Aus heutiger Sicht muss ich jedoch leider sagen, dass Civilization ein Problem hat. Dieses Problem ist sein Nationalismus. Damit ist nicht gemeint, dass Civilization die nationalistische Propaganda einer bestimmten Nation betreibe, sondern das Problem liegt tief in den Mechaniken und Implikationen von Civilization.
Ich denke das Spielprinzip von Civilization ist hinlänglich bekannt oder man kann sich diese Information leicht beschaffen. Wer noch kein Teil der Reihe gespielt hat sollte dies – das sage ich trotz all meiner hier vorgelegten Kritik – nachholen (meiner Meinung nach mit den Teilen II und V).
Zwei Probleme werden gleich in der Frühphase des Spiels offensichtlich:
- [1] Das Spiel kennt Zivilisationen und es kennt Barbaren. Letztere sind oft Menschen, in einigen Fällen aber auch Tiere. Hier macht Civilization einen kategorischen Unterschied zwischen zivilisierten Menschen und jenen die es nicht sind. Implizit werden letzte sogar auf eine Ebene mit gefährlichen Tieren gestellt. Verhandlungen mit ihnen sind nicht möglich. Sie verstehen nur rohe Gewalt und teilweise reicht selbst diese nicht aus und nur die Ausrottung ihres Lagers (Genozid?) kann das Problem vollständig lösen. Mir ist klar, dass die Barbaren als Spielmechanik den Spieler zum Erkunden und Überwachen der Karte sowie dem Errichten von Militär zwingen sollen, selbst wenn dafür keine direkte Notwendigkeit besteht. Die implizierten Ideen welche hier aber mitschwingen sind erschreckend.
[2] Das Spiel lässt den Spieler zu Beginn eine vorgefertigte Zivilisation auswählen. Nun ist es schon ein Politikum in sich wer hier vertreten ist und wer nicht und wer wählbare Gallionsfigur ist (Mao und Stalin waren einst dabei). Aber darum soll es nicht gehen. Problem ist, dass der Spieler von vorn herein als eine geeinte „Zivilisation“ spielt, welche bei Civilization bis zu ihrer möglichen vollständigen Zerstörung ein unsterbliches Metawesen ist. Faktisch ist das was hier als „Zivilisation“ bezeichnet wird eine Nation in dem Sinne wie sie von Nationalisten ab dem 19. Jahrhundert gedacht wurde. Dabei ist eine Nation auch immer durch einen Nationalstaat vertreten. Würde das Spiel das 19. und Teile des 20. Jahrhunderts simulieren und die Angelegenheit kritisch aufarbeiten, dann wäre das ja auch okay. Nur datiert Civilization die ganze Sache auch noch bis weit an den Anfang der Geschichte zurück. Jede Zivilisation startet bereits als Nationalstaat. Das ist nicht nur ahistorisch, sondern eine absurde Rückprojektion nationalistischer Fantasien über Geschichte, welche einst durchaus ernsthaft vertreten wurden und es leider noch immer werden. Tatsächlich waren die Formen sozialer und menschlicher Organisation über die Geschichte und Regionen der Welt hinweg sehr vielfältig. Civilization stellt das – zumindest eingeschränkt – teilweise dar, aber das trotzdem auf eine sehr eurozentrische Art und Weise und darüber hinaus hat jede Zivilisation trotzdem eine Durchgriffsgewalt, wie sie nun einmal nur der moderne Nationalstaat hat. Was man wirklich verändert sind ein paar Boni.
Zwei andere Probleme werden zum Ende des Spiels hin sichtbar:
- [1] Alles was man mit seiner Zivilisation je tut – es sei denn man Spielt die gesamte Partei wie ein Rollenspiel und oft unter Missachtung der Optimierung der eigenen Spielweise – dient nur der eigenen materiellen Verbesserung oder der Schädigung anderer Zivilisationen (oder der Barbaren). Dazu scheint der Zivilisation alles recht. Dabei sind Dinge – wie die Zivilisation selbst – viel wertvoller als Menschen. Klar bestehen die Einheiten und die Bevölkerung der Städte aus Menschen, aber letztlich sind das nur Humanressourcen, welche man benötigt um noch mehr Dinge zu bekommen. Menschen sind nur das lebendige Werkzeug der Nation. Man spielt also ein Metading, welches Dinge benutzt um mehr Dinge anzuhäufen und dabei in einem archaischen Überlebenskampf mit anderen Metadingen steht. Tatsächliche Geschichte ist jedoch müsste jedoch eine Geschichte von Menschen sein. Civilization geht hier sogar noch über die alte Geschichtsschreibung großer, weißer Männer hinaus und spricht eigentlich nur noch von großen Dingen. Selbst die großen, weißen Männer sind nur Ressourcen oder Galionsfiguren für das Metading Nationalstaat.
[2] Spielt man nicht gerade einen kooperativen Multiplayer, so kann nur eine einzige Zivilisation als Sieger hervorgehen. In fast allen Parteien mit anderen Spielern heißt dies, dass eine Zivilisation alle anderen militärisch niedergerungen hat. Die anderen Siegtypen sind selten. Der hier implizit enthaltene Nationalismus ist nämlich aufgrund verschiedener Spielmechaniken auch noch ein Nullsummenspiel. Zwar gibt es Kooperation zwischen den Zivilisationen, aber davon abgesehen das diese oft dazu dient wieder andere Zivilisationen zu schwächen oder vernichten, so bleibt das Endziel alle anderen Zivilisationen doch mindestens zu dominieren, wenn nicht gar zu vernichten. Aus der Entstehungsgeschichte des Spiels kann man sich das freilich daraus ableiten, dass es seine Vorbilder in diversen Brettspielen fand, welche ja ganz ähnlich funktionierten. Man denke hier nur etwa an Risiko. Im Gegensatz zu Civilization wollen diese aber nicht den Eindruck erwecken die bisherige menschliche Entwicklung als gesamtmenschliche Errungenschaft zu feiern. Genau so inszeniert sich Civilization aber oft, wobei es an sich aber ein Simulator materialistisch-nationalistischer Fantasien von Geschichte ist.
[3] Zuletzt sind auch die Siegbedingungen interessant, denn diese spiegeln nun tatsächlich einen US-amerikanischen Nationalismus wieder, denn zufällig ist dort alles enthalten was den USA in den letzten Dekaden wichtig war bzw. wobei sie bedeutend waren. Neben dem militärischen Sieg (USA als militärische Supermacht) gibt es auch einen Weltraumsieg (USA als Weltraummacht), einen Kultursieg (Hollywood, Popkultur, etc.) und einen Diplomatiesieg (USA als Anführer der Freien Welt).
Ich bin gespannt auf euer Feedback.