Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

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GoodLord
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von GoodLord »

Als jemand, der das ganze damals nicht so verfolgt hat: Hat jemand nen Link zum Trailer/Ankündigung, bei der Anno als historisch korrekte Wirtschaftssimulation angepriesen wurde?
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Axel
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Axel »

Felidae hat geschrieben: 28. Mai 2022, 10:59 Allein in diesem Thread hier wurde vermutlich fünf bis zehnmal geschrieben, dass Ubisoft mit einer Entfernung von der (vermeintlichen) Realität dieses Problem elegant umschiffen könnte.
Aber das tut Ubisoft doch? Ich meine: Es wird doch niemand auf die Idee kommen, dass das 19. Jahrhundert genau so war wie in Anno gezeigt. Auch weil Industrialisierung des 19. Jahrhunderts meines Wissens nach immer noch Stoff im normalen Geschichtsunterricht in der Schule ist.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Axel hat geschrieben: 28. Mai 2022, 11:56 Jeder Mensch hat doch eine irgendwie geartete Medienpädogik genossen. Mir war schon als 6 Jähriger klar, dass das was da bei Columbo passiert reine Fiktion ist. Genauso wie ich damals als 8 Jähriger, als ich das erste Mal Sim City gespielt habe, auch nicht gedacht habe, dass so Stadtplanung funktioniert. Wieso sollte das heute bei normal gebildeten Menschen anders sein?
Vor einigen Jahren gab es eine englische Studie mit dem Ergebnis, dass eine große Menge Schüler die Schlacht von Helms Klamm für historisch, Adolf Hitler aber für eine Fiktion halten. Soviel dazu.
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Terranigma
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Terranigma »

Axel hat geschrieben: 28. Mai 2022, 11:56Aber das tut Ubisoft doch? Ich meine: Es wird doch niemand auf die Idee kommen, dass das 19. Jahrhundert genau so war wie in Anno gezeigt.
... und ich habe Schüler*innen das Spiel gezeigt und für die war eindeutig, dass Anno 1800 eben in einem hist. Szenario angesiedelt ist. Die Diskussion krankt hier wirklich an diesen absoluten Begriffen. Es ist nicht relevant für die Diskussion, ob Anno 1800 den Anspruch erhebt dass es genau so oder das es den Anspruch erhebt eine historisch korrekte Darstellung sei. Auch kein Wissenschaftler würde je den Anspruch erheben, dass seine wiss. Darstellung die Vergangenheit abbildet, wie sie genau so war. Das ist wirklich kein relevanter Maßstab für die Diskussion, weshalb ich nicht verstehe, weshalb wiederholt zu dieser Grundsatzdiskussion zurückgekehrt wird. Die Intention der Entwickler ist nicht relevant dafür, welchen Eindruck das Spiel erweckt; und auch eine unvollständige hist. Darstellung ist eben eine hist. Darstellung. Auch ein Schulbuch im Geschichtsunterricht, welches die Römische Geschichte auf 20 Textseiten abhandelt, erhebt nicht den Anspruch, dass das genau so damals war. Aber das ist ein Eindruck, der insb. bei Kindern entsteht. Auch Spielfilme die z.B. das Mittelalter darstellen erheben keinen derartigen Anspruch, aber sie prägen dennoch nachhaltig z.B. das Klischee vom schmutzigen und verdreckten Mittelalter, wo die Leute quasi während des Gangs durch die Stadt auf den Boden kacken. Ich verbringe einen guten Teil des Geschichtsunterrichts in der Oberstufe damit, Klischees oder Stereotype von Jugendlichen zu dekonstruieren, welche sie insb. aus visuellen Medien - sprich: Videospiele und Spielfilme - aufgesogen haben.


