Spiel:
Rogue Legacy 2
Entwickler: Cellar Door Games
Genre: Roguelite, 2D Metroidvania
Erschienen am: 28.04.2022
Geschenkt von: Andre Peschke
Aufmerksame Hörer sollten wissen, dass Andre erst kürzlich eine Wertschätzung zu diesem Spiel aufgenommen hat und ihm außerdem im Jahresrückblick den Award für Bestes Gameplay 2022™ gegeben hat. Ich habe mir die Wertschätzung extra nicht angehört (und auch sonst nichts darüber gelesen), bis ich selbst mit dem Spiel fertig war, um mir meine Meinung möglichst frei von äußeren Einflüssen bilden zu können.
Nach 26 Stunden Spielzeit habe ich nun 2 Durchgänge hinter mir, und... Ich muss zugeben, dass ich eigentlich schon nach dem ersten Durchgang genug hatte, wollte mir aber noch das New Game Plus ansehen, bevor ich hier mein endgültiges Fazit abgeben werde. Das Spiel könnte ja im NG+ vielleicht noch etwas Neues bieten. Oder manchmal ändert sich bei einem zweiten Durchgang auch der Eindruck. In diesem Fall hat er sich jedoch nur bekräftigt.
Um das Fazit vorwegzunehmen:
Ich halte Rogue Legacy 2 im Kern für ein gutes Spiel, welches nach einem positiven Ersteindruck stark von Balance Problemen geplagt wird, die mit fortschreitender Spielzeit immer mehr die Luft rausnehmen.
Worum geht es?
Die Handlung wird so wirr und nichtlinear erzählt, dass ich sie selbst nach zweimal Durchspielen immer noch nicht verstanden habe. Nicht mal eine Zusammenfassung im Internet konnte mir helfen!
Das scheint ja wahnsinnig komplex zu sein. Aber es fällt mir bei der albern verspielten grafischen Darstellung auch schwer, die Geschichte überhaupt ernst zu nehmen. Dann gibt es überall noch biblische Anspielungen, was meistens ein Zeichen von Ideenmangel ist.
Aber die Geschichte steht ja nicht im Mittelpunkt des Spiels. Im Prinzip reicht auch: "One day, a man went into a castle and got murdered by a bunch of spooks. The next day, his son did the same thing."
Nach jedem Tod kann man einen von
3 zufällig generierten Charakteren auswählen, welcher die bisherigen Fortschritte, das gesammelte Gold, Upgrades, Ausrüstung, usw. erbt, und sich damit wieder erneut in die zufällig zusammengebauten Metroidvania Dungeons begibt. Diese sind in 6 Gebiete aufgeteilt, zu denen man sich linear nacheinander Zugang verschafft. Ziel ist es, in jedem Gebiet den Boss zu besiegen und natürlich auch möglichst viel Gold zu sammeln, um es anschließend in Upgrades und Ausrüstung zu stecken.
Die Charaktere zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus.
Klasse: Bestimmt primär Werte wie HP und Mana.
Waffe: Wird in den allermeisten Fällen durch die Klasse vorgegeben.
Talent: Ein sekundärer Angriff mit Cooldown, meist defensiver Art. Wird ebenfalls in der Regel von der Klasse bestimmt.
Zauber: Ein zufällig gewählter Zauberspruch, der Mana verbraucht. Mana erhält man hauptsächlich durch das Treffen von Gegnern oder seltener auch von Mana Potions.
Traits: Hier tauchen zufällige Handicaps auf, welche oft auf Erbkrankheiten, psychischen Störungen, usw. basieren. Ein Beispiel ist "Panic Attacks", bei dem sich der Bildschirm für 2,5 Sekunden verdunkelt, wenn man getroffen wird. Zum Ausgleich kriegt man mehr Gold (in diesem Beispiel +50%).
Oder mit "Colorblind" wird alles schwarzweiß (bis auf die HUD Elemente)
Es gibt
eine Unmenge an unterschiedlichen Klassen, jede mit ihrer einzigartigen Waffe, die eine andere Spielweise erfordert. Der Barbar richtet größeren Schaden an, wenn er sich auf dem Boden befindet, muss dafür aber still stehen. Als Valkyrie macht man weniger Schaden, kann sich aber beim Angreifen bewegen und außerdem nach oben und unten schlagen, eine Seltenheit in diesem Spiel. Der Ronin hat mit seinem Katana eine sehr hohe Reichweite und richtet dabei extra viel Schaden an, wenn man den Gegner mit der äußersten Kante trifft. Der Boxer kann mit schnellen Schlägen eine Combo aufbauen und das Opfer anschließend mit einem Knockout Punch in andere Gegner schleudern (lässt sich in jede Richtung zielen). Dann kommen noch Fernkämpfer, Magier, und ganz andere verrückte Ideen dazu. Neue Klassen habe ich immer gerne sofort ausprobiert und damit experimentiert.
