Spiele und die fehlende Individualität

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DemianLucis
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von DemianLucis »

Es ist noch gar nicht so lange her, ich glaube es war die Runde #35 (bin mir aber unsicher), bei dem in einer Randbemerkung etwas dazu interessantes gesagt wurde. Nämlich, dass in der Spiele-Branche diese Art von hervorstehenden Individuen aktiv versucht zu vermeiden, auch um zu verhindert das es zu keiner öffentlichkeitswirksamen Machtkonzentration kommt.

Ich bin im übrigen der Ansicht, dass es gar nicht so verkehrt ist, das Unterstützer-Netzwerk und die Gruppe so stark zu betonen. Gerade im westlichen Kulturraum tendieren wir dazu einen Holismus um Personen zu betreiben, sie zu Genies zu erheben und darüber zu vergessen, dass sie "auf den Schultern von Riesen" stehen und um sie ein Netzwerk aus Akteuren und Technik vorhanden ist. Diese Leistung einer Person zuzuschreiben, dadurch zu überhöhen, erachte ich als problematisch.

Ich glaube daher nicht, dass der Faktor der Kunst definiert, die Anzahl der daran Beteiligten sein sollte.
Zuletzt geändert von DemianLucis am 12. Jan 2016, 16:41, insgesamt 2-mal geändert.
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Joss
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Joss »

Zunächst einmal ist das, was produziert wird keine Kunst, sondern ein Produkt. Wenn es als Produkt produziert wurde, um verkauft zu werden, ist es eine Ware. Das sollte einen schon einmal warnen, im Bereich der Computerspiele (die so ziemlich alle auf kommerziellen Erfolg hin ausgelegt werden) mit einem Begriff wie dem der Kunst zu arbeiten. Die Frage danach, was Kunst sei oder nicht sei, füllt Bibliotheken und beschäftigt auch heute noch die Menschen. Auch das mahnt zur Zurückhaltung. Ein paar Handreichungen lassen sich aber ausmachen: Produktionsbedingungen z.B. Wenn etwas von vorneherein auf einen Markt und die Bedürfnisse der Konsumenten abgestimmt wird, dann handelt es sich um ein Konsumprodukt. Weiter entfernt von dem, was Kunst ausmacht, kann man kaum sein. Kunst beansprucht Autonomie über die Produktionsbedingungen und Gestaltungsprinzipien. Wenn Kunst populär wird und sich verkauft, dann war dieser Markterfolg der Produktion zumindest einmal nicht vorgegeben. Schließlich kommunizieren Kunstwerke mit der (Kunst)Geschichte und ihrem Genre sowie den darin geltenden Gestaltungsprinzipien. Ob etwas Kunstcharakter hat, kann man also nur dann realiseren, wenn man dieser Gestaltungsprinzipien inne wird und das Produkt mit anderen Produkten seiner Zeit und in der Geschichte vergleicht.

Ich würde auch sagen, Kunstwerken ist immer etwas eingeschrieben, das sich ihrer Verwertung (also einer Verlagerung des Zwecks aus dem Kunstwerk selbst in den sozialen Raum, um dort dann gut verkauft zu werden) widersetzt. Das schlägt sich dann auch darin nieder, dass sich ein Produkt der Konsumtion verweigert und dem Konsumenten eine Rezeption aufdrängt. Schwer genießbar (im allerweitesten Sinne) nennt man das dann wohl. Das ist auch der Grund, warum Blockbuster zwar Oscars bekommen, aber keine Festivalpreise. Zwischen "mit besonderem Vergnügen konsumierbar" und "besonders herausragend gestaltet", gibt es einen Unterschied. Über den man aber immer nachdenken muss, wozu einen dann die Kunstgeschichte, die Geschichte des jeweiligen Mediums und die Theorie der Ästhetik motiviert.
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Jochen »

Ich würde das auch nicht zwingend an der fehlenden Individualität festmachen - obwohl die im Entstehungsprozess großer Produktionen sicherlich eine Rolle spielt (auf diesen Teilaspekt gehen wir in der kommenden Episode übrigens ein). Viel spannender erscheint mir die Frage nach dem künstlerischen Maßstab innerhalb des Mediums. Oder salopp formuliert: Haben die aufgezählten Altherren-Programmierer überhaupt Kunst geschaffen - oder wird hier allenthalben Kunst mit guter Unterhaltung verwechselt, wie Joss das auch schon anspricht. Ich bin im Hinblick auf die alte Frage nach dem Wesen der Kunst eigentlich recht offen und lasse mich auch bereitwillig von der Kunsthaftigkeit von Dingen überzeugen, an denen ich nun überhaupt keine persönliche Freude empfinde ... aber warum Monkey Island oder Deus Ex oder Metal Gear Solid ausgerechnet Kunst sein sollen, hat mir bislang noch niemand überzeugend erklärt.

Der Kunstdiskussion in diesem Medium, so denke ich manchmal, wäre sehr geholfen, wenn Kunst nicht nur ständig proklamiert würde, sondern die Protagonisten auch nachvollziehbar und stringent darlegen würden, warum das so sei.
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Leonard Zelig
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Leonard Zelig »

Deus Ex ist in meinen Augen ein wegweisendes Computerspiel. Vor allem das Level- und Gamedesign ist unglaublich gut. Ob jemand in dem Studio vorhatte ein Kunstwerk zu schaffen, darf aber bezweifelt werden.