Ist Anno 1800 ein Spiel in einem SciFi- oder Fantasy-Szenario? Nein, das ist's nicht. Wenn jemand die Anno-Reihe nicht kennt und Gameplay aus dem Spiel sieht, dann wird er sofort hist. Versatzstücke erkennen und das Spiel in einem hist. Szenario einordnen können, eben im Kontext der Industrialisierung. Die Frage, wie Anno beworben wurde oder was die Entwickler intendiert haben, ist doch für die Frage nach dem, was Anno ist, völlig unerheblich. Kein mir bekanntes Videospiel, Film, Roman, etc. wirbt explizit mit den Worten "historisch korrekt" - weil schon alleine diese Denkkategorie für Geschichte gänzlich unbrauchbar ist - und dennoch dürften wir uns z.B. alle einig sein, dass Filme wie "Braveheart", "Kingdom of Heaven" oder "Private Ryan" und Co von Zuschauern als Darstellung von Geschichte aufgefasst werden. Weil die Filme diesen Eindruck erwecken.

Dass auch Anno 1800 - wie die Anno-Reihe insgesamt - diesen Eindruck erweckt, das scheint man mir nicht vernünftigerweise zur Diskussion stellen zu können. Die Jahreszahlen im Titel korrelieren ja nicht ganz zufällig mit dem im Spiel erkennbaren Szenario. Dass der technologische Stand, etc. in Anno 1800 Anleihen an das 19. Jhd. hat während Anno 1404 - welches nebenher in den USA unter dem Titel "Dawn of Discovery" und damit im Kontext des Zeitalters der Entdeckungen verortet wurde - auch nur zufälligerweise seine Spielwelt in Abendland und Morgenland unterscheidet oder im Laufe seiner Handlung explizit u.a. auf Kreuzfahrer zu sprechen kommt. Da die Argumentation zu eröffnen, das habe nichts mit nichts zu tun, erscheint mir nun wirklich nicht plausibel.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Aber Axel, noch eine Gegenfrage - wenn "Anno" doch eh so absolut unhistorisch sein will und auch allen Spielern klar ist, dass es nix mit unserer Welt(geschichte) zu tun hat: Warum hast Du dann so ein Problem damit, wenn zukünftige "Annos" so wie die "Siedler" auch gar keinen direkten Bezug mehr zur realen Welt hätten? In "Siedler 2" spielst Du "die Römer" - aber auf eine Art, die völlig klar Fantasy ist. DA käme wirklich niemand auf die Idee, das für authentisch zu halten.

Dürfte für Dich doch kein Problem sein, weil "ist doch eh alles klar erkennbar nicht authentisch"?
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ragdel
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von ragdel »

Felidae hat geschrieben: 28. Mai 2022, 11:58 Vor einigen Jahren gab es eine englische Studie mit dem Ergebnis, dass eine große Menge Schüler die Schlacht von Helms Klamm für historisch, Adolf Hitler aber für eine Fiktion halten. Soviel dazu.
Hast du da eine Quelle zu? Würde mich mal interessieren. Nach einem kurzen googeln habe ich selber keine Studie finden können.
Zuletzt geändert von ragdel am 28. Mai 2022, 12:46, insgesamt 1-mal geändert.
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Jochen Gebauer
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Jochen Gebauer »

ragdel hat geschrieben: 28. Mai 2022, 12:39Hast du da eine Quelle zu? Würde mich mal interessieren. Nach einem kurzen googeln habe ich selber keine Stunde finden können.
Wollte ich auch gerade schreiben. Dafür hätte ich gerne eine Quelle. Das riecht nach Fake News.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

ragdel hat geschrieben: 28. Mai 2022, 12:39

Hast du da eine Quelle zu? Würde mich mal interessieren. Nach einem kurzen googeln habe ich selber keine Studie finden können.
Leider nein - stand damals in der Tageszeitung.

