weiß nicht ob bei einem Spiel in dem sich unterschiedliche Völker gegenseitig auslöschen, wirklich alle Schattenseiten weggelassen wurden. Und die zivile Bevölkerung muss rund um die Uhr schufften um das Militär am laufen zu halten. Dafür bekommen sie nur ein bisschen Nahrung. Klingt für mich wie Sklaven.
Benutzeravatar
Felidae
Beiträge: 2986
Registriert: 22. Mai 2016, 17:49
Wohnort: NRW

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Dazu ist Age of Empires halt auch 20 Jahre alt. Damals wurden generell an Kulturprodukte andere Maßstäbe angelegt als heute.

Ich verstehe so ganz absolut nicht, warum immer so getan wird, als wäre Doms Kritik vollkommen unlegitim. Es ist ja okay, wenn Spieler:innen anderer Meinung sind, andere Schwerpunkte legen, andere Dinge von "ihrem" Spiel erwarten. Aber deshalb wird Doms Kritik nicht an sich falsch oder unberechtigt. Sie ist einfach nur ein anderer Standpunkt.
Benutzeravatar
lolaldanee
Beiträge: 2102
Registriert: 2. Jun 2016, 14:05

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von lolaldanee »

Felidae hat geschrieben: 25. Mai 2022, 14:25 Dazu ist Age of Empires halt auch 20 Jahre alt. Damals wurden generell an Kulturprodukte andere Maßstäbe angelegt als heute.
Für Age of Empires 4 gilt das alles noch viel mehr. das schreibt sich mit dem Stil seiner Kampagnen Glaubwürdigkeit noch viel mehr auf die Fahnen, da knirscht es viel deutlicher noch. Das ist letztes Jahr erschienen.
meieiro hat geschrieben: 25. Mai 2022, 14:21 Naja ich weiß nicht ob bei einem Spiel in dem sich unterschiedliche Völker gegenseitig auslöschen, wirklich alle Schattenseiten weggelassen wurden. Und die zivile Bevölkerung muss rund um die Uhr schufften um das Militär am laufen zu halten. Dafür bekommen sie nur ein bisschen Nahrung. Klingt für mich wie Sklaven.
und generell zur Authentizität:
Keine Leibeigenen, keine Vergewaltigungen, keine Krankheiten und Seuchen, kein Nahrungsverbrauch und deshalb keine wikrlichen Belagerungen, Gebäude fangen Feuer wenn man sie mit Schwertern haut - gilt für 99% aller Strategiespiele - eine Diskussion wie realistisch die sind ist einfach komplett müßig. Age of Empires ist wie Räuber und Gendarm was seinen Gewaltgrad angeht - das Spiel ist nicht umsonst ab 12. Im Jahr 1997, als noch GANZ andere Regeln galten als heute

Es bringt halt nichts von einer Katze das Bellen zu erwarten, egal wie sehr man es sich auch wünscht. Die Kritik ist ja auch, dass man sich bitte einen Hund suchen möge um das Bellen zu untersuchen, nicht, dass man sich fürs Bellen an sich interessiert. Bellen ist toll. Wuff. Aber halt nicht bei Katzen, bellende Katzen bringen niemand irgendwas.
Benutzeravatar
Terranigma
Beiträge: 1507
Registriert: 17. Feb 2016, 19:34

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Terranigma »

Die Reaktion im Thread finde ich teilweise schade, weil hier doch teilweise sehr differenzierte Aussagen im Podcast verallgemeinert und dann abgelehnt werden, wie sie so aber nicht getätigt wurden: es wurde ja eben nicht gesagt, dass man Anno 1800 umgestalten, umbauen, o.Ä. tun sollte, sondern das Spiel wurde - nebst anderen Titeln - zuerst einmal problematisiert. Und aus einer Problematisierung können diverse Ableitungen und Forderungen folgen, aber einen Sachverhalt zu problematisieren beinhaltet nicht, ihn auch abschaffen zu wollen. Bastian sagte im Podcast ja an mehreren Stellen, dass es ggf. nicht naheliegend wäre, von den Entwicklern von Anno 1800 eine Veränderung ihres Designs und damit Geschäftsmodells zu verlangen, dass es aber wünschenswert wäre, würden sich Videospiele - wie es etwa auch der Spielfilm tut - insofern breiter aufstellen, als dass Unterhaltung nicht auf "Spaß" reduziert wird und Auseinandersetzungen mit ernsthafteren Sachverhalten dennoch als Unterhaltung begriffen werden können. Die Beispiele für derartiges sind bekannt: "This War of Mine", "Frostpunk", etc.

Ebenso gibt es ja bereits diverse Videospiele, welche die Historie nicht nur als Tapete für ihr Gameplay gebrauchen - ohne das damit abwerten zu wollen - sondern an einer Auseinandersetzung mit dem historischen Sachverhalt interessiert sind. Beispiele wären etwa "Valiant Hearts", "Through the Darkest of Times", etc. In dieser Hinsicht würde ich sagen, dass der Videospielmarkt ja durchaus bereits anfängt sich zu verändern, wenn auch erst einmal nur im Indie-Bereich.


