Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Andre Peschke hat geschrieben: 29. Mai 2022, 11:01
- Aus meiner Sicht ist - Stand heute - aber auch eine Problematisierung einzelner Titel falsch - da stimmte Bastian Dawitz ja auch zu. Der große Blick auf das mediale Umfeld und Aufklärung statt Anprangern erscheinen gebotener. Ist halt aber wie immer in der aktuellen Medienlandschaft die Frage, was dann auch gedruckt wird.
Wobei ich mir die Frage stelle, wie das ohne "Anprangern" einzelner Titel sinnvoll passieren soll? Um ein Argument zu verdeutlichen, sind ja Beispiele sinnvoll bzw. sogar notwendig.

Oder wäre Dein Ansatz, allgemeinere Artikel zu schreiben "Wie Spiele Geschichte verzerrt darstellen" - und dann mit verschiedenen Beispielen zu arbeiten a la "Anno 1800 macht beispielsweise X, Age of Empires Y und MoH:AA Z" statt einen kompletten Artikel nur Anno zu widmen?
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Andre Peschke
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Andre Peschke »

Felidae hat geschrieben: 29. Mai 2022, 11:08 Wobei ich mir die Frage stelle, wie das ohne "Anprangern" einzelner Titel sinnvoll passieren soll? Um ein Argument zu verdeutlichen, sind ja Beispiele sinnvoll bzw. sogar notwendig.
Ich bin für eine gemäßigtere Sprache. Wenn ein Jürgen Zimmerer in Doms alten Artikel die Darstellung in Anno 1800 "hochproblematisch" nennt und einfach pauschal behauptet, seine Spieler würden daraus ja X lernen und Z denken, dann halte ich das in dieser verkürzten Form nicht vom Stand der Forschung gedeckt und solche Formulierungen produzieren dann auch unnötig heftigen Widerspruch.

Bei letzterem kann man das natürlich aus positiv sehen: Doms Artikel hat da ja zweifellos eine Debatte in Gang gebracht - sieht man an diesem Thread und auch mein Nachgeforscht Beitrag war natürlich durch die vielen Diskussionen hier im Forum Inspiriert. Das ist wertvoll. Ich ganz persönlich finde, der Artikel damals legt eine Eindeutigkeit nahe, bei der ich mir zum Ausgleich eine Einordnung gewünscht hätte: Wie sicher sind diese Annahmen(teilweise wenig), wie relevant sind die vermuteten Folgen etc. Aber hätte der dann den gleichen Effekt gehabt? Who knows.
Felidae hat geschrieben: 29. Mai 2022, 11:08Oder wäre Dein Ansatz, allgemeinere Artikel zu schreiben "Wie Spiele Geschichte verzerrt darstellen" - und dann mit verschiedenen Beispielen zu arbeiten a la "Anno 1800 macht beispielsweise X, Age of Empires Y und MoH:AA Z" statt einen kompletten Artikel nur Anno zu widmen?
In einer idealen Welt, würde man crossmedial arbeiten und zB gängige Falschdarstellungen von besonderer Verbreitung aufgreifen. Das passiert auch, zB mit Arbeiten über die Darstellung von Kleopatra in Film, Buch & Spiel.

Man kann auch die einzelnen Titel nehmen. Da würde ich halt aber eben auf Aufklärung setzen. Es gibt ja Channels wie HistoryBuffs, die alle historischen Fehler in einzelnen Filmen aufarbeiten. Nur eben also Infotainment, das oft auch versucht zu erläutern, warum bestimmte Darstellungen gewählt wurden und wo es unnötig verhunzt wurde. Das wäre bei der Einzelbetrachtung IMO eher angemessen und mit preskritpiven Aussagen wäre ich hier extrem vorsichtig. Selbst bei einem weit verbreiteten Titel wie Anno.

Die Kriegsdarstellung über alle Shooter hinweg zB dürfte gewichtiger sein, als das abstrakte Anno. Krieg in Medien insgesamt wiederum gewichtiger. Der Aufwand sich damit zu befassen aber ungleich höher. Da muss man eine Balance suchen.