Die
6 Gebiete spielen sich fast alle unterschiedlich. Es beginnt mit einem Schloss im klassischen Castlevania Stil. Anschließend geht es nach Axis Mundi, ein langer, linearer Pfad, in dem vor allem der
Spin Kick gefordert wird. Das ist ein Schlag nach unten, mit dem man im Sprung von bestimmten Objekten und auch von manchen Projektilen abprallen kann, um an Höhe zu gewinnen. Später klettert man im Sun Tower weit nach oben, wo die Sprungeinlagen mit den vielen Hindernissen fast Celeste-sche Züge annehmen (naja, ein bisschen vielleicht).
Sobald man neben Spin Kick den typischen Dash und Doppelsprung freigeschaltet hat, wird deren Nutzung auch ständig überall abgefragt. Wenn man einen Raum mit mehreren unterschiedlichen Gegnertypen betritt, ist manchmal schon ein hohes Maß an Akrobatik und Koordination gefragt, um hier unbeschadet wieder rauszukommen.
Und Schaden nehmen sollte man möglichst nicht, denn
Gelegenheiten zum Heilen gibt es selten. Da freut man sich über jedes Stückchen Fleisch, die mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit in Kisten und anderen zerstörbaren Objekten zu finden sind (in meinem Fall waren es Milch und Kekse, denn das Spiel lief noch im Weihnachtsmodus).
Mit Abstand am schwersten fand ich das letzte Gebiet, Pishon Dry Lake, ein riesiger, unterirdischer Höhlenkomplex. Wichtige Orte werden hier auf der unaufgedeckten Karte markiert. Den Weg zu ihnen muss man aber selber finden.
Viele Male bin ich hier gestorben, und meine Frustration mit dem Spiel erreichte hier ihr Maximum. Das lag zum Teil an einem Problem, das ich grundsätzlich mit Roguelites habe. Ich bin mir nie sicher, ob meine Metaprogression ausreicht. Ist dieser Bereich so schwer, weil mein Level zu niedrig ist? Oder ist mein Level inzwischen sogar schon zu hoch, und ich bin einfach nur schlecht? Vielleicht bin ich auch genau richtig, und es soll so sein, dass die meisten Gegner 3 bis 6 Treffer einstecken können. Schließlich gehört Sterben dazu, sonst wäre es kein Rogue sondern nur Lite.
Ich hatte hier aber ein noch größeres Problem, was gleichzeitig auch eine der Stärken von RL2 ist: Projektile.
Es wird unterschieden zwischen großen und kleinen Projektilen. Projektile, die durch Wände gehen. Zielsuchende Projektile. Schnelle, langsame, oder von der Schwerkraft beeinflusste Projektile. Manche kann man zerschlagen. Manche können nur mit dem Spin Kick beseitigt werden. Andere müssen zwingend mit einem Dash durchkreuzt werden. Es gibt Gegner, die sich selbst wie Projektile verhalten, usw. usw. Ich will nicht weiter langweilen.
Einerseits ist das toll, weil dadurch wieder alle Fähigkeiten gleichzeitig gefordert werden, und weil sich die Gegner Prioritäten ändern, je nachdem welche Fähigkeiten man gerade mitbringt. Aber in der zweiten Hälfte des Spiels fängt es an, außer Kontrolle zu geraten. In dem o.g. Pishon Dry Lake gibt es viele Stellen, in denen man in engen Räumen einem Haufen von Gegnern und Projektilen aller Art ausweichen muss, mit wenig Platz zum Manövrieren. Gerne starten Gegner auch mal außer Sichtweite ihren Angriff (wenn man sie vorher schon aufgeweckt hat) und sorgen so für Überraschungen. Vielleicht lehne ich mich zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass es oft
unmöglich ist, ohne Schaden durch dieses Chaos zu kommen, selbst wenn man die richtige Klasse spielt. Das war für mich ein reiner Überlebenskampf, in dem ich versucht habe, möglichst schnell den richtigen Ort zu finden, um meine Quest zu erledigen. Die
Musik hat sich jedenfalls in mein Hirn eingebrannt.
... Oder war mein Level doch zu niedrig? Da sind sie wieder, meine Zweifel.
Es wird recht schnell klar, dass
manche Klassen einfach deutlich besser durch das Spiel kommen als andere. Mobilität ist ein wichtiges Kriterium. Klassen, die zum Angreifen stehen bleiben müssen, sind schonmal ganz schlecht. Das gilt auch für Fernkämpfer, denn wie gesagt: Projektile! Absolut dämlich sind auch Klassen, die beim Angriff mit ihrer Waffe nach vorne in den Gegner hechten. Das geht nur dann gut, wenn man stark genug ist, um sie mit einem Treffer zu erledigen. Gegner verursachen nämlich Kontaktschaden.