Persönliche Anekdote: bzgl. der These, Anno 1800 wäre kein historisches Spiel und würde auch klar kommunizieren, dass es diesbezüglich keine Ansprüche hat. Ich habe diese These - die ja u.a. als Kritik auf Doms Artikel folgte - zum Anlass genommen, vor einigen Monaten in einer meiner 8. Klassen ein Experiment durchzuführen. Die Klasse hat sich zu dem Zeitpunkt im Geschichtsunterricht mit der Ausbreitung des Nationalismus in Europa im 19. Jhd. sowie in Zuge dessen mit der Industrialisierung sowie dem Wettstreit um Kolonien in Afrika beschäftigt. Keiner der Schüler*innen kannte zu diesem Zeitpunkt Anno 1800. Ich habe ihnen ohne Kontext (!) den Trailer zu Anno 1800, die Verpackung des Spiels sowie kurze Gameplay-Ausschnitte gezeigt. Die Schüler*innen haben davon ausgehend das Spiel als historische Darstellung benannt und u.a. im Trailer diverse Querbezüge zur Historie gezogen, welche sie zu den Urteil brachte, das Spiel als historische Darstellung des 19. Jhds. zu begreifen, u.a.: die Betonung von technologischen Fortschritt im Trailer, die Bedeutung der Eisenbahn im Gameplay, der Verweis auf die Erschließung 'neuer Welten' im Trailer, etc. Nachdem ich den Blick auf die Atmosphäre des Trailers sowie Gamplays gelenkt habe, haben die Schüler*innen dies als sehr fröhlich, idyllisch, harmonisch, etc. beschrieben. An diesem Zeitpunkt kamen einzelne Wortmeldungen, welche diese positive Darstellung problematisierten, u.a. weil wir uns zuvor im Unterricht auch mit den Auswirkungen auf die Umwelt durch die Industrialisierung beschäftigt haben - und ebenso der Relevanz der Sklaverei. Und dann gab ich ihnen den Artikel von Dom zu lesen und sie haben Stellungnahmen dazu verfasst, inwiefern sie die These des Autors - lies: Dom - teilen bzw. nicht teilen, dass Videospiele wie Anno 1800 einen Einfluss auf Kinder - lies: meine Klasse - haben könnte.

In der Mehrheit haben sie, z.T. eingeschränkt, die These unterstützt. Ein Meinungsbeitrag dazu sinngemäß: "Hätten wir uns im Geschichtsunterricht nicht so ausführlich mit diesem Thema beschäftigt, wäre mir das wohl nicht bewusst gewesen." Und dass man sich mit diesem Thema im Geschichtsunterricht intensiv (!) beschäftigt ist nicht allgemein gegeben; dass die Schüler*innen dem Unterricht folgen und auch langfristig etwas mitnehmen noch viel weniger. In dieser Hinsicht bin ich in der Diskussion doch eher bei Bastian und nehme auch zur Kenntnis, das meine eigenen Schüler*innen den Trailer von Anno 1800 und Gameplay sehen und das Spiel durch die Bank (!) als historische Darstellung einordnen, nicht als Fantasy, o.Ä.


So oder so will ich damit aber eben keinerlei Forderung verbinden, was Anno 1800 oder ähnliche Spiel tun bzw. nicht tun sollen. Da bin ich wiederum bei Helge, wenn er zurecht fragt, wer denn entscheiden soll, was alles in einer Darstellung enthalten sein soll. Man könne ebenso legitim kritisieren, dass z.B. die Auswirkungen der Industrialisierung auf die Umwelt keinerlei Beachtung finden, dabei ist Umweltgeschichte - Suprise! - ein Forschungsgebiet, das in den letzten Jahren an Popularität gewann. Was ich aber begrüße ist, dass solche Diskussionen geführt und dass Spiele problematisiert werden. Etwas zu problematisieren bedeutet nicht, es schlechtzureden, abzuwerten, o.Ä. sondern lediglich, dass einen kritischen Blick auf ein Werk entwickelt und problematische Aspekte herausarbeitet. Und diese problematischen Aspekte hat Anno 1800, wie prinzipiell jedwedes Werk potentiell problematisch ist - je nachdem, mit welchem Blick und welcher Fragestellung man sich dem nähert. Und Videospiele zu problematisieren, darüber ins Gespräch zu kommen und dadurch das eigene Bewusstsein zu schärfen, das empfinde ich per se bereits als Gewinn. Daraus muss keinerlei weitere Forderung abgeleitet werden. Dass beispielsweise Kinder und Jugendliche überhaupt ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass Geschichte konstruiert ist und dass sie tagtäglich - auch Zuhause in der Freizeit - mit konstruierten Geschichtsbildern konfrontiert sind, und dass man diese nicht qua ihrer Existenz für glaubwürdig erachten soll, das erscheint mir'n lohnenswertes Ziel. Insofern bin ich für diesen Podcast sehr dankbar! :D
Sitting quietly and doing nothing,
Spring comes, and the grass
grows by itself.
Benutzeravatar
Lurtz
Beiträge: 4000
Registriert: 22. Feb 2016, 17:19