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Smutje187
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Smutje187 »

Ich könnte mir vorstellen, Anno ist deshalb ein so gefälliges Ziel, da (war so mein Eindruck) gerade in jüngerer Vergangenheit Gruppen wie die Identitäre Bewegung (Europa) oder diverse Rechte (USA) aktiv daran arbeiten, Geschichte umzudeuten, Stichwort Ethnopluralismus und so („Ich habe nichts gegen ausländische Menschen, solange sie in ihr Heimatland zurückkehren“) und in dem Zusammenhang häufiger auch Sklaverei relativiert wird („Afrikaner haben häufig selbst Afrikaner versklavt, die Weißen hatten daran also nur bedingt Schuld!“) - kann eventuell am gesteigerten Bewusstsein für das Thema liegen (Black Lives Matter zum Beispiel), in jüngerer Vergangenheit wurden auch und gerade hier im Vereinigten Königreich Diskussionen um die Kolonialvergangenheit angestoßen und ehemalige „Helden“ der Vergangenheit in einem neuen Licht betrachtet oder deren Statuen gleich in Flüsse geworfen :) und in eine Gesellschaft, die gerade dabei ist, die Auswirkungen von Sklaverei auf zum Beispiel die Entwicklung und Vermögensverteilung der modernen Gesellschaft aufzuarbeiten kommt ein Spiel, was das bewusst ignoriert möglicherweise nicht 100% zur richtigen Zeit.


Krieg ist dabei ja schon länger Thema in den Medien, ich erinnere mich noch lebhaft an Sendungen des unsäglichen Guido Knopp :D
Zuletzt geändert von Smutje187 am 29. Mai 2022, 11:45, insgesamt 1-mal geändert.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Andre Peschke hat geschrieben: 29. Mai 2022, 11:28
Danke für die Antwort!
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Andre Peschke
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Andre Peschke »

Smutje187 hat geschrieben: 29. Mai 2022, 11:42 Ich könnte mir vorstellen, Anno ist deshalb ein so gefälliges Ziel, da (war so mein Eindruck) gerade in jüngerer Vergangenheit Gruppen wie die Identitäre Bewegung (Europa) oder diverse Rechte (USA) aktiv daran arbeiten, Geschichte umzudeuten,
Korrekt. Gilt aber in beide Richtungen: Weil das Thema so sensibel ist, kann man weniger leicht fragen: "Who the fuck cares?". Dabei ist das eine sehr relevante Frage, wenn man das Thema problematisch findet. Wenn die Anno-Spieler vorher nicht wissen, dass es transatlantischen Sklavenhandel gab und nach dem Anno spielen auch nicht, warum soll mich das kümmern? Was sind die befürchteten Folgen, falls Anno hier einen affirmativen Einfluss hat?

Das ist aber bei solch moralisch aufgeladenen Themen schwieriger, weil man gegenüber Sklavenhandel nicht gleichgültig erscheinen will.

Macht die Debatte nicht einfacher. :D

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Axel
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Axel »

Andre Peschke hat geschrieben: 29. Mai 2022, 11:48 Wenn die Anno-Spieler vorher nicht wissen, dass es transatlantischen Sklavenhandel gab und nach dem Anno spielen auch nicht, warum soll mich das kümmern? Was sind die befürchteten Folgen, falls Anno hier einen affirmativen Einfluss hat?
Finde ich tatsächlich eine sehr spannende und interessante Frage.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Andre Peschke hat geschrieben: 29. Mai 2022, 11:48 Wenn die Anno-Spieler vorher nicht wissen, dass es transatlantischen Sklavenhandel gab und nach dem Anno spielen auch nicht, warum soll mich das kümmern? Was sind die befürchteten Folgen, falls Anno hier einen affirmativen Einfluss hat?
Mein Argument wäre halt nach wie vor: Weil sie durch das Auslassen eine falsche Darstellung erfahren, die von bestimmten Kräften ausgenutzt werden kann. Nationalistische Kreise tun sich naturgemäß schwer mit den negativen Aspekten ihrer Geschichte. (Außer beinharten Nazis, die selbst den Holocaust noch abfeiern.) Eine "schöngewaschene" Darstellung ist Wasser auf deren Mühlen.