Kunst soll ja auch vor den Kopf stoßen und nicht bloß unterhalten. Daher fände ich einige Indie-Spiele in der Hinsicht weitaus interessanter als große AAA-Produktionen, zu denen ich auch Deus Ex zählen würde. Einige japanische Spiele wie z.B. Nier scheinen mir auch recht interessant, da müsste ich mich aber ausführlicher mit beschäftigen.
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Jochen

Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Jochen »

Leonard Zelig hat geschrieben:Ob jemand in dem Studio vorhatte ein Kunstwerk zu schaffen, darf aber bezweifelt werden
Das ist in meinen Augen auch gar nicht von Belang. Da bin ich ganz bei den Poststrukturalisten: Die Intention des Autors ist für die kritische Rezeption des Werkes vollkommen unerheblich. Sie hat bestenfalls historischen Wert - oder dient in Fankreisen als Autoritätsargument.
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Joss
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Joss »

Ich würde auch immer fragen, wer will denn aus welchen Motiven heraus, dass etwas Kunst sein soll? Was wäre der Mehrwert? Geht es um die Vermarktung? Geht es um einen Distinktionsgewinn? Oder geht es ums Schmieden eines Schwertes für das Schlachtfeld des Diskurses? Oder um einen bunten Luftballon?

Ich habe da ähnlich wie bei Retro den Eindruck, dass es meist nicht um das Interesse am Diskurs geht, sondern mehr um eine Stimmung. Dass man der eigenen Biographie - Monate und Jahre wurden damit zugebracht vor Gespenstern zu flüchten und Pillen zu mampfen, als Hobbit durch Mittelerde zu reisen und die beknacktesten Jobs zu erledigen oder Gandhi den Gebrauch von Atomraketen auszutreiben - eine Glimmer-Glitzer-Bedeutung aufpolieren möchte. Für junge Spieler ist die Frage rundweg schnuppe, ob sie gerade Kunst oder Fifa zocken, Hauptsache das Runde kommt ins Eckige und das, was da dribbelt, sieht irgendwie noch aus wie Ronaldinho. Die Frage kommt nur bei denen auf, die ihr Hobby in Relation zu anderen Beschäftigungen stellen und bewerten. Kunst rezepieren klingt da natürlich besser als 500 Zombies zerhacken oder Wolfskrautbüschel für den Dorfheiler sammeln. Das ist so ein bisschen der Frage verwandt, ob das, was da in League of Legends auf dem Bildschirm und im Hirn des Spielers geschieht, Sport sei.

Man müsste Kunstdiskurse in Bezug auf Computerspiele erst einmal fruchtbar zu machen versuchen, um überhaupt Kriterien zu entwickeln. Wenn Adorno z.B. meint, Kunstwerken (in der kapitalistischen Gesellschaft) wohne ein Rätselcharakter inne, weil sie sich ihrer Verwertung zu entziehen suchen, Widerstand leisten, kann man fragen, wie das denn bei Spielen ist? Versuchen die sich ihrer Vermarktung zu entziehen, wehren die sich gegen die Konsumtion, konfrontieren sie den Konsumenten mit der Gesellschaft, in der dieser lebt (und von der er sich, würde ich hinzufügen, durch Spiele in der Regel abzulenken sucht), reflektieren sie ihren doppelbödigen Charakter, einerseits Ware und andererseits, wenn vielleicht auch keine Kunst, so doch in Ausnahmefällen "mehr sein zu wollen"? Wie gestaltet sich dieses "mehr" und welche Formatierungen besitzt das "wollen"? Und wie vernetzen sich Spiele als Kulturprodukte mit der sie umgebenden Gesellschaft? Warum kommen Spiele auf den Index oder vorsichtiger, warum werden Spiele in der Gesellschaft auffällig? Wegen zu viel Kopf ab, roter Soße und nackter Tatsachen oder weil sie riskante, gefährliche Fragen stellen, radikale Entwürfe über unser Leben zu entwerfen suchen und das nicht im Irgendwo einer unmöglichen Vergangenheit oder Zukunft, sondern vermittelt durch unsere Zeit und die sie bestimmenden Normen und Werte?
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Jochen »

Joss hat geschrieben:Man müsste Kunstdiskurse in Bezug auf Computerspiele erst einmal fruchtbar zu machen versuchen, um überhaupt Kriterien zu entwickeln. Wenn Adorno z.B. meint, Kunstwerken (in der kapitalistischen Gesellschaft) wohne ein Rätselcharakter inne, weil sie sich ihrer Verwertung zu entziehen suchen, Widerstand leisten, kann man fragen, wie das denn bei Spielen ist?
Das wäre eine spannende Frage, aber ich würde erheblich früher ansetzen - sonst läuft man Gefahr, dass die Diskussion bloß im Elfenbeinturm stattfindet (wo es sich freilich wunderbar diskutieren lässt, im Sommer bei offenem Fenster und mit einem guten Roten ...). Den meisten Kunstwerken wohnt die Qualität inne, ihr Medium, ihr Format, ihr Genre zu transzendieren. Moby Dick ist eben nicht bloß ein Roman über Walfang, Born in the USA nicht bloß eine Rockplatte, Apokalypse Now nicht bloß ein Vietnamfilm, Der Schrei nicht bloß Pastellfarben auf Holz. Schon hier stellt sich ganz fundamental die Frage: Welches Spiel kann das denn von sich behaupten? Um bei den vorher genannten Spiele-Beispielen zu bleiben: Ist Monkey Island mehr als ein (witziges) Piratenspiel? Ist Baldur's Gate 2 mehr als ein (gutes) Rollenspiel?

