Zum Thema: Berichterstattung als Kaufberatung vs echte Analyse

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MaxDetroit
Beiträge: 755
Registriert: 2. Sep 2021, 12:40

Zum Thema: Berichterstattung als Kaufberatung vs echte Analyse

Beitrag von MaxDetroit »

Nachdem ich den neuen Mailbag Podcast gehört habe: https://www.gamespodcast.de/2021/09/22/ ... ming-2031/

Will ich besonders auch nochmal zum Thema: "Warum funktioniert die Berichterstattung zu Spielen oft als Kaufberatung und nicht als Besprechung?" mein Feedback abgeben. Weil mich das Thema auch sehr beschäftigt, und ich sehe mir auch gerne Reviews und Analysen zu gesehenen Filmen rein, besonders auch bei den genannten Red Letter Madia und bei der Filmanalyse von Wolfgang M. Schmitt.
Ich habe genau das gleiche Problem wie ihr auch, da ich mir die Test und Reviews gerne nach dem Durchspielen des Games durchlesen möchte.

Dinge, von denen ich gerne mehr lesen oder hören würde:

1. Infos über das Entwicklerstudio
Bei einem Film wird auch erstmal über die Regie, Drehbuch und die Schauspieler geredet. Warum werden die Studios hinter dem Spiel immer so wenig beleuchtet? Da gibt es viele interessante Informationen die man durch das reine Spielen des Games nicht bekommen kann: Was hat der Entwickler alles schon für Spiele gemacht? Was ist die Historie? Wie groß ist das Team dahinter, wo sitzen die, wie lange war die Entwicklungszeit? War es Kickstarter, Early Access oder wie hat sich die Entwicklung des Spiels finanziert? Welche Engine wurde benutzt? Klar kann man vieles davon Googlen, aber ein Spielejournalist hat vielleicht sogar mal einen Entwickler oder Designer von dem Studio auf einer Messe getroffen oder hat sonst eine Anekdote zu dem Studio parat, so was will ich immer gerne hören, weil es mir mehr Background Infos zu dem Spiel gibt, das ich gerade gezockt habe. Und da können teils auch sehr interessante Geschichten bei rumkommen wie so ein Spiel überhaupt entstanden ist.

2. Erwartungshaltung
Wird auch regelmäßig unterschätzt. Ich würde gerne wissen mit welcher Erwartungshaltung der "Spieletester" oder die "Spieletesterin" da ran gegangen ist. Ihr macht das hier schon sehr gut im Podcast, großes Lob dafür, aber in vielen Spieleberichten vermisse ich das. Wurde das Spiel schon mal auf einer Veranstaltung zu Probe gezockt, war man bei Marketingevents, hat man Trailer gesehen? War man gehyped und hat dem Release Tag entgegengefiebert, oder hat man das Spiel so beiläufig irgendwo gefunden? Für mich ganz wichtig zu wichtig, wie jemand da ran gegangen ist, weil dann ist manchmal eine schlechte Beurteilung nachvollziehbarer, wenn man da mit großer Erwartungshaltung rangegangen ist (da ja auch gerne mal viel vom Marketing versprochen wird oder viral ein Hype von der Gaming-Community geschürt wird). Hier kann man dann auch mal eine kleine persönliche Geschichte über den Weg erzählen, wie man zum Spiel gefunden hat, auch wesentlich interessanter als das Aufzählen aller Waffen und Features die so ein Spiel hat.

3. Community des Games
Mir wird auch viel zu selten darüber berichtet was die Communities von Games so treiben. Selbst bei Singleplayer Games manchmal sehr interessant. Wie groß ist die Community, wie setzt sie sich zusammen, was sind so die Meinungen (z.B. auf dem reddit) zu dem Game? Gibt es Speedrunner, Events, bekannte Streamer, Turniere? Was sind so die gängigen Running Gags zu dem Spiel? Gab oder gibt es Shitstorms? Vielleicht sogar mal Kontakt zu den Hardcore Spielern aufnehmen und rausfinden was die dazu treibt dieses eine Spiel so exzessiv zu zocken. Z.B. finde ich die Berichte über EvE Online immer wieder mega-interessant was die Community da so treibt, manchmal sogar interessanter als das Game selber zu zocken. Da gibt es krasse Geschichten zu erzählen. Und ja, klar, bei einem Testbericht hat sich noch keine echte Community herausgebildet, aber manchmal findet man da doch mehr als man glaubt.

