COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

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Cthalin
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Cthalin »

Santiago Garcia
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Santiago Garcia »

Rigolax hat geschrieben: 24. Jan 2022, 20:27
Santiago Garcia hat geschrieben: 24. Jan 2022, 19:10 Ich glaube auch, dass Steuern Raub sind. Und wenn ich sie nicht zahle, komme ich ins Gefängnis, man sollte also statt Steuerpflicht eher von Steuerzwang sprechen.
Ja. Ich würde niemanden dafür kritisieren, von Steuerzwang statt Steuerpflicht zu sprechen und ich habe philosophisch nichts gegen die Phrase "taxation is theft" einzuwenden. Es entspricht nicht meiner politischen Position, da ich nicht derart libertär bin -- lediglich in kulturellen, nicht wirtschaftlichen Fragen habe ich libertäre Tendenzen. Philosophisch lehne ich solche "language games" allerdings grundsätzlich ab.
Das Philosophieren ist dir natürlich unbelassen, aber weder das Finanzamt noch irgendein Richter wird sich von der Argumentation beeindrucken lassen.

Und das ist auch gut so - wollten wir allen Ernstes subjektives Empfinden zum Maßstab machen, müssten wir auch Reichsbürger ernst nehmen.
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HerrReineke
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von HerrReineke »

Rigolax hat geschrieben: 24. Jan 2022, 14:09 Es gab die Tage beim Verfassungsblog einen Kommentar von Ute Sacksofsky: https://verfassungsblog.de/allgemeine-i ... s-problem/ "Allgemeine Impfpflicht – ein kleiner Piks, ein großes verfassungsrechtliches Problem".
Es gibt an dieser Sichtweise aber auch sehr harsche Kritik, z.B. auch direkt im Verfassungsblog durch Klaus Gärditz: Grundrechtsdogmatik auf dem Jahrmarkt der Wahrheiten?
Letztlich wird von Ute Sacksofsky ein grundrechtsdogmatischer Radikalrelativismus gepredigt, der dann allen Menschen zugesteht, ihre persönlichen Wahrheiten auf Kosten anderer zu pflegen – eine Ellenbogen-Esoterik der Selbst-Empfindsamen. [...] Das Modell demokratischer Egalität wird so verzerrt zum konstruktivistischen Wunderland der tausend individuellen Wahrheiten. Wechselseitige Anerkennung in Gleichheit und Freiheit bedeutet jedoch nicht, radikalrelativistisch jeden Unsinn in Abwägungen auch als gleichwertig zu behandeln, nur weil man ihn als Meinung vertreten darf. [...] Rationale Gründe, einen Grundrechtseingriff nicht dulden zu wollen, haben daher in der Abwägung ein höheres Gewicht als Humbug. Unfug ist nicht einfach nur eine Standpunktfrage.
Aus einer rein persönlichen Sicht würde ich mich über eine allgemeine Impfpflicht sehr freuen, aus (grund-)rechtlicher Perspektive fände ich eine gestaffelte Impfpflicht (insb. Tätigkeits- und Altersspezifisch) ggf. für "ausreichend". Bin jedenfalls sehr gespannt auf die kommenden Diskussionen gerade im Bundestag zu dem Thema. Und dann natürlich anschließend in der juristischen Fachwelt und vor den Gerichten.
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Santiago Garcia
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Santiago Garcia »

Wechselseitige Anerkennung in Gleichheit und Freiheit bedeutet jedoch nicht, radikalrelativistisch jeden Unsinn in Abwägungen auch als gleichwertig zu behandeln, nur weil man ihn als Meinung vertreten darf. Geschichtswissenschaft begegnet nicht dem Holocaust-Leugner auf Augenhöhe; Esoterik, Astrologie oder Parapsychologie liefern keine gleichberechtigten Begründungen für Entscheidungen wie ernsthafte Wissenschaft, die ihre Erkenntnisse nicht auf gefühlte Wahrheit, sondern auf Evidenz und ggf. auf intersubjektive experimentelle Überprüfbarkeit stützen kann. Rationale Gründe, einen Grundrechtseingriff nicht dulden zu wollen, haben daher in der Abwägung ein höheres Gewicht als Humbug. Unfug ist nicht einfach nur eine Standpunktfrage.
:clap:
GoodLord
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von GoodLord »

Also ich bin inzwischen der Meinung, dass eine allgemeine Impfpflicht zum derzeitigen Zeitpunkt in der Tat nicht verhältnismäßig ist *). Würde mir aber trotzdem wünschen, dass die Politik ein (oder mehrere) tragfähiges Konzept ausarbeitet, dass sich bei Bedarf dann relativ schnell umsetzen lässt.