Aber okay, vergesst den Satz - Terranigma hat in seinem langen Beitrag die Grundaussage "Unterhaltungsmedien formen das Geschichtsbild" aus eigener Erfahrung ja deutlich geschildert.
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Terranigma
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Terranigma »

Um es nicht bei persönlicher Evidenz zu belassen. Der Beitrag ist bereits 12 Jahre alt, im Hinblick darauf, dass es in den vergangenen 10 Jahren diesbezüglich aber keine nennenswerten Veränderungen gab, erscheint's mir plausibel anzunehmen, dass sich diesbezüglich nichts grundlegend geändert hat. Schönemann, Bernd: Was können Abiturienten? (2012)
Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der drei Autoren sind ernüchternd, wenn auch nicht unbedingt überraschend. So wird beispielsweise festgehalten, dass eine „grundlegende Differenz zwischen Quelle und Darstellung […] den Prüflingen insgesamt kaum bewusst“ (S.37) sei. Ein dramatischer Befund, zumal für Leistungskurse in Geschichte. Die Kenntnis dieses Unterschiedes stellt nicht nur eine wesentliche Grundlage für Analysen dar, sondern ist auch von erkenntnistheoretischer Relevanz. (S. 123) Dementsprechend wird empfohlen „die Verwendung einer exakten Terminologie zu schulen“. (S. 123) Die Problematik dürfte aber noch tief gehender sein. Schülerinnen und Schüler, die bereits Defizite darin zeigen, eine schriftliche Quelle von Sekundärliteratur zu unterscheiden, sind vermutlich mit medialen Darstellungen im Fernsehen oder im Internet ebenso überfordert. Die im Rahmen von Infotainment zunehmende Verwischung von Fiktion und Dokumentation stellt dabei umgekehrt zunehmende Anforderungen an einen sicheren Umgang mit vielfältigen Arten von Quellen und dies nicht nur für ausgesprochen bildungsorientierte Gymnasiast/innen.
Die Unterscheidung von Vergangenheit/Geschichte sowie Quelle/Darstellung ist wesentlich für ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein. Diese Unterscheidung gelingt selbst Schüler*innen in Leistungskursen nicht zuverlässig, was diverse Gründe hat: Der Geschichtsunterricht legt abseits der persönlichen Präferenz der Lehrenden darauf keinen Schwerpunkt, sondern begreift sich überwiegend weiterhin als Vermittlung von 'historischen Wissen', sodass insb. bei Kindern und Jugendlichen leider das Missverständnis aufkommt, dass das, was man im Geschichtsunterricht lernt, 'damals wirklich so war'. Es geht weiter, dass Quellen und Darstellungen nicht begrifflich klar gefasst und somit auch nicht unterschieden werden können, jedenfalls nicht zuverlässig. Populäre Reihen wie z.B. "Terra X" verstärken diese Problematik auf gewisse Weise, weil hier ja wissenschaftliche Darstellung und Fiktion fließend übergehen, und z.T. nicht erkennbar ist, was nun was ist. Aus dieser Perspektive ist auch der Ansatz von Age of Empires 4, das sich ja in seinen Zwischensequenzen als Infotainment präsentiert, ganz interessant.

Weitere persönliche Evidenz: in meinen Oberstufenkursen können die Schüler*innen die Begriffe "Antike" und "Mittelalter" weder inhaltlich definieren noch zeitlich datieren. Die Weimarer Republik wird wiederholt in das 19. Jhd. datiert. Man solle die Fähigkeiten der Jugendlichen in dieser Hinsicht nicht überschätzen. Geschichtsunterricht is'n Winz-Fach, dass z.B. in NRW in 6 Schuljahren mit 6 Wochenstunden unterrichtet wird, i.d.R. 2 Wochenstunden in drei Schuljahren. Das ist nichts. Das Gros der historischen Vorstellungen von Heranwachsenden - und in der Konsequenz auch Erwachsenen - werden diese nicht aus dem Schulunterricht, wiss. Abhandlungen, o.Ä. haben sondern aus der Popkultur, insb. die visuelle Geschichtskultur. Etwa die Vorstellung des Mittelalters als Outdoor-Kloake wird insb. durch den Film verankert worden sein, ...
Zuletzt geändert von Terranigma am 28. Mai 2022, 13:24, insgesamt 1-mal geändert.
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Guthwulf
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Guthwulf »