4. Gamedesign Analyse
Mir wird meist immer viel zu sehr die Story von Spielen besprochen, und ob die toll erzählt war oder die Charaktere sympathisch oder nicht ... für mich meist eher langweilig. Außer bei krass storybasierten Spielen (und da interessiert mich eher welche Entscheidungen ich treffen kann und ob die auch spürbare Auswirkungen haben), aber für eine echt gute Story schaue ich doch immer noch lieber eine gute Serie oder einen Film - bei Games interessiert mich das Gameplay - vom Core Loop bis zum Progression System. Aber leider wird viel zu wenig analysiert warum das Gamedesign funktioniert bzw. nicht funktioniert. Was sind vergleichbare Spiele, bei welchen Spielen hat man sich was abgeschaut? Was sind die größten Motivationsfaktoren in dem Game, bzw. Motivationskiller? Ist man an irgendwelchen Stellen hängen geblieben, z.B. ein besonders schwieriger Boss, oder gab es Durststrecken? An welcher Stelle hat der Tester aufgehört zu spielen? Gab es "Wow"-Momente auf die das Spiel hingearbeitet hat? Greifen die Systeme des Spiels nahtlos ineinander, oder gibt es Features die gefühlt nachträglich irgendwie drangeklebt wurden und wie Fremdkörper wirken? Besonders wichtig für mich: Wie war der empfundene Schwierigkeitsgrad (besonders im Vergleich zu anderen Games aus dem gleichen (Sub-)Genre)? Kannte der Tester sich in dem Genre aus, war also eher Profi, oder Anfänger? Und wie sind Schwierigkeitsgrade gebalanced? Ist das nur mehr Schaden und mehr Leben für die Gegner, oder gibt es da auf Hard und höher noch mehr zu entdecken? All das macht ihr sehr oft in euren Podcast, auch hier großes Lob dafür, aber da kann man gerne richtig tief reingehen. Hier darf für mich eine echte Analyse mit Spoilern stattfinden.

PS: Danke für's Lesen. :oops:
Otis
Beiträge: 1290
Registriert: 23. Mai 2021, 19:30

Re: Zum Thema: Berichterstattung als Kaufberatung vs echte Analyse

Beitrag von Otis »

MaxDetroit hat geschrieben: 22. Sep 2021, 16:291. Infos über das Entwicklerstudio
Sofern es für das besprochene Spiel von Relevanz ist, passt das. Allgemeine Infos gehören in ein Review eher nicht rein, wo es um das Spiel gehen soll. Kleinere Anekdoten wie von Dir beschrieben zum Einstieg oder zur Auflockerung zwischendurch fände ich allerdings schon nett; sollte dann aber auch ein Bezug zu spielrelevanten Aussagen geschaffen werden.
2. Erwartungshaltung
Sicherlich interessant, wenn das Spiel diese Erwartungen auf irgendeine Weise unterwandert oder die Erwartungshaltung ungewöhnlich war. (Noch nie ein Spiel dieses Genres gespielt, mochte den Vorgänger nicht, bestimmte Haltung zu im Spiel behandelten Themen o.ä.) Im Allgemeinen glaube ich aber nicht, dass die Erwartungshaltung an die meisten Spiele sonderlich erwähnenswert ist für ein Review und hoffe mal, dass fähige Kritiker einschätzen können, wann ihr persönlicher Hintergrund für den Leser interessant und wichtig ist, um seine Meinung einschätzen zu können.
3. Community des Games
Was will man darüber in einem Test denn groß schreiben, der üblicherweise vor, spätestens zum Release geschrieben wird? Welche Community hat denn ein noch nicht verfügbares Spiel? Selbst bei Multiplayer-Titeln kann es schwierig sein, deren Community-Aspekt vor Release einzuschätzen. Zumal da sicherlich interessante Geschichten lauern, aber wohl eher später und hat für mich auch nichts in einer Spielekritik zu suchen, eher in einem separaten Artikel, wenn das Spiel auch schon ein Weilchen hat leben können.
4. Gamedesign Analyse
Das auf jeden Fall. Weiß nur nicht, ob sich (auch) Spielekritiker tatsächlich so sehr mit Gamedesign auskennen, dass sie zu fundierten Analysen fähig sind, aber sowas gehört schon in ein Review. (Außer das Spiel macht jetzt nun wirklich gar nichts nennenswert anders als 0815, dann muss man auch nichts auseinanderpfriemeln.)