Terranigma hat ja mehrfach ausgeführt, dass zumindest bei seinen Schüler:innen popkulturelle Geschichtsdarstellung durchaus stark hängenbleibt. Und Du selbst hats ja auch schon mehrfach in Podcasts die durch Filme und Spiele erzeugte falsche Vorstellung der Normandie am 6.6.'44 erwähnt. Vermutlich wird niemand nach dem Spielen von "Anno 1800" sich hinstellen und sagen, "Es gab keine Sklaverei, das weiß ich aus Anno". Aber es ist nicht so abwegig, anzunehmen, dass das Bild des "sauberen Europa" durch "Anno" verfestigt wird. Das sagt Ihr im Podcast ja auch - und Du hast es hier nochmal geschrieben: Je weniger Vorwissen, desto eher wird eine Darstellung übernommen.
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Smutje187 »

Andre Peschke hat geschrieben: 29. Mai 2022, 11:48 Wenn die Anno-Spieler vorher nicht wissen, dass es transatlantischen Sklavenhandel gab und nach dem Anno spielen auch nicht, warum soll mich das kümmern? Was sind die befürchteten Folgen, falls Anno hier einen affirmativen Einfluss hat?
Wie Bastian eben im Podcast meinte: Für mich gibt’s einen Unterschied zwischen „Bewusstem Weglassen“ aus Gründen der Spielmechanik (In Close Combat 2 massakriert man keine Zivilisten als SS-Kommandeur, weil das Spiel sich auf Taktikkämpfe zwischen Alliierten und Achsenmächten konzentriert) und aus Gründen der Unwissenheit/Arroganz/schlimmeres wie der Ubisoft-Mensch, der meinte, dass Sklaverei nicht mehr relevant war (oder wie das Zitat genau war).
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Smutje187 hat geschrieben: 29. Mai 2022, 12:45
Wie Bastian eben im Podcast meinte: Für mich gibt’s einen Unterschied zwischen „Bewusstem Weglassen“ aus Gründen der Spielmechanik (In Close Combat 2 massakriert man keine Zivilisten als SS-Kommandeur, weil das Spiel sich auf Taktikkämpfe zwischen Alliierten und Achsenmächten konzentriert) und aus Gründen der Unwissenheit/Arroganz/schlimmeres wie der Ubisoft-Mensch, der meinte, dass Sklaverei nicht mehr relevant war (oder wie das Zitat genau war).
Wobei das ja zwei paar Stiefel sind - das eine das Motiv dahinter, das andere die Auswirkung auf Konsument:innen.

Und man könnte trefflich streiten, was als Motiv "schlimmer" ist - Unwissenheit oder bewusstes Weglassen weil "funktioniert nicht als Spielmechanik". Denn DANN wäre eine sinnvolle Konsequenz, "mach Dein Spiel halt nicht in diesem Setting". Statt Dir die Rosinen rauszupicken.

Grade im Falle von SS-Verbrechen gibt es selbst heute immer noch Menschen, die das überlebt haben. Allein denen gegenüber ist es ziemlich pietätlos, SS so spielen zu können, dass es "spielmechanisch funktioniert". Gewisse Dinge SOLLTEN als Spiel vielleicht einfach nicht funktionieren. ZB die Waffen-SS. (Edit: Zumindest als Spaßlieferant. Jochens Idee des Rampenwärters in Auschwitz fände ich durchaus sehr interessant. Aber Jochen hat ja schon damals gleich dazugesagt, dass so ein Spiel keinen Spaß machen würde.)
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Terranigma
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Terranigma »

Felidae hat geschrieben: 29. Mai 2022, 12:44Mein Argument wäre halt nach wie vor: Weil sie durch das Auslassen eine falsche Darstellung erfahren, die von bestimmten Kräften ausgenutzt werden kann.
Diese Möglichkeit besteht sicherlich, dann wiederum: Ich gehe selbst fest davon aus, dass ich allerlei (!) falsche Vorstellungen von allerlei Dingen haben. Beispiel: Ich habe nicht nur keine Ahnung von Chemie, ich habe auch so keine rechte Ahnung von Biologie. Nun könnte man sich berechtigerweise hinstellen und sagen, dass meine Prioritäten im Leben schon arg verquer sind, dass ich meine Lebenszeit lieber damit verbringe mich in ostasiatische Geschichte zu vergraben, als mich ein solides Grundverständnis davon zu verschaffen, wie eigentlich mein eigener Körper funktioniert. Letzteres dürfte auf meine Lebenszeit betrachtet weitaus relevanter werden als die Popularisierung des bushidô-Ideals während der shôwa-Zeit.
... ... ... aber ich finde dies eben spannender. :ugly:


Ich würde insofern in Anlehnung an das hermeneutische Wohlwollen den Menschen auch ein gutes Maß an wohlwollender Ignoranz zugestehen, die ich mir - und ehrlicherweise: wir uns alle - in allerlei Lebenslagen selbst zugestehen. Ob einzelne Personen qua popkultureller Darstellungen nicht triftigte Vorstellungen von hist. Sachverhalten haben, das dürfte das Boot im Allgemeinen abkönnen. Wie Andre sagt, finde ich die kritische Auseinandersetzung wichtig, aber vorwiegend in einem deskriptiven Sinne, also beschreibend. Präskriptiv würde ich keine Ableitungen formulieren. Womöglich bin ich da auch'n wenig desillusioniert, denn wenn ich mir bewusst mache, wie dürftig das hists. Orientierungswissen selbst Abitur-Absolventen nach einem Leistungskurs in Geschichte ist - schätzungweise also: 0,024% der Gesamtbevölkerung - dann sehe ich's mit Gelassenheit und ähnlich wie André: Weder im Großen noch im Kleinen dürfte es eine Relevanz haben, ob Anno 1800 die nicht-Kenntnis über den transatl. Sklavenhandel befördert oder nicht.


Mitlesender User können ja mal'n Selbstexperiment machen: sucht euch irgendeinen Freund, Eltern, o.Ä. und fragt sie "Was ist der Transatlantische Sklavenhandel?" oder fragt sie, von wann bis wann das Mittelalter ging (in etwa). Die Reaktion dürfte ähnlich ausfallen, als wenn ihr denen eine mathematische Gleichung aus der 7. Klasse vorlegt. Ratlosigkeit. Gerade vor diesem Hintergrund finde ich die Diskussion um Geschichtsdarstellungen in Videospielen zwar einerseits sehr interessant - eben persönlich - aber als'n Problemfeld von gesellschaftlicher Relevanz sehe ich's nicht. Professoren für Geschichtsdidaktik und Medienpädagogik sehen das naturgemäß anders; das ist deren Job. :D
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Andre Peschke
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Andre Peschke »

Felidae hat geschrieben: 29. Mai 2022, 12:44 Aber es ist nicht so abwegig, anzunehmen, dass das Bild des "sauberen Europa" durch "Anno" verfestigt wird. Das sagt Ihr im Podcast ja auch - und Du hast es hier nochmal geschrieben: Je weniger Vorwissen, desto eher wird eine Darstellung übernommen.
Genau, deswegen ist das Thema ja interessant. Ich finde nur, man muss halt das ganze nüchtern besprechen ohne gleich zu „das ist problematisch“ zu springen. Sondern eben pro/Kontra eruieren, warum es problematisch sein könnte und wie wahrscheinlich das jew ist.

Sprich:

- Verfestigt bedeutet schonmal, es wird nicht durch Anno erzeugt. Wäre ja eine wichtige Feststellung(können wir übrigens auch nicht als bewiesen betrachten - wir wissen wenig, aber Indizien deuten eher an, dass erworbenes Wissen aus glaubwürdiger Quelle hier nicht mal eben überschrieben werden kann). Naheliegende Forderung IMO eher: muss in den Schulunterricht, nicht in Anno. Oder in Presseberichte zur Entwicklungshilfe als Background. Unterhaltungswerten sähe ich ganz hinten in einer Kette von Informationsquellen, die dieses Wissen liefern können. Wenn man das anders sieht, warum? Popularität und Verbreitung? Aber vllt sind sie so populär, weil sie maximal verfremden können? Viele Fragen allein in diesem einen Aspekt.

- Anno ist nicht das einzige Medium, dass dies ausblendet. Würde Anno allein sich ändern, hätte das einen Effekt? Wenn nein, bedeutet das, wir finden eine generelle Änderung in allen Medien wünschenswert, letztlich also ein Verbot“? Wenn ja, für welche Themen soll das gelten, wer legt das fest?

- Bild eines sauberen Europa re: Sklavenhandel - wo wird das real wirksam in unserer Gegenwart? Im Podcast habe ich selbst das Beispiel Entwicklungshilfe genannt, wo es relevant sein könnte (!). Aber das ist nicht gesichert, gibt ja genug andere Faktoren, wie rein humanitäre Gründe, die ausreichend sein können. Wir spekulieren also, das muss man dann eingestehen und entsprechend „weich“ ist die Position. Es könnte völlig irrelevant sein, von der moralischen Dimension abgesehen, ob Europa sowas vergessen „darf“ (in Teilen schon geschehen, so die Annahme, braucht also vllt Erinnerungskultur ähnlich Holocaust, Unterhaltungsmedien können mitwirken, aber ein Muss postulieren wir ja selbst bei WK2 nicht). Zu bedenken: wir müssen selektieren, können nicht alles wissen, müssen auch Ignoranz zulassen.