Die Tragödie des Mediums Spiel und seiner Rezeption ist doch, dass schon diese vergleichsweise oberflächliche Herangehensweise die Mär von den Spielen als Kunst entlarvt. Da muss man den armen Adorno gar nicht bemühen. Vergleicht man die als solche rezipierten Meilensteine des Mediums Spiel mit den als solchen rezipierten Meilensteinen anderer Medien, dann stellt man schnell einen gewaltigen qualitativen Unterschied fest - jedenfalls dann, wenn man mehr unter Kunst versteht als historische Relevanz.
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Joss
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Joss »

Jochen hat geschrieben:Die Tragödie des Mediums Spiel und seiner Rezeption ist doch, dass schon diese vergleichsweise oberflächliche Herangehensweise die Mär von den Spielen als Kunst entlarvt. Da muss man den armen Adorno gar nicht bemühen. Vergleicht man die als solche rezipierten Meilensteine des Mediums Spiel mit den als solchen rezipierten Meilensteinen anderer Medien, dann stellt man schnell einen gewaltigen qualitativen Unterschied fest - jedenfalls dann, wenn man mehr unter Kunst versteht als historische Relevanz.
Den (armen?) Adorno mag man nicht bemühen müssen, aber man kann ihn qua seiner (und heute natürlich nicht mehr >nur< seiner) Kulturindustrietheorie eben besonders frurchtbar auf Medien anwenden, wenn man sich an einer Kritik mit Rücksicht auf ökonomische Diskurse interessiert. Man kann das gewiss alles viel bequemer abwatschen, aber allein der von mir hier mal beispielhaft angewendete Begriff könnte deutlich machen, dass man nicht aufs Resultat schielen muss (Kunst ja/nein), um Begriffe fruchtbar anzuwenden. Und den Rätselcharakter finde ich besonders gewinnbringend auf Spiele anwendbar. Man kann hier eben analysieren, ob ein Spiel daran interessiert ist, dem Spieler zum Problem zu werden, sich dem Abschalten verwehrt, sich selbst als Konsumprodukt reflektiert, sich durch Kulturtheorien anreichert etc. Und auf diesem Weg wird man dann auch auf Spiele stoßen, in denen zumindest Spuren davon angelegt sind.

Was ich zu den von dir angesprochenen Spielen noch sagen würde, da kann man zumindest Monkey Island gewiss eine Art simplen Genrekommentar abgewinnen. Schon daran scheitert es ja meist, dass Spiele sich nicht an ihrem Genre abarbeiten, sondern stattdessen versuchen Erfolge zu kopieren. Der Verwertungszwang in der Spieleindustrie ist dabei ein deutlich intensiverer als in anderen Medien. Im Filmbereich gibt es etablierte Sparten und Verwertungsketten mit entsprechenden alternativen Ansprüchen (in Arte kann man eben auch noch einen Stummfilm zu sehen bekommen), gibt es finanzielle Fördertöpfe... jeder, der als Nachwuchsregisseur in Deutschland von der Filmhochschule kommt, bekommt seine Chance auf 1-2 Filme. Und die werden nicht mit Blick auf den Massenmarkt, sondern mit Blick auf die Festivals produziert. Computerspiele gibt es dagegen alleine vor dem Hintergrund ihrer kommerziellen Verwertung. Da gibt es kein marktfernes Festival und auch noch keine irgendwie geartete Bewegung, die etwas anderes sucht und fordert als gute Unterhaltung. Und das prädisponiert das Produkt. Wobei Crowdfounding und Kickstarter den Markt zumindest schon einmal durchlässiger gemacht zu haben scheinen. Davon ausgehend, also von diesem Unterschied zu anderen Medien, müsste man eben analysieren, wie die Produkte nun erstens mit ihrer Herkunft und zweitens mit ihrer Verwertung umgehen. Drittens aber, ob sie unter Umständen noch Kriterien erfüllen, die in Widerspruch zum Vorgenannten stehen.

Und wenn das aus heutiger Sicht auch gewiss ein eher frustintensives Unterfangen abgeben mag, finde ich doch, dass man an Sarkeesian schön erkennen kann, wie hoch der Impact ist, wenn man erst einmal anfängt ein wenig Sand ins Getriebe zu streuen. Ich wäre jedenfalls sehr daran interessiert, dass sich künftig mehr Menschen daran abarbeiten, in Spielen zu einer interessanteren KI (statt dem Diktat der Entwicklung von Grafik-Hardware hörig zu sein - auch ein Aspekt der Verwertungskette), komplexeren Interaktions-, anspruchsvolleren Erzählstrukturen und einer intensiveren Rezeption (der Spiele selbst) von sozialen und kulturellen Entwicklungen zu gelangen. Und einem Spielejournalismus, der mehr Journalismus und weniger Produkttest und Werbung ist.
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Edobar
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Edobar »

"Das Wort Kunst bezeichnet im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist (Heilkunst, Kunst der freien Rede). Im engeren Sinne werden damit Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit benannt, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind. Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses".