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Lurtz »

Terranigma hat geschrieben: 25. Mai 2022, 14:46 Die Reaktion im Thread finde ich teilweise schade, weil hier doch teilweise sehr differenzierte Aussagen im Podcast verallgemeinert und dann abgelehnt werden, wie sie so aber nicht getätigt wurden: es wurde ja eben nicht gesagt, dass man Anno 1800 umgestalten, umbauen, o.Ä. tun sollte, sondern das Spiel wurde - nebst anderen Titeln - zuerst einmal problematisiert. Und aus einer Problematisierung können diverse Ableitungen und Forderungen folgen, aber einen Sachverhalt zu problematisieren beinhaltet nicht, ihn auch abschaffen zu wollen. Bastian sagte im Podcast ja an mehreren Stellen, dass es ggf. nicht naheliegend wäre, von den Entwicklern von Anno 1800 eine Veränderung ihres Designs und damit Geschäftsmodells zu verlangen, dass es aber wünschenswert wäre, würden sich Videospiele - wie es etwa auch der Spielfilm tut - insofern breiter aufstellen, als dass Unterhaltung nicht auf "Spaß" reduziert wird und Auseinandersetzungen mit ernsthafteren Sachverhalten dennoch als Unterhaltung begriffen werden können. Die Beispiele für derartiges sind bekannt: "This War of Mine", "Frostpunk", etc.
André hat ja sogar mehrmals explizit nachgefragt, um genau das herauszuarbeiten.
Persönliche Anekdote: bzgl. der These, Anno 1800 wäre kein historisches Spiel und würde auch klar kommunizieren, dass es diesbezüglich keine Ansprüche hat. Ich habe diese These - die ja u.a. als Kritik auf Doms Artikel folgte - zum Anlass genommen, vor einigen Monaten in einer meiner 8. Klassen ein Experiment durchzuführen. [...]
Sehr spannend, danke fürs Teilen.
Children are dying.
That's a succinct summary of humankind, I'd say. Who needs tomes and volumes of history? Children are dying. The injustices of the world hide in those three words.
Rigolax
Beiträge: 2188
Registriert: 20. Feb 2018, 15:53

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Rigolax »

Anno 1800 ist meiner Meinung nach auch durchaus eine historische Darstellung (in zumindest gewisser Weise); nicht im Sinne, dass sie historisch (absolut) korrekt ist, aber eben "historisierend". Anno 1800 bezieht sich ja auf historische Ereignisse und bildet -- unter Artistic License, mit Idealisierung, Romantisierung etc. -- diese teilweise ab. Ich weiß nicht, wie man das semantisch am besten abgrenzt, aber historisierende Darstellungen sind in gewisser Weise ja auch "historische" Darstellungen (zumindest in Anführungszeichen). Vermutlich hilft es auch, wenn bewusst ist, dass historische Darstellungen ja immer nur Annährungen an die tatsächliche Vergangenheit sind, also nicht zwingend Korrekt bzw. können "wir" ja i.d.R. kaum wissen, wie es damals wirklich war, sondern uns dem nur annähern. Also selbst das allerbeste Geschichtsbuch ist nur eine Annährung, wenn auch eine vielleicht sehr differenzierte und erhellende. Anno 1800 ist in dem Sinne eine sehr oberflächliche "historische" Darstellung, die potentiell, wenn man sie so sehr ernst nehmen würde (was keiner sollte), sehr irreführend wäre.

Man könnte daher ja Disclaimer einbauen: "Die folgenden Darstellungen bilden nicht die tatsächliche Vergangenheit ab", vielleicht Assassin's Creed-mäßig. Oder wie "Bitte schnallt Euch im echten Leben an"-Disclaimer in Need for Speed. -- Wobei ich nicht glaube, dass die viel bewirken würden. Eher dürften Disclaimer nur etwas bringen, wenn man schon so sozialisiert ist, ansonsten Anstoß an den Inhalten zu finden; dann könnten imho diese Inhalte für manche durch Disclaimer vielleicht goutierbar werden, weil die Inhalte dann nicht als moralisch verwerflich bzw. abstoßend (eklig) empfunden würden. -- Das klingt hart von mir, aber in gewisser Weise geht es auch um ein Empfinden vergleichbar mit "Ekel" imho, weniger stark, eine Art moralischer Irritation, die empfunden wird, vergleichbar mit Konfrontation mit Wörtern wie "Indianer" oder "Eskimo" (bei undistanzierter Verwendung).