ragdel hat geschrieben: 28. Mai 2022, 12:39
Felidae hat geschrieben: 28. Mai 2022, 11:58 Vor einigen Jahren gab es eine englische Studie mit dem Ergebnis, dass eine große Menge Schüler die Schlacht von Helms Klamm für historisch, Adolf Hitler aber für eine Fiktion halten. Soviel dazu.
Hast du da eine Quelle zu? Würde mich mal interessieren. Nach einem kurzen googeln habe ich selber keine Studie finden können.
Jochen Gebauer hat geschrieben: 28. Mai 2022, 12:44Wollte ich auch gerade schreiben. Dafür hätte ich gerne eine Quelle. Das riecht nach Fake News.
Felidae hat geschrieben: 28. Mai 2022, 13:08Leider nein - stand damals in der Tageszeitung.
Ist das gemeint: https://www.nzherald.co.nz/world/hitler ... OWZ2NANBI/ ?

Mein Google gibt mir das jedenfalls als Ergebnis nach 5 Sekunden suchen ;)
Leider keine Quelle zur Studie in dem Artikel... also vielleicht immer noch Fake News.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Guthwulf hat geschrieben: 28. Mai 2022, 13:22
ragdel hat geschrieben: 28. Mai 2022, 12:39
Felidae hat geschrieben: 28. Mai 2022, 11:58 Vor einigen Jahren gab es eine englische Studie mit dem Ergebnis, dass eine große Menge Schüler die Schlacht von Helms Klamm für historisch, Adolf Hitler aber für eine Fiktion halten. Soviel dazu.
Hast du da eine Quelle zu? Würde mich mal interessieren. Nach einem kurzen googeln habe ich selber keine Studie finden können.
Jochen Gebauer hat geschrieben: 28. Mai 2022, 12:44Wollte ich auch gerade schreiben. Dafür hätte ich gerne eine Quelle. Das riecht nach Fake News.
Felidae hat geschrieben: 28. Mai 2022, 13:08Leider nein - stand damals in der Tageszeitung.
Ist das gemeint: https://www.nzherald.co.nz/world/hitler ... OWZ2NANBI/ ?

Mein Google gibt mir das jedenfalls als Ergebnis nach 5 Sekunden suchen ;)
Leider keine Quelle zur Studie in dem Artikel... also vielleicht immer noch Fake News.
Kommt zeitlich - 2004 - auf jeden Fall hin. Danke!

Aber wie geschrieben - wir müssen uns da gar nicht dran aufhängen, ob das jetzt fake ist oder nicht. Terranigmas Beiträge liefern genügend Argumente, auch ohne Conan und Helms Klamm.
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Axel
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Axel »

Felidae hat geschrieben: 28. Mai 2022, 12:37 Aber Axel, noch eine Gegenfrage - wenn "Anno" doch eh so absolut unhistorisch sein will und auch allen Spielern klar ist, dass es nix mit unserer Welt(geschichte) zu tun hat: Warum hast Du dann so ein Problem damit, wenn zukünftige "Annos" so wie die "Siedler" auch gar keinen direkten Bezug mehr zur realen Welt hätten?
Weil ich einfach diese, ich nenne es mal, "Paternalisierung" nicht gut finde. Und die schwingt für mich in solchen Diskussionen immer irgendwie mit. Das schöne an Anno ist doch, dass man dort z.B. Gebäude aus der Historie bauen kann. Das macht den Reiz ja erst aus. Genauso wie damals die Pharaoh und Caesar Aufbauspiele von Sierra. Der Reiz kommt durch die historische Tapete. Ein reines Fantasy-Szenario hätte für mich beispielsweise keinen Reiz. Aber: Nur weil es historisch ausschaut, ist es kein historisches Spiel im Sinne von Geschichte. Anno ist eine Fiktion, von mir aus nenne es Alternate History. Genauso wie Piratengeschichten wie "Die Schatzinsel" Fiktionen sind. Und wenn wir dieses Fass aufmachen: Ist dann auch Sid Meier's Pirates "problematisch", weil in diesem Spiel Piraterie romantisiert wird? Sind all die Piratenfilme der letzten 100 Jahre problematisch? Oder Comics wie Jack Sparrow?