Nach dieser allgemein anerkannten Definition von Kunst, ist selbst das mieseste Spiel Kunst. ;)
Edobar
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Edobar »

Die Kunstfrage bei Spielen, ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden Künstlers der in der Spielebranche arbeitet. Und das sind viele. Um beim Beispiel Monkey Island zu bleiben. Jeder der wunderschön gezeichneten Hintergründe ist ein Kunstwerk für sich. Die fabelhaft komponierten und arrangierten Melodien ebenfalls. Dazu die Arbeit der Autoren. Spiele fassen zig unterschiedliche Kunstformen zusammen, und erschaffen daraus ein großes Ganzes. Ob das Ganze nun funktioniert oder nicht, sei dahingestellt. Kunst bleibt Kunst. Ob gute oder Schlechte.

Kunst war auch schon immer ein Produkt, auf Konsum getrimmt. Einige der Größten Künstler vergangener Zeiten, heute hoch geschätzt, waren damals nicht mehr als bezahlte Handlanger.

Ich kann nicht verstehen wie man einerseits Spiele lieben ( so wie vermutlich jeder in diesem Forum), und andererseits auch nur im geringsten daran zweifeln kann daß es sich dabei um Kunst handelt.
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Joss
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Joss »

Edobar hat geschrieben:Die Kunstfrage bei Spielen, ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden Künstlers der in der Spielebranche arbeitet.
In der Branche arbeiten Programmierer, Grafiker, Komponisten und Sounddesigner, Spieldesigner und Autoren. Als solche werden sie auch eingestellt, nicht als Künstler. Kunst ist ein Reflexionsbegriff mit Kontext, Geschichte und Struktur. Autoren z.B. arbeiten für Spiele an Texten nach Vorgaben. Diese Vorgaben bedingen nicht allein einen Auftrag, sondern nehmen dem Angestellten auch die Autonomie über die Gestaltungsprinzipien. Und das nicht einfach aufgrund einer Vorgesetztenstruktur, sondern auch weil der Text einer Zielführung unterliegt. Er soll eine Einführung geben oder einen Auftrag rahmen und erläutern, eine Wegweisung geben, die Geschichte auf ein Ziel hin vorantreiben. All das bekommt der Autor vorgegeben. Ebenso wie die Zielführungen sich im Rahmen der Kommodifizierung versammeln müssen. Diese Rahmung, Produkt als Ware, determiniert sämtliche Vorgaben, denn die Ware muss verkauft werden. Die Freiheit aller Beteiligten, sich auszudrücken und ihren Teil des Ganzen zu gestalten, erfolgt also in vorgegebenen und eng begrenzten Strukturen, die sich immer dem kommerziellen Diktat unterordnen müssen.
Edobar hat geschrieben:Kunst war auch schon immer ein Produkt, auf Konsum getrimmt. Einige der Größten Künstler vergangener Zeiten, heute hoch geschätzt, waren damals nicht mehr als bezahlte Handlanger.
Weder war Kunst immer Auftragskunst noch waren Künstler einfach nur Handlanger. Nur weil es immer schon Mäzenaten gab, war dies nicht durchweg gleichbedeutend, dass in die Gestaltung interveniert wurde. Vor allem aber waren die Werke keine Produkte für einen Markt. Zumindest mal das sollte man auseinanderhalten. Der Mäzen lässt sich wohl eher mit den heutigen Förderinstitutionen vergleichen. Die bestimmen auch keinen Inhalt und keine Gestaltung, intervenieren also tendenziell nicht in die künstlerischen Freiheiten, sondern geben Fördergrundsätze aus.
Edobar hat geschrieben:Ich kann nicht verstehen wie man einerseits Spiele lieben ( so wie vermutlich jeder in diesem Forum), und andererseits auch nur im geringsten daran zweifeln kann daß es sich dabei um Kunst handelt. Und das sind viele. Um beim Beispiel Monkey Island zu bleiben. Jeder der wunderschön gezeichneten Hintergründe ist ein Kunstwerk für sich. Die fabelhaft komponierten und arrangierten Melodien ebenfalls. Dazu die Arbeit der Autoren.
Nur weil man gegenüber und bei etwas Spaß empfindet oder es als "schön" bewertet - auch hier ist "schön" als Empfindung nicht gleich "kunstschön", wirf mal einen Blick in "Die Geschichte der Schönheit" oder "Die Geschichte der Hässlichkeit" von Umberto Eco - ist das nicht gleichbedeutend mit einer künstlerischen Gestaltung und dem Schönen in der Kunst (hat immer einen Bezug auf Diskurse). Wer die Komposition von Monkey Island für Kunst verwechselt, hält auch die Legobauten und gemalte Bilder seiner Kinder für solche. Kann man machen, wurde oft schon gemacht (gerade abstrakte Kunst wurde vielfach so interpretiert), aber mir ist es ebensowenig plausibel wie dir, dass man Spaß bei einem witzigen Spiel haben kann, darin aber weder ein Werk noch eine Kunstgestaltung erkennt.
Edobar hat geschrieben:Spiele fassen zig unterschiedliche Kunstformen zusammen, und erschaffen daraus ein großes Ganzes. Ob das Ganze nun funktioniert oder nicht, sei dahingestellt. Kunst bleibt Kunst. Ob gute oder Schlechte.
Nein, Spiele fassen keine Kunstformen, sondern Gestaltungsformen zusammen. Zum Schluß bringst du es auf den Punkt, für dich ist das alles Kunst und weil alles Kunst ist, spielt alles weitere (z.B. sich Gedanken darüber zu machen, was Kunst ausmacht und warum Computerspiele eine Bedeutung als solche haben sollten) eigentlich gar keine Rolle.
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Joss
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Joss »