In Bezug auf "problematisieren" und "problematisch" müsste man auch mal überlegen, ob es teils anders ("falsch") verstanden wird: Was heißt denn, etwas sei "problematisch" oder wird "problematisiert"? Es wird thematisiert, das ist neutral, auch wenn kritisch, aber ein Problem ist ja grundsätzlich etwas Schlechtes, vor allem im alltäglichen Sprachgebrauch; man will keine "Probleme" produzieren. Wie reagieren im Durchschnitt Geschichtslehrer auf Schüler, wenn diese ihnen sagen, dass sie die letzte Unterrichtseinheit "problematisch" fanden und diverse Aspekte gerne "problematisieren" würden?
Benutzeravatar
Terranigma
Beiträge: 1507
Registriert: 17. Feb 2016, 19:34

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Terranigma »

Rigolax hat geschrieben: 25. Mai 2022, 15:18 Anno 1800 ist meiner Meinung nach auch durchaus eine historische Darstellung (in zumindest gewisser Weise); nicht im Sinne, dass sie historisch (absolut) korrekt ist, aber eben "historisierend".
Diese Definition ist's, was mich am Thread irritiert: der Anfang des Podcasts wurde ja genau dieser Definition gewidmet, gerade weil historische Darstellung nicht bedeutet, dass diese korrekt ist oder gar den Anspruch darauf erhebt. Eine historische Darstellung ist jedwede Darstellung von Geschichte; egal ob dies zu Zwecken der Wissenschaft, Unterhaltung, Bildung, o.Ä. dient. In diesem Sinne ist Anno 1800 fraglos genauso sehr eine hist. Darstellung wie es ein Historienspielfilm, ein Mittelaltermarkt, ein Dissertation über kulturelle von Bockwürsten im Münsterland 1651 oder ein Schulbuch ist. Die Einschränkung, welche du aufmachst - "in gewisserweise" - ist nicht gegeben. Ich glaube, der Begriff wird im Diskurs nicht derart verstanden, wie er in der Wissenschaft definiert wird. Alles das, was Historie darstellt, ist eine Geschichtsdarstellung. Und alleine beim Blick auf den Titel von Anno 1800, den Trailer, die Verpackung, etc. und dem Blick ins Spiel wird man kaum die Argumentation aufrecht erhalten, dass Anno 1800 dies nicht sei - es ist ja erkennbar kein Fantasy-, SciFi-Titel, o.Ä.

Es erscheint mir daher nicht sinnvoll, eine Unterscheidung anhand des Begriffes vollziehen zu wollen. Worin sich Anno 1800 von einer wiss. Abhandlung unterscheidet ist nicht in dem Umstand, dass beides historische Darstellungen sind - dass sind sie! - sondern u.a. im (a) Anspruch - mit welchem Ziel findet eine Auseinandersetzung mit Geschichte statt? - sowie (b) die Triftigkeit der Darstellung. Desweiteren eigentlich auch (c) nämlich welches Publikum die Darstellung erreichen soll. Während eine wiss. Abhandlung über die Industrialisierung im 19. Jhds. einen (a) wissenschaftlichen Anspruch und (b) triftiger ist, wird sie allerdings (c) nur einen geringen Einfluss auf das populäre Geschichtsbild haben, weil vielleicht 1.000 Menschen besagte Abhandlung lesen während die historische Darstellung in Anno 1800 von 1.000.000 (fiktive Zahl) rezipiert wird.
Rigolax hat geschrieben: 25. Mai 2022, 15:18In Bezug auf "problematisieren" und "problematisch" müsste man auch mal überlegen, ob es teils anders ("falsch") verstanden wird: Was heißt denn, etwas sei "problematisch" oder wird "problematisiert"? Es wird thematisiert, das ist neutral, auch wenn kritisch, aber ein Problem ist ja grundsätzlich etwas Schlechtes, vor allem im alltäglichen Sprachgebrauch; man will keine "Probleme" produzieren. Wie reagieren im Durchschnitt Geschichtslehrer auf Schüler, wenn diese ihnen sagen, dass sie die letzte Unterrichtseinheit "problematisch" fanden und diverse Aspekte gerne "problematisieren" würden?
Ich glaube es die Verwendung der Begriffe, die Irritation auf beiden Seiten sorgt. Deshalb finde ich's auch wichtig vor einem Gespräch zu klären was man meint, wenn man einen Begriff verwendet. Der Begriff "problematisieren" ist innerhalb der Geschichtswissenschaft - im weiteren Sinne: innerhalb der Geisteswissenschaft - etabliert. Ein Qualitätsmerkmal von modernen Geschichtsunterricht ist laut aktueller Geschichtsdidatik die "Problemorientierung", d.h. dass Schüler*innen sich mit multiperspektivischen / kontroversen Fragestellungen beschäftigen, um darauf begründete Antworten zu finden. Dies soll auf schülergerechten Niveau im Ansatz die wissenschaftliche Methodik näherbringen, die ja genauso funktioniert: Man entwickelt eine Fragestellung / eröffnet eine Kontroverse / formuliert eine These und versucht ausgehend von hist. Quellen darauf eine Antwort zu finden.