Mal ganz allgemein: Unterhaltungsmedien leben von Stilisierungen und von Klischees. Das geht bis zurück zu den Dramen von Lessing oder Goethe. Stilisierungen, Übertreibungen, Klischees und ja auch Romantisierungen sind seit Jahrhunderten ein normales Stilmittel in der Unterhaltung. Das unterscheidet ein fiktives Unterhaltungsmedium von einem dokumentarischen Medium.

Und man muss doch diese Grundkompetenz einfach mal voraussetzen, dass man Fiktion von Dokumentation unterscheiden kann. Sicher, hier gibt es nun die Einschränkung, dass Games ein vergleichsweise junges Medium sind. Jedoch: Schau Dir mal an welche Ansprache in Text, Bild und Gameplay Serious Games haben, die recherchiertes Wissen vermitteln wollen. Da zeichnet sich seit Jahren eine Unterscheidung von fiktiven Unterhaltungsspielen ab. Das herauszuarbeiten ist jedoch nicht meine Aufgabe, es wäre die Aufgabe des allgemeien Spielejournalismus. Angefangen damit, in dem man diese Spiele überhaupt mal bespricht und nicht ständig verschweigt, weil es "niemanden interessiert".

Und dann bleibt dann auch noch die Medienbildung in Schule und Elternhaus. Es ist meiner Ansicht nach Aufgabe der Bildungseinrichtungen, dass Kinder lernen mit Medien wie Games gut umgehen können. Das heißt auch, dass sie lernen wann in Games Fiktion stattfindet und wann ein Spiel Wissen vermitteln möchte. Auch das gehört für mich zu einer modernen Medienpädagogik. Also das was Terranigma macht, finde ich viel zielführender.

Und zum Schluss: Sind Leute die denken Hitler wäre eine Fiktion, die Welt sei eine Scheibe oder im Himmel sitzt ein alter weißhaariger Mann mit Rauschebart, sollen solche Leute der intellektuelle Standard sein an dem sich Unterhaltungsmedien ausrichten sollen? Oder: Soll es keine Robin Hood Verfilmungen mehr geben, weil Leute denken diese Sage hätte wirklich mal stattgefunden und bekommen somit ein falsches Bild vom frühen Mittelalter Englands?

Wenn man diese Argumentation, die am Beispiel von Anno angebracht wird, mal weiter denkt und auf alle anderen Unterhaltungsmedien anwendet, dann dürfte es zum Schluss wohl keine Unterhaltungsmedien mehr geben. Und vor allem keine Unterhaltungsmedien, die sich trauen den Rezipienten auch mal herauszufordern. Ein "Life of Brain" beispielsweise hätte es dann auch nie geben können.
Zuletzt geändert von Axel am 28. Mai 2022, 13:38, insgesamt 3-mal geändert.
Maestro84
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Maestro84 »

Felidae hat geschrieben: 28. Mai 2022, 13:08
ragdel hat geschrieben: 28. Mai 2022, 12:39 Hast du da eine Quelle zu? Würde mich mal interessieren. Nach einem kurzen googeln habe ich selber keine Studie finden können.
Leider nein - stand damals in der Tageszeitung.