Anregungen zur Lektüre

Bild

Video games as an art form / Wikipedia
https://en.wikipedia.org/wiki/Video_gam ... n_art_form

Game studies / Wikipedia
https://en.wikipedia.org/wiki/Game_studies

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Computerspiele sind ein Markt für Künstler / Hans Olaf Zimmermann (07.08.2007)
http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/v ... zimmermann

Ästhetische Erziehung / Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (08.08.2007)
http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/v ... -brockhoff

Video games can never be art / Roger Ebert (16.04.2010)
http://www.rogerebert.com/rogers-journa ... ver-be-art

GDC: "Videospiele sind Kitsch, keine Kunst" / Hartmut Gieselmann (05.03.2011)
http://www.heise.de/newsticker/meldung/ ... 02752.html

Videogames Do Belong in the Museum of Modern Art / John Maeda (12.04.2012)
http://www.wired.com/2012/12/why-videog ... odern-art/

MoMA - Video Games: 14 in the Collection, for Starters / Paola Antonelli (29.11.2012)
http://www.moma.org/explore/inside_out/ ... -starters/

Sorry MoMA, video games are not art / Jonathan Jones (30.11.2012)
http://www.theguardian.com/artanddesign ... -games-art

MoMA Has Mistaken Video Games for Art / Liel Leibovitz (30.03.2013)
https://newrepublic.com/article/112646/ ... -games-art

TEDSalon - Why I brought Pac-Man to MoMA [Video] / Paola Antonelli (05.2013)
https://www.ted.com/talks/paola_antonel ... an_to_moma

Bild

Viewing Video Games From Another Level - A Review of ‘The Art of Video Games’ at the Hudson River Museum in Yonkers / Martha Schwendener (04.04.2014)
http://www.nytimes.com/2014/04/06/nyreg ... nkers.html

Roger Ebert was wrong: Video games are the new novels / John Michael Bell (02.05.2014)
http://www.salon.com/2014/05/02/roger_e ... s_partner/

Kunst ist Kunst; Spiel ist Spiel / Sören Heim (21.04.2015)
http://www.theeuropean.de/soeren-heim/1 ... rt-sie-auf

Sein & Streit - Über die Philosophie und Ästhetik von Computerspielen [Audio] / Daniel Martin Feige, Moderation durch Christian Möller (13.12.2015)
http://www.deutschlandradiokultur.de/se ... _id=339673

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Streitfall Computerspiele: Computerspiele zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und Jugendschutz / Olaf Zimmermann und Theo geißler [Hrsg.] (Berlin 2008)
http://www.kulturrat.de/dokumente/strei ... spiele.pdf


[wird fortgesetzt]
Zuletzt geändert von Joss am 17. Jan 2016, 11:17, insgesamt 11-mal geändert.
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Edobar
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Edobar »

Bin begeistert auf welchem Niveau hier argumentiert wird. Auch wenn ich da vermutlich nicht mithalten kann.Vielen Dank für die Lektüre-Tips. Werde ich mir ansehen.

Denke das wäre ein sehr spannendes Thema für eine Podcastrunde. Die Kunstfrage mit einem Artist aus der Branche zu diskutieren.
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Joss
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Joss »

Es geht doch auch nicht ums Konkurrieren und Überzeugen. Die Fragestellung selbst bietet einen Rahmen, um über Computerspiele nachzudenken, sie zu analysieren und den Blick darauf zu schulen. Ich finde es immer ernüchternd, dass in Spieleforen entweder kompetetiv argumentiert wird (als wäre das ein Wettkampf) oder lediglich Meinungen (und oft noch schlimmeres) mitgeteilt werden. Lesen, Verstehen, Nachdenken, Positionieren, Überdenken, Justieren, Repositionieren und schließlich Lernen... daran gibt es wenig Interesse. Dabei bestünde durchaus die Möglichkeit, sich durch Computerspiele hindurch seiner Kultur, Gesellschaft, Ökonomie und nicht zuletzt auch seiner selbst zu vergewissern und dabei ein tieferes Verständnis zu entwickeln.

