Hi Jochen,
vielleicht liest du das hier ja noch.
Ich möchte nochmal auf den Punkt sinnvolle Möglichkeiten zur Investition in den Klimaschutz eingehen.
Wie ich an anderer Stelle geschrieben habe, sollte man diese projektbezogenen CO2-Kompensationen (wie jetzt auch bei der GC) definitiv kritisch betrachten, vor allem, weil viele Unternehmen das als reine PR nutzen, um sich klimabewusst darzustellen, ohne ihr eigenes (klimaschädliches) Verhalten ändern zu müssen. Insbesondere bei den Aufforstungsprojekten sollte man sehr vorsichtig sein, da es bei denen sehr einfach ist Unfug zu betreiben, bspw.:
- die lokale Bevölkerung wird zwangsweise umgesiedelt und verliert ihre Heimat
- Baumbestände werden extra gerodet, um dann wieder neue Bäume anzupflanzen, was extrem zynisch ist
- die Projekte werden nicht vollumfänglich geplant und betreut, bspw. was den nachhaltigen Erhalt der Bäume angeht, oft werden die Bäume einfach gepflanzt und das wars. Außerdem muss man bedenken, dass es ja auch 10+ Jahre nach der Pflanzung dauert, bis die Bäume größere Mengen CO2 binden können
- die Gelder werden aufgrund der schlechten Kontrolle veruntreut
Gleichzeitig würde ich solche Projekte aber auch nicht per se in Frage stellen, da gibt es definitiv auch viele sinnvolle und gut umgesetzte Projekte, bspw. in den Bereichen Bau von EE-Anlagen oder auch Verbesserung der Energieeffizienz.
Grundsätzlich kann diese Form der projektbezogenen Kompensation aber nicht die endgültige Lösung sein, die muss sein, dass die gesamten Wertschöpfungsketten auf klimaverträgliche Technologien umgestellt werden. In der Übergangsphase und in Bereichen, in denen das noch nicht möglich ist, kann eine sinnvoll umgesetzte Kompensation IMO aber schon Sinn machen. Als Privatperson kann man sich bei Interesse ja auch bestimmte Projekte individuell aussuchen, die einem seriös erscheinen, bspw. auch im regionalen Umfeld, dann ist man nicht auf die Auswahl der Kompensations-Dienstleister angewiesen.
Ich würde aber eine andere Art der Kompensation empfehlen, die ich aus diversen Gründen sinnvoller finde als die oben beschriebenen projektbezogene CO2-Kompensation. Nämlich den Aufkauf mit anschließender Stilllegung von "echten" CO2-Zertifikaten beim europäischen Emissionshandel (EU-ETS).
Theoretisch kann man sich auch als Privatperson für den Handel mit CO2-Zertifikaten am ETS registrieren, aber das ist aufwendig und als einzelne Person nicht sonderlich sinnvoll. Auch hier gibt es "Dienstleister", über die das gesammelt laufen kann. Diese Dienstleister sind im Handelsregister des ETS eingeschrieben und kaufen mit den Spenden der Mitglieder CO2-Zertifikate direkt an den Strombörsen ein, die dann anschließend stillgelegt werden (entweder sofortige Löschung oder endgültige Einlagerung). Dadurch sinkt die maximal verfügbare Anzahl an Zertifikaten am Markt, die den CO2-emmitierenden Unternehmen zum Kauf zur Verfügung stehen. Lange Zeit (bzw. immer noch) waren/ sind viel zu viele Zertifikate am Markt, u.a. wegen der Lobby-Arbeit der Wirtschaft bei der Einführung des Systems, wodurch die Preise pro Tonne CO2 auf einem sehr niedrigen Niveau waren (von 2012-18 zwischen 4-9€, aktuell liegt der Preis bei ca. 70€) und dadurch keine steuernde Wirkung haben konnten.
Durch die Stilllegung von Zertifikaten kann ein Beitrag geleistet werden, dass die CO2-Preise weiter steigen, so dass die Unternehmen immer größere Anreize bzw. größeren Druck haben in klimaneutrale und/ oder effizientere Technologien zu investieren. Im Gegensatz zu den projektbezogenen Zertifikaten hat dieses Verfahren den großen Vorteil, dass dadurch die emissionsintensiven Unternehmen in den Industrie-Staaten der EU direkt davon betroffen sind und das Problem nicht in andere (Entwicklungs-) Länder verlagert wird, ohne dass sich hier etwas ändert.
In der EU sind energieintensive Industrien (bspw. der Energiewirtschaft) zur Teilnahme am ETS verpflichtet, dies umfasst aktuell ca. 40% aller Treibhausgas-Emissionen in Europa (vor dem EU-Ausstieg von GB waren es 45%). Dieser Anteil muss erhöht werden und es müssen ähnliche, verpflichtende Strukturen global geschaffen und miteinander verknüpft werden, dann können sich die Unternehmen auch nicht mehr mithilfe projektbezogener Zertifikate reinwaschen. In den USA (und nahezu allen anderen Teilen der Welt abseits der EU) gibt es meines Wissens keine verpflichtenden, sondern nur freiwillige Systeme, die in der Regel auf die projektbezogenen Kompensationsverfahren setzen, welche wie gesagt sehr einfach missbraucht werden können und wenig bis keine Anreize zu einer Verhaltensänderung geben. Das ist ein großer Unterschied zwischen den USA und Europa. Auch das EU-ETS ist bei weitem (noch) nicht perfekt, aber aus meiner Sicht ein potentiell sehr mächtiges Werkzeug zur CO2-Reduzierung, da man hier direkte (politische) Möglichkeiten zur Steuerung hat.
Ein Anbieter für die Stilllegung von CO2-Zertifikaten ist bspw. der ehrenamtliche Verein compensators.org, welcher von Wissenschaftlern des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung gegründet wurde und betreut wird. Der scheint mir auf den ersten Blick seriös zu sein. Aus dem veröffentlichten Finanzbericht für 2021 geht bspw. hervor, dass nahezu alle Spenden auch tatsächlich der Sache zu Gute kommen. 98,7% aller Aufwendungen gingen in den Aufkauf von ETS-Zertifikaten. Das Volumen zum Aufkauf ist (leider) noch vergleichsweise gering (ca. 280k € bedeutet einen Aufkauf von ca. 5.300 t CO2 bei einem Durchschnittspreis von 52,50€ in 2021). Aber je mehr Zertifikate auf diese Weise dem Markt entzogen werden, umso besser. Gleichzeitig muss natürlich auf politischer Ebene das System nachgeschärft werden, bspw. höhere Degressionsraten bei der Anzahl jährlich ausgegebener bzw. versteigerter Zertifikate, um den Druck auf die Unternehmen zu erhöhen, und einiges mehr. Aber auch als Privatperson kann hier einen (kleinen) Beitrag leisten.
Grundsätzlich halte ich das Werkzeug der Zertifikats-Stilllegung als Privatperson für sinnvoll und (langfristig) wirksam, was aber natürlich nicht heißt, dass sinnvoll umgesetzte Klimaschutzprojekte keinen Sinn machen, unabhängig davon, ob sie über Kompensations-Gelder oder andere Methoden finanziert werden. Das kann sich beides ergänzen.