Also interessant fand ich z.B. in irgendeinem Test zu The Last of Us 2, wo eine bestimmte Szene als besonders lobenswert einfallsreicher "kaschierter Ladebildschirm" hervorgehoben wurde —
SpoilerShow
wenn man beim Ausritt mit Dina diese im Schneegestöber aus den Augen verliert und in einem kleinen Gebiet hin und her reitet, ehe sie wieder auftaucht und es weitergeht. Dachte erst, ist ja cool, habe ich gar nicht bemerkt, dass das eigentlich nur dazu da ist, den Spieler kurz festzuhalten. Interessant und ist ja auch wirklich eine nette Szene. Nur habe ich das dann ausprobiert und wenn man weiß, wo der Ausgang ist, kann man Dina sofort folgen und es geht ohne Pause oder sonstige Verzögerung weiter. Nicht mal der kurze Moment, in dem sie wieder auftaucht und einen zu sich ruft, wird abgespult.
Soviel dann zur Game-Design-Analyse. :mrgreen: Aber sowas sind Sachen, die ich schon wichtig und spannend zu besprechen finde, auch UI, unterbewusste Führung des Spielers und solche Sachen.

Obwohl andererseits vielleicht eine genaue Analyse nicht unbedingt sinnvoll ist, zumindest bevor man (der Leser) selber gespielt hat. Wer weiß, wie die Wurst gemacht wird, dem schmeckt sie am Ende nicht.


Also insgesamt, ja, alles interessante Themen, aber nicht alles unbedingt fürs Review relevant. Wobei's auch albern wäre, da Regeln aufzustellen, was kommt in einen Test und was nicht. Am Ende soll der Text gut geschrieben sein, dann kann mir der Kritiker von mir aus auch erzählen, was ihm auf dem Weg zum Geschäft passiert ist, als er sich das Spiel gekauft hat.
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Felidae
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Re: Zum Thema: Berichterstattung als Kaufberatung vs echte Analyse

Beitrag von Felidae »

Otis hat geschrieben: 11. Okt 2021, 18:25
MaxDetroit hat geschrieben: 22. Sep 2021, 16:291. Infos über das Entwicklerstudio
Allgemeine Infos gehören in ein Review eher nicht rein, wo es um das Spiel gehen soll.
Wobei dieser Ansatz grundsätzlich davon ausgeht, dass das Spiel im luftleeren Raum entstanden ist. Ein Ansatz, der Kritiker anderer Kulturgüter hochgradig irritieren würde. Wenn U2 ein neues Album rausbringt, wird in der Kritik im Zweifel natürlich Bonos Engagement thematisiert (allein schon wegen der Frage, ob sich Songtexte und Engagement zB widersprechen). Beim neuen King-Roman wird im Zweifel auf sein Alter, sein bisheriges Werk, seine frühere Sucht, seine politische Linie und seinen Unfall eingegangen. Bei einem Polanski-Film wird im Zweifel in der Kritik drinstehen, dass er seit Jahrzehnten die USA nicht mehr betreten hat und warum.

Kulturgüter werden von Menschen erschaffen - und ich würde es sehr begrüßen, wenn man im Rahmen der Rezeption auch über diese Menschen mehr erfahren würde. Nicht erst dann, wenn sie Frauen belästigen oder rechtsradikale Band-Shirts tragen.
Otis
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Re: Zum Thema: Berichterstattung als Kaufberatung vs echte Analyse

Beitrag von Otis »

Sage auch nicht, dass das nicht interessant oder wichtig ist, nur dass vielleicht ein Review eines einzelnen Spiels i.a. nicht ist, wovon ich solche Informationen erwarte. Wenn der Reviewer irgendwelche Hintergründe zum Studio oder Einzelpersonen hat, die für sein Spielerlebnis oder die Einordnung des Spiels von Bedeutung sind, kann das natürlich in die Kritik und auch sonst springe ich nicht schreiend aus dem Weg. Ich sage nur, dass ich sowas nicht von Reviews (!) fordere, insbesondere da es ja auch Vorteile hat, so etwas separat zu behandeln.
MaxDetroit
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Registriert: 2. Sep 2021, 12:40