Aber okay, vergesst den Satz - Terranigma hat in seinem langen Beitrag die Grundaussage "Unterhaltungsmedien formen das Geschichtsbild" aus eigener Erfahrung ja deutlich geschildert.
Dies klingt schon arg nach einer Ente. Wobei diese "falschen" Geschichtsbilder aus Spielen und Filmen im Kern nicht so schlimm sind, wenn diese nicht gleich bedeuten, dass so mancher Schüler Hitler und den Holocaust für eine Fantasygeschichte halten - da spielt auch vielleicht mal das bessere, mal das schlechtere Bildungssystem in einigen Bundesländern eine Rolle. Letzten Endes halte ich es für nicht so tragisch, wenn junge Menschen in allen Bereich, egal ob Biologie, Geschichte oder Erdkunde, nur ein Teilwissen erreichen. Die Spezialisierung findet statt, wenn man sich für eine Sache interessiert. Spiele wie AoE oder Civ haben auch keinen Anspruch, jungen Menschen ein vollständiges Geschichtsbild zu zeigen. Serien wie Vikings machen dies ja auch nicht, genauso wenig wie schon früher ein Ivanhoe oder ein Robin Hood (der gute aus 1938).

Letzten Endes @Terranigma liegt das Problem, auch und gerade bei Nebenfächern, häufig beim Lehrer. Da wird dröge in Geschichte, aber auch in anderen Fächern, der Lehrplan abgehandelt, ohne links und rechts zu gehen: Ägypten -> Hellas -> Rom -> Franken -> Barbarossa -> Luther -> 30. Jähriger Krieg -> Franzosen 1789 -> Napoleon -> 1. Weltkrieg -> Weimar -> 2. Weltkrieg. So sah mein Weg auf einem Gymnasmium in Hessen in den späteren 90ern aus. Warum nicht mehr Fokus auf die deutsche Staatenbildung ab dem 18. Jahrhundert? Wo bleibt die deutsche Demokratie 1848-50? Wo der Fortgang des modernen Deutschland im Kaiserreich außer "Pöhser Militarismus, typisch preußisch"? Wo die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg samt Kämpfe um die Demokratie (Spiegelaffäre, Terror der RAF)? Die Wiedervereinigung mag ja in den 90ern noch so frisch gewesen sein, aber im Nachhinein wurde, in meinen Augen, massiv Potential verschwendet in Sachen eigene Geschichte. Eigentlich ein Wunder, dass ich mich nach dem Schulunterricht noch für Geschichte interessiert habe. Civ und AoE haben da mehr Arbeit geleistet als meine Geschichtslehrer.
Voigt
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Voigt »

Und nicht vergessen die Ostdeutsche Geschichte.

Wir hatten zumindest sie beidseitige Staatengründung mit Adenauer und Pieck. Dann noch kurz jeweilige Währungsreform, die Stalin Noten und dann direkt Wiedervereinigung. Aber quasi nix dazwischen.
Keine RAF/Spiegelaffäre im Westen, kein 53er Aufstand oder so.

Aber ist jetzt eh nebensächlich. Persönlich habe ich halt während der Unterrichts, wenn es langweilig war, einfach mehr im Geschichtsbuch gelesen, das Zeug was wir aus Zeitgründen übersprangen. Aber klar, das machten die wenigsten. Dadurch kann ich insgesamt auch schwerer einschätzen, wieviel man typischerweise in der Schule an Geschichte lernt.
Ist aber auf jeden Fall sehr Lehrerabhängig.
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Terranigma
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Terranigma »