Es ist IMO viel zu schade direkt zu einer Forderung bzgl Anno zu springen, wenn so viele interessante Fragen auf dem Weg liegen. :D

Sorry wegen recht verkürzten Sätzen. Schnell auf Handy getippt.

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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Terranigma hat geschrieben: 29. Mai 2022, 13:27
Felidae hat geschrieben: 29. Mai 2022, 12:44Mein Argument wäre halt nach wie vor: Weil sie durch das Auslassen eine falsche Darstellung erfahren, die von bestimmten Kräften ausgenutzt werden kann.
Weder im Großen noch im Kleinen dürfte es eine Relevanz haben, ob Anno 1800 die nicht-Kenntnis über den transatl. Sklavenhandel befördert oder nicht.
Auch dann, wenn politische Kräfte Europa abschotten wollen und Menschen in Bezug auf Flüchtlinge "Absaufen!" skandieren?
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Andre Peschke
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Andre Peschke »

Felidae hat geschrieben: 29. Mai 2022, 13:38
Auch dann, wenn politische Kräfte Europa abschotten wollen und Menschen in Bezug auf Flüchtlinge "Absaufen!" skandieren?
Das ist doch nur möglich, wenn schon VIEL grundsätzlichere Dinge wie allg. Menschenwürde, Mitgefühl, Nothilfe etc falsch gelernt wurden. Die Relevanz von Anno 1800 ist hier IMO völlig zu vernachlässigen, gerade bei diesem Extrem.

Wissen um historische Verantwortung würde auch nichts daran ändern, dass man real seinen Lebensstandard einschränken muss, um zu helfen (gerade perspektivisch re: Klimakrise und folgende Migrationsbewegungen). Man wird hier aktiv nach Gründen suchen, sich weiter den eigenen Luxus genehmigen zu dürfen, auch wenn er Leben kostet. Das ist so fundamental, der Ansatz bei Anno 1800 zwecks Lösung erscheint mir sehr abseitig. Siehe Corona-Einschränkungen und Wissenschaftsfeindlichkeit.

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Crenshaw
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Crenshaw »

Felidae hat geschrieben: 29. Mai 2022, 13:38
Terranigma hat geschrieben: 29. Mai 2022, 13:27
Felidae hat geschrieben: 29. Mai 2022, 12:44Mein Argument wäre halt nach wie vor: Weil sie durch das Auslassen eine falsche Darstellung erfahren, die von bestimmten Kräften ausgenutzt werden kann.
Weder im Großen noch im Kleinen dürfte es eine Relevanz haben, ob Anno 1800 die nicht-Kenntnis über den transatl. Sklavenhandel befördert oder nicht.
Auch dann, wenn politische Kräfte Europa abschotten wollen und Menschen in Bezug auf Flüchtlinge "Absaufen!" skandieren?
hm, dem Gedankengang kann ich nicht ganz folgen, ich glaube nicht das Flüchtlinge anders behandelt werden würden, wenn mehr Leute tiefere Kenntnisse über die Sklaverei hätten.
Außerdem sehen wir doch gerade, das Europa auch gut zu Flüchtlingen sein kann, wenn es die richtigen sind, da sehe ich eher ein Rassismusproblem

Und wenn Auslassung von "irgendwas" ein Argument gegen ein Medienprodukt ist, dann hätte fast jedes Medienprodukt (gerade im Film/Spielbereich) ein großes Problem
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Andre Peschke
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Andre Peschke »

Crenshaw hat geschrieben: 29. Mai 2022, 13:48 Außerdem sehen wir doch gerade, das Europa auch gut zu Flüchtlingen sein kann, wenn es die richtigen sind, da sehe ich eher ein Rassismusproblem
Stimme zu, aber ergänzend: Werden als vorübergehend gesehen und man denkt, sie kehren nach Kriegsende zurück in ihre Heimat. Werden als leichter integrierbar gesehen, weil kulturell näher an uns dran, wo natürlich der Rassismus mit drin steckt, was aber in Teilen dennoch auch stimmen kann (je nachdem mit welchem Kulturkreis verglichen wird) - auch weil Kriegsflüchtlinge zB anders selektiert sind, als Armutsflüchtlinge (Bildungsstand, Geschlecht, Alter etc). Junge Männer (auch einheimische) sind zB überall,auf der Welt ja ein Problemfaktor, wenn sie gesellschaftlich auf dem Abstellgleis landen. Aus der UKR flüchten aber vorwiegend Frauen, Kinder und alte Männer, weil junge Männer das Land nicht verlassen dürfen.