Re: Zum Thema: Berichterstattung als Kaufberatung vs echte Analyse

Beitrag von MaxDetroit »

Felidae hat geschrieben: 12. Okt 2021, 12:32 Wobei dieser Ansatz grundsätzlich davon ausgeht, dass das Spiel im luftleeren Raum entstanden ist. Ein Ansatz, der Kritiker anderer Kulturgüter hochgradig irritieren würde. Wenn U2 ein neues Album rausbringt, wird in der Kritik im Zweifel natürlich Bonos Engagement thematisiert (allein schon wegen der Frage, ob sich Songtexte und Engagement zB widersprechen). Beim neuen King-Roman wird im Zweifel auf sein Alter, sein bisheriges Werk, seine frühere Sucht, seine politische Linie und seinen Unfall eingegangen. Bei einem Polanski-Film wird im Zweifel in der Kritik drinstehen, dass er seit Jahrzehnten die USA nicht mehr betreten hat und warum.

Kulturgüter werden von Menschen erschaffen - und ich würde es sehr begrüßen, wenn man im Rahmen der Rezeption auch über diese Menschen mehr erfahren würde. Nicht erst dann, wenn sie Frauen belästigen oder rechtsradikale Band-Shirts tragen.
Ich lese ja nicht nur Videospiel-Rezensionen sondern höre z.B. gerne jede Woche Klaus Fiehe zu, der dem Musikjournalismus zuzuordnen ist oder Wolfgang M. Schmitt mit seiner Filmanalyse. Dabei ist es interessant zu hören wer den Film gemacht hat, in welchem Kontext er entstanden ist und wie er z.B. eine Weiterentwicklung früherer Projekte des Regisseurs ist. Und bei Musik gehört das Charisma und Auftreten des Künstlers natürlich mit dazu und das kann man schwer von dem Gesamtkunstwerk trennen, besonders wenn es um Konzerterlebnisse geht. Bei Spielen wird der Entwickler dagegen meist vollkommen ausgeklammert - wobei es hier gerade bei kleineren Indie-Spielen oder bei neuen Projekten von alten Hasen interessant ist wer dahinter steckt.
KingMorta
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Registriert: 25. Okt 2020, 20:49

Re: Zum Thema: Berichterstattung als Kaufberatung vs echte Analyse

Beitrag von KingMorta »

Vielen Punkten hier kann ich durchaus zustimmen und zwar in der Hinsicht, dass ich mir persönlich wünschen würde, dass eine Spieleanalyse wirklich mehr in dem analytischen Feld stattfindet und weniger eine Nacherzählung von Features, Mechaniken ist. Ich finde in Zeiten von Videos und Co. brauche ich das wirklich nicht mehr, obwohl ich damals gerne immer wieder die Testes mit den Beschreibungen gelesen habe. Dieses Konzept finde ich aber persönlich mittlerweile überholt. Viele Medienschaffende entwickeln ein enormes Wissen über Spiele, Mechaniken, Studios, Funktionsweise von Medienunternehmen, Wirkungspsychologie usw. warum dieses Wissen nicht und diese Kompetenzen nicht einbringen.

Auch Punkte wie z.B. potenzielle Einflüssen können dort gerne ihren Platz finden und dort sind ja ebenfalls schon Ansätze vorhanden. "Das ist ja wie Spiel XY" Wie meine Vorredner ja ebenfalls schon angemerkt haben, haben alle Produkte Quellen der Inspiration, wie es ja z.B. auch die Theory of Remix aufführt.

Auch eine Erwartungshaltung, welche z.B. auch durch Communitys geprägt sein kann, kann/sollte bei einer Besprechung eines Spiels in der öffentlichen Wahrnehmung eine Rolle spielen. Wenn ich z.B. eine Gehaltserhöhung erwarte, meine Chef mir aber keine gibt, dann bin ich vermutlich enttäuscht und sauer auf den Chef die Firma, wenn ich dann noch in einer toxischen Firmenkultur unterwegs bin, in der diese Gedanken z.B. auf fruchtbaren Boden fallen, dann arbeite ich vielleicht auch irgendwann aktiv gegen meine Firma.

Summa summarum: Ich würde eine tiefergehende oder gesamtheitliche, übergreifende Analyse der Spiele begrüßen.
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