"Problematisieren" bezeichnet in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Problemfrage. Da entsteht nun wohl der Bruch zur Alltagssprache, weil "Probleme" im Alltag - wie du passend sagst! - als negativ empfunden werden, d.h. man versucht Probleme zu vermeiden oder sie zu beheben. Im Kontext der Geschichtswissenschaft/-didaktik meint der Begriff dies aber nicht. Die Problematisierung bezeichnet den Prozess des Erkennens, dass etwas überhaupt problematisch ist, d.h. z.B. die Beurteilung eines Sachverhaltes oder die Beantwortung einer Frage nicht klar und eindeutig ist. Dies klingt banal, ist aber wesentlich: die Fähigkeit eigenständig kontroverse Fragestellungen zu formulieren, Sachverhalte zur Diskussion zu stellen oder problematische Aspekte an einem Sachverhalt zu erkennen, ohne dass man von Außen darauf hingewiesen wird, soll so beispielsweise geübt werden. Wenn man also Anno 1800 "problematisiert" heißt dies lediglich, dass das Spiel aus bestimmten Perspektiven kritisch beäugt und einen Diskurs darüber eröffnet. Dies geht mir keinerlei Wertung, o.Ä. einher.


Wenn ein Schüler zu mir sagt, dass er die letzte Unterrichtseinheit "problematisch" fand, würde man im Allgemeinen wohl davon ausgehen, dass dies ein Euphemismus für "scheiße" ist. :D Ansonsten würde ich mich aber auf's Gespräch einlassen und fragen, welchen Aspekt er weshalb problematisch findet, d.h. es würde ein Gespräch entstehen - das empfinde ich per se als positiv, selbst wenn man am Ende nicht einer Meinung ist.

Aber beim Nachgeforscht-Format geht's ja gerade darum, dass Personen aus der Wissenschaft zu Wort kommen und gerade in der Geisteswissenschaft ist's (leider) so, dass Begriffe des Alltags eine fachsprachliche Definition haben. Womöglich müsste man das klarer kommunizieren, damit es keine Missverständnisse gibt.
Sitting quietly and doing nothing,
Spring comes, and the grass
grows by itself.
Benutzeravatar
Felidae
Beiträge: 2986
Registriert: 22. Mai 2016, 17:49
Wohnort: NRW

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Ich verstehe auch beim Wort "problematisch" nicht, warum das - selbst nach ganz allgemeinem Sprachgebrauch (sprich: es wird etwas Negatives genannt) - dermaßen Beißreflexe auslöst. Kinners, wir wollen als Spieler:innen erwachsen behandelt werden und wir wollen, dass unsere Spiele als "erwachsenes Medium" anerkannt werden. Aber WENN wir das wollen, dann sollten Kritiker:innen auch Dinge als negativ benennen dürfen, ohne dass wir gleich Fackeln und Heugabeln rausholen.

Ja, viele Spiele haben ein problematisches Geschichts-, Gecshlechter-, zum Teil komplettes Gesellschaftsbild. Da kann man auch einfach drüber reden! Alte James Bond-Filme haben ein ebenfalls sehr sexistisches und rassistisches Gesellschaftsbild, "300" ist latent faschistisch, die Darstellung von (nicht unbedingt freiwilligem) Sex in "Game of thrones" kann man kritisieren, über den Roman "American Psycho" kann man nächtelang diskutieren und und und. Und mit all den Filmen, Büchern, Serien kann man TROTZDEM eine ganze Menge Spaß haben. Diese Diskussionen gehören zu einem erwachsenen Medium einfach dazu.

So Reaktionen wie auf Doms Artikel (oder auch auf Sarkeesians Arbeit etc) sind hingegen alles andere als erwachsen. Sondern letztlich nur "Maaaaaaami, der hat gesagt, mein Lieblingsspiel ist doof!" (wobei Dom das nicht mal gesagt hat - wieviel Spaß er an "Anno 1800" hat, kann man im entsprechenden "En Detail" nachhören).
Voigt
Beiträge: 5711
Registriert: 14. Jun 2016, 14:43
Wohnort: Jena

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Voigt »

@Terranigma Klare Kommunikation ist eh immer wichtig, daher bei wissenschaftlichen Diskursen lieber Begriffe zuviel definieren, als anzunehmen, das wird schon verstanden.

@Felidae Das ist vielleicht auch so ein Knackpunkt mit der Sache des "erwachsenen" Mediums.
Wenn Leute sich wünschen, dass Spiele als "erwachsenens" Medium besprochen werden sollten, gehe ich davon, dass damit nicht ALLE Spiele gemeint sind.
Sondern eher im Spielebereich gibt es erwachsene Spiele, halt die oft zitierten serious games, die mit einer "erwachsenen ernsthaftigkeit" besprochen werden sollten, wie auch Filme/Bücher.
Gleichzeitig gibt es aber auch kindliche Spiele, wo solcj eine Diskussion als "fehl am Platz" empfunden wird.
Der dahingehende Eskapismus und Panorama Spielen wurde im Thread ja schon genannt.
Benutzeravatar
Felidae
Beiträge: 2986
Registriert: 22. Mai 2016, 17:49
Wohnort: NRW