Noch wichtiger sind jedoch Fähigkeiten, die Projektile beseitigen können. Und da ist die
Valkyrie Klasse unangefochtener Sieger. Mit ihrem Deflect Talent kann sie kleine Projektile von allen Seiten absorbieren und in Mana umwandeln. Solange man damit auch nur ein Projektil trifft, ist diese Fähigkeit auch sofort wieder einsatzbereit (sonst muss man sie durch Treffen von Gegnern wieder aufladen).
Deflect in Action
Eine nette Alternative ist noch der Duelist, der mit seiner Hechtrolle kurz unverwundbar wird und damit durch Gegner und Projektile rollen kann. Trotzdem ist dies gefährlich, weil man ja auch Platz braucht, um irgendwo sicher landen zu können. Duelist ist am besten für manche Bosskämpfe geeignet.
Die anderen Klassen fühlen sich alle minderwertig an.
Und so begann das Spiel, mich mit der Charakterauswahl zu nerven. Bei 15 Klassen ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass einer der 3 zufallsgenerierten Charaktere die gewünschte Klasse bekommt. Erst spät fand ich heraus, dass man eine Modifikation kaufen kann, mit der man wenigstens einen Charakter zu einer bestimmten Klasse zwingen kann, inklusive Zauber. Ein Segen! Aber geht diese Modifikation nicht auch ein wenig gegen die Idee des Spiels? Von da an spielte ich nämlich nur noch Valkyrie mit Freeze Strike, einem Zauber, der Gegner einfriert und auch große Projektile vernichten kann.
Hinzu kommen noch diverse Traits, die ein zusätzliches Handicap darstellen können. Mit dem "Diva" Trait z.B. kann man nur einen kleinen Radius weit sehen. Da bringt mir auch der massive Gold Bonus wenig, wenn ich nach drei Räumen schon sterbe. Außerdem finde ich reine Goldruns, also erneut durch ältere Gebiete zu marschieren, nur um Gold zu sammeln, ziemlich öde. Ich will lieber Fortschritte machen. Oft geriet ich in Situationen, in denen ich selbst als Valkyrie einfach keine realistischen Überlebenschancen sah, und nutzte sofort die
Selbstmord Funktion im Menü. Eine Funktion, die im Idealfall nicht existieren sollte.
Hier in der Dunkelheit nicht zu sehen: 6 Gegner und 9000 Projektile.
Ich könnte noch über Relics schreiben, und wie übermächtig jede Form von HP Regeneration ist. Aber dies waren meine Hauptkritikpunkte.
In den anderen Klassen stecken im Prinzip noch
so viele tolle Ideen drin. Da ist es schade, dass ich mich so an der Valkyrie festgebissen habe. Wenn man einen langen Grind in Kauf nimmt, bis man genug Gold und Upgrades gesammelt hat, so dass man jeden Gegner mit einem Schlag erledigen kann, würde das die Probleme auch etwas entschärfen.
Im NG+ habe ich übrigens keine neuen Inhalte gesehen. Man muss in einem Menü eine bestimmte Anzahl von Handicaps auswählen, ähnlich wie beim Heat System in Hades. Gegner bekommen sowieso ein höheres Level. Zusätzlich kann man ihnen noch einen HP-Bonus, Angriffsbonus, usw. geben. Um das Wahre Ende zu sehen, muss man hier stärkere Versionen der Bosskämpfe aktivieren, die man aber erst nach mehreren NG+ Durchgängen freischaltet. Mir ist jetzt nach 2 Durchgängen aber die Motivation ausgegangen.
Ich habe mal wieder 3 Awards zu vergeben:
#1 Projektilhölle
Habe ich ja schon ausführlich beschrieben. Fast schlimmer als Ikaruga!
#2 So Tight, Dass Es Burnt
Das Spiel begrüßt mich erstmal damit, dass ich gefälligst VSync abschalten soll, um Input Lag zu verringern. Außerdem läuft es mit geschmeidigen 144 fps und lässt sich in "4K" rendern. Genau mein Fetisch.
Und wie ich schon sagte, gibt es im Kern spielmechanisch nichts zu meckern.
#3 Unübersichtlichstes Upgrade Menü 2022
Und das ist nicht mal seine finale Form!
Übrigens: Falls bei euch das Spiel öfter abstürzen sollte, tragt in Steam bei den Launch Options
-force-glcore32 ein. Das scheint zu helfen.
Scheiße, ist das lang geworden!
Zu viel über Projektile gelästert...