Dazu gäbe es interessante Anknüpfungspunkte. In den Arbeiten Herbert Marcuses, vor allem denke ich an "Triebstruktur und Gesellschaft", sucht das Spiel als soziale Ausformung des Lustprinzips Nähe zur Ästhetik. Und Marcuse fragt nun, ob im Spiel nicht eine befreiende Kraft verborgen liegt, die den Menschen aus den Fesseln seiner Hörigkeit gegenüber den Anforderungen einer kapitalistischen Warengesellschaft befreien könne. Und weiter, ob dieser befreienden Kraft eine Möglichkeit zur Gestaltung von Arbeit innewohnt, die den Menschen nicht von sich und seinen Bedürfnissen entfremdet. Wir wissen, dass Spiele Probehandeln ermöglicht. Probehandeln wiederum ist im therapeutischen Prozess ein bedeutendes Korrektiv gegenüber eingefahrenem Denken, Verhalten und Handeln. Es gibt meiner Ansicht nach guten Grund, über Spiele im Allgemeinen und Computerspiele im Besonderen nachzudenken und sich dabei nicht alleine auf Fragen danach, ob nun The Witcher oder Fallout 4 das beste Rollenspiel 2015 war, zu kaprizieren.
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Leonard Zelig
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Leonard Zelig »

Jochen hat geschrieben:
Leonard Zelig hat geschrieben:Ob jemand in dem Studio vorhatte ein Kunstwerk zu schaffen, darf aber bezweifelt werden
Das ist in meinen Augen auch gar nicht von Belang. Da bin ich ganz bei den Poststrukturalisten: Die Intention des Autors ist für die kritische Rezeption des Werkes vollkommen unerheblich. Sie hat bestenfalls historischen Wert - oder dient in Fankreisen als Autoritätsargument.
Beim Springer-Verlag ist die Arbeit "Spiel als Arbeit" von Fabian Hoose als kostenloses eBook erschienen. Der Titel befasst sich mit der Arbeit in der Spieleindustrie. Hoose sprach für das Buch mit mehreren Entwicklern, von denen ihm einer sagte (S. 158): "du musst eigentlich immer für den Markt produzieren und nicht für dich selber. Es geht nicht darum, dich künstlerisch zu verwirklichen, sondern es geht darum, zu analysieren, was will der Markt, was ist der Markt momentan überhaupt."

http://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-10711-6
Jochen hat geschrieben: Den meisten Kunstwerken wohnt die Qualität inne, ihr Medium, ihr Format, ihr Genre zu transzendieren. Moby Dick ist eben nicht bloß ein Roman über Walfang, Born in the USA nicht bloß eine Rockplatte, Apokalypse Now nicht bloß ein Vietnamfilm, Der Schrei nicht bloß Pastellfarben auf Holz. Schon hier stellt sich ganz fundamental die Frage: Welches Spiel kann das denn von sich behaupten? Um bei den vorher genannten Spiele-Beispielen zu bleiben: Ist Monkey Island mehr als ein (witziges) Piratenspiel? Ist Baldur's Gate 2 mehr als ein (gutes) Rollenspiel?
Baldurs Gate 2 habe ich nie ausführlich gespielt, aber Monkey Island 4 könnte man zu Gute halten, dass es den Massentourismus der heutigen Zeit anprangert. Ist natürlich nicht so mutig wie die Kritik am Umgang mit Kriegsveteranen im Song "Born in the USA".

Und ist The Legend of Zelda: Majorask Mask nicht mehr als ein Fantasy-Spiel, in dem ein Kind die Welt rettet? Da kann man ja auch ziemlich viel reininterpretieren, wenn man denn möchte. Als ich Melancholia von Lars von Trier im Kino gesehen haben, musste ich sofort an den Mond in Majorask Mask denken.

Wir kennen ja auch nur die Spiele im Westen, die meisten Titel im asiatischen Raum erscheinen nie hierzulande. Heute habe ich einen Artikel über die Spieleindustrie im Iran gelesen, von keinem der vorgestellten Spiele hatte ich vorher etwas gehört:
http://www.polygon.com/features/2016/1/ ... ry-of-iran
"The whole problem with the world is that fools and fanatics are always so certain of themselves, but wiser people so full of doubts."

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Albaster aka Jens
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Albaster aka Jens »

Joss hat geschrieben:
Edobar hat geschrieben:Spiele fassen zig unterschiedliche Kunstformen zusammen, und erschaffen daraus ein großes Ganzes. Ob das Ganze nun funktioniert oder nicht, sei dahingestellt. Kunst bleibt Kunst. Ob gute oder Schlechte.
Nein, Spiele fassen keine Kunstformen, sondern Gestaltungsformen zusammen. Zum Schluß bringst du es auf den Punkt, für dich ist das alles Kunst und weil alles Kunst ist, spielt alles weitere (z.B. sich Gedanken darüber zu machen, was Kunst ausmacht und warum Computerspiele eine Bedeutung als solche haben sollten) eigentlich gar keine Rolle.
Ich versuche es mal mit meinen Gedanken und Vorstellungen zu definieren, ohne mich jetzt z.B. in den zahlreichen oben genannten, sicher sehr interessanten Links eingelesen zu haben.