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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von GoodLord »

Sorry, aber so gut wie jedes Spiel (Dinge wie Tetris mal ausgenommen) und eigentlich jedes fiktive Werk (egal ob Spiel, Buch, Film, Kunstwerk) bedient sich Versatzstücken der Realität (inklusive Fantasy und Si-Fi Szenarien) und so gut wie keins davon gibt die Realität "korrekt" wieder (was auch immer man darunter verstehen will). Wenn der Anspruch ist " entweder richtig oder garnicht", damit auch ja kein falsches Bild geschaffen oder gefestigt werden darf, dann bleibt an Ende nichtmehr viel übrig. Bzw. umgekehrt sind wir offensichtlich bereit ein gewisses Maß an Vermischung von Fiktion und Wirklichkeit zu tollerieren (bzw. wünschen uns das sogar) und ich denke, das ist auch gut so

Wenn man das mal konsequent zuende denkt klingt das für mich so als würden wir hier letztenendes über eine Art erweitertes Set an USK-/Indizierungskriterien diskutieren. Sprich, wieviel whitewashing, Sexismus, Rassismus ... ist ok und wo wirds problematisch. Und genauso wie bei USK müsste man da dann einerseits mit einbeziehen, wie offensichtlich die Fiktion ist und andererseits, wie alt die Rezipienten sind.

Um mal ein ganz anderes Beispiel zum Thema "Falsches Weltbild" zu bringen: Wieviel Leute erwarten, dass Autos bei einem Unfall explodieren (insbesondere wenn da irgendwas qualmt) weil sie das so aus dem Fernsehen kennen? Und trauen sich dann im schlimmsten Fall nicht, den Insassen zu helfen? Ja ich hab den Fall in der Realität erlebt. Trotzdem käme ich nie auf die Idee von Action Filmen zu fordern keine Autos mehr explodierten zu lassen.
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Andre Peschke »

GoodLord hat geschrieben: 29. Mai 2022, 14:00 Sorry, aber so gut wie jedes Spiel (Dinge wie Tetris mal ausgenommen) und eigentlich jedes fiktive Werk (egal ob Spiel, Buch, Film, Kunstwerk) bedient sich Versatzstücken der Realität (inklusive Fantasy und Si-Fi Szenarien) und so gut wie keins davon gibt die Realität "korrekt" wieder (was auch immer man darunter verstehen will). Wenn der Anspruch ist " entweder richtig oder garnicht", damit auch ja kein falsches Bild geschaffen oder gefestigt werden darf, dann bleibt an Ende nichtmehr viel übrig.
Zu pauschal in die andere Richtung: Es geht ja erstmal um die Frage, ob es nicht wohltuend wäre, wenn die Medien die historisierend sind und damit auch hat werben sich ein größeres Verantwortungsgefühl aneignen. Ein „ganz oder gar nicht“ als Maximalposition wird ja kaum vertreten.

Bei einzelnen Themen muss dann die Frage erlaubt sein, ob sie so gewichtig sind, dass sie berücksichtigt werden müssen/sollten. In Deutschland haben wir so ein Thema sogar gesetzlich festgeschrieben: Der Holocaust darf nicht geleugnet werden. Als Gesellschaft sind wir also schon einig, dass es zumindest diese eine Form von Geschichtsverzerrung gibt, die absolut unerträglich ist. Daher legitim zu fragen: Gibt es weitere?
GoodLord hat geschrieben: 29. Mai 2022, 14:00
Um mal ein ganz anderes Beispiel zum Thema "Falsches Weltbild" zu bringen: Wieviel Leute erwarten, dass Autos bei einem Unfall explodieren (insbesondere wenn da irgendwas qualmt) weil sie das so aus dem Fernsehen kennen? Und trauen sich dann im schlimmsten Fall nicht, den Insassen zu helfen? Ja ich hab den Fall in der Realität erlebt. Trotzdem käme ich nie auf die Idee von Action Filmen zu fordern keine Autos mehr explodierten zu lassen.
Aber es ist doch total spannend zu fragen, ob tatsächlich ein Mensch in seinem Auto verbrennen sollte, weil Unterhaltungsmedien bei möglichen Helfern solche Ängste schüren.