BlackSun84 hat geschrieben: 28. Mai 2022, 13:35Letzten Endes @Terranigma liegt das Problem, auch und gerade bei Nebenfächern, häufig beim Lehrer. Da wird dröge in Geschichte, aber auch in anderen Fächern, der Lehrplan abgehandelt, ohne links und rechts zu gehen: Ägypten -> Hellas -> Rom -> Franken -> Barbarossa -> Luther -> 30. Jähriger Krieg -> Franzosen 1789 -> Napoleon -> 1. Weltkrieg -> Weimar -> 2. Weltkrieg. So sah mein Weg auf einem Gymnasmium in Hessen in den späteren 90ern aus. Warum nicht mehr Fokus auf die deutsche Staatenbildung ab dem 18. Jahrhundert? Wo bleibt die deutsche Demokratie 1848-50? Wo der Fortgang des modernen Deutschland im Kaiserreich außer "Pöhser Militarismus, typisch preußisch"?
Weil Schule keine "Wünsch dir was"-Veranstaltung ist, sondern weil es Kernlehrpläne gibt, welche für die Lehrkräfte obligatorisch sind und weil Lehrkräfte - anders, als sich manch einer das womöglich vorstellt - nicht tun und lassen können, was sie wollen. Wenn du den Fokus auf Thema #A legst bedeutet dies, dass du bei einer unveränderten Stundenzahl eben die obligatorischen Themen #1, #2, und #3 kürzen musst. Bei einem Fach, dass i.d.R. 90 Minuten in der Woche unterrichtet wird und dass - sofern es z.B. auf einen Montag und/oder Freitag fällt - aufgrund der Feiertage auch mal wochenlang ausfallen kann, hat man den Luxus nicht. Nebenfächer sind Mangelwirtschaft. Natürlich gibt's allerlei coolen shit, den man machen könnte. Aber man kann es nicht, weil's obligatorische Vorgaben gibt. Das hat insofern sicherlich auch Sinn, weil ein grobes Orientierungswissen - selbst das erreicht man im nicht, wie die empirische Forschung zeigt - mehr Wert ist als die Vertiefung in Nischenthemen, die dann wiederum nur drei von 28 Schüler*innen interessiert.

Der Geschichtsunterricht hat auf die reguläre Schulzeit betrachtet 6 Wochenstunden Zeit, um die Menschenheitsgeschichte ausgehend vom Australopithecus Afarensis (vor ca. 3,5 Mio. Jahren) bis zur Nachkriegsordnung nach dem Kalten Krieg (bis in die 2000er) zu unterrichten. Dass man da so'n bissl was auslassen, das meiste nur anreißen und erheblich kürzen muss, nun ... :D
Voigt hat geschrieben: 28. Mai 2022, 13:44Dadurch kann ich insgesamt auch schwerer einschätzen, wieviel man typischerweise in der Schule an Geschichte lernt.
Ich würde auch eines beachten: Wir hier im Forum sind eine sehr nischige Population. Ich äußere mal'n paar Spekulationen: überwiegend männlich, zwischen 30 und 50, kein Migrationshintergrund sowie hohes Bildungsniveau. Ausgehend von uns selbst auf andere Teile der Bevölkerung zu schließen wäre aufgrund des Alters - und damit der Erfahrung im Umgang mit Medien, als auch z.B. die Beschäftigung mit Geschichte in der Freizeit - schwierig, insbesondere aber auch aufgrund des Bildungsniveaus. Das hier ist jetzt kein 'normaler' Stammtisch, sondern eher die piefke Studentenkneipe. Ist nett, aber nicht repräsentativ. Wer die Haupt-, Volks-, Gesamt- oder Realschule besuchte und hat'n noch viel reduzierteren Geschichtsunterricht erlebt. Das ist nun echt nicht viel ...

Vielleicht mal als Selbsttest: Chemie und Geschichte wird in der Sekundarstufe I im gleichen Stundenumfang unterrichtet. Das Interesse an Geschichte unter den The Pod-Hörern kommt mir recht groß vor, das für Chemie wohl eher weniger. An wie viel Gedönse aus dem schulischen Chemie-Unterricht könnt ihr euch noch aus dem Stehgreif erinnern? ... Eben. Also zumindest ich an fast gar nichts, dabei habe ich das Fach genauso lange gehabt wie Geschichte. Und auf diesem Niveau dürfte wiederum auch das Geschichtswissen eines nicht unerheblichen Teils der Gesellschaft sein. :D
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Voigt »

Ich hatte zwei Semester Chemie in meinem Diplomstudium, und ich habe bis heute noch nich völlig Hybrid-Elektronenorbitale verstanden.
Aber neben den Kram fand ich Chemie jetzt nie theoretisch umfangreich. Eher viele Experimente, was ich schade fand. Gebt mir lieber mehr theoretisches Wissen, als Säuren mit Basen zu neutralisieren in einem Experiment! ^^
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Axel »