Kunst ist für mich auch eine Art Ausdrucksform. Ich möchte eigentlich, dass mir der Begriff Kunst etwas "erzählen" soll. Nehmen wir mal als Beispiel David Bowie, mir ist sehr daran gelegen, ihn als Künstler bezeichnen zu wollen. Seine Vorstellungen etwas zum Ausdruck zu bringen und damit erzählen zu wollen (oder auf irgend etwas anderes aufmerksam zu machen), zielt genau darauf ab, so wie ich Kunst zumindest im Ansatz definieren würde: Nicht möglichst viel verkaufen zu wollen, sondern "sein Ding" durchzuziehen. Ich glaube das kann man auch auf andere Medien außer der Musik ausweiten: Bücher, Filme, Bilder oder eben auch Computerspiele. Wenn jetzt ein Monkey Island 4 kritisch auf Massentourismus aufmerksam macht, ist das vielleicht eine kleine Nuance, also eine Feinheit, die aus MI4 aber keine Kunst im Sinne der Ausdrucksform macht, zumindest für mich. Klar, Spiele sind auch stets eine Ausdrucksform, sie wollen aber erstmal unterhalten und auch ein Mi4 hat immer noch das Ziel, sich möglichst oft zu verkaufen. Werden heute im TV Sänger gecastet, ist das ebenfalls keine Kunst, sondern Unterhaltung für den Massenmarkt um viel Geld zu verdienen. Künstler (wichtig: Als Begriff wie ich ihn definieren würde) haben nicht den Anspruch, viel Geld verdienen zu wollen, dies ist vielleicht eine Randerscheinung. Vielleicht sind auch deshalb so einige Maler die wir heute als "Meister" kennen (van Gogh oder C.D. Friedrich z.B.), erst nach ihrem Tode berühmt geworden. Letztendlich wird man Kunst auch nicht in eine Schublade stecken können, wie auch ich es manchmal gerne mache, bestimmte Anordnungen vorzunehmen. So wurde z.B. Life is Strange auf eine entsprechende Seite zum Adventure des Jahres 2015 gewählt und da kamen auch Bemerkungen, LiS sei ja gar kein "richtiges" Adventure, eben weil die Übergänge oft verschwimmen. Es gibt sicher Spiele und Versuche in diesen, Kunst (oder Kunstformen) ausdrücken zu wollen, doch diese sind nicht sehr zahlreich. Müsste ich jetzt ein Beispiel nennen, würde ich vermutlich "The Beginners Guide" nennen und Davey Wreden als Künstler bezeichnen. Tatsächlich werden viele Spiele künstlerische Nuancen haben, ich würde sie dennoch nicht als Kunstobjekt bezeichnen, sondern als Konsumprodukt. Es gibt wahrscheinlich auch Gerichte (also was zum Essen ;) ), welche man durchaus als Kunst bezeichnen darf, zu schade um sie einfach zu konsumieren. Darum: Kunst muss auch entsprechende Gefühle und andere Reaktionen auslösen können.

Dieser Artikel ist dazu recht interessant:
http://www.tonight.de/news/games/sind-v ... 1?page=all
Aber ab wann ist es Kunst? Hinter jedem Kunstwerk steckt ein kreativer Prozess, steckt ein Mensch, der etwas ausdrücken möchte. Eine Idee, einen Gedanken, ein Gefühl. Doch das allein reicht nicht. Es muss auch Betrachter, Zuhörer, Konsumenten geben, bei denen das Werk etwas auslöst. Angefangen von einfachen emotionalen Reaktionen wie „das ist aber schön“ bis hin zur Prüfung der eigenen Überzeugungen und der eigenen hervorgerufenen Gefühle. Kunst kann zur Selbstreflexion zwingen und einen Gedankengang anstoßen. Kunst kann eine Idee oder Vorstellung vermitteln. Auf eine Art, die über die bloße Erklärung hinausgeht – weil sie etwas erfahrbar machen, statt nur darüber zu berichten.

Und das, so der Autor des oben genanten Artikels, können auch Spiele, die für die Masse entwickelt werden und möglichst viel Geld einnehmen sollen. Und weiter:
Die Kunst entsteht durch Interaktivität. Was unterscheidet das von einem Computerspiel, in dem ich aktiv eingreife? Alles, was dort passiert, dreht sich um mich und was es bei mir auslöst. Es ist meine persönliche Erfahrung, es sind meine Gedanken und tiefgehenden Gefühle, die bleiben. In den besten Fällen habe ich etwas über mich gelernt und sehe die Welt ein wenig mit anderen Augen als zuvor. Und ist es nicht das, was Kunst ausmacht?

Kann Kunst also auch gut verkaufbare Massenwahre sein? Macht das meine Definition nicht hinfällig? Bedeutet "Kunst" also nicht für jeden etwas anderes?

Weitere Links:
Der Versuch, Spiele als Kunst zu definieren, entgrenzt und relativiert unseren Kunstbegriff. Das schadet dem Versuch, die unbestrittene Qualität von Videospielen in den Blick zu rücken.
http://www.theeuropean.de/soeren-heim/1 ... rt-sie-auf

Wir können auch Kunst
http://www.zeit.de/2012/50/Computerspie ... kler-Kunst

Fast genau vor sieben Jahren hatte der Deutsche Kulturrat gefordert: "Kunstfreiheit gilt auch für Computerspiele". Wir sind deshalb sehr erfreut, dass die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) in ihren gerade überarbeiteten Leitkriterien den künstlerischen Aspekt von Computerspielen explizit würdigt.
http://bildungsklick.de/pm/90141/usk-co ... unst-sein/

In der Sonderausstellung „Modell-Welten – Gemälde von Matthias Zimmermann“ präsentiert der Schweizer Künstler seine eigene Reflektion der Welt der Computerspiele. Seine Gemälde sind dabei eine Mischung aus Retro und Moderne, die den Betrachter durch die Zeit der Computerspiele reisen lässt.
http://blog.games-career.com/de/kunst-u ... immermann/
Jochen

Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Jochen »