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Voigt hat geschrieben: 25. Mai 2022, 16:15
@Felidae Das ist vielleicht auch so ein Knackpunkt mit der Sache des "erwachsenen" Mediums.
Wenn Leute sich wünschen, dass Spiele als "erwachsenens" Medium besprochen werden sollten, gehe ich davon, dass damit nicht ALLE Spiele gemeint sind.
Sondern eher im Spielebereich gibt es erwachsene Spiele, halt die oft zitierten serious games, die mit einer "erwachsenen ernsthaftigkeit" besprochen werden sollten, wie auch Filme/Bücher.
Gleichzeitig gibt es aber auch kindliche Spiele, wo solcj eine Diskussion als "fehl am Platz" empfunden wird.
Der dahingehende Eskapismus und Panorama Spielen wurde im Thread ja schon genannt.
Nur geht dieser von Dir paraphrasierte Wunsch halt völlig an der Realität vorbei. :)
WENN die Kulturkritik anfängt, sich mit dem Medium zu beschäftigen, dann als ganzes. Und das ist ja auch völlig richtig so. Michael Bay kann noch so oft betonen, dass seine Transformers-Filme als reine Kinderfilme gedacht sind - deshalb wird trotzdem kein Filmkritiker sagen, "Ach so, ja gut, dann schreib ich doch keine Kritik".
Rigolax
Beiträge: 2188
Registriert: 20. Feb 2018, 15:53

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Rigolax »

Terranigma hat geschrieben: 25. Mai 2022, 15:38
Rigolax hat geschrieben: 25. Mai 2022, 15:18 Anno 1800 ist meiner Meinung nach auch durchaus eine historische Darstellung (in zumindest gewisser Weise); nicht im Sinne, dass sie historisch (absolut) korrekt ist, aber eben "historisierend".
(…). Die Einschränkung, welche du aufmachst - "in gewisserweise" - ist nicht gegeben(…)
Ich schrieb ja „in zumindest gewisser Weise“, also das Weasel Word ist schon wichtig imho. ;) Okay, im Ernst, würde ich auch zustimmen: Anno 1800 ist eine historische Darstellung. Punkt. Wäre es selbst, wenn es einen Disclaimer zu Spielanfang gäbe, dass es keine historische Darstellung sei oder sein möchte; es wäre trotzdem eine historische Darstellung (nach meinem Dafürhalten). Ich dachte, der Status von Anno 1800 als „historische Darstellung“ stände noch ernsthaft zur Debatte bzw. wäre kontrovers, daher habe ich mich auch etwas übertrieben um eine Zwischenposition bemüht in Abgrenzung zu „historisierend“. Ich hätte jedenfalls je nach Kontext, z.B. vor einer Schulklasse (wobei ich kein Lehrer bin), durchaus Bedenken, Anno 1800 als „historische Darstellung“ zu bezeichnen, weil es irritierend sein könnte (auch wenn an sich korrekt); ich hätte kein Problem, es als „historisierende Darstellung“ zu bezeichnen, wobei wiederum natürlich fraglich ist, ob der Unterschied verstanden wird.
Terranigma hat geschrieben: 25. Mai 2022, 15:38 Wenn ein Schüler zu mir sagt, dass er die letzte Unterrichtseinheit "problematisch" fand, würde man im Allgemeinen wohl davon ausgehen, dass dies ein Euphemismus für "scheiße" ist. :D Ansonsten würde ich mich aber auf's Gespräch einlassen und fragen, welchen Aspekt er weshalb problematisch findet, d.h. es würde ein Gespräch entstehen - das empfinde ich per se als positiv, selbst wenn man am Ende nicht einer Meinung ist.
Fällt mir auch der Begriff „Problemschüler“ ein, wohl auch eher euphemistisch.

Also ja, ich denk, es gibt ein, eh, Verständnis-Problem bei so Wendungen wie „problematisch“ und (etwas weniger stark) bei „problematisieren“. „Problematisieren“ klingt zumindest noch eher fachsprachlich imho, „problematisch“ schon negativ konnotiert. Also ich kann durchaus verstehen, wenn Fans von Anno 1800 so-wie-es-ist nicht wollen, dass man „ihr“ Spiel als „problematisch“ ansieht bzw. als „Problem“. Ich denke aber gleichzeitig, dass man Anno 1800 didaktisch/geschichts-/medienwissenschaftlich/journalistisch problematisieren darf, ja sogar sollte, weil es erkenntnisreich sein könnte (oder zumindest unterhaltsam). -- Grundsätzlich würde ich schon fragen, was problematisierungswert ist, weil imho teils Darstellungen problematisiert werden, die nicht unbedingt die Aufmerksamkeit derart verdienen, aber ich denke schon, dass es bei Anno 1800 wert ist und ich (bzw. sonst auch niemand) kann natürlich letztinstanzlich entscheiden, was wert ist, problematisiert zu werden oder nicht bzw. kann man das nur sehr schwer objektivieren.
Voigt
Beiträge: 5711
Registriert: 14. Jun 2016, 14:43
Wohnort: Jena

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Voigt »

Ich würde sagen es hat aber zumindest einen Einfluss, wie die Kritik gestaltet ist, auf welche Punkte stark und auf was weniger stark eingegangen wird.