BlackSun84 hat geschrieben: 28. Mai 2022, 13:35 Warum nicht mehr Fokus auf die deutsche Staatenbildung ab dem 18. Jahrhundert? Wo bleibt die deutsche Demokratie 1848-50? Wo der Fortgang des modernen Deutschland im Kaiserreich außer "Pöhser Militarismus, typisch preußisch"? Wo die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg samt Kämpfe um die Demokratie (Spiegelaffäre, Terror der RAF)?
*Meld*

Wir in einer sächsischen Hauptschule in den 90ern hatten das alles tatsächlich dran! :D Und das ausführlicher als nur wenige Stunden. Aber wir hatten auch ganze drei Stunden Geschichte in der Woche. Eine Einzelstunde und eine Doppelstunde. Wir hatten damals tatsächlich auch Kolonialismus und Sklaverei durchgenommen. Deswegen denke ich ja auch immer, dass sowas bekannt sei und es jeder in der Schule hatte.

Was ja auch das nächste Problem ist: Jedes Bundesland kocht da seine eigene Suppe was drankommt und wie viel es von einem Unterrichtsfach überhaupt gibt.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

BlackSun84 hat geschrieben: 28. Mai 2022, 13:35 Letzten Endes halte ich es für nicht so tragisch, wenn junge Menschen in allen Bereich, egal ob Biologie, Geschichte oder Erdkunde, nur ein Teilwissen erreichen.
Nur kann ein Teilwissen in Geschichte zu fatalen Auswirkungen führen - "wer die Geschichte nicht kennt, ist dazu verdammt sie zu wiederholen" und so.

Bzw, wie schon vor einigen Seiten geschrieben: Verdammt viele sind der Ansicht, dass Europa Afrika einen Scheiß schuldet und die Afrikaner selbst schuld an ihrer Lage seien. Und deshalb auch keine europäische Hilfe notwendig sei - geschweige denn, Flüchtlinge vom afrikanischen Kontinent aufzunehmen.

Das wäre so ne unmittelbare Folge von dem, was Du "Teilwissen" nennst.

Meine Güte, es geht in der Diskussion eben NICHT darum, ob eine römische Toga korrekt abgebildet wurde oder nicht. Sondern es geht um eine eklatante Verzerrung der Historie, die bis HEUTE Auswirkungen auf große Teile der Weltbevölkerung hat. Jede:r, der:die sich für Geschichte interessiert, wird da im Zweifel drüber stolpern, ja. Aber Unterhaltungsmedien erreichen nunmal auch jene, die sich NICHT dafür interessieren. Und da wird dann ein fundamental falsches Geschichtsbild zementiert.
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Axel »

Felidae hat geschrieben: 28. Mai 2022, 14:09 Jede:r, der:die sich für Geschichte interessiert, wird da im Zweifel drüber stolpern, ja. Aber Unterhaltungsmedien erreichen nunmal auch jene, die sich NICHT dafür interessieren. Und da wird dann ein fundamental falsches Geschichtsbild zementiert.
Wie gesagt: Das ist aber dann nicht Schuld der Unterhaltung. Sondern wenn, dann die Schuld von falscher Bildungspolitik.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Axel hat geschrieben: 28. Mai 2022, 14:01 Deswegen denke ich ja auch immer, dass sowas bekannt sei und es jeder in der Schule hatte.
Und das ist eben das Problem mit den eigenen Erfahrungen. Ich kann Dir aus dem Gespräch mit Leuten aus allen möglichen Bundesländern sagen, dass Lehrpläne sehr unterschiedlich aussehen.

Und speziell in Sachsen in den 90ern dürfte auch eine gewaltige Rolle gespielt haben, dass da mal eben 40 Jahre deutsche demokratische Republik aufgearbeitet und korrigiert werden mussten. Was wohl allein schon damit anfing, dass Ihr DREI Wochenstunden Geschichte hattet, statt den bei uns üblichen zwei (die Terranigma ja auch so nennt).

Axel, ernsthaft... Du und Deine Bubble sind nicht der Maßstab.
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