Leonard Zelig hat geschrieben:Und ist The Legend of Zelda: Majorask Mask nicht mehr als ein Fantasy-Spiel, in dem ein Kind die Welt rettet? Da kann man ja auch ziemlich viel reininterpretieren, wenn man denn möchte. Als ich Melancholia von Lars von Trier im Kino gesehen haben, musste ich sofort an den Mond in Majorask Mask denken
Das ist ein schönes Beispiel, auch wenn ich das Spiel leider nur vom Über-die-Schulterschauen kenne. Bestimmt kann André dazu mehr sagen, der hatte ja ein N64 und ist im Allgemeinen der Nintendo-affinere von uns beiden.
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Joss
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Joss »

Leonard Zelig hat geschrieben:Da kann man ja auch ziemlich viel reininterpretieren, wenn man denn möchte.
Dass man aber viel reininterpretieren kann, spricht zunächst einmal für einen hohen Grad an Unbestimmtheit. Was zumindest für Lars von Trier-Filme nicht gilt, denn da kann man nur viel reininterpretieren, wenn man sich den Filmen nicht nähern möchte. Ich würde auch sagen, dass freie Assoziationen zunächst einmal wenig über die Produkte, sondern mehr über den Assoziierenden und seine Selektionen in der Wahrnehmung aussagen. Kunstfertigkeit besteht vor allem in der innerlichen Bestimmtheit eines Produkts und seiner Teile. Was nicht bedeutet, dass bei Verwendung von Archetypen oder tradierten Gegenständen nicht auch ein kultureller Bogen gespannt wird. Genre, Stoffe und Motive geben Raum, Ähnlichkeiten und Verwandschaften festzustellen. Ein kunstfertiges Produkt besticht dadurch, dass es in sich durchbestimmt ist und den Rezipienten einerseits nötigt sich als solcher zu verhalten, andererseits gibt es ihm außer sich Raum und Anlass, unterschiedliche Perspektiven mit Gewinn auf es einzunehmen.
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Nachtfischer
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Nachtfischer »

Was unbedingt noch angemerkt werden muss, ist, dass die Kunstform (meinetwegen gerne auch "das Handwerk") Game-Design einfach noch verdammt jung ist. Klar gibt es Spiele schon seit Menschengedenken und irgendjemand hat die sich schon immer ausgedacht, aber zu einer wirklichen Profession - inklusive Spezialisten, die sich mit nichts anderem als dem "Erschaffen von Regelwerken" beschäftigen, sowie der Entwicklung einer unterliegenden Theorie - hat sich das Fach erst in den letzten 10-15 Jahren entwickelt. Seitdem gibt es auch regelmäßig Literatur und wissenschaftliche Paper zum Thema, vorher (sprich 80er und 90er) nur sehr vereinzelt. Zumindest in Teilen lässt sich damit auch die Anbiederung beim bereits viel weiter gereiften Medium der Filme erklären. Über Musik, Malerei und Co. müssen wir im Vergleich übrigens kaum reden. Da laufen schließlich schon seit Hunderten und mehr Jahren Experten herum.

Auf der positiven Seite ist die Spielelandschaft allerdings momentan wohl so spannend wie nie zuvor, da sehr viele Entwicklungen in der Design-Theorie passieren, die in den nächsten 5-10 Jahren gigantische Auswirkungen haben werden. Ich für meinen Teil rechne damit, dass wir in dieser Zeit Titel vorgesetzt bekommen werden, die alle Spielsysteme, mit denen wir bislang in unseren Leben interagiert haben, mit Leichtigkeit in den Schatten stellen werden.
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Joss
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Re: Spiele und die fehlende Individualität

Beitrag von Joss »

Kunst und Fortschritt zu mischen, ergibt aber einen ziemlich kränklichen Homunculus. Die schöne Literatur war auch noch ziemlich jung, wie Homer "Odyssee" und "Ilias" schrieb. Auch der Stummfilm z.B. war eine eigene Kunstform (mit ihr eigenen Gestaltungsmitteln) und der Tonfilm kein Fortschritt daraus, sondern eine technische Entwicklung, die aufgrund des Marktes zur Verdrängung und Ablösung hinwirkten. Ich habe auch Zweifel, ob zunehmende Grafikpower oder VR den Computerspielen zu mehr künstlerischer Bedeutung verhelfen werden. Den einzigen großen Fortschritt sehe ich in der Diversifizierung des Spielemarktes durch Crowdfunding und Kickstarter, wodurch auch kleine Zielgruppen auf sie zugeschnittene Produkte beziehen können.

Selbst beim Unterhaltungswert würde ich vorsichtiger argumentieren, denn ein Mehr an Design wird kein Mehr an Spaß bedeuten. Das wird heute ja eher pervertiert. Früher hatte man mit den Spielen Spaß, heute braucht man Motivatoren und Kicks wie Achievements. Ich würde es eher begrüßen, wenn es einen kompletten Bruch mit dieser Entwicklungslogik gäbe. Sowohl mit der von VR (Realismus bedingt immer eine Sensibilisierung für dessen Grenzen) wie auch mit einem Design, das als Motivator für Spieler dienstbar wird, die immer mehr Action-Input und Feedback-Futter brauchen, die zu ihrem eigenen Tamagotchi werden.
Stick them with the pointy end.
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