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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von GoodLord »

Andre Peschke hat geschrieben: 29. Mai 2022, 14:11 Bei einzelnen Themen muss dann die Frage erlaubt sein, ob sie so gewichtig sind, dass sie berücksichtigt werden müssen/sollten. In Deutschland haben wir so ein Thema sogar gesetzlich festgeschrieben: Der Holocaust darf nicht geleugnet werden. Als Gesellschaft sind wir also schon einig, dass es zumindest diese eine Form von Geschichtsverzerrung gibt, die absolut unerträglich ist. Daher legitim zu fragen: Gibt es weitere?
Natürlich. Hab ich doch geschrieben (den Teil hast du aber gerade nicht zutiert):
GoodLord hat geschrieben: 29. Mai 2022, 14:00 Sprich, wieviel whitewashing, Sexismus, Rassismus ... ist ok und wo wirds problematisch. Und genauso wie bei USK müsste man da dann einerseits mit einbeziehen, wie offensichtlich die Fiktion ist und andererseits, wie alt die Rezipienten sind.
EDIT: Stelle gerade beim nochmaligen Lesen fest, dass mein Post etwas zu viel "Random Stream of thoughts" war und die Intention dahinter nicht ganz klar. Sorry - hätte das Posten eifnach lassen sollen.
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Andre Peschke »

GoodLord hat geschrieben: 29. Mai 2022, 14:20 Natürlich. Hab ich doch geschrieben (den Teil hast du aber gerade nicht zutiert):
Dann hab ich dich falsch verstanden, sorry. Ich las das als Ablehnung, nicht das du offen wärst für diesen Teil der Debatte (den ich dann auch nicht gleich unter der Kategorie „Indizierung“ fassen würd. Man muss ja nicht gleich eine harrsche Konsequenz mitdenken, sondern vllt erstmal überhaupt Probleme und mögliche Konsequenzen diskutieren und dann daraus Maßnahmen schlussfolgern, statt die so früh schon immer mitzudenken).

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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Axel »

Andre Peschke hat geschrieben: 29. Mai 2022, 14:11 Aber es ist doch total spannend zu fragen, ob tatsächlich ein Mensch in seinem Auto verbrennen sollte, weil Unterhaltungsmedien bei möglichen Helfern solche Ängste schüren.
Die Frage wäre: Würde es helfen, wenn Actionfilme Unfälle anders bzw. realistischer darstellen?

Oder kann man nicht sogar ganz grundsätzlich die Frage stellen: Inwiefern sind Menschen in unserer heutigen Gesellschaft fähig in einer akuten Krisensituation ganz konkret zu helfen?

Weiteres Beispiel: Jemand bricht in der Innenstadt durch einen verrübergehnden Herzstillstand in der Fußgängerzone zusammen. Was ist der erste Reflex bei den umstehenden Menschen? Schockstarre? Unsicherheit? Vielleicht will jemand helfen und kommt mit einer Herzdruck-Massage, die aber falsch ausgeführt sogar noch den Zustand verschlimmern könnte? Wieviele Menschen wissen denn, dass heute in vielen Orten ein Defibrillator hängt (Geschäfte, Ämter, usw. Hier eine Karte) und dass die sehr einfach zu bedienen sind, mit Anweisungen per Sprachassistent usw.? Das sind wirklich ganz simple und idiotensichere Geräte die Leben retten, aber aus irgendeinem Grund haben Menschen Angst sowas zu verwenden.

Was könnte man also tun, damit Menschen in Krisensituationen vernünftig reagieren können? Fordern, dass Unterhaltungsmedien Dinge wie einen Autounfall weniger spektakulär darstellen?
Oder vielleicht nicht doch großangelegte Aufklärungskampagnen? Vielleicht sogar einen verpflichtenden Erste-Hilfe-Kurs für alle Menschen ab 16, damit sie z.B. einen Defi schonmal in der Hand hatten und den Umgang damit üben konnten? Oder damit sie wissen, wie man sich bei einem Autounfall verhält und auch das mal geübt haben?
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