Ich finde aber die Ansicht, dass für die Verhältnismäßigkeit von Gesamtgesellschaftlichen Regeln, das persönliche, subjektive Empfinden einzelner Individuen Maßgeblich sein soll sehr befremdlich. Das klingt so, als ob damit der willkürliche Blockade von beliebeigen Gesetzten durch "besorgte Bürger" Tür und Tor geöffnet würde.

*) Ist aber nur auf dem subjektiven Eindruck/Vermutung begründet, dass nicht klar ist, ob einerseits die Omikronwelle überhaupt so schlimm für das Gesundheitssystem wird und andererseits eine Impfpflicht das übhaupt noch verhindern/signifikant beeinflussen kann (Aufgrund der Verzögerung bis sie greift und der reduzierten Wirksamkeit der momentanen Impfstoffe).Ich bin trotz meiner persönlichen Meinung zum Thema froh, dass ich darüber und Generell über die Verhältnismäßigkeit/Abwägung von Rechtsgütern nicht Entscheiden muss.
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limericks
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von limericks »

GoodLord hat geschrieben: 25. Jan 2022, 10:00 Also ich bin inzwischen der Meinung, dass eine allgemeine Impfpflicht zum derzeitigen Zeitpunkt in der Tat nicht verhältnismäßig ist *).
Ich denke, dass es den perfekten Zeitpunkt, um eine allgemeine Impfpflicht einzuführen, nicht gibt. Man wird immer entweder zu früh oder zu spät sein. Die Frage ist, was ist einem lieber?
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von GoodLord »

Rigolax hat geschrieben: 24. Jan 2022, 17:43 Weil schräge Analogien schön sind: Man stellt sich vor, es herrscht potentiell existenzbedrohender Krieg, das eigene Land ist nach gängiger nationaler Meinung nicht der Aggressor, es herrscht allgemeine Wehrpflicht und es gibt nicht hinreichend Freiwillige/Berufssoldaten. Nun entzieht man sich, obwohl man physisch als wehrdiensttauglich eingestuft wird, der Wehrpflicht mit vorgeschobenen Gewissensbegründungen, hat aber tatsächlich einfach nur (hier sogar berechtigt) Angst vor dem Kriegsdienst. Ist das dann eine moralisch verwerfliche Entscheidung, ein im Kant'schen Sinne Verstoß gegen den kategorischen Imperativ? Offenbar schon. Also kann Kriegsdienst zu leisten moralisch verpflichtend sein. Das wirkt auf uns moderne Gesellschaft aber absurd, denn wieso sollte man mich als autonomes Individuum verpflichten können potentiell zu sterben oder zumindest großes Leid zu erfahren, wenn ich davon nicht persönlich überzeugt bin? Das Argument wäre dann, weil es nicht anders geht, aber ist der Punkt schon erreicht, bei der Impfpflicht? Und ja, der Vergleich hinkt, aber das subjektive Empfinden ist wohl bei einem signifikante Teil (ca. 5%?) nicht unvergleichbar.
Auch wenn ich befürchte, dass eine Antwort auf diese doch recht abstruse Analogie die Diskussion auf ein Seitengleis führt: Egal ob Wehrdienst, Steuern oder Impfpflicht: Ich möchte und habe davon profitiert Teil einer Solidargesellschaft zu sein (z.B. .Sicherheit, Bildung, Infrastruktur, Absicherung gesudheitlicher Risiken) und daraus ergibt sich ein Recht dieser Solidargemeinschaft auch von mir eine Gegenleistung zu fordern, egal ob mir die einzelnen Regeln passen oder nicht. Diesen Pakt mit der Gesellschaft gibt es halt nur als Gesamtpaket.