Klar schützt das trotzdem nie vor einer "falschen" Kritik, aber eventuell kommt von da diese Erwartungshaltung her, die sich auf Anno überträgt?
Benutzeravatar
Felidae
Beiträge: 2986
Registriert: 22. Mai 2016, 17:49
Wohnort: NRW

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Voigt hat geschrieben: 25. Mai 2022, 16:30 Ich würde sagen es hat aber zumindest einen Einfluss, wie die Kritik gestaltet ist, auf welche Punkte stark und auf was weniger stark eingegangen wird.

Klar schützt das trotzdem nie vor einer "falschen" Kritik, aber eventuell kommt von da diese Erwartungshaltung her, die sich auf Anno überträgt?
Ich glaube eher, dass da der Irrglaube dahintersteckt, Kritik müsse fair, neutral, ausgewogen sein. Nein, das muss sie alles NICHT. Sie muss nur eins sein - begründet.
Benutzeravatar
Terranigma
Beiträge: 1507
Registriert: 17. Feb 2016, 19:34

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Terranigma »

Rigolax hat geschrieben: 25. Mai 2022, 16:26Ich hätte jedenfalls je nach Kontext, z.B. vor einer Schulklasse (wobei ich kein Lehrer bin), durchaus Bedenken, Anno 1800 als „historische Darstellung“ zu bezeichnen, weil es irritierend sein könnte (auch wenn an sich korrekt); ich hätte kein Problem, es als „historisierende Darstellung“ zu bezeichnen, wobei wiederum natürlich fraglich ist, ob der Unterschied verstanden wird.
Da würde ich nur mit folgenden Hinweis einhaken: Ich würde bzw. bezeichne Anno 1800, Assassin's Creed, etc. auch vor Schulklassen explizit als historische Darstellung, gerade damit die Schüler*innen sich der Bedeutung des Begriffes bewusst werden - und es durch Wiederholung auch einüben. Historische Darstellungen sind alles, was Vergangenheit rekonstruierend darstellt. Das tut ein Schulbuch, eine wiss. Arbeit, ein Mittelaltermarkt oder auch Anno 1800. Worin sich diese Werke unterscheiden ist u.a. ihr Anspruch und ihre Triftigkeit. Aber wenn Heranwachsende die konzeptionelle Unterscheidung zwischen 'Vergangenheit' und 'Geschichte' hinbekommen und eine 'historische Quelle' von einer 'historischen Darstellung' unterscheiden können, dann bin ich mit mir und meinen Schüler*innen bereits mehr als zufrieden.

Inwiefern das allerdings im Geschichtsunterricht von Relevanz ist, das hängt wiederum von der Lehrkraft ab; meine Erfahrung ist, dass insb. ältere Kollegen das Fach weiterhin primär als "Wissensvermittlung" im Sinne von Leopold von Ranke - "Wissen, wie es damals wirklich war" - begreifen, während die Dekonstruktion von hist. Darstellungen, der Diskurs über Geschichtsbilder, etc. z.B. auch in Videospielen eher ein Anliegen ist, dass jüngere Kollegen in die Schulen tragen. Zu meiner Schulzeit war das alles auch noch kein Thema, da wurde die popkulturelle Darstellung von Geschichte nicht ausdrücklich zum Thema gemacht. Gerade deshalb begrüße ich's auch, wenn sowas im Podcast diskutiert wird, weil der Podcast insofern ein wenig den aktuellen state of the art im geschichtsdidaktischen Diskurs abbildet, weil sich nicht nur Schüler*innen die Frage stellen: "Was'n eigentlich der Sinn sich mit Geschichte zu befassen?"

Eine für mich gewichtige Antwort wäre: um einen Bullshit-Detektor zu entwickeln und ohne Fingerzeig und Hinweis ein kritisches Gespür dafür zu entwickeln, wenn einen Mumpitz als "Ja, so war das wirklich!" oder "Ja, so ist das wirklich!" verkauft wird. Gerade heutzutage in Zeiten von Informationsüberangeboten scheint mir das'ne Schlüsselqualifikation zu sein. Anno 1800, oder auch anderes, ist dafür'n dankbares Übungsobjekt. :D
Voigt hat geschrieben: 25. Mai 2022, 16:15Der dahingehende Eskapismus und Panorama Spielen wurde im Thread ja schon genannt.
Da gehe ich mit und deshalb würde ich auch keine Forderungen in diese Richtung formulieren. Ich bin da bei Helge und sehe nicht, welche Instanz berechtigt einen Anspruch formulieren will, welche Inhalte quasi verpflichtend in einem Werk thematisiert werden sollten. Wie gesagt ist's ja z.B. bei Anno 1800 nicht nur die Sklaverei die fehlt, sondern Umweltschützer könnten begründet anmerken, dass die Zerstörung von Natur und Umwelt qua Industrialisierung in Anno 1800 ebenfalls fehlt. Den Punkt verstehe ich. Davon getrennt ist aber der Umstand, dass man einen Diskurs über Werke führt. Nur weil ein Spiel Eskapismus sein will heißt's nicht, dass man keinen kritischen Diskurs über die Ausgestaltung des Eskapismus führen kann. Es ist eine Sache sich zu wünschen, dass das eskapistische Wohlfühlspiel so bleibt wie's ist - das will ich auch. Aber es ist eine andere Sache sich daran zu stören, dass Menschen einen kritischen Diskurs führen.

Ich mag z.B. Heavy Metal. Ich empfinde es aber nicht als persönlichen Affront, o.Ä. sich über das im Heavy Metal dargestellte Männlichkeitsbild kontrovers zu unterhalten, auch wenn da kritische Äußerungen zu etwas kommen, das ich gerne rezipiere. Mein Eindruck bzgl. Videospielen ist teilweise, dass man den eigenen Eskapismus bereits dadurch gefährdet sieht, dass es einen kritischen Diskurs darüber gibt.
Zuletzt geändert von Terranigma am 25. Mai 2022, 16:55, insgesamt 4-mal geändert.
Sitting quietly and doing nothing,
Spring comes, and the grass
grows by itself.
Voigt
Beiträge: 5711
Registriert: 14. Jun 2016, 14:43
Wohnort: Jena

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Voigt »

Stimme ich grundsätzlich zu @Felidae, aber wie du schon meintest, es ist ein existierender Irrglaube, und daher könnte die Meinung aus dieser Richtung kommen.

Gleichzeitig gibst du mir aber auch perfekte Überleitung zu einem anderen Punkt. Ich selbst finde jetzt Doms Kritik nicht illegitim oder unberechtigt, ich find die Argumentationskette dazu löchrig und nicht überzeugend.

Aber da wir das Thema eh schon 2 oder 3 mal im Forum hatten, wo meine Gegenargumente teils garnicht beachtet wurden, oder nach einem einzigem "Schlagabtausch" nich weiterverfolgt worden, bin ich dieses mal ja auch garnich wirklich dabei in der Diskussion selbst zum Sklaverei in Anno 1800 Thema.
Derzeit versuche ich ja eher zu eruieren, was die zugrundeliegende Meinungsverschiedenheit zu dem Thema ist, worauf sich dann die Emotionen zu dem Thema stützen.
Benutzeravatar
Felidae
Beiträge: 2986
Registriert: 22. Mai 2016, 17:49
Wohnort: NRW

Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Voigt hat geschrieben: 25. Mai 2022, 16:44 Stimme ich grundsätzlich zu @Felidae, aber wie du schon meintest, es ist ein existierender Irrglaube, und daher könnte die Meinung aus dieser Richtung kommen.

Gleichzeitig gibst du mir aber auch perfekte Überleitung zu einem anderen Punkt. Ich selbst finde jetzt Doms Kritik nicht illegitim oder unberechtigt, ich find die Argumentationskette dazu löchrig und nicht überzeugend.

Aber da wir das Thema eh schon 2 oder 3 mal im Forum hatten, wo meine Gegenargumente teils garnicht beachtet wurden, oder nach einem einzigem "Schlagabtausch" nich weiterverfolgt worden, bin ich dieses mal ja auch garnich wirklich dabei in der Diskussion selbst zum Sklaverei in Anno 1800 Thema.
Derzeit versuche ich ja eher zu eruieren, was die zugrundeliegende Meinungsverschiedenheit zu dem Thema ist, worauf sich dann die Emotionen zu dem Thema stützen.
Das schöne ist ja - nichtmal jede:r muss der Meinung sein, dass Doms Kritik berechtigt ist. :)

Bei vielen Gegenstimmen zu Dom hab ich nur gar nicht den Eindruck, dass sie sich differenziert mit seiner Meinung auseinandersetzen, sondern diese Kritik an und für sich ablehnen. Da schwingt - nach meiner Wahrnehmung - oft ein "Ich soll also Anno nicht mehr spielen, weil es so böse ist!?!" mit. Nein. Darum gehts gar nicht. Sondern eben um Terranigmas Punkte, perfekt zusammengefasst in dem Heavy metal-Beispiel. Oder, um nochmal ein eigenes zu bringen: Ich mag ab und zu wirklich einen richtig dummen Film wie "Phantom-Kommando". Oder "Rambo 3". Hab ich zuweilen tierisch Spaß dran. Und es juckt mich nicht die Bohne, dass ich gleichzeitig weiß, dass ich mir da gewaltverherrlichende menschenverachtende Scheiße anschaue. Man DARF sich sowas nämlich anschauen. Problematisch - ;) - wäre aber, wenn ich verlangen würde, dass man diese Filme nicht genau als das bezeichnet, was sie eben sind - gewaltverherrlichende menschenverachtende Scheiße.
Antworten