Dem würde ich deutlich widersprechen wollen. Zum einen gab es hierzu längst Entscheidungen, nämlich die im Eilverfahren. Die "Bundesnotbremse" wurde am 22. April 2021 verabschiedet. Die erste Eilentscheidung zu den nächtlichen Ausgangssperren kam bereits am 5. Mai (Beschluss im Volltext; Bericht bei LTO), zu vielen weiteren Aspekten der "Bundesnotbremse" gab es dann weitere Eilentscheidungen am 20. Mai (Beschluss im Volltext; Bericht bei LTO).Jochen Gebauer hat geschrieben: ↑30. Nov 2021, 13:23 Das Verfassungsgericht gibt leider ein trauriges Bild ab. Wenn ein Rechtsstaat elementare Grundrechte einschränkt oder aufhebt, dann hat ein Verfassungsgericht die Legitimität dieser Maßnahmen nicht erst Monate später festzustellen. Dass das jetzt wie ein nachträglicher, regierungskonformer Blanko-Scheck aussieht, hat sich das Gericht selbst zuzuschreiben - es ist nämlich einer. Das Versagen des Verfassungsgerichts in dieser Situation ist für mich nach wie vor die erschreckendste politische Entwicklung der ganzen Pandemie. Hier hat sich ein fundamentales Werkzeug der Demokratie freiwillig selbst ausgeschaltet. Auch wenn ich mit Lockdowns et al voll d'accord gehe, das Verfassungsgericht unter Harbarth ist eine reine Karrikatur. War bei der Vita aber eh nicht anders zu erwarten ...
Das hat also keinen Monat gedauert, bis da eine grundsätzliche Entscheidung schonmal getroffen war: Es ist verfassungsrechtlich unerträglich was hier passiert? Müssen wir das sofort aussetzen? Oder ist es in Ordnung sich hier die Zeit zu nehmen und es im Detail zu machen und solange weiter laufen zu lassen? Oder vereinfacht und platt formuliert, was wäre schlimmer: Jetzt die Maßnahmen beenden und hinterher merken, dass die doch okay waren, oder jetzt weiterlaufen lassen und hinterher merken, dass die doch nicht okay waren?
Denn dass da eine Hauptentscheidung nicht innerhalb von einem Monat kommen kann halte ich weder für verwunderlich, noch für notwendig. Denn zum einen müssen die Verfahrensbeteiligten ja die Chance haben, sich dazu zu äußern. Wenn man sich die heutigen Entscheidungen anschaut (hier im Volltext zu den Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sowie hier im Volltext zu den Schulschließungen) sieht man z.B., dass allein die Randnummern 51 - 82 bzw. 14 - 23 sich mit den Stellungnahmen von Äußerungsberechtigten und sachkundigen Dritten befassen. Die müssen angeschrieben werden mit einem durchaus umfassenden Fragenkatalog und dann auch die Chance haben, darauf substantiiert zu antworten. Das geht nicht in wenigen Tagen. Es ist aber zugleich notwendig, damit das BVerfG seine Entscheidung aufgrund von wissenschaftlich fundierten Fachkenntnissen treffen kann und nicht nur anhand von dem, was die Richter:innen sich selbst haben anlesen können. Die Süddeutsche hat einen ganz guten Beitrag dazu verfasst, was das BVerfG sich da teilweise für enorme Mühen macht, was für Fragen es geklärt haben will und wen es so anfragt. Das sind die Fragen zu dem Verfahren über die Schulschließungen, wo z.B. auch entwicklungspsychologische Fragen gestellt werden oder es mit darum geht, ob Kindern möglicherweise Schutzräume vor Misshandlungen im familären Umfeld entzogen werden könnten etc.
Dann kommen natürlich noch so Sachen dazu wie die Tatsache, dass das BVerfG erst noch darüber hat entscheiden müssen, ob ggf. manche ihrer Richter:innen in dem Verfahren befangen sind (Volltext der Entscheidung). Auch das frisst natürlich Zeit und muss geschehen, bevor die Hauptsache entschieden wird.
Insgesamt ist es natürlich nicht super geil, wenn zwischen einer Maßnahme und der Entscheidung des BVerfG in der Hauptsache dazu gut sieben Monate ins Land ziehen. Aber ehrlicherweise ist das schon verdammt schnell dafür, was da geleistet wird. Dass man bei Verfassungsbeschwerden normalerweise eher so um die zwei Jahre auf eine Reaktion des BVerfG warten muss ist natürlich kein toller Zustand. Aber ich habe sehr viel lieber ein Gericht, dass sich in den Hauptsacheentscheidungen viel Mühe macht und dabei dann etwas länger braucht, als im Gegensatz dazu mehr "Schnellschüsse". Die Möglichkeit von Eilentscheidungen gibt es weiterhin. Das halte ich daher auch für insgesamt ausreichend.
Dass ich mit Harbarth nichts anfangen kann und ihn vielleicht nicht so gerne als Präsident des BVerfG sehe ist dafür eine ganz andere Frage. Insbesondere ist aber weder das Entscheidungstempo generell noch die allgemeine Ausrichtung des BVerfG dessen "Schuld". Ich sehe nicht, dass jemand anderes auf dem Posten hier an dieser Stelle irgendetwas geändert hätte.