Die Frage ist imho nicht, ob eine abstrakte Gesellschaft grundsätzlich von einem Mitglied der Gesellschaft fordern darf, der es sich gegen seinen Wunsch impfen lässt. Die würde ich ohne zu zögern mit Ja beantworten.
Sondern ob unsere konkrete Gesellschaft im Rahmen unseres Grundgesetzes, in dieser konkreten Lage, mit den existierenden technischen, medizinische, organisatorischen und politischen Rahmenbedingungen der Meinung ist, dass eine wie auch immer konkret ausgestaltete Impfpflicht eine gerechtfertigte Erweiterung des Gesellschaftsvertrags ist.
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von GoodLord »

limericks hat geschrieben: 25. Jan 2022, 10:22
GoodLord hat geschrieben: 25. Jan 2022, 10:00 Also ich bin inzwischen der Meinung, dass eine allgemeine Impfpflicht zum derzeitigen Zeitpunkt in der Tat nicht verhältnismäßig ist *).
Ich denke, dass es den perfekten Zeitpunkt, um eine allgemeine Impfpflicht einzuführen, nicht gibt. Man wird immer entweder zu früh oder zu spät sein. Die Frage ist, was ist einem lieber?
Wenn dem wirklich so ist, ist die Antwort vielleicht: Dann wird sie halt nie eingeführt.

Persönlich bin ich der Meinung, dass im letzten September/Oktober/November ein sehr guter Zeitpunkt gewesen wäre um sie einzuführen - also nicht um erst mit der Diskussion darüber anzufangen, sondern sie einzuführen. Und je nach Stand der Wissenschaft, Impfstoffforschung und unserer Erfahrung mit Omikron wird auch in diesem Sommer/Herbst wieder ein guter Zeitpunkt sein.
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von GoodLord »

Mal ein ganz anderer steiler Vorschlag: Wie wäre es wenn ungeimpfte (zumindest ab einem bestimmten Alter) einen Zuschlag zur Krankenversicherung zahlen müssten. Wäre das eurer Meinung nach besser/schlechter als eine Impfpflicht?
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Textsortenlinguistik
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Textsortenlinguistik »

GoodLord hat geschrieben: 25. Jan 2022, 11:25 Mal ein ganz anderer steiler Vorschlag: Wie wäre es wenn ungeimpfte (zumindest ab einem bestimmten Alter) einen Zuschlag zur Krankenversicherung zahlen müssten. Wäre das eurer Meinung nach besser/schlechter als eine Impfpflicht?
Soll die Impfflicht nicht zeitlich befristet werden? Kann mir nicht vorstellen, dass man in der endemischen Phase eine Impfflicht legitimiert bekommt, dann spräche ja auch nichts gegen eine Grippe-Impfpflicht.
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HerrReineke
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von HerrReineke »

GoodLord hat geschrieben: 25. Jan 2022, 11:25 Mal ein ganz anderer steiler Vorschlag: Wie wäre es wenn ungeimpfte (zumindest ab einem bestimmten Alter) einen Zuschlag zur Krankenversicherung zahlen müssten. Wäre das eurer Meinung nach besser/schlechter als eine Impfpflicht?
Das finde ich eher kompliziert umzusetzen, da die Krankenkassen dann von allen ihren Versicherten den entsprechenden Impfstatus erheben und speichern müssten. Gleichzeitig wäre die Frage, wie lange die Erhöhung gilt: Ab der Einführung so lange, wie es Sars-Cov-2 gibt? Begrenzt auf ein paar Jahre?

Einen Vorschlag in eine ähnliche Richtung den ich schonmal gehört habe und nicht gänzlich abwegig finde ist es, dass Leute die freiwillig auf eine Impfung verzichtet haben und in der Folge stark erkrankt sind und daher entsprechende Behandlungskosten angefallen sind, diese Behandlungskosten (teilweise) zurückgefordert werden bzw. sich die Person daran angemessen beteiligen muss (vulgo: finanzstarke Personen würden auch mehr Eigenbeteiligung auferlegt bekommen).
Das wäre insofern praktikabler, da nicht von allen der entsprechende Status festgestellt werden muss. Auch wäre es "gerechter", da es für finanzstarke Personen bei Bußgeldern im Zusammenhang mit einer Impfpflicht oder bei pauschalen Erhöhungen der Sozialversicherungs-Beiträge immer weniger Probleme zum "Freikaufen" gibt als bei finanzschwächeren Menschen, für die daher die Zwangswirkung entsprechend höher wäre. Hier könnte und sollte die Beteiligung aber mit an der Finanzkraft orientiert werden. Darüber hinaus gibt es tatsächlich ein konkretes Vorbild für die Regelung, nämlich § 52 SGB V - Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden. Unser Rechtssystem kennt also bereits die Eigenbeteiligung bei "Selbstverschulden". Und diesen Gedanken finde ich bei dem freiwilligen Verzicht auf eine sichere Impfung grundsätzlich im Kern übertragbar.
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Santiago Garcia
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Santiago Garcia »

Mir ist ja viel eher daran gelegen, dass weniger Leute stark erkranken. Und nicht so viel daran, die Erkrankten nachträglich zu bestrafen.
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Felidae
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Felidae »

Santiago Garcia hat geschrieben: 25. Jan 2022, 12:24 Mir ist ja viel eher daran gelegen, dass weniger Leute stark erkranken. Und nicht so viel daran, die Erkrankten nachträglich zu bestrafen.
Das ist schon richtig. Allerdings haben wir es derzeit nunmal mit der Situation zu tun, dass wir eine real existierende Krise haben, gegen die sich eine bestimmte Menge Mensch aufgrund von irrationalen Sorgen nicht schützen will, obwohl sie könnte. Insofern könnte ein Lösungsansatz tatsächlich darin bestehen, diese Menge Mensch zumindest hinterher zur Verantwortung zu ziehen. Dann müsste der Impfstatus allerdings auch im Falle einer Triage eine Rolle spielen - und das ganze lässt natürlich außen vor, dass auch diese Lösung wieder auf dem Rücken der Pflegekräfte stattfinden würde. Weshalb ich persönlich mittlerweile die radikale Variante bevorzugen würde: Wer sich impfen lassen könnte, aber nicht will, bleibt, wenn Corona wider Erwarten doch existieren sollte, nicht nur eine Grippe sein sollte und das eigne Immunsystem wider Erwarten doch nicht damit klarkommen sollte, auch schön brav im eignen Bett - und guckt halt, wie es nach paar Wochen so aussieht. Aber klar, diese Variante wird nie passieren.
Rigolax
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Rigolax »

Santiago Garcia hat geschrieben: 25. Jan 2022, 07:03 Das Philosophieren ist dir natürlich unbelassen, aber weder das Finanzamt noch irgendein Richter wird sich von der Argumentation beeindrucken lassen.

Und das ist auch gut so - wollten wir allen Ernstes subjektives Empfinden zum Maßstab machen, müssten wir auch Reichsbürger ernst nehmen.
Ach so, ging es wirklich darum, dass potentiell jemand sich der Steuerzahlpflicht entziehen könnte, weil er das Zahlen von Steuern für Zwang hält und Nicht-Zahlen mit Strafe bedroht ist? Na ja, da sehe ich noch erhebliche Unterschiede.

Reichsbürger vertreten eine extrem idiosynkratische Rechtsinterpretation, die von allen gängig intersubjektivierten Maßstäben extrem abweicht, aber -- und jetzt wird's irritierend --, ich glaube nicht, dass man deren Ansichten wirklich falsifizieren kann, weil Rechtswissenschaft keine wirkliche "Wissenschaft" ist. Damit will ich keineswegs sagen, dass Reichsbürger "Recht" haben aus meiner Sicht, aber wir argumentieren hier in Dimensionen, wo "richtig" und "falsch" schwer zu erfassen sind, weil sie keine empirischen Phänomene beschreiben, keine naturwissenschaftlichen Phänomene. Man kann argumentieren, dass Rechtsauslegung zumindest teilweise wie Mathematik ist (im Kant'schen Sinne vielleicht "synthetische Urteile a priori"?), bei den "großen" Fragen ist dann aber doch meines Erachtens sehr viel wiggle Room. So ähnlich schätze ich auch Phrasen wie "taxation is theft" ein. Das ist für mich so ähnlich wie zu behaupten, jeder Soldat sei Mörder (https://de.wikipedia.org/wiki/Soldaten_sind_M%C3%B6rder).

Mal als Beispiel, klingt Folgendes wie Reichsbürgersprech: "das Völkerrechtssubjekt 'Deutsches Reich' [ist] nicht untergegangen und die Bundesrepublik Deutschland [ist] nicht sein Rechtsnachfolger, sondern mit ihm als Völkerrechtssubjekt identisch". (Das ist eine Antwort der Regierung im dritten Merkel-Kabinett auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke gewesen: https://www.bundestag.de/webarchiv/pres ... 964-380964 'Die Abgeordneten hatten sich unter anderem nach der „These von der Fortexistenz des Deutschen Reiches“ erkundigt und gefragt, ob die Bundesregierung diese als öffentlich als unhaltbar zurückweisen werde, „damit diese Behauptung nicht von Neonazis und der so genannten Reichsbürgerbewegung für ihren Gebietsrevisionismus gegenüber den EU-Nachbarländern instrumentalisiert werden kann“'.)
Rigolax
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Rigolax »

HerrReineke hat geschrieben: 25. Jan 2022, 08:39 Es gibt an dieser Sichtweise aber auch sehr harsche Kritik, z.B. auch direkt im Verfassungsblog durch Klaus Gärditz: Grundrechtsdogmatik auf dem Jahrmarkt der Wahrheiten?
Den Artikel sah ich nach meinen Postings, erschien iirc etwas danach, hätte ich for the sake of it ggf. noch selbst gepostet, dachte ich mir (wirklich) gestern; hätte ich vor allem gepostet, um mich über meines Erachtens einige Ergüsse dort auszulassen. Etwa:

"Dass der Integritätsanspruch des eigenen Körpers nicht unantastbar, sondern gemeinwohlorientierten Einschränkungen zugänglich ist, zeigt bereits Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG" und "Auch diejenigen, die sich vernünftig verhalten, aber möglicherweise (z. B. aufgrund einer anderweitigen Erkrankung wie Krebs) der Triage zum Opfer fallen, weil zu viele rücksichtslos die Unberührbarkeit eigener Körperlichkeit in den Vordergrund gestellt haben und die Intensivstationen verstopfen, haben aber Grundrechte, die zu schützen ebenfalls nicht primär Kollektiv-, sondern Individualinteressen dient." (fett von mir)

Das bin wohl wieder eher ich und juristisch sind die Ausführungen wohl nicht zu monieren, auch irgendwie erfrischend ehrlich und ich schätze allgemein den teils edgelordigen Duktus des Autors[1], aber ich kann mit solchen Aussagen nur schwer copen. Dass der "Integritätsanspruch des eigenen Körpers" "gemeinwohlorientierten Einschränkungen" "zugänglich" sei, uhh. Da bin ich doch eher bei The Satanic Temple: "One's body is inviolable, subject to one's own will alone." (https://en.wikipedia.org/wiki/The_Satanic_Temple#Tenets).

[1] Etwa hier, Auslassungen über manche linke Strömungen: "Das gehört zur Rhetorik einer Subkultur, deren Esoterik, kruder Historismus, gruppenbezogener Essentialismus und Postmodernismus immer häufiger Höckereden mit Gender-Sternchen irritierend nahekommt." https://verfassungsblog.de/beobachtung-der-afd/
GoodLord hat geschrieben: 25. Jan 2022, 10:31
Rigolax hat geschrieben: 24. Jan 2022, 17:43 Weil schräge Analogien schön sind: (...)
Auch wenn ich befürchte, dass eine Antwort auf diese doch recht abstruse Analogie die Diskussion auf ein Seitengleis führt: Egal ob Wehrdienst, Steuern oder Impfpflicht: Ich möchte und habe davon profitiert Teil einer Solidargesellschaft zu sein (z.B. .Sicherheit, Bildung, Infrastruktur, Absicherung gesudheitlicher Risiken) und daraus ergibt sich ein Recht dieser Solidargemeinschaft auch von mir eine Gegenleistung zu fordern, egal ob mir die einzelnen Regeln passen oder nicht. Diesen Pakt mit der Gesellschaft gibt es halt nur als Gesamtpaket.
(...)
Soll sich "Pakt" hier auf den sogenannten Gesellschaftsvertrag bzw. die sog. Vertragstheorie beziehen? https://de.wikipedia.org/wiki/Vertragstheorie Das Thema sprach ich schon mal, länger her, an, zweiter Absatz: viewtopic.php?f=5&t=5651&p=192068&hilit ... ag#p192068 "ein interessantes Konzept [...], weil man einen solchen 'Vertrag' bei seiner Geburt nicht unterschreibt und auch nicht zustimmen könnte, wenn man wollte, man sich auch nicht aussuchen kann, welchen Vertrag man aufgelegt bekommt, auswandern (und damit einen neuen Vertrag aussuchen) faktisch ein Privileg weniger ist (noch mehr während einer Pandemie)". -- Ich wäre dann ja weder der erste oder letzte, der Kritik an der sog. Vertragstheorie äußert. Die findet man auch schon bei David Hume etwa.

(Was ich mir noch überlegte in Bezug auf Kriegsdienst und Kants kategorischen Imperativ: Man könnte argumentieren, dass alle potentielle Soldaten die Pflicht haben, nicht Kriegsdienst zu leisten. Das ginge dann in Richtung des Songs "universal soldier": https://www.youtube.com/watch?v=UC9pc4U40sI "He's the one who gives his body as a weapon of the war /And without him all this killing can't go on / He's the Universal Soldier and he really is to blame" -- Das halte ich aber für ein wenig albern, wenn eine andere Gesellschaft etwa der Aggressor ist oder als dieser gilt und man selbst davon überzeugt wäre, d.h. die anderen Soldaten, des Feindes, hätten die Pflicht ihre Waffen niederzulegen, nicht man selbst.)
Rigolax
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Rigolax »

Felidae hat geschrieben: 25. Jan 2022, 12:39 Weshalb ich persönlich mittlerweile die radikale Variante bevorzugen würde: Wer sich impfen lassen könnte, aber nicht will, bleibt, wenn Corona wider Erwarten doch existieren sollte, nicht nur eine Grippe sein sollte und das eigne Immunsystem wider Erwarten doch nicht damit klarkommen sollte, auch schön brav im eignen Bett - und guckt halt, wie es nach paar Wochen so aussieht. Aber klar, diese Variante wird nie passieren.
Wird auch nicht passieren, ist nämlich (faktisch) sozialdarwinistisch, aus folgenden Gründen:

"was ist mit Leute[n], die das haben, was man gemeinhin als "psychische Störung" bezeichnet; Leute mit starken relevanten Phobien; solche, die schon nur bedingt als zurechnungsfähig gelten können und auch etwa beginnende Demenz. Man müsste ggf. auch fragen, was mit Leuten ist, für die kategorisches Nicht-Impfen Teil einer "Weltanschauung" ist wie im Kontext der Anthroposophie (https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesel ... t-100.html) -- natürlich eine sehr fragwürdige Weltanschauung. Wie ist es allgemein zu werten, wenn Leute regelrecht "indoktriniert" sind.

[...] Inwiefern ist eine Person grundsätzlich für ihre Dummheit zu Verantwortung zu ziehen? Ich las vor kurzem im Kontext der Impfpflicht einen Tweet eines eher kleinen Streamers (daher verlinke ich den auch nicht, würde eher ablenken und war ggf. auch schlecht formuliert von ihm, Twitter halt), wonach die Solidar- und Sozialgesellschaft für die Kranken und Schwachen sei, aber nicht für die Dummen. Das fand ich so (Twitter-typisch) pauschal recht gruselig. Was ist denn "Dummheit", egal ob akut oder chronisch, wenn nicht zumindest stark determiniert durch Faktoren, für die man nichts kann: genetische, soziale, systemische Faktoren?"

viewtopic.php?p=193718#p193718

Damit entledigen "wir" uns faktisch einen Teil der Schwachen, der Dummen, auch der politisch Unbequemen. In der Gesellschaft würde ich dann aber auch nicht mehr leben wollen.
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Edelknödel »

Man muss es halt etwas anders formulieren. Die Solidargemeinschaft ist für die Kranken und Schwachen (und Dummen), aber nicht für die, die selbst aus freiem Willen unsolidarisch sind. Diese Leute sind wie ein Krebsgeschwür für unsere Gesellschaft. Profitieren selbst zwar von der Solidargemeinschaft fügen dieser aber aktiv Schaden zu. So ein Verhalten sollte noch viel stärker geächtet und bestraft werden.
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von bluttrinker13 »

Rigolax hat geschrieben: 25. Jan 2022, 14:48
Damit entledigen "wir" uns faktisch einen Teil der Schwachen, der Dummen, auch der politisch Unbequemen. In der Gesellschaft würde ich dann aber auch nicht mehr leben wollen.
+1 !!!
Freiheit schließt nun mal (leider?) ein Recht auf Dummheit mit ein. Bzw auch "das Unvernünftige" zu tun. Und das ist kompensierbar, über all die perks die hohe Freiheit sonst so für eine Gesellschaft bietet.
Und die persönliche Freiheit, also die Fähigkeit zur vernunftgeleiteten Verhaltensregulation, zur Selbstkontrolle, etc, ist auch wiederum eine Kompetenz die erworben wird bzw. erworben werden kann, und hinsichtlich dieses Erwerbs setzt wiederum die Umwelt, auch die Gesellschaft selbst, gewisse Hürden und Zwänge, die das Individuum nicht einfach so und immer und überall überkommen kann. Allein das soziale Umfeld kann hier auf die Gesundheitsentscheidungen einen determinierenden Einfluss ausüben, der in Stärke fast einem Zwang gleichkommt, gleichwohl nicht so wahrgenommen wird. Und Bildungs- und Entwicklungschancen sind auch noch mal wieder ganz andere Determinanten, deren Verantwortungsbereich sich auf ebenjene Gesellschaft erstreckt, welche mit Zwangskosten für Ungeimpfte alimentiert werden würde.

Ich lehne die Idee von pauschalen Zwangskosten für Ungeimpfte daher und aus vielen anderen Gründen vehement ab. Das ist Pandoras Box.
Rince81
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Rince81 »

Rigolax hat geschrieben: 24. Jan 2022, 14:09 In dem Kontext unterschreibe ich auch ihre Ausführungen zur Debatte, ob eine Impfpflicht ein Impfzwang sein kann oder ist: "Für diejenigen, die sich eine Geldbuße nicht leisten können, wird die Impfpflicht eben doch zum Zwang".
Wir haben in diesem Land auch eine Gurtpflicht. Ein Verstoß dagegen kostet 30€. Da habe ich solch ein - in meinen Augen im Endergebnis völlig absurdes - Argument noch nie gehört.
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GoodLord
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Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von GoodLord »

Textsortenlinguistik hat geschrieben: 25. Jan 2022, 11:56
GoodLord hat geschrieben: 25. Jan 2022, 11:25 Mal ein ganz anderer steiler Vorschlag: Wie wäre es wenn ungeimpfte (zumindest ab einem bestimmten Alter) einen Zuschlag zur Krankenversicherung zahlen müssten. Wäre das eurer Meinung nach besser/schlechter als eine Impfpflicht?
Soll die Impfflicht nicht zeitlich befristet werden? Kann mir nicht vorstellen, dass man in der endemischen Phase eine Impfflicht legitimiert bekommt, dann spräche ja auch nichts gegen eine Grippe-Impfpflicht.
Davon bin ich bisher zumindest ausgegangen. der Zuschlag wäre natürlich genauso befristet (wir zahlen ja bereits jetzt einen Zuschlag zur Pflegeversicherung - aber